Dresdens Untergang – eine Lehre die bezahlt werden musste

Der zweite Teil der Überschrift stammt von Thomas Mann und bezieht sich auf die Bombardierung Lübecks. Professor Reiner Pommerin Inhaber des Lehrstuhls für
„Neuere und Neueste Geschichte“ an der TU Dresden wählte dieses Zitat als Abschluss des Kapitels über die Bombardierung Dresdens in dem von ihm herausgegebenen Buch „Dresden unterm Hakenkreuz“.
Der englische Historiker Frederick Taylor setzte sich in dem 2004 auf deutsch erschienen Buch Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945Militärische Logik oder blanker Terror? ebenfalls mit der moralischen Frage der Bombardierung Dresdens auseinander. Sein Fazit ist Nie wieder Krieg und Intoleranz.
Matthias Gretzschel beschreibt in seinem 2004 veröffentlichten Buch Als Dresden im Feuersturm versank wie die Bombardierung Dresdener Juden und politischen Gefangenen das Leben rettete.

Die entsprechenden Abschnitte stellen wir hier zum Nachlesen und als Leseempfehlung für diese und weitere Bücher bereit. Die Totenzahlen in den Büchern orientieren sich an den offiziell bekannten Zahlen der Jahre der Veröffentlichung, und sind demtentsprechend noch etwas höher als die von der Historikerkommision im Oktober 2008 veröffentlichen Zahlen. Aktuell wird von 18.000 – 20.000 Toten ausgegangen.



Dresden unterm Hakenkreuz
Hg. Reiner Pommerin 1998

Der Herausgeber:
Professor Dr. phil. habil. Reiner Pommerin ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere
und Neueste Geschichte an der TU Dresden

Zur Einsicht bomben?
Die Zerstörung Dresdens in der Luftkriegs-Strategie des Zweiten Weltkriegs
von Reiner Pommerin

Schluss:

Die britischen und amerikanischen Bomben trafen am 13./14. Februar vor
fünfzig Jahren in Dresden unterschiedslos Schuldige, Mitläufer und
leider viele unschuldige Menschen. Auf Grund der Kriegssituation und
Evakuierung waren mehr Frauen, Kleinkinder und vor allem alte
Menschen über sechzig Jahre unter den Toten. Insgesamt wurden etwa
35.000 Menschen Opfer der Bomben. Diese vernichteten gleichzeitig das
Zentrum der barocken Kunst- und Kulturstadt Dresden.

Es ist mehr als verständlich, daß die Überlebenden sich schwer tun, die
Zerstörung Dresdens, vor allem, wenn sie den Verlust von Verwandten
und geliebten Menschen zu beklagen haben, im Nachhinein zu verstehen
und als die unausweichliche Folge des vom nationalsozialistischen
Deutschland entfesselten Krieges, im Osten zudem gekoppelt mit einer
brutalen rassischen Vernichtungspraxis, zu akzeptieren. Doch bleibt
die schmerzliche und tragische Einsicht, daß Thomas Mann wohl nicht
unrecht hatte, als er im Mai 1942 in Kalifornien von der
Bombardierung seiner Heimatstadt Lübeck hörte und in sein Tagebuch
schrieb: „Beim jüngsten britischen Raid über Hitlerdeutschland
hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an, es ist meine
Vaterstadt. Die Angriffe galten dem Hafen, den kriegsindustriellen
Anlagen, aber es hat Brände gegeben in der Stadt, und lieb ist es
mir nicht, zu denken, daß die Marienkirche, das herrliche
Renaissance-Rathaus oder das Haus der Schiffergesellschaft sollten
Schaden genommen haben. Aber ich denke an Coventry – und habe nichts
einzuwenden gegen die Lehre, das alles bezahlt werden muss.“


Frederick Taylor
Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945
Militärische Logik oder blankerTerror?
2004

Vorwort zur deutschen Ausgabe

(…)
Weit stärker wurde die Ausrichtung dieses Buches von der Lektüre
der Werke anderer deutscher Autoren bestimmt. Am wichtigsten war Götz
Bergander
, dessen bemerkenswertes Buch Dresden im Luftkrieg –
Vorgeschichte, Zerstörung und Folgen
(Ersterscheinung 1977,
zweite überarbeitete Auflage 1994) die erste Darstellung des
Schicksals der Stadt war, die mit Recht Objektivität für sich
beanspruchen konnte. Wie ich im Vorwort zur englischen Ausgabe
bemerkte, ist es ein Skandal, dass sein Werk noch immer nicht in
meine Muttersprache übersetzt ist, während sensationslüsterne
Darstellungen in der englischsprachigen Welt weite Verbreitung
finden. Berganders persönliche Schilderung der großen Luftangriffe
auf seine Heimatstadt Dresden, die er als achtzehnjähriger Schüler
überlebte, teils seinen Schriften entnommen und teils den
Interviews, die er dem Verfasser freundlicherweise gewährte, ist als
ein wesentliches Element in dieses Buch eingearbeitet worden. Aber
auch die Darstellung des Geschehens stützt sich, wie ich gern
gestehe, auf Dresden im Luftkrieg. Dies gilt ebenfalls für
das Buch Martha Heinrich Acht (betitelt nach der
Codebezeichnung für Dresden im Netz der Planquadrate der deutschen
Luftverteidigung) von dem in Görlitz geborenen langjährigen
Bewohner Dresdens, Matthias Neutzner, das gleichfalls
persönliche Schilderungen und Dokumente auf großartige Weise mit
sorgfältiger Analyse verbindet. Martha Heinrich Acht befasst
sich absichtlich nicht mit dem alliierten Bombardement und seinen
schrecklichen unmittelbaren Folgen für die Menschen, liefert aber
eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Skizze der untergegangenen
Stadt und ihrer Bewohner und eine erschreckend gründliche
Beschreibung der Schäden. Herrn Neutzners unermüdliche Bemühungen
zusammen mit Überlebenden und freiwilligen Helfern in der
Interessengemeinschaft 13. Februar 1945 e.V. die Ereignisse
der „Bombennacht“ aufzuzeichnen und zu archivieren, sind
ein bemerkenswertes Beispiel dafür, dass das drängende Bedürfnis
einer Gemeinschaft, des Geschehenen zu gedenken, nicht
notwendigerweise durch die verständlichen Tränen des Zorns und der
Trauer getrübt werden muss. Weitere Werke und Artikel werden im Text
meines Buches genannt, und ich bekunde meinen Dank für die neuen
Erkenntnisse, die ich ihnen entnommen habe. (…)
(6. August 2004)

Vorwort

Schluss:

Das Bild, das sich dabei für mich ergab, war keineswegs das einer „unschuldigen“
Stadt, sondern das einer normal funktionierenden Stadt (normal
funktionierend sowohl im allgemeinen Sinne als auch im Rahmen
Nazi-Deutschland), die sich auszeichnete durch ihre Schönheit. Das
bedeutet nicht, ins andere Extrem zu verfallen und zu sagen, dass
Dresden „verdiente“ zerstört zu werden; es war vielmehr
nach den damaligen Maßstäben ein legitimes militärisches Ziel. Die
Frage ist: Sollen feindlichen Städte, in den sich unvermeidlich eine
große Zahl von Zivilisten aufhält und die prachtvolle Bauwerke
aufweisen, aber auch zahlreiche Produktionsstätten, Kommunikations-
und Dienstleistungseinrichtungen, die für die feindlichen
Kriegsanstrengungen von großer Bedeutung sind, ungeachtet der
Wahrscheinlichkeit hoher Verluste unter die Zivilbevölkerung
bombardiert werden? Diese Frage kann und sollte leidenschaftliche
moralische und rechtliche Auseinandersetzungen auslösen – auch im
Zeitalter der so genannten intelligenten Bombe.

Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945 wird keine abschließende Antworten
auf derlei Streitfragen liefern. Nach meiner Überzeugung wird das
Buch jedoch zeigen, dass der moralische Kontext, in dem sie
diskutiert werden müssen, komplexer und ambivalenter ist, als man
bisher allgemein anerkannt hat. Das abschließende moralische Urteil
über das Schicksal der Stadt im Februar 1945 bleibt den Lesern
überlassen, muss ihnen überlassen bleiben.

Wenn es eine moralische Schlussfolgerung gibt, dann ist sie wohl nur zu finden in
der deutschen Wendung, die ich aus dem Munde von Dresdnern immer
wieder hörte, ausgesprochen mit einer Leidenschaft, die aus
schrecklicher Erfahrung erwuchs: Nie wieder Krieg. Angesichts
der ihr zu Gebote stehenden schrecklichen Massenvernichtungswaffen
kann die Menschheit sich Intoleranz und Krieg nicht mehr leisten –
das ist die elementare Lehre aus der Bombardierung Dresdens. Möge
sie laut und deutlich vernommen werden, auch wenn seither sechs
Jahrzehnte verstrichen sind.


Matthias Gretzschel
Als Dresden im Feuersturm versank
2004

Dresdens Untergang

(…)

Den ganzen Tag über waren in Dresden zwei Kuriere der Jüdischen Gemeinde unterwegs, um vielen ihrer Mitglieder die Deportationsbefehle zu überbringen. Neben Victor
Klemperer musste auch Werner Lang diesen Botendienst verrichten. Im
Gegensatz zu Klemperer war Lang auch selbst von der Deportation
betroffen. Gegen Mittag klingelte er am Haus von Henny Wolf und ihren
Eltern an der Glashütter Straße 24. Die Wolfs wussten sofort, was
dieses Schreiben für sie bedeutete, und waren fest entschlossen, der
Aufforderung nicht Folge zu leisten. Sie wollten untertauchen, sich
verstecken, darauf hoffen, dass das Kriegsende schneller sein würde
als die Häscher der SS. Mit Sarkasmus sagte Henny Wolfs Vater,
nachdem Werner Lang das Haus wieder verlassen hatte: „Das
einzige, was uns retten kann, ist ein großer Angriff auf Dresden!“
Er sollte Recht behalten. Den Deportationsbefehl im Rucksack,
flüchteten die Wolfs durch das Bombeninferno. Sie versteckten sich
in einem verlassenen Gebäude, wo sie später das Kriegsende
erlebten.
Auch am Nachmittag hatte Victor Klemperer seine Liste
noch nicht abgearbeitet, sprach den verzweifelten Empfängern der
Deportationsbefehle, die sich manchmal zunächst weigerten, den
Empfang zu quittieren, Mut zu. Er war erschöpft von den langen Wegen
und den traurigen Gesprächen, den Erklärungen, den Tränen, der
Verzweiflung, dem schicksalsergebenen Schweigen.

(…)

Als die Sirenen kurz vor dem ersten Angriff losheulten, führten die
Wachmänner Kurt Vonnegut und seine Mitgefangenen in den besonders
tief gelegenen Fleischkeller des Schlachthofs, ein weiß getünchtes,
hallendes Gewölbe mit eiserner Treppe und eisernen Türen oben und
unten. (…) Erst am Mittag des 14. Februar stiegen sie die Treppen
wieder hinauf, traten ins Freie und sahen, dass der Himmel über
Dresden schwarz war. Schwarz vor Rauch.
„Die Sonne war wie ein zorniger Stecknadelkopf. Dresden war jetzt wie der Mond, nichts
als Mineralien. Die Steine waren heiß. Alle anderen im weiteren
Umkreis waren tot. So geht das.“
Die Gefangenen öffneten die Tür zu einem anderen, weniger tief gelegenen Keller und entdeckten dort die Mädchen aus Breslau, die sie wenige Tage zuvor beim Duschen
nackt gesehen hatten. Sie waren alle tot. Die Umfriedungen, die
Dächer und Fenster der Schlachthofgebäude waren verschwunden.
Überall auf dem Boden lagen Dinge, die aussahen wie Holzklötze,
aber in Wahrheit verkohlte, geschrumpfte Menschen waren. Die Gebäude
waren zerborsten. Häuser sahen jetzt aus wie Hügel.

(…)

Am 15. Februar erlitt Dresden einen weiteren amerikanischen
Bombenangriff, der aber angesichts der bereits vorangegangenen
verheerenden Zerstörungen von vielen Bewohnern nur noch am Rand
registriert wurde. Wieder traf es viele Wohnhäuser, diesmal vor
allem in der Südvorstadt. Wie viele Menschenleben dieser vierte
Angriff gefordert hat, ist nirgends registriert worden. Aber einigen
Menschen rettete er das Leben: Während des Angriffs wurde diesmal
auch das Landgericht am Münchner Platz, wo die Gestapo (und nach ihr
die DDR-Justiz) viele Todesurteile vollstreckt hat, getroffen.
Während die Wachmannschaften noch in den Luftschutzkellern
ausharrten, konnten zahlreiche politische Häftlinge aus dem
teilweise eingestürzten Zellentrakt entfliehen. Unter denen, die
durch ein Loch kletterten, das eine Bombe in die Außenwand des
wuchtigen Gebäudes gerissen hatte, waren auch einige Gefangene, die
schon zum Tode verurteilt worden waren.

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