Antikriegstag und 20 Jahre neonazistische Umtriebe in der Region

Warschau nach der deutschen Bombardierung

Warschau nach der deutschen Bombardierung

Am 1. September 2010 jährt sich der Überfall Nazideutschlands auf Polen nun zum 71. Mal. Dieser Angriff markierte den Beginn des 2. Weltkrieges. Nach dem Schrecken des Krieges wurde der 1. September zum Antikriegstag bzw. Weltfriedenstag erklärt. Bereits im letzten Jahr wiesen wir auf den völkischen Vernichtungskrieg der Nazis im Osten hin. Als Fortsetzung dokumentieren wir einen Artikel aus dem Magazin „der Freitag“ in der die Pläne der Nazis zum Massenmord an der Bevölkerung, durch Verhungern lassen, vor allem in Weißrussland dargelegt werden.

Der VVN-BdA Dresden nimmt den Tag und die bevorstehenden Feierlichkeiten zu 20 Jahre deutsche Einheit zum Anlass um im Haus der Begegnung nach einem Film über das Erstarken der Nazis nach der Wende im Osten Deutschlands zu diskutieren. (vollständige Terminankündigung)

Wie offen die Nazis in Deutschland mittlerweile wieder auftreten, zeigt sich nicht zuletzt an den nun schon seit mehreren Jahren stattfindenden bundesweiten Naziaufmärschen anlässlich des Antikriegstags in Dortmund, die dort für ihren Sieg marschieren wollen. Auch in diesem Jahr gibt es dagegen natürlich Widerstand und auch aus Dresden wird wieder ein Bus zu den Gegenaktivitäten am 04.  September in Dortmund fahren.


der Freitag | Nr. 29 | 22. Juli 2010
Zeitgeschichte | 25.07.2010 16:00 | Alex J. Kay

Der sichere Tod

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion sollte ­Weißrussland systematisch ausgehungert werden. Das Programm des Massenmords hatte die NS-Ministerialbürokratie entworfen

Erstens, der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. Zweitens, hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“ – So lauten die Anfangszeilen einer Aktennotiz über eine Besprechung von Staatssekretären zum Unternehmen Barbarossa am 2. Mai 1941 in Berlin. Etwa sieben Wochen vor dem Überfall auf die Sowjetunion treffen sich für die Wirtschaftspolitik in den Ostgebieten zuständige Vertreter der Ministerialbürokratie und Wehrmacht, um eine Strategie der Eroberung zu diskutieren. Ihr Fazit, „zig Millionen Menschen“ werden in den zu besetzenden Gebieten der UdSSR verhungern müssen, damit Deutschland den Krieg gewinnen kann.

Es geht um einen Überschuss an Lebensmitteln im Osten, der dazu verwendet werden soll, drei Millionen deutsche Soldaten an dieser Front während des dritten Kriegsjahres (September 1941 bis August 1942) zu versorgen. Dadurch soll der entsprechende Nachschub soweit wie möglich entfallen, um die Transportrouten in Richtung Sowjetunion wie auch die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland und im besetzten Europa als Ganzes zu entlasten. Man will für den zu erwartenden Zermürbungskrieg gegen die angelsächsischen Mächte gerüstet sein. Das massenhafte Verhungern im Osten ist aus Sicht der Planer für das Bestehen im Westen von entscheidender Bedeutung.

NS-Ministerialbürokratie und Generalität folgen damit einer Strategie, die Anfang 1941 durch Staatssekretär Herbert Backe und seinen Stab im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie im Reichsnährstand formuliert wird. Danach ist vorgesehen, eroberte sowjetische Territorien nach deren Agrarproduktivität einzustufen und dann voneinander abzuschotten. Nach dieser Evaluierung gibt es „Überschussgebiete“ wie die Ukraine, Südrussland und den Kaukasus – und „Zuschussgebiete“ wie Nord-, Mittel- und Weißrussland, deren Bewohner von den zuerst genannten Zonen abhängig sind und nun diesem Versorgungsstrang abgetrennt werden sollen. Das Sitzungsprotokoll vom Mai 1941 nimmt jeden Zweifel, worauf diese Selektion von Anfang an zielt: Den sicheren Tod von Millionen Menschen – das NS-Regime will mit dem Krieg im Osten jeden moralischen Minimalstandard unterschreiten.

Nachdem seit Ende 1937 keine formellen Kabinettssitzungen unter dem Kanzler Hitler mehr stattfinden, werden Besprechungen unter Staatssekretären zum administrativen Normativ im nationalsozialistischen Deutschland. Hitler untersagt praktisch die selbstständige Versammlung seiner Minister. Institutionen wie die Vierjahresplan-Behörde liehen sich die Staatssekretäre von deren jeweiligen Ministerien aus, um Behörden übergreifend kooperieren zu können. Wie der britische Historiker Mark Roseman anmerkt, seien Treffen der Staatssekretäre „in Wirklichkeit ein Ersatz für eine Kabinettsregierung“ gewesen. Das wohl berüchtigtste Beispiel für diese Praxis ist die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942.

Obwohl im Protokoll vom 2. Mai 1941 die Zahl der vom geplanten Nahrungsmittelentzug Betroffenen mit „zig Millionen“ angegeben wird, handelte es sich in Wirklichkeit um „viele 10 Millionen von Menschen“, wie aus den Wirtschaftspolitischen Richtlinien hervorgeht, die von einigen Teilnehmern der bewussten Sitzung Anfang Mai herausgegeben werden. Aus anderen Quellen ergeben sich sogar 30 Millionen. Eine Zahl, etwa dreimal so hoch wie jene Angaben, die am 20. Januar 1942 im Protokoll der Wannsee-Konferenz zur „Endlösung der Juden-Frage“ auftauchen. Doch werden 30 Millionen nicht zufällig anvisiert – um dieses Quantum ist die städtische Bevölkerung Russlands, Weißrusslands und der Ukraine zwischen 1914 und 1939 gewachsen. Die dem zugrunde liegende Industrialisierung und Verstädterung will die deutsche Führung umkehren, um langfristig agrarisches Hinterland für ein deutsch beherrschtes Kontinentaleuropa zu schaffen. Dazu entwirft man ein Massenmordprogramm, das ohne Beispiel in der modernen Geschichte ist.

Dem Kopf des Dokuments lässt sich entnehmen, dass es das Sitzungsprotokoll vom 2. Mai 1941 nur in zwei Ausfertigungen gibt – eine erste für den Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), General Georg Thomas. Die zweite für Generalleutnant Wilhelm Schubert, Chef des Wirtschaftsstabes Ost, der für die Ausbeutung der besetzten sowjetischen Gebiete zuständig sein soll. Zum Zeitpunkt der Besprechung obliegt General Thomas die operative Federführung im „Wirtschaftsführungsstab Ost“. Ein kleines Gremium, das nicht mit dem gerade genannten Wirtschaftsstab Ost zu verwechseln ist und Reichsmarschall Hermann Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan untersteht. Das Treffen am 2. Mai 1941 ist insofern eine Angelegenheit dieser Zentralinstanz, die nach dem Überfall auf die UdSSR die ökonomische Invasion steuern soll. Daran beteiligt sind neben den Generälen Thomas und Schubert die Staatssekretäre Paul Körner (ein Stellvertreter Görings) und der erwähnte Herbert Backe, der seit 12. April 1941 alle Vollmachten für die Ausbeutung der besetzten sowjetischen Gebiete in Händen hält. Daneben dürften Unterstaatssekretär Hermann von Hanneken (Reichswirtschaftsministerium), Staatssekretär Friedrich Alpers (Reichsforstamt) und Friedrich Syrup (Reichsarbeitsministerium) zugegen gewesen sein.

Im Sitzungsprotokoll kommt ein Maß an Gleichmut gegenüber dem Besprochenen zum Ausdruck, das den Eindruck nährt, da handeln keine dienstwilligen Bürokraten, sondern ideologische Überzeugungstäter. Sie befürworten, dass die Versorgung der deutschen Wehrmacht höchste Priorität genießt, auch wenn dabei auf sowjetischer Seite Hungertote in großer Zahl hingenommen werden. Die Absicht, ein Massenverhungern bewusst herbeizuführen, gilt frühzeitig als ein Motiv der Besatzungspolitik. Die Ausrottungspläne sind nicht nur Bestandteil der offiziellen Politik – es besteht darüber bereits vor dem Überfall weitgehend Einigkeit. Dass dann die Hungerpolitik im Sommer und Herbst 1941 nicht so implementiert werden kann, wie sich das die Ernährungsplaner des III. Reiches vorgestellt haben, steht auf einem anderen Blatt.

Bald wird offensichtlich, dass der Feldzug nur ein paar Monate planmäßig verläuft. Bei einer sich verschlechternden Lage und unzureichenden Sicherungstruppen zeigt sich, dass es undenkbar ist, ganze Gebiete abzuriegeln und „zig Millionen Menschen“ dem Hungertod preiszugeben. Es gibt eine Ausnahme – Leningrad zwischen 1941 und 1944, wo der Blockade über 800.000 Menschen zum Opfer fallen. Möglich wird diese Einkesselung, weil sich über einen langen Zeitraum hinweg zwei deutsche Armeen daran beteiligen.

Als Folge der im Winter 1941/42 so nicht erwarteten Kriegslage sind die Hauptopfer der Hungerpolitik letztlich die sowjetischen Kriegsgefangenen, die von Wirtschaftsplanern und Militärführung gleichermaßen als unmittelbare Konkurrenz der Wehrmacht um knappe Nahrungsmittel betrachtet werden. Obwohl die Hungerpolitik vor dem Überfall nicht explizit auf sie abzielt, treffen doch weder das OKW noch anderer NS-Instanzen ausreichende Vorkehrungen, um die Gefangenen unterzubringen und zu ernähren. Die deutsche Führung ist sich schon vor Beginn des Unternehmens Barbarossa einig, sowjetische Kriegsgefangene dem Tod durch Verhungern auszusetzen. Die Tatsache, dass über drei Millionen von ihnen in deutscher Gefangenschaft sterben – der weitaus größte Teil direkt oder indirekt an Folgen der Unterernährung – ist wahrlich erschreckend, auch wenn die erwartete Opferzahl der Hungerpolitik, die von den Staatssekretäre im Mai 1941 einkalkuliert wird, zehnmal so groß ist.
Hintergrund

Alex J. Kay ist promovierter Historiker und beschäftigt sich mit Kriegsfolgen-Forschung

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Die VVN-BdA Region Dresden lädt ein:

20 Jahre neonazistische Umtriebe in unserer Region.
20 Jahre Kampf und Widerstand gegen braunen Ungeist.

Mittwoch, 1. September 2010
Haus der Begegnung, Großenhainer Straße Dresden
Beginn: 19.00 Uhr

Im vergangenen Jahr wurde an das 20jährige Jubiläum der „friedlichen Revolution“ erinnert. Vor kurzem an den 20sten Jahrestag der D-Mark-Einführung. Und der anstehende Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wird an offiziellen Feierlichkeiten mit Sicherheit alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.
Nicht erwähnt werden wird in den offiziellen Reden mit Sicherheit das dunkle Kapitel dieser Ereignisse. Die Auferstehung des braunen Ungeistes auf dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR.
Der oppositionelle Liedermacher Wolf Biermann sang in den 1980er Jahren in einem Lied:
„Die DDR mein Vaterland, ist sauber immerhin. Die Wiederkehr der Nazizeit ist absolut nicht drin…“
So haben sich die Zeiten geändert. Mit der Wiedervereinigung kamen die NPD und andere Nazigruppen. Sie sitzen heute in Landtagen und Kreistagen. Sie stellen Stadt- und Gemeinderäte. Auf den Straßen verbreiten sie Antisemitismus und Ausländerhetze und scheuen auch nicht vor Mord und Totschlag zurück.

Aber es gibt auch Widerstand. Eindrucksvoll wurde der am 13. Februar dieses Jahres gezeigt. Demokratische Antifaschisten zeigten ihnen ihre Grenze auf. Die Nazis kamen mit ihrem „Trauermarsch“ nicht durch und mussten wieder abziehen.

An diesen Erfolg wollen wir in unserer öffentlichen Mitgliederversammlung zum Antikriegstag anknüpfen. Der Film „Die Kreidefresser“ soll uns den erforderlichen Impuls geben für das Referat von Carsten Hübner und die nachfolgende Diskussion. Mit Carsten Hübner haben wir einen Referenten gefunden, der für seine antifaschistischen Aktivitäten bekannt ist, auch von Nazis angegriffen wurde und umfassende Kenntnisse über das Treiben der Nazis in den ostdeutschen Regionen, so auch in Sachsen und unserer Dresdner Region besitzt.

veranstaltet von BdA Region Dresden e.V. in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Ausgeschlossen von der Veranstaltung sind Personen, die rechten Organisationen angehören, der rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige Menschen verachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind. Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und diesen Personen den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser zu verweisen.

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