Positionspapier

In diesem Text findet ihr unser Selbstverständnis und Positionen zum
bürgerlichen Gedenken; Geh Denken; Geschichte des Gedenkens,
bürgerliches Gedenken im Wandel; die Rolle der Alliierten; Humanismus
und Antimilitarismus. Dabei sehen wir diese Diskussionen als einen
Prozess, den wir weiterentwickeln werden.
Zuletzt geändert: 13. 11. ’08

 

Selbstverständnis

 

Das Dresdner Bündnis NO PASARÁN hat sich im Zusammenhang mit dem
Diskurs um den 13.2. und dem an diesem Tag stattfindenden Gedenken
sowie den Aktivitäten gegen den Nazi-Aufmarsch gegründet. Wir verstehen
uns als ein antifaschistisches, linksradikales Bündnis, welches
vorrangig die beiden Nazi-Großaufmärsche in Dresden fokussiert, dabei
aber auch die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge einbezieht. Nicht
zuletzt wollen wir auch im Hinblick auf das "Superwahljahr" 2009, rechtsradikale Positionen in Politik und Gesellschaft ins Abseits drängen.
Wir wollen in der Zeit vor und nach dem 13.2. AnsprechpartnerInnen für alle Gruppen sein, die ebenso wie wir, die Verhältnisse hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft ändern wollen.
Wir
finden es nicht akzeptabel, dass die Geschichte der Stadt für aktuelle
Beiträge der CDU-Spitze zur Extremismusdebatte instrumentalisiert wird
und gleichzeitig immer noch in den Parlamenten rechtskonservative und
neonazistische Kräfte – mehr oder weniger offen – als temporäre
Bündnispartner angesehen werden. Wir nehmen es nicht hin, dass hier die
Tendenz vorherrscht, antifaschistische Demonstrationen von vorne herein
zu verbieten, um sich nicht mit ihren Inhalten und Forderungen
auseinander setzen zu müssen.

 

Kritik am bürgerlichen Gedenken‭

Wenn Dresdener BürgerInnen bei der Bombardierung Angehörige oder Bekannte verloren haben,‭ sollte stets differenziert werden, welche Rolle der/die Verstorbene zu Lebzeiten in der nationalsozialistischen Gesellschaft ge‬spielt hat.‭ Dann ist es ‬das gutes Recht der Hinterbliebenen,  am Todestag um diese zu trauern.‭ ‬Es ist egal, in welcher Form diese persönliche Trauer gelebt wird,‭ ob in stiller Erinnerung an den verlorenen Menschen zu Haus oder im Austausch mit anderen Trauernden. Genauso ist es legitim, wenn Überlebende des Luftangriffs in ähnlicher Weise versuchen, ihre schrecklichen Erfahrungen zu verarbeiten. Ihre persönliche Schuld an den Verbrechen NS-Deutschlands dürfte, sofern sie nicht weit älter als 80 sind, mit Verweis auf ihre kindliche Machtlosigkeit entfallen. Ältere Menschen hingegen müssten sich fragen, ob sie denn alles Mögliche getan haben, um der deutschen Terrorherrschaft ein Ende zu setzen.

Wenn aus einer solchen persönlichen Trauer jedoch eine ideologische und/oder politische Trauer wird, dann ist antifaschistische Intervention schlichtweg notwendig. Mit dem bürgerlichen und stadtoffiziellen Gedenken soll an die Zerstörung des Stadtzentrums erinnert, den vielen Toten gedacht und das Leid der Überlebenden gewürdigt werden. Dafür sprechen die historische Bedeutung des Dresdener Einzelangriffes und der damit verbundene Einschnitt in die Stadtgeschichte. Jedoch war von dem Angriff keine homogene Masse von Menschen betroffen. Viele trugen Schuld an den Verbrechen NS-Deutschlands, indem sie mehr oder weniger Teil der nationalsozialistischen Gesellschaft waren. Von den Angriffen betroffen waren aber auch Opfer des Nationalsozialismus, wie Widerständische, ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene oder Jüdinnen und Juden.
Die Rede ist von „wahrhaftig erinnern“, wobei die Schuld der deutschen BürgerInnen zwar anerkannt wird, aber auch die Möglichkeit gegeben wird, als DresdenerInnen oder besser als Deutsche durch eine Versöhnung mit den damaligen KriegsgegnerInnen, im Sinne von „versöhnt leben“, diese nun ablegen zu können. Eben‬ damit wird auch die Grundlage für eine ideologische Vereinnahmung des‭ 13. Februars‬ gegeben.‭ Um den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken gibt es das ganze Jahr über Möglichkeiten, wie zum Beispiel den 9. November. Diese müssten noch stärker von BürgerInnen genutzt werden, damit der Anspruch des „wahrhaftigen Erinnerns“ erfüllt wird.

‬Geh Denken

Was bei der Kritik an der bürgerlichen Demonstration‭ – und damit auch an der bürgerlichen Blockade – oftmals von linker Seite vergessen wird, ist die Tatsache, dass es sich bei dieser um keinen homogenen Zusammenschluss, sondern um eine Zweckgemeinschaft mit verschiedenen Motivationen handelt. So ist das bürgerliche Engagement am 13. Februar unserer Meinung nach auch nicht grundsätzlich zu verdammen, eine Zusammenarbeit grundsätzlich möglich, erwünscht und vor allem angesichts der sonstigen äußeren Faktoren nötig‬.‭

Gleichzeitig muss den BürgerInnen klar gemacht werden, das‬s sie eben auch heute nicht in einer antifaschistischen Gesellschaft leben und die von ihnen immer wieder betriebene Augenwischerei,‭ das Wegsehen und Schönreden den rechten Ideologien Raum geben. Die Bevölkerung muss aufwachen und sich rühren, sonst macht sie sich schuldig,‭ wie damals 1933. Den BürgerInnen muss vor allem klar werden, dass eine symbolische Blockade weder die Schuld von ihren Vorfahren nimmt, denn diese ‬ist nicht negierbar,‭ noch ihre eigene Schuld am derzeitigen rassistischen Normalzustand mindert. Letzteres kann nur durch Emanzipation und gezielte antifaschistische bzw. herrschaftskritische Arbeit geschehen.

Geschichte des Gedenkens, bürgerliches Gedenken im Wandel‬

Das Gedenken am‭ 13. Februar – eine "sich im Gedenkritual manifestierende geschichtsrevisionistische Ideologie"? Und seine aktuell auftretende Form ein "modernisiertes Gedenken als kollektiver Freispruch der deutschen Bevölkerung"? (Zitat anderer Vorbereitungskreis zum 13. 2. 2009 am 18.10. 2008)

Zu behaupten, dass es sich beim Gedenken um eine Ideologie handelt, vernachlässigt den Umstand, dass das Gedenken zum 13. Februar immer im Kontext zur aktuellen gesellschaftlichen Situation gesehen werden muss. Änderten sich diese Umstände, so kam es auch zu einer entsprechenden Neuausrichtung bzw. Instrumentalisierung und damit zu einer Benutzung für unterschiedliche Ideologien. Möglich war dies durch eine von Anfang an existierende "kollektive Erzählung" – Dresden als Symbol – geprägt durch die Nazis und die Bevölkerung selbst; eine Erzählung, die sich als entsprechend wandelbar herausstellte. (1)

1. NS-Propaganda: Goebbels Ministerium fährt eine gezielte Kampagne, besonders in der Auslandspresse. Die Totenzahl wurde daraufhin im Ausland mit bis zu mehreren Hunderttausend geschätzt. Die Manipulation war möglich, da Berichte der im Luftkrieg weitgehend unerfahrenen Bevölkerung über die Schrecken des Angriffs kursierten, die eine solche Zahl vorstellbar machten. Die NS-Propaganda erzielt, dass die Wahrnehmung der Alliierten als moralisches Gegenstück zu den Nazis in Zweifel gestellt wird.

2. Propaganda in der DDR:
a) Kalter Krieg: Ab dem Jahre 1948 erhält die Schuldzuweisung für den Angriff nicht mehr allein das "faschistische Regime", sondern auch die "anglo-amerikanische Kriegsführung". DDR-weit werden Kundgebungen dagegen organisiert. Massive Propaganda besagt, dass die Westalliierten mi‬t dem Angriff den Sowjets schaden wollten.‭
b) 1955-60 dann Propaganda gegen deutschen Militarismus, als Schuldige damals wie heute werden der deutsche Faschismus und die aktuelle Regierung der Bundesrepublik benannt.
c) 80iger Jahre Propaganda gegen nukleare Aufrüstung.
Wobei die Totenzahlen jeweils dem Zweck angepasst werden, bspw. um vor einem Atom-Weltkrieg zu warnen, werden Zahlen verwendet, die höher sind als die der Toten in Hiroshima.

3. Der spätere Shoa-Leugner David Irving macht die Bombardierung mit seinem Buch "Die Zerstörung / Der Untergang Dresdens" (1963 in engl., 1964 in dt.) weltbekannt. Von Rechten und Nazis wird es zur Propaganda benutzt. Später wird Irving nachgewiesen, dass er dafür Dokumente fälschte – bspw. Nullen an die Totenzahlen anhängte – und Legenden weiterverbreitete, wie die von Tieffliegern und Phosphor. Dennoch trifft er mit seiner Darstellung die Wahrnehmung der DresdnerInnen.

4. Ende der Achtziger bis zu den Neunziger Jahren: Benutzung für allgemeine politische Aussagen –  ’87 die Forderungen nach Reise/Versammlungsfreiheit; ’91 gegen den Golfkrieg; später gegen Castor, etc.

Die aktuelle Form "des Rituals" geht u.a. auf verschiedene Traditionen zurück.

– Das Gedenken am‬ Heidefriedhof war in den‭ 70‬er Jahren und zwischen‭ 1991 und 1994 die o‬ffizielle Hauptveranstaltung – dort, außerhalb der Stadt, liegen die Opfer in Massengräbern.

– Das Gedenken an der Frauenkirche geht u.a. auf eine kirchliche Tradition bis in die frühen 80er Jahre zurück, bzw. auf Traditionen von Anfang an. (2)

– Die politischere Ausgestaltung seit dem Jahr 2000 am Altmarkt geht zum Teil auf die in den 80ern entstandenen Vereinigungen zurück, die sich mit der Geschichte auseinander setzen: Eine Fachgruppe des Kulturbundes, die heutige IG 13. Februar unter Neutzner und der Arbeitskreis Begegnungen mit dem Judentum, die heutige Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Beide Organisationen bemühen sich darum, explizit die Vorgeschichte bei ihren Veranstaltungen mit zu beleuchten bzw. die Gedenktradition um den 9. November einzubeziehen. (2)

– Durch die wachsende Anzahl der Nazis wurden inhaltliche und symbolische Abgrenzung nötig. 2004 veröffentlicht die Stadt daher den "Rahmen des Gedenkens" mit einer eindeutigen Absage an die von den Nazis vertretenen Ideologien. Die angeheftete "Weiße Rose" soll den Unterschied symbolisieren.

– Die durch die allerneuesten Entwicklungen erzeugten Veränderungen werden sich 2009 zeigen: Die Ergebnisse der Historikerkom‬mission,‭ die Änderung des Protokolls auf dem Heidefriedhof und der Gesetzentwurf zum Schutz der Synagoge und anderer Orte.

 

(1) Matthias Neutzner, Vom Alltäglichen zum Exemplarischen und Vom Anklagen zum Erinnern, In: Das rote Leuchten, 2005, edition Sächsische Zeitung
(2) Michael Ulrich, Dresden – Nach der Synagoge brannte die Stadt, 2002, Evangelische Verlagsanstalt



‬Die Rolle der Alliierten

Als am 8. Mai 1945 die Waffen in Europa endgültig schwiegen, feierten sich die Alliierten als Sieger im Ringen um den Kontinent. Die vollständige und bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht bedeutete die Befreiung für die Opfer durch das Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Der Sieg beendete die Shoa und die Vernichtung anderer Bevölkerungsgruppen, außerdem verhinderte die Niederlage Deutschlands den durch den Generalplan Ost vorgezeichneten Genozid an weiten Teilen der osteuropäischen Bevölkerung.

Kein Wunder, dass es in antifaschistischen Kreisen und auch weit darüber hinaus usus ist, sich positiv auf die Alliierten zu beziehen. Schließlich waren sie es gewesen, die dem rasenden Rassenwahn Einhalt geboten hatten, denn der Widerstand in Deutschland selbst, den es zwar gab, war im Ergebnis jedoch gesamtgesellschaftlich völlig wirkungslos geblieben. Stattdessen beteiligten sich weite Teile der Bevölkerung am Projekt der arischen Volksgemeinschaft.
Aus diesem Grund war die militärische Bekämpfung der Achsenmächte alternativlos, so man denn die Menschen Europas dem Zugriff der Nationalsozialisten und Faschisten entziehen wollte.
So banal diese Erkenntnis auch sein mag, ein reflektierter Umgang mit Geschichte erfordert es, auch die Rolle der Alliierten zu hinterfragen. Waren sie wirklich die strahlenden Helden, die über jeden Zweifel erhaben sein dürften, so dass man etwa durch das Schwenken ihrer Nationalfahnen auf Demonstration ihnen mit ruhigem Gewissen bedingungslos affirmativ begegnen kann?
Bereits während der Amtszeit Chamberlains, dem britischen Premierminister, wurde Kritik laut, seine Appeasement-Politik, sei nicht das adäquate Mittel auf die Politik des 3. Reiches. Mit dem Ziel einen Krieg zu verhindern, der letztlich nur hinausgezögert wurde, versuchte man den NS-Staat zu beschwichtigen. Man kann sicher argumentieren, dass das Vereinigte Königreich und Frankreich auf einen Krieg kaum vorbereitet waren, dies also Ausdruck von Realpolitik gewesen ist. Dies erklärt jedoch nicht die moralische Bankrotterklärung, die man im Zusammenhang mit der Konferenz von Évian im Jahre 1938 abgab. Trotz der offensichtlichen Entrechtung und Repression gegenüber den Juden im Reich, weigerten sich die beteiligten westlichen Staaten mehr Juden in ihre Länder aufzunehmen. Sicher war die Shoa zu diesem Zeitpunkt keinesfalls abzusehen, im Ergebnis jedoch hätte eine andere Entscheidung zahlreichen Menschen das Leben retten können.
Die stalinistische Sowjetunion paktierte gar mit dem Dritten Reich und man machte sich gemeinschaftlich ans Werk Polen zu besetzen. Die Sowjetunion belieferte Nazideutschland auch weiterhin mit militärischen Gütern, obwohl sich die Westalliierten mit Nazideutschland im Krieg befanden, auch wenn sie zunächst auf militärische Operationen gegen Deutschland weitgehend verzichteten. Die sowjetische Rüstungshilfe endete erst, als die Sowjetunion selbst angegriffen wurde.

 

Zusammenfassend ist die Rolle der Alliierten keinesfalls eine solch strahlende, wie man sie sich vielleicht gewünscht hätte. Es kann nicht darum gehen, die außerordentlichen Anstrengungen und Opfer der Alliierten klein zureden, auch nicht das Ergebnis, nämlich nichts weniger als Befreiung der Welt von nationalsozialistischer Barbarei, zu negieren, sondern auf deren ambivalentes Verhalten hinzuweisen, welchem nicht mit einer bedingungslosen Affirmation begegnet werden kann.

 

Humanismus und Antimilitarismus‬

Zu unserem Selbstverständnis als Linksradikale gehören Humanismus und Antimilitarismus.‭ Unabhängig von der objektiven Notwendigkeit die militärische Aggression und die geplanten, respektive durchgeführten, Genozide als ultima ratio auch mit kriegerischen Mitteln zu begegnen, bedeutet dies bezüglich des 13. Februars in Dresden, dass Militärschläge und der damit einhergehende Tod von Menschen, darunter auch Unschuldige, keinen Anlass bieten, solches zu Feiern, zu Bejubeln, Witze darüber zu machen oder anders geartet auf den Toten herum zu treten.‭ Ebenso ist die Steigerung des Genannten, die Forderung nach einer Wiederholung des Militärschlages, abzulehnen. Das bedeutet, dass wir in unserer Vorbereitung nicht nur alles vermeiden werden, was solche „Inhalte“ transportiert, sondern dass wir uns gegen solche Beiträge explizit aussprechen werden.

 

Mit Hinblick auf den 13./14. Februar gehört es zu einem antifaschistischen und humanitären Weltbild, alles daran zu setzen, eine Wiederholung solcher Ereignisse, nämlich die Bombardierung ganzer Städte zur Niederschlagung inhumaner Systeme, unnötig zu machen, indem man alles daran setzt, eine nochmalige Etablierung solcher zu verunmöglichen. Breiter antifaschistischer Protest gegen die größte Demonstration von Alt- und Neonazis in Deutschland kann dabei ein Mittel sein.

Comments are closed.