Dresden kontert mit neuem Denkmal

Helma Orosz ist zurück von der Ausstellungseröffnung „Under Attack“, welche die Folgen von Bombardierungen im Alltag der Menschen von London, Coventry und Dresden dokumentieren soll. Während der Londoner Oberbürgermeister gute Ausreden vorweisen konnte, um mit nicht ihr über das geplante Denkmal zu Ehren der britischen Bomberpiloten diskutieren zu müssen, wies der Lord Mayor von Coventry jegliche Kritik aus Dresden am Denkmalplan zurück. In der britischen Presse wird das Thema mittlerweile heiß diskutiert, und viele Briten verbitten sich die Einmischung aus Deutschland.

In Dresden kann man so etwas natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und so verkündete man jetzt die Installierung einer schon länger geplanten und fertigen Trauerskulptur auf dem Dresdner Heidefriedhof für den 19. September. Auf dem Dresdner Heidefriedhof findet jedes Jahr am 13. Februar der offizielle Gedenkakt mit Kranzniederlegung an der Gedenkstätte für die Opfer der Bombardierung statt. Bei dem in Bronze gegossenen weinenden Mädchen handele es sich, laut Peter Ufer von der Sächsischen Zeitung, im Gegensatz zum Ehrenhain für die Bomberpiloten um ein neues Zeichen der Versöhnung. Wie die reine Trauer um sich selbst irgendeinen Beitrag zu einer Versöhnung liefern soll, bleibt sein Geheimnis.

Ihr Leben war Kampf gegen Faschismus

Kleiner Ehrenhain im Heidefriedhof

Interessant und bestürzend ist dabei der Sprachgebrauch in der Sächsischen Zeitung bezüglich des Heidefriedhofs. Dort heißt es „Das Mädchen soll in Blickbeziehung zum Ehrenhain stehen, wo der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht wird.“ Nun gibt es auf dem Dresdner Heidefriedhof tatsächlich zwei Ehrenhaine, beide wurden jedoch explizit den Opfern des Faschismus gewidmet. In der Sächsischen Zeitung schreckt man also im Zuge der antiextremistischen Gleichmacherei von Nazis und Linken nicht mal mehr vor antifaschistischen Widerstandskämpfern und italienischen Zwangsarbeitern zurück.

Wie ein Lichtblick wirkt dagegen ein Artikel im Kulturteil der Sächsischen Zeitung, in dem ein Buchautor unter anderem zum Thema 13. Februar anmahnt die Vergangenheit ruhen zulassen. Demnach hätte man in Dresden viel eher einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen sollen, wie es z.B. in Hamburg, das ebenfalls im Zweiten Weltkrieg schwere Luftangriffe erlebt hatte, gemacht wurde. Dann würde es viele der heutigen Probleme in dem Zusammenhang nicht geben. Womöglich hat der Autor damit recht, allerdings kommt das etwas naiv daher. Es war in Hamburg viel einfacher einen Schlußstrich zu ziehen, da es keine Mythen- und Legendenbildung wie um die Luftangriffe um Dresden gegeben hatte. Das fing bei Goebbels an, der in der Berichterstattung die Schäden in Hamburg damals noch eher nach unten korrigierte um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden und endet bei der Tatsache, dass Hamburg im Westen lag, und die Bombardierungen nicht zum Bestandteil antiwestlicher Propaganda wurden, wie das mit dem in der DDR gelegenen Dresden zeitweise geschah, um vor allem gegen die Amerikaner Stimmung zu machen. Völlig richtig ist dagegen, dass man Auschwitz nicht mit Dresden aufrechnen kann. Bleibt zu hoffen, dass das auch in Dresden mal ernst genommen wird.


Mittwoch, 8. September 2010
(Sächsische Zeitung)

Coventrys Stadtchef will Bomberdenkmal

Von Jochen Wittmann, London

Eine gemeinsame Weltkriegsausstellung der Städte London, Coventry und Dresden sollte Zeichen der Versöhnung sein. Doch nun ist sie zum Schauplatz neuer Spannungen geworden. Denn statt über Frieden diskutieren Briten und Dresdner nun über ein Denkmal, das in der Nähe des Buckingham-Palastes künftig ausgerechnet die Männer ehren soll, die ihre Bomben über Dresden abgeworfen haben.

Der Oberbürgermeister von Coventry, Brian Kelsey, sprach sich am Rande der Ausstellungseröffnung am Montagabend in London für das umstrittene Denkmal aus. Es gebe bei diesem Thema viele Meinungen und man könne nicht von richtig oder falsch sprechen, sagte er. „Letzten Endes denke ich, dass es ein Denkmal geben sollte. Ich finde, dass die Piloten vom Bomber Command von der Regierung schäbig behandelt wurden.“ Kelsey hatte selbst als achtjähriger Junge den Angriff der deutschen Bomberpiloten auf Coventry erlebt.

Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) beeilte sich, sich davon zu distanzieren. „Ich finde es befremdlich, dass nach all diesen Jahren jetzt ein Denkmal errichtet werden soll. Ich halte diesen Schritt für rückwärtsgewandt“, sagte sie. Sie wolle den britischen Bürgermeister-Kollegen die Bedenken der Menschen in Dresden mitteilen.

Diplomatisch zurück hielt sich indes der Londoner Bürgermeister Boris Johnson in der entfachten Debatte. Er habe von einer Kontroverse um das Denkmal noch gar nichts gehört, erklärte er. Und verwies darauf, dass die Baugenehmigung gar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich falle. Die Debatte war zuvor bereits medial in beiden Ländern angeheizt worden. „Sagen Sie Nein zum Bomberdenkmal!“, wurde Oberbürgermeisterin Orosz noch vor ihrem Abflug von einer Zeitung aufgefordert. Die britische Massenpresse reagierte empört. „Daily Express“, „Daily Mail“ und „Daily Telegraph“ ereiferten sich darüber, dass die Deutschen ihnen jetzt vorschreiben wollen, wen sie ehren dürfen und wen nicht. „Bomber Command“ ist jenes britische Luftwaffenkommando, das die Flächenbombardements auf deutsche Städte durchführte und im Februar 1945 die Dresdner Innenstadt in Schutt und Asche legte. Die Einheit ist die einzige Waffengattung im britischen Kampf gegen Nazideutschland, die bisher noch kein Denkmal erhalten hat. 2004 bekamen selbst die Tiere, die im Weltkrieg dienten wie Spürhunde oder Brieftauben, ein Monument direkt am Hyde Park. Ein Jahr später wurde auch der Frauen, die an der Heimatfront standen, gedacht. Die Bombereinheit gilt als Truppenteil mit den größten Verlusten. Mehr als 55000 Angehörige der Royal Air Force starben im Krieg.

Jetzt sollen diese im nächsten Jahr ein Denkmal erhalten. Einer der Initiatoren ist Sänger Robin Gibb. Seit Monaten sammelt die Vereinigung britischer Kriegsflieger Spenden für den Bau.

Orosz war in die britische Hauptstadt gereist, um dort zusammen mit ihren Bürgermeisterkollegen von London und Coventry eine Ausstellung über die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zu eröffnen. Die Ausstellung „Under Attack“ (Unter Beschuss) sollte gerade ein Musterbeispiel praktischer Versöhnung sein. Sie ist in Zusammenarbeit der Verkehrsmuseen von Dresden, London und Coventry entstanden und hatte bewusst Schuld- und Sühnedebatten ausgeklammert.


Mittwoch, 8. September 2010
(Dresdner Neueste Nachrichten)

No time for Mrs. Orosz

In London konnte Dresdens OB nicht mit ihrem Amtskollegen über geplantes Bomberdenkmal sprechen
Von Christoph Stephan

Bei ihrem Besuch am Montag in London hatte Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) keine Gelegenheit, mit Boris Johnson, dem OB der Themse-Metropole, über das in der britischen Hauptstadt geplante Denkmal für die Bomberpiloten des Vereinigten Königreichs zu sprechen. Diese hatten während des Zweiten Weltkriegs unter anderem auch Dresden in Schutt und Asche gelegt. Orosz war nach Großbritannien gereist, um eine Ausstellung im Londoner Verkehrsmuseum zu eröffnen.

„Wegen des Streiks bei der U-Bahn ‚Tube‘ musste Mr. Johnson wichtige Gespräche führen und kam leider anderthalb Stunden zu spät“, sagte Orosz-Sprecherin Heike Großmann gestern gegenüber den DNN. „Er begleitet nur kurz die Vernissage und musste danach gleich weiter. Für ein individuelles Gespräch zwischen den beiden Bürgermeistern blieb keine Zeit.“ Das mehrere Millionen Pfund teure Denkmal soll im Londoner Green Park entstehen – nicht weit vom Buckingham Palast entfernt, der offiziellen Residenz der Queen.

In Dresden wird über das so genannte „Bomber Command Memorial“ rege diskutiert. Vor allem ältere Menschen, die die Angriffe auf die Elbestadt im Februar 1945 persönlich erlebt haben, fühlen sich brüskiert. Alastair Moss aus dem Parlament des zuständigen Londoner Stadtbezirks Westminster sieht das anders: „Dieses neue Wahrzeichen ist eine angemessene Huldigung der Helden des Bomber-Befehls, die das größte Opfer für unser aller Freiheit gaben.“

Helma Orosz sagte in London gegenüber Journalisten des „Daily Express“, solch ein Denkmal sei „entgegen unserer Kultur der Erinnerung“ und trage nicht zur Versöhnung bei. Sie distanzierte sich damit klar.


Donnerstag, 9. September 2010
(Dresdner Neueste Nachrichten)

Orosz setzt auf Weg der Versöhnung und Partnerschaft

Dresdens OB ist zurück aus London / Resümee imm DNN-Interview / Briten kommentieren Streit um Denkmal sehr rege

Die Diskussionen über das in London geplante Denkmal für britische Bomberpiloten reißen nicht ab. Während die umstrittene Erinnerungsstätte von vielen Dresdnern als geschmacklos empfunden wird, ärgern sich inzwischen zahlreiche Menschen in Großbritannien über das aus ihrer Sicht unangebrachte Einmischen der Deutschen in Angelegenheiten des Vereinigten Königreichs. Große Zeitungen von der Insel berichteten gestern im Internet über den Besuch der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) in London und den anhaltenden Streit. Im Internet kommentieren britische Leser diese Artikel sehr rege. Lesen Sie hier ein Kurzinterview mit OB Orosz und Auszüge aus dem Medienecho

Frau Orosz, was für ein Resümee ziehen Sie nach ihrem London-Besuch?

Helma Orosz: Die von den Verkehrsmuseen London, Coventry und Dresden gemeinsam erarbeitete Ausstellung „Under Attack“ und die Ausstellungseröffnung am 6. September sind Beispiele der guten und harmonischen deutsch-britischen Zusammenarbeit, die über Jahre gewachsen ist. Diese liegt mir – ebenso wie die seit über 50 Jahren bestehende Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Coventry – besonders am Herzen. So habe ich mich sehr gefreut, gemeinsam mit dem Bürgermeister von London, Boris Johnson, und dem Lord Mayor von Coventry, Brian Kelsey, die Ausstellung im Londoner Verkehrsmuseum zu eröffnen.

Wurde am Rande der Vernissage über das umstrittene Denkmal für die Bomberpiloten diskutiert?

Wegen des Streiks bei der U-Bahn „Tube“ kam der Londoner Oberbürgermeister zur Ausstellungseröffnung zu spät. Es gab also keine Gelegenheit, mit ihm darüber zu sprechen. Generell haben nur Journalisten das Thema aufgegriffen, ansonsten spielte es bei der Veranstaltung im Verkehrsmuseum keine Rolle.

Glauben Sie, dass die anhaltende Diskussion über die Erinnerungsstätte langfristig die Beziehungen zwischen Dresden und Großbritannien schaden wird?

Dieses Denkmal ist aus Dresdner Sicht schwer zu verstehen. Gerade weil wir in den vergangenen 50 Jahren gemeinsam mit Großbritannien eine Erinnerungs- und Versöhnungskultur gelebt haben. Ein besonderes Beispiel dafür ist das Turmkreuz der Frauenkirche, das von Alan Smith, dem Sohn eines britischen Bomberpiloten geschaffen wurde. Das sind wahre Zeichen der Versöhnung und nicht rückwärtsgewandte Signale.

Ich bin mir sicher, dass wir den bisherigen Weg der Versöhnung und Partnerschaft weiter gemeinsam aufrecht erhalten werden. Aus diesem Grund war ich zu der Ausstellungseröffnung nach London gereist. Denn die Schau ist ein Beispiel für unsere gute Zusammenarbeit.

Es fragte: Christoph Stephan

Schlagzeile bei Sify News: „Deutsche Politiker setzen das Vereinigte Königreich unter Druck – Kriegsveteranen und britische Bürger sind verärgert. Hinter der Kampagne steckt auch ‚Bild‘, die am meisten verkaufte Zeitung des Landes.“

Großer Aufruf mit einem Foto von Helma Orosz im Express: „Neue Debatte: Sollte Großbritannien wirklich ein Denkmal für die Bomberpiloten bauen? Oder sollten wir an die Gefühle der Dresdner denken? Ist die Diskussion über den Bomber-Befehl gerechtfertigt? Schließen Sie sich jetzt dieser Debatte an und sagen Sie uns Ihre Meinung.“

Umfangreicher Bericht des Telegraph:
„Ungefähr 25 000 Menschen größtenteils Frauen und Kinder starben in Dresden in wilden Feuerstürmen, die durch die intensive Hitze von 2400 Tonnen des hochexplosiven Sprengstoffs und 1500 Tonnen Brandbomben angetrieben wurden. Der Angriff auf die Stadt an der Elbe ist umstritten, weil der Zweite Weltkrieg schon fast zu Ende war und Dresden als militärisches Ziel keinen strategischen Wert hatte.“

Artikel auf Mail Online: „Deutsche zielen auf unser Denkmal für Helden der Royal Airforce.“ Zitiert wird einer der Hauptinitiatoren des Monuments, Bee-Gees-Sänger Robin Gibb: „Jeder, der etwas gegen solch ein Denkmal sagt, sollte sich gründlich vor sich selbst schämen. Die ganze Welt, einschließlich Deutschland, ist heute frei und dass dank des Opfers, das die Bomberpiloten des Vereinigten Königreichs auf sich genommen haben.“


Donnerstag, 9. September 2010
(Sächsische Zeitung)

Helma Orosz weiht Denkmal für Opfer des 13. Februars ein

Dresden bekommt auf dem Heidefriedhof ein neues Denkmal für die Opfer des Bombenangriffs am 13.Februars 1945. Dabei handelt es sich um die Skulptur „Tränenmeer“ der Künstlerin Malgorzata Chodakowska, die ein trauerndes Mädchen zeigt. Sie soll am 19. September um 11 Uhr anlässlich des tags des Friedhofs von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) eingeweiht werden. Das Mädchen soll in Blickbeziehung zum Ehrenhain stehen, wo der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht wird. Das Denkmal wurde aus dem Nachlass von Helga Barbara Petzold finanziert, die den Bombenangriff als Kind erlebt hat.

Auf dem Heidefriedhof wird anlässlich des Gedenkens zum 13. Februar jedes Jahr von Vertretern der Alliierten gemeinsam mit einer Kranzniederlegung ein Zeichen für Versöhnung gesetzt. Für die Versöhnung müsse die Auseinandersetzung mit den Schreckenstaten weitergehen, sagte Orosz. Die Debatte um ein Denkmal für die Bomber, die Dresden zerstörten, sei kontraproduktiv. „Ich denke, für die Dresdner ist die Vorstellung, dass es so ein Denkmal in London geben soll, schwierig.“ Die Unterstützung von Coventrys Oberbürgermeister Kelsey für das Denkmal stellte sie in den Kontext seiner Biografie. „Er ist selbst Zeitzeuge und Opfer der Zerstörung Coventrys.“ Sie hoffe, dass die Versöhnungsarbeit weiter voranschreitet. (SZ/dek)


Donnerstag, 9. September 2010
(Sächsische Zeitung)

Ein gutes Zeichen für den 13. Februar
Peter Ufer
über das Denkmal auf dem Heidefriedhof für den 13. Februar

Auf dem Heidefriedhof entsteht ein neues Denkmal zum Gedenken an die Opfer des Bombenangriffs vom 13. Februar 1945. Das ist ein gutes Zeichen für und aus Dresden.

Denn mitten in der Debatte um die britische Idee, in London ein Ehrenhain für die Bomberpiloten zu bauen, die Dresden in Schutt und Asche legten, braucht es ein neues Zeichen der Versöhnung. Und die Skulptur „Tränenmeer“ der Künstlerin Malgorzata Chodakowska, die ein trauerndes Mädchen zeigt, ist für das Nachdenken da. Besonders hervorzuheben ist, dass die Skulptur von einer Frau gestiftet wurde, die den Angriff auf Dresden erleben musste und ihr Leben lang auf Frieden und Versöhnung hoffte.

Dieses gute Zeichen könnte aber zugleich Anlass sein, erneut darüber nachzudenken, was mit den über 20000 Namen der Opfer des Angriffs auf Dresden geschieht. Die Historikerkommission recherchierte die Namen, doch veröffentlicht werden sie leider nicht. Das muss sich ändern. Die Namen gehören ebenfalls auf ein Denkmal.

Mindestens nach der britischen Idee, die Opfer der Bomberstaffel zu ehren, wäre es fatal, den Dresdner Opfern keinen Ort des Gedenkens zu geben. Mit dem Großen Trauernden am Albertinum zum Beispiel, der Trümmerfrau oder dem Heidefriedhof gibt es viele Orte zum Gedenken. Doch der eine Ort mit den Namen fehlt noch immer. Leider.


Dienstag, 9. März 2010
(Sächsische Zeitung)

Das „Trauernde Mädchen“ wird in Bronze gegossen

Von Doreen Hübler
Auf dem Heidefriedhof soll eine Skulptur an die Opfer des Weltkrieges erinnern. Gestern entschied sich eine Jury für den Entwurf von Malgorzata Chodakowska.

Im Kulturrathaus drehte sich gestern alles um sieben traurige Mädchen. Um sieben Kinder, von denen nur eines groß werden soll, um als stummes Mahnmal an die Schrecken des Februars 1945 zu erinnern – getreu dem letzten Willen der Dresdnerin Helga Barbara Petzold. Die Medizinerin hatte die Bombennächte in ihrer Heimat einst selbst erlebt und die Bilder nie vergessen. In ihrem Nachlass vermachte sie der Stadt eine fünfstellige Summe, allerdings gekoppelt an eine Bedingung: Mit dem Geld soll eine Skulptur mit dem Titel „Trauerndes Mädchen“ geschaffen und auf dem Heidefriedhof zu Ehren der Kriegsopfer aufgestellt werden.

Gespiegeltes Tränenmeer

Nun soll dieser letzte Wunsch in Erfüllung gehen. Im vergangenen Jahr rief die Stadt einen Wettbewerb aus, um einen Künstler zu finden, der die Skulptur entwirft. 20Bewerbungen gingen ein, sieben Entwürfe wurden für die finale Runde ausgewählt und gestern im Kulturrathaus aufgebaut. Vier Stunden ging die Jury vor den Modellen auf und ab und beratschlagte, welches dem Erbe von Helga Barbara Petzold am meisten getreu wird. „Wir haben uns sehr eng an ihre Vorgaben gehalten“, sagt Manfred Wiemer, Amtsleiter für Kultur und Denkmalschutz. Viele Kriterien mussten erfüllt werden, sowohl künstlerische als auch finanzielle. Am Nachmittag fiel die Entscheidung: Der Vorschlag der Bildhauerin Malgorzata Chodakowska wurde als Siegerkandidat ausgewählt.

Die Dresdnerin hat bereits etliche namhafte Werke geschaffen, vor allem zarte Frauenfiguren wie die Statue „Die Träumende“, die von der Sächsischen Zeitung jährlich als Preis für den besten Unternehmer vergeben wird. Nun bekommt eines von Chodakowskas feingliedrigen Mädchen einen ewigen Platz zwischen Gräbern, ein schmächtiges Kind, das mit verschränkten Armen vor einem Granitbecken steht und sich – je nach Wetterlage – im nassen „Tränenmeer“ spiegelt. Die Statue wird demnächst in Bronze gegossen und im Original dann etwa 1,50Meter groß sein. Voraussichtlich im Sommer soll das Kunstwerk dann auf dem Dresdner Heidefriedhof ein sehr persönliches Erbe antreten.


Donnerstag, 9. September 2010
(Sächsische Zeitung)

Stell dir vor, es ist 13. Februar und keiner geht hin
Von Marcus Krämer

Eine kleine Pflichtlektüre, nicht nur für Dresdner: Der Historiker Christian Meier plädiert für das Vergessen.
In Hamburg zum Beispiel ist der 28.Juli ein stinknormaler Tag. Fragt man Passanten auf der Straße, was ihnen zu diesem Datum einfällt, so zucken die meisten die Schultern. Dabei geschah am 28. Juli 1943 das Schrecklichste, was die Stadt je erlebte: Drei Stunden lang fielen Zigtausende Bomben nieder, alles Gemäuer vernichtend. In den Feuerstürmen starben mindestens 20000 Menschen, verkohlte Leichen überall. „Auf den Straßen roch es nach gebratenem Beefsteak“, erinnert sich Helmut Schmidt, der damals ein junger Luftwaffenoffizier war. Doch käme kein Hamburger heute auf die Idee, jedes Jahr in Massenveranstaltungen an das Inferno zu erinnern.

Wäre es nicht besser, Dresden könnte mit dem 13. Februar genauso seinen Frieden schließen? Wer so fragt, gilt in dieser Stadt entweder als linksautonomer Spinner oder als naiver Geschichtsignorant. „Wir werden und wir dürfen das Vergangene nicht vergessen – weil wir Vergebung suchen und verstehen wollen“, mahnte Oberbürgermeisterin Helma Orosz dieses Jahr bei der Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof. Dass die Menschheit aus den Kriegen und Verbrechen der Vergangenheit lernen müsse, wird heute jedem Kind in der Schule eingebleut.

Diesen Allgemeinplatz stellt nun ausgerechnet der Münchner Historiker Christian Meier, ein hoch angesehener Vertreter seines Fachs, ernsthaft infrage. In seinem Buch „Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns“ weist er nach, dass der Normalfall in der Geschichte das Vergessen war – und dass die Menschheit gut damit gelebt hat. Ob nach dem Peleponnesischen Krieg 404 vor Christus, ob beim Westfälischen Frieden1648, ob an den Runden Tischen in Polen und Ungarn 1989, am Ende stand stets die Übereinkunft, die schlimme Vergangenheit ruhen zu lassen und nicht in alten Wunden zu bohren.

Jetzt ist es wohl zu spät

Meier bezweifelt die geschichtsoptimistische Annahme, die gerade in Dresden so oft als Argument dient: Man müsse an die schlimme Vergangenheit erinnern, damit so etwas nie wieder geschehe. „Das Schlimme wiederholt sich manchmal ganz besonders deshalb, weil die Menschen sich daran erinnern“, sagte der Historiker in einem Interview. Hitler sei auch durch die Erinnerung an den Versailler Vertrag möglich geworden. „Man ist nahezu einem Wiederholungszwang erlegen“, so Meier, „gerade wegen der Erinnerung.“

Und in der Tat: Bewegt sich Dresden nicht seit Jahren in einem Teufelskreis von friedlichem Gedenken, Nazi-Aufmärschen und Gegendemonstrationen? Vielleicht wäre es nie so weit gekommen, hätte Dresden ebenso wie Hamburg beizeiten einfach einen Schlussstrich gezogen. Jetzt ist es wohl zu spät dafür. Stattdessen müssen wir im Jahr 2010 erleben, dass die Briten ein Denkmal für ihre Bomberpiloten errichten wollen. Auch dort will man es als Friedensdenkmal verstanden wissen. Doch schon sät es Streit und Hass.

Eine bedeutende Ausnahme vom Gebot des Vergessens sieht Meier allerdings im Holocaust. Zu ungeheuerlich war das Ausmaß dieses Verbrechens: „Es kann im ganzen so wenig wie in unendlich vielen Einzelheiten vergessen werden. Es ist auch deswegen nicht ,aufzuarbeiten‘, weil es die menschliche Fassungskraft übersteigt.“ Schon deshalb seien die Deutschen für immer dazu verdammt, sich der Erinnerung an das Grauen und an die Schande zu stellen.

Dresden und Auschwitz

Sprachmächtig verurteilt Meier jeden Versuch zum Scheitern, Dresden mit Auschwitz „aufzurechnen“: Es gelte zu begreifen, „was dieser Versuch eines Staates bedeutete, einer ganzen millionenstarken Religionsgemeinschaft das Recht, auf dieser Erde zu leben, abzusprechen und sie mitsamt Greisen, Frauen und Kindern noch aus dem letzten Winkel zusammenzutreiben, um sie auszutilgen, wie Ungeziefer, und ihre Goldzähne der Reichsbank zu übergeben“.

Auch was Meier über den Umgang mit DDR-Vergangenheit schreibt, gehört zum Klügsten, was dazu im Jahr 20 nach der Vereinigung zu lesen ist. Weil es sich um einen friedlichen Umsturz handelte, sei der Pakt des Vergessens ausgeblieben. Zugleich vollziehe sich alles Erinnern unter den Augen der Westdeutschen, was es so schwierig mache – „verteufelt schwierig“.

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