Menschenkette der Oberbürgermeisterin: Demokratie vs. Extremismus?

Während der Thüringer Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow immer noch auf seinen Prozess wegen „Sprengung einer Versammlung“ am 13. Februar 2010 in Dresden wartet und bereits angekündigt hat, auch 2011 wieder gegen den Nazigroßaufmarsch zu demonstrieren, macht der Innenminister Sachsens klar, wozu die Menschenkette noch gut ist, außer dass die Oberbürgermeisterin Helma Orosz dem Druck von der Straße nachkommt, mehr als nur symbolisch gegen Nazis zu handeln: Für den Innenminister Markus Ulbig (CDU) ist die Menschenkette dazu da, die Demokraten von den Extremisten zu trennen. Denn nur die Demokraten blockieren die Nazis richtig, während die Extremisten sie falsch blockieren. Beides jedoch nach durchaus dem selben Prinzip: Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein. Weiterhin sei die Menschenkette ein Bekenntnis zum Frieden, was den notorischen Kriegsbefürwortern von der CDU ganz sicher gut zum Janusgesicht steht.

Wie ernst das Ansinnen der Menschenkette als Blockade des Nazigroßaufmarschs insgesamt zu bewerten ist, bleibt zudem offen. Nach dem, was bisher über die Planungen der Nazis durchsickerte, hat sie überhaupt keine Relevanz. Der Tagesspiegel berichtete, dass am 13. Februar Naziaufmärsche in den Plattenbaugebieten Prohlis (Dresden-Ost) und Gorbitz (Dresden-West) geplant seien. Diese sind weit weg von der Innenstadt und von Klientel bewohnt, welches Naziaufmärschen weniger kritisch gegenüber steht. Desweiteren ist es unwahrscheinlich, dass Helma Orosz ihre Menschenkette in den Abendstunden veranstaltet. Genau für diesen Zeitraum kündigen die Nazis ihren regionalen Trauermarsch an. Und was wird die Oberbürgermeisterin am 19. Februar tun, wenn die Nazis weitere Aufmärsche durchführen wollen und allem Anschein nach den größeren Trauermarsch abhalten? In dieser Frage sind die Stadtoffiziellen also noch genauso weit, wie bereits im August, als die Pläne zur erneuten Menschenkette bekannt gegeben wurden.

Dennoch gerieren sich die Initiatoren der Menschenkette so, als hätte man dazugelernt. Denn nun soll die Aktion nicht auf die Innenstadt beschränkt bleiben, sondern auch über zwei Brücken und damit auf die Neustädter Seite führen – ein eindeutiger Handschlag mit den Blockierern, wenn man das Szenario vom 13. Februar 2010 vor Augen hat. Denn es würde nicht nur symbolisch, sondern auch praktisch eine Solidarisierung bedeuten: Die Elbbrücken wären kein abgesperrtes Hindernis, was Gegendemonstranten zu überwinden haben. Doch ein Szenario wie 2010 wird es 2011 mit Sicherheit nicht mehr geben. Die Nazis werden nicht noch einmal ein solches starres Konzept verfolgen, auch wenn dies mit ihrem Klientel und ihrem Ansinnen nach ‚würdiger Trauer‘ schwierig wird und es mit den Vorstellungen der Ordnungsbehörden von einer klaren Stadtteillung am 13. Februar kollidiert. Und genau deswegen sollte man die Pläne von Naziaufmärschen am 13.2. in Prohlis und Gorbitz ernst nehmen. Doch für die Oberbürgermeisterin gilt offenbar wie in jedem Jahr: Hauptsache ein größeres mediales Interesse für die eigene Aktion erzeugen, als die Nazis. Die Protestbündnisse Dresden-Nazifrei und No pasarán werden dafür wieder dort sein, wo die Nazis sind und letztlich spielt dann dort die Musik.


Thüringer Allgemeine Zeitung, 28. Dezember 2010

Bodo Ramelow wartet noch auf Anklage

Auch fast ein Jahr nach den Protesten gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden ist kein Prozess gegen den Thüringer Linke- Fraktionschef Bodo Ramelow wegen „Sprengung einer Versammlung“ absehbar.

Erfurt. Der Politiker warf der Staatsanwaltschaft in Dresden vor, die Anklage bewusst bis nach dem Jahrestag der Dresdner Bombardierung zu verzögern. Es wäre wohl „peinlich“ für die Ermittler, wenn ihre „konstruierten Vorwürfe“ vor den auch im nächsten Jahr geplanten Protesten in sich zusammenbrächen, sagte er am Montag unserer Zeitung.

Gegen Ramelow wird ermittelt, weil er sich am 13. Februar dieses Jahres einem Neonazi-Aufmarsch in Dresden entgegengestellt hatte. Dabei soll er sich nicht an die Auflagen der Polizei gehalten haben – was der Fraktionschef zurückweist. Bereits im Mai wurde Ramelows Immunität als Landtagsabgeordneter aufgehoben, nachdem Ramelow die Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 500 Euro abgelehnt hatte. Auch in einem möglichen Prozess werde er „keinerlei Deal“ akzeptieren, sagte er gestern.

Ramelow will auch wieder an der Gegendemonstration in kommenden Februar teilnehmen, zu der seine Fraktion gestern aufrief.


Medienservice Sachsen (sachsen.de), 22.12.2010

Für ein friedliches und würdiges Gedenken
Innenminister Ulbig unterstützt neuerlichen Aufruf zu einer Menschenkette

Sachsens Innenminister Markus Ulbig unterstützt die Aktivitäten der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz, mit denen Dresden im Februar ein Zeichen gegen Neonazis setzen will.

Innenminister Ulbig: „Wir dürfen nicht zulassen, dass der 13. Februar von Neonazis und Extremisten missbraucht wird. Der Aufruf zur Menschenkette ist ein Aufruf zu einem friedlichen und würdigen Gedenken. Als Innenminister ist es für mich selbstverständlich an der Menschenkette teilzunehmen. Ich hoffe und wünsche mir, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sich ebenso beteiligen. Diese Menschenkette wird das Erinnern mit dem Bekenntnis zu Frieden, Demokratie und Menschenrechten verbinden. Wir überlassen die Stadt nicht den Neonazis und Extremisten.“


Freitag, 17. Dezember 2010
(Sächsische Zeitung)

„Wir wollen am 13. Februar die Elbe überqueren“

Helma Orosz hofft bei der Menschenkette gegen den Nazi-Aufmarsch auf mehr als Zehntausend Dresdner.
Frau Oberbürgermeisterin, hat sich aus Ihrer Sicht die Form der Menschenkette als Protest gegen Rechtsextremisten, aber auch als Zeichen für Frieden und Versöhnung bewährt?

Auf jeden Fall. Der Erfolg in diesem Jahr hat uns recht gegeben, dass wir diese Form der Erinnerung und des Widerstandes gewählt haben. Ich war damals sehr gespannt, ob tatsächlich genug Menschen kommen, um die Kette zu schließen. Am Ende standen Frauen, Männer und Kinder in Zweier-, sogar in Dreierreihen. Das waren nicht nur bewegende Bilder für die Medien, sondern auch bewegende Momente für die Menschen, die sich an den Händen gefasst haben.

Wird die Kette im kommenden Jahr über die Elbe gehen?

Ja, wir wollen diesmal die Elbe queren. Ausgangspunkt wird aber wieder das Rathaus sein, als zentrales Symbol für eine demokratische Bürgerschaft. Selbstverständlich wollen wir auch wieder die Synagoge und die Frauenkirche durch dieses lebendige Symbol schützen.

Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie?

Ich hoffe sehr, dass wir genauso viele Menschen aus Dresden und anderen Teilen des Landes erreichen, wie in diesem Jahr. Auf Zahlen will ich mich dabei ungern festlegen. Wichtig ist, dass es neben den zahlreichen Veranstaltungen von Kirchen, Vereinen, Parteien und Verbänden ein zentrales Ereignis gibt, zu dem wir jeden einladen.

Glauben Sie, dass Neonazis so gestoppt werden können, falls sie sternmarschartig durch die Stadt laufen?

Ich will mich nicht an Spekulationen über mögliche Strategien der Rechtsextremen beteiligen. Viel wichtiger ist es, dass die Bürgerschaft wieder ein klares friedliches Signal aussendet, was sie von dieser Instrumentalisierung des 13. Februars durch rassistische und menschenverachtende Ideologien hält.

Gespräch: Thilo Alexe


Der Tagesspiegel
15.12.10

Neonazis planen drei Aufmärsche in Dresden

Frank Jansen

Die rechtsextreme Szene plant nach Informationen des Tagesspiegels drei Aufmärsche zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Februar 1945. Dagegen formiert sich bereits Protest.

Berlin – Zwei Monate vor dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 und dem zu erwartenden rechtsextremen „Trauermarsch“ wächst der Protest der Nazigegner. Einen Aufruf des Bündnisses „Dresden – Nazifrei“ mit dem Motto „2011 – Blockieren bis der Naziaufmarsch Geschichte ist“ haben die Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) und Petra Pau (Linke), Grünen-Chefin Claudia Roth und viele weitere Prominente unterschrieben, darunter der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, sowie die Bands Die Toten Hosen, Fettes Brot und Tocotronic. Den Aufruf unterstützen auch die DKP und Antifagruppen.

Am 13. Februar dieses Jahres hatten tausende Demonstranten Straßen blockiert und den Neonazi-Aufmarsch verhindert. Um Auseinandersetzungen zu vermeiden, sperrte die Polizei den Treffpunkt der Rechtsextremisten am Bahnhof Dresden-Neustadt ab. 6000 Neonazis standen eingepfercht in der Kälte. Diese Niederlage hat die Szene schwer getroffen, da der 13. Februar, der Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden, als zentraler Termin im Aufmarschkalender gilt. Nun setzen die Neonazis offenbar auf eine Taktik der Verwirrung. Wann und wo die Szene 2011 ihren zentralen „Trauermarsch“ abhalten will, bleibt offen. Nach Informationen des Tagesspiegels wurden für den 13. Februar Märsche in den Dresdner Plattenbauvierteln Gorbitz und Prohlis und für den 19. Februar in der Innenstadt angemeldet.

Unterdessen plant Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) eine noch größere Menschenkette. Tausende hatten im Februar der Opfer des Krieges gedacht. 2011 soll die Menschenkette auch über eine Elbbrücke führen.


Pressemitteilung der Stadt Dresden vom 15.12.2010

Gemeinsamer Aufruf zum 13. Februar 2011

Die Oberbürgermeisterin ruft gemeinsam mit Vereinen, Initiativen, Verbänden und Parteien zu einer Menschenkette anlässlich des 13. Februars 2011 auf. OB Orosz: „Es ist ein sehr gutes Zeichen, dass es wieder gelungen ist, eine breite Gemeinschaft für den Aufruf zu gewinnen. Dafür bin ich allen Beteiligten sehr dankbar.“

Die Menschenkette wird wieder als lebendiges Symbol durch die Altstadt führen. Es ist 2011 aber auch vorgesehen, die Elbe über zwei Brücken zu queren. „Besonderer Dank gilt dem Rektor der TU Dresden, Herrn Prof. Müller-Steinhagen, der die Versammlungsleitung für die Veranstaltung übernehmen wird.“, sagt OB Orosz.

Gemeinsamer Aufruf zum 13. Februar 2011

Die Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Dresden Helma Orosz lädt gemeinsam mit den demokratischen Fraktionen des Stadtrates, Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft, Kultur, Sport, Gewerkschaften und Kirchen, mit der jüdischen Gemeinde und zivilgesellschaftlichen Akteuren alle Bürgerinnen und Bürger zum gemeinsamen Handeln am 13. Februar 2011 ein:

Am Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 gedenken wir des Leids der Bombennacht. Wir schließen in unser Gedenken die Millionen Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen und des Zweiten Weltkriegs ein. Wir erinnern an die historische Verantwortung, die auch unsere Stadt für diese Verbrechen und diesen Krieg trägt. Wir danken allen Menschen, die unsere zerstörte Stadt mit Leidenschaft, Mühen und Entbehrungen wieder zu einem Ort kulturvoller Lebensfreude gemacht haben.

Eine Menschenkette wird die Dresdner Innenstadt, die am 13. Februar traditionell ein Ort des Erinnerns und Mahnens ist, wie ein lebendiger Schutz umschließen und damit vor dem Eindringen Rechtsextremer schützen. Lassen Sie uns ein Zeichen setzen: Ein Zeichen für verantwortliches Erinnern! Ein Zeichen gegen den Missbrauch unserer Geschichte durch eine rassistische und menschenverachtende Ideologie.

Wir alle sind verantwortlich für unsere Stadt und die Gesellschaft, in der wir leben. Bei aller Unterschiedlichkeit verbindet uns unser Engagement für die demokratische Gesellschaft. Wir unterstützen alle Initiativen und Organisationen unserer Stadt, die sich anlässlich des Jahrestages engagieren: im Erinnern an das Geschehene, im Engagement für Frieden, Demokratie und Menschenrechte, im friedlichen Widerstand gegen Rechtsextremismus.

Wir bitten alle Bürgerinnen und Bürger und die Gäste unserer Stadt, sich in eine Menschenkette unter dem Motto »Erinnern und Handeln. Für mein Dresden« einzureihen.

Den Aufruf unterzeichnen:

Oberbürgermeisterin Helma Orosz
Prof. Hans Müller-Steinhagen, Rektor der TU Dresden
Evangelische Kirche Dresden
Stiftung Frauenkirche Dresden
Katholisches Dekanat Dresden
Jüdische Gemeinde Dresden
DGB-Region Dresden-Oberes Elbtal
Kulturbüro Sachsen e.V.
IG »13. Februar 1945« e.V.
Fördergesellschaft Frauenkirche Dresden e.V.
Bürger.Courage e.V.
Stadtverband Dresden im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Kreissportbund Dresden e.V.
CDU-Fraktion im Dresdner Stadtrat
FDP-Fraktion im Dresdner Stadtrat
SPD-Fraktion im Dresdner Stadtrat
BürgerBündnis/Freie Bürger Fraktion im Dresdner Stadtrat
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Dresdner Stadtrat
Fraktion DIE LINKE im Dresdner Stadtrat
Industrie- und Handelskammer Dresden
Handwerkskammer Dresden

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