Der jüdische Kommunist und Widerstandskämpfer Hans Dankner

Auf der Demonstration am 14. Februar wird unter Beteiligung von Angehörigen auf einer Zwischenkundgebung dem jüdischen Kommunisten aus Dresden – Hans Dankner – gedacht werden. Diese ist selbstverständlich auf der nach ihm benannten Hans Dankner-Straße, welche in der Nähe des Hauptbahnhofes liegt, geplant. Momentan wird dies durch die Stadt Dresden jedoch unmöglich gemacht, da die Route endgültig verlegt wurde, so dass jetzt nur noch der Klageweg bleibt.

Im folgenden Beitrag wird Hans Dankner vorgestellt. Zuerst mit einem kurzen Lebenslauf, dann folgen Ausschnitte aus den Büchern des Künstlerpaares Hans und Lea Grundig. Zuletzt steht ein Bericht Hans Lauters, heutiger Ehrenvorsitzender des Vereins der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) Sachsen, zitiert in einem Buch über das Zuchthaus Waldheim.

 

Hans Dankner

 

Der am 21. April 1908 in Bautzen geborene Hans Dankner aus jüdischer Familie, wuchs in Dresden auf, lernte Gärtner und wurde früh zum Kommunisten. Er war Mitglied im jüdischen Jugendbund „Blau-Weiß“ und ab 1927 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD), später bis 1930 Leiter des KJVD in Leipzig. Ab 1930 wurde er Mitglied er KPD und gehörte der Dresdner Naturfreundeopposition / Vereinigte Kletterabteilungen (NFO/VKA) an und wurde 1932 dritter Vorsitzender der NFO/VKA.

Ab 1933 illegale Arbeit für die KPD, im November 1933 verhaftet: Ein Jahr Gefängnis in Zwickau. Nach Haftentlassung als „Staatenloser“ nach Polen ausgewiesen, Emigration in die ČSR. Ab Ende 1935 Grenzabschnittsleiter der KPD für das Gebiet Teplitz (ČSR). (Illegale Arbeit meint hier vor allem Grenzarbeit: Personenausschleusung und Material/Literatureinschleusung, auch bekannt unter dem Label "Rote Bergsteiger")

Ab März 1939 Gestapo-Untersuchungshaft, fünf Jahre Zuchthaus Waldheim, dann ein Jahr KZ Auschwitz, unmittelbar vor der Befreiung deportiert nach Dachau, wo er am 20. März 1945 im KZ ermordet wird.
Jahrzehntelang wurde angenommen, dass er 1944 im KZ Auschwitz umgekommen sei. Das stellte sich als falsch heraus.


 

Eine jüdische Familie

 

Lea traf Hans Dankner im Morgengewühl auf der Prager Straße. Soeben
angekommen, hielt er sich illegal in Dresden auf. Er kam aus Prag, wo
er im Auftrag der Partei tätig war. Lea ging vor ihm her, ohne ihn zu
bemerken. Seine leisen Anrufe erreichten auch nicht ihr Ohr; erst als
sie vor der Kunsthandlung Sinz verweilte, bemerkte sie den hinter ihr
stehenden Hans. Sie war sehr erschrocken, glaubte sie doch im
Augenblick an eine Halluzination; sie wußte ja, daß Hans seit Jahren in
der ČSR lebte und in Dresden von der Gestapo gesucht wurde. Als sie
festgestellt hatte, daß er es wirklich war, freute sie sich herzlich,
aber mit Angst um ihn im Herzen. Hans war im Auftrag der KPD
herübergekommen, um die zum Teil abgebrochenen Verbindungen zu den
hiesigen Genossen neu zu knüpfen. Zuerst einmal bogen sie von der
Prager Straße ab und wandten sich dem Großen Garten zu, denn in dem
Geschiebe und Gedränge der Großstadt konnten sie nicht ruhig sprechen.
Auch war die Gefahr zu groß, verfolgt zu werden, denn Lea war vielen
bekannt. In den verschlungenen Seitenpfaden konnten sie, falls es not
tat, ein Liebespaar sein, das sich harmlos hier erging.

Hans orientierte sie kurz von dem Auftrag der Partei. Illegales
schriftliches Material sollte über die Grenze nach Dresden gebracht
werden. Das war gut zu regeln, vorerst mußte aber für Hans ein
sicheres, der Gestapo unbekanntes Nachtquartier verschafft werden. Bei
uns war das nicht möglich, weil wir selbst von den Menschheitsmördern
zu sehr kontrolliert wurden. Aber bei unserem Freund, dem Architekten
Kurt Junghans, war das leicht zu machen, denn er wohnte in dem reichen
Haus seines Vaters in Blasewitz, der allen als loyaler Bürger bekannt
war. Kurt bewohnte dort das oberste Stockwerk, das von einer
Seitentreppe aus erreichbar war. Hier blieb Hans Dankner, von den
Eltern unbemerkt, einige Tage, und hier und anderswo traf er sich mit
Christl Beham, um den illegalen Transport über die Grenze zu
organisieren. Alles verlief gut, auch die späteren Begegnungen blieben
der Gestapo unbekannt. Hans Dankner aber ging wiederum über die grüne
Grenze nach Prag zurück.

Nun ist es wohl nötig, einiges mehr von Hans Dankner und seiner Familie
zu erzählen. Wenn ihr einmal das schöne Buch "Sally Bleistift" gelesen
habt von der Gusti Lazar, unserem Maitre Corbeau, könnt ihr euch das
Milieu vorstellen, in dem Hans großgeworden ist. Es ist eine dumme,
alberne Lüge, von den Antisemiten und den Menschheitsschlächtern
verbreitet, daß alle jüdischen Menschen reiche Wucherer seien. Es gab
damals unter den jüdischen Familien viel mehr arme denn wohlhabende
oder gar reiche Leute. Die ärmste Familie aber, die ich kennenlernte,
war die des Hans Dankner. Mutter und Vater Dankner wohnten mit ihrer
gesegneten Kinderschar auf der Ziegelstraße, ‌einem armseligen Gäßchen,
in der sich noch armseligere Trödellädchen dicht an dicht
aneinanderreihten. Hier war auch Mutter Dankners Bereich; ein so
winziges Lädchen besaß sie, daß stets nur ein Kunde von ihrem äußerst
kleinen Warenvorrat kaufen konnte, der aus Schlipsen, Deckchen,
Zigarren und Zigaretten bestand. Kamen zufällig mehrere auf einmal,
mußten sie auf der Straße warten, bis Mutter Dankner den ersten bedient
hatte.

Mutter Dankner, eine untersetzte, rundliche Frau, mit gütigem Gesicht
und guten, arbeitsamen Händen, hatte viel zu tun, um ihre Kinderschar
und ihren rührend schwächlichen Mann stets satt zu kriegen. Dazu konnte
ihr das kleine Lädchen niemals verhelfen, und sie mußte, wie so viele
Frauen, nebenbei in reichen Häusern Aufwartung machen. Das tat sie wie
alle guten Mütter ohne Murren; das konnte sie gar nicht, denn sie besaß
ein fröhliches, goldenes Herz. Sie war die Sonne des armen Haushaltes,
und unter ihren warmen Strahlen gediehen die Kinder zu prächtigen
Menschen. Stets war ihr Haus von Fröhlichkeit erfüllt; wer hier ein-
und ausging, nahm immer von ihrer Wärme mit.

Ihr ebenso herzensguter, aber lebensuntüchtiger Mann glich einem Rabbi,
der das lebhafte, weltliche Getriebe ringsum betend an sich
vorübergehen ließ. Als junge Liebesleute waren mein Silbernes und ich
viele Male Gäste und streckten unsere Beine unter ihren gastlichen
Tisch. Damals waren ihre zwei Söhne und die eine Tochter schon junge
erwachsene Menschen. Sie erlernten alle ein Handwerk und wurden
frühzeitig Kommunisten. Aber die schreckliche, barbarische Nazizeit
zerstreute diese liebenswerte Familie in alle Winde. Jetzt herrschte
tiefe, unsägliche Trauer in dem einst so fröhlichen Haus. Eins nach dem
anderen der Kinder ging fort von seiner Heimat, und alle taten ihre
Pflicht als Kämpfer gegen die Menschheitsmörder.

Heute, wo ich dies niederschreibe, lebt von diesen herrlichen Menschen
nur noch einer. Die anderen wurden alle in Auschwitz vergast mit den
fünf Millionen und siebenhunderttausend jüdischen Menschen. Wäre ich
ein Dichter oder Schriftsteller, meine Verse würde ich zu ihren Ehren
in Bronze gießen lassen. Einen Roman würde ich schreiben, daß ihr alle
weinen müßtet vor Trauer und Scham über das, was in jener Zeit in
Deutschland möglich war.

Aus: Hans Grundig, Zwischen Karneval und Aschermittwoch, 1957



Etwa 1938

 

Verhör

 

Nummer 216 wurde aufgerufen, und ich schrak zusammen.
Der Schlüsselbund klirrte. "Zur Vernehmung!" Langsam stieg ich
Stockwerk um Stockwerk hinab. Was wissen die und was nicht? Angst und
Erregung packten mich, Witterung des Wildes vor dem Kampf. Unten stand
der Geisler. Der Geisler war den Dresdner Antifaschisten sehr bekannt.
Ein Gestiefelter, jung, blond, gut aussehend. Mir fallen Louis
Fürnbergs Strophen aus der "Spanischen Hochzeit" ein:

"Oh, was ist das für ein Geisterzug
mit Angesichten rot und weiß,
mit blutigen Lippen, blondem Haar
und Augenpaaren kalt wie Eis
und auf den Zähnen ein Lachen gar
und böser als ein Jaguar."

Wir gehen durch die großen Büroräume des Präsidiums. Schreiber,
gestiefelt und gespornt, hübsche, elegante Tippfräulein. Die eine zieht
das Lippenrot nach und ordnet die Lockenpracht, ehe sie weiterschreibt.
Offene Aktenschränke, Akten auf Akten, ein Schreibbüro wie tausend
andre, mit Gesprächen, Frühstücksbrotpaketen, Lachen; Tippfräulein und
Büroherren, wie überall. Aber in den Akten geht es um Leben, jede Akte
ein Mensch.

Wir sind in ein kleines, leeres Zimmer eingetreten; ein Tisch mit
Schreibmaschine und ein Stuhl davor stehen darin, nichts weiter. ein
kleiner Junge kommt herein; ein Pimpf. Er spricht voller Begeisterung
mit dem netten Herrn Kommissar. Und der scherzt mit ihm, es gibt ein
hübsches, jungenhaftes vertrauliches Gespräch. Der Herr Kommissar ist
voll väterlicher Herzlichkeit zu seinem jungen Freund. Der geht
strahlenden Blickes. Und einige Sekunden später fliegt mein Kopf hin
und her unter den Schlägen. Der Geisler hat mein Haar um seine Faust
gewickelt und reißt mich daran.

Die Vernehmung hat begonnen.

Wer bei uns verkehre? Was wir täten? Namen, Namen, Namen wollte er wissen. Was habe Hans Dankner gewollt?

Also das war es! Hans Dankner! Christl war vor Wochen verhaftet worden.
Geisler wußte, daß ich Hans Dankner getroffen hatte – wieviel wusste er
noch? Ach, das herauszufinden!

Hans Dankner war dagewesen. Er hatte schon 1933 einige Jahre Gefängnis
bekommen und war dann als polnischer Staatsbürger ausgewiesen worden.
Hans ging nach Prag und lebte dort das schwere Leben des politischen
Emigranten und aktiven Funktionärs, ohne Mittel, ständig seine Wohnung
wechselnd, verfolgt von den reaktionären tschechischen Behörden und
unter dem Späherblick der Fünften Kolonne. Aber heimlich war er
wiedergekommen, hatte Fäden geknüpft, Verbindungen geschaffen.
Literatur, verbotene gejagte Literatur, kam auf heimlichen Wegen in das
"Dritte Reich". Ich war ihm begegnet; auf einer Straße voller Verkehr,
unweit seiner heimatlichen Wohnung, hörte ich mich leise anrufen. Ich
beschleunigte meinen Schritt, und in einem Schaufenster hinter mir
spiegelte sich das schmale Gesicht Hans Dankners mit seinen brennend
schwarzen Augen und dem dunklen Haarschopf. Ein Gesicht, das auffällt,
ein Gesicht, das man sich merkt. Dieses gejagte und verbotene Gesicht
des jüdischen Kommunisten Hans Dankner erblickte ich in der spiegelnden
Scheibe. Ich wußte ihn seit Jahren im Ausland, nun stand er neben mir.
Er suchte Verbindungen, und ich schickte ihm Christl. Bei Kurt
Junghans, im Hause des reichen, gutbürgerlichen und reaktionären
Baumeisters Junghans schlief Hans in Kurts Zimmer – sein illegaler
Gast. Und von dort spann sich das Netz, gewoben aus Kühnheit,
Erkenntnis und unzerstörbarem Glauben. Gewoben von Menschen, die dem
Terror des Nazireiches ihr Gewissen entgegenstellten, das stärker war
als die ständige Furcht und die wachsenden Gefahren.

Wir hatten mit allen unseren Freunden gewisse Aussagen vereinbart:
woher wir uns kannten, weshalb wir miteinander Verbindung hielten und
was wir taten. Und an diese Vereinbarung hielt ich mich genau. Wir
kamen eben als "verrückte Künstler" mit vielen Leuten zusammen, wir
waren "Boheme" und hatten allerhand komische Interessen, Kunst, Bilder,
Tanz, Musik. Untüchtig und blöd waren wir auch. Sorgfältigst bemühte
ich mich um die Entstehung dieser Meinung. Dumm, das war uninteressant,
und als Künstlern räumte uns der Spießbürger, wenn auch grollend,
gewisse Vorrechte des Nichtüblichen ein. Und ich suchte diesen Eindruck
zu festigen und zu vertiefen. Geisler, wie alle Kommissare der Gestapo,
quälte und erniedrigte seine Opfer nicht nur, sondern bestahl und
plünderte sie, wo er nur konnte. Das Auto meines Vaters gedachte er zu
stehlen, deshalb fragte er micht, was es für eines sei. "Ein grünes",
sagte ich, und derartige Antworten gab ich nach Kräften. Ich glaubte,
er finge an, mich wirklich für blöde zu halten. Ich hatte hans gänzlich
aus dieser Sache mit Hans Dankner heraushalten können und mich in allen
Fällen an die vereinbarten Aussagen gehalten.

Als ich nach dem Verhör erschöpft und traurig erregt die Glasstufen zu
unserer Frauenabteilung hinaufstieg, gedachte ich meines Bemühens, dumm
zu erscheinen – und plötzlich überfiel mich ein schrecklicher Gedanke
und verbohrte sich immer stärker in meinem Kopf. Ich wollte dumm
erscheinen und war es vielleicht wirklich? Tiefe Zweifel ergriffen
mich. Als die Zellentür zukrachte und ich mit mir allein war, schwand
die Benommenheit des Zweikampfes, den jedes Verhör darstellt, und ich
begann zu fragen: Hatte ich mich richtig verhalten? Um die Version des
Zufälligen und Harmlosen der ganzen Angelegenheit aufrechtzuerhalten,
mußte ich einen Namen nennen. Eine falsche Fährte hätte nach kurzer
Überprüfung dieselbe Situation unter ungleich schlechteren
Erfolgschancen wiederholt. Ich berichtete also, wie wir vereinbart
hatten, im Sinne einer harmlosen, zufälligen Sache. Und so geschah es
auch. Nach Kurt wurde niemand mehr aus unserem Kreise verhaftet. Und
unsere Version hielt – bis zu dem Tage, an dem Hans Dankner bei der
Besetzung der ČSR in Prag verhaftet wurde.

 

Die Gerichtsverhandlung

 

Der Tag, vor dem ich seit langem gezittert, in den Tagträumen und in den Träumen der Nächte – dieser Tag kam heran.

Ich erhielt meinen Mantel und stieg in den grünen Gitterkasten, in die
"Grüne Minna". Und dort, welche Freude, traf ich Kurt, den Architekten.
Da saß er und lächelte mich an, und wir wurde leicht und warm ums Herz.
Ein mürrischer Wärter brummte, aber wir sprachen doch ziemlich
ungestört miteinander, da wir die einzigen Fahrgäste waren. Sofort
informierten wir uns gegenseitig über unsere Aussagen und legten unsere
Verteidigung fest.

Als wir im Gericht ankamen, im Korridor vor dem Verhandlungsraum,
trafen wir Hans und Dore. Und wir konnten beieinander sitzen und
sprechen und uns Liebes, Tröstendes sagen. Wir saßen beieinander wie in
vergangenen Zeiten. Köstlich war dieses Stück einer Stunde, da wir uns
bei den Händen hielten und kein Gitter, keine Türe, kein
Schlüsselgeklirr uns störten.

Dann standen wir vor dem Richter.

Kurt hatte einen jungen, forschen Rechtsanwalt, der sich ins Zeug legt.
Mein Anwalt war ein alter, in Paragraphen vertrockneter Bürokrat,
Vorsitzender der Anwaltskammer und seit Jahren der Geschäftsanwalt
meines Vaters. Von Politik verstand er nichts und wollte auch nichts
verstehen. Mit Schrecken sah ich, daß seine "Verteidigung" geeignet
war, mich richtig reinzulegen.

Unsere Aussagen waren gut aufeinander abgestimmt. Was bei uns zu Hause
gewesen sei? Wer uns besucht habe? Zum Zeugen rief man Christl Beham
auf. Und Christl kam. Jede seiner Antworten, jedes seiner Worte war
stolz und unbeugsam. Er sei dem Gericht verantwortlich, sagte der
Richter. Er lehne das Gericht ab, antwortete Christl, er sei nur seiner
Partei, der KPD, verantwortlich.

Es blieb bei dem von mir gewollten Bild: Wir waren eine lockere
Künsterrunde, und Kurt hatte mir zu Gefallen den Hans Dankner über
Nacht bei sich aufgenommen. Christl tat alles, um dieses Bild bestehen
zu lassen. Er lud jede Schuld und Belastung auf sich. Damals sahen wir
ihn, unseren geliebten Freund Christl, zum letzten Male. Und wie immer
waren uns seine Worte Brot der Hoffnung.

Es war unfassbar: Sechs Monate Gefängnis diktierte man mir zu, und diese galten mit der Untersuchungshaft als verbüßt. (…)

Diese Gerichtsverhandlung war nur ein Spiel gewesen. Man hatte mit dem
Gesetzbuch, mit den Emblemen der Justiz ein bißchen "Rechtsstaat"
gemimt. Die Propaganda konnten sie gebrauchen, die "ordentlichen"
Gerichte. Und wir hatten das Feigenblatt, das dem Terror vorgehalten
wurde, nicht erkannt!

 

Wieder hinter Gittern

 

Hitlerdeutschland war ein Zuchthaus, aber es gab viele, die merkten es nicht, daß sie in einem Gefängnis wohnten.

Es blühten die Blumenrabatten vor dem Eingang, und zu leben war ihnen
keine Not. Und so wußten sie nicht und wollten auch gar nicht wissen,
daß im Keller geschlagen und gemordet wurde und hinter doppelten Türen
geraubt und erpreßt. Menschenwürde und Menschenliebe hießen nun
"Humanitätsduselei".

In diesem großen Zuchthaus saß ich hinter Gittern. Ich war abgesondert
von allen wie eine Pestkranke. Spaziergang gab es nicht, Zeitung gab es
nicht. Es gab nur Hunger, Sehnsucht und Angst. Die saßen in meiner
Zelle und harrten geduldig und treu neben mir aus.

Und doch sah ich Hans, küßte seinen Mund, blickte in seine Augen, nahm
aus seiner Hand die Geschenke, unendlich kostbare, abgedarbte, durch
Verzicht erkaufte Geschenke. Hier unter den Augen der Gestapo hatte ich
jede Woche ein Stelldichein. Jede Woche einmal sparchen wir vertraut
miteinander und halfen uns mit Trost und Hoffnung. Jede Woche, an dem
Tag, an dem die Angehörigen die Wäsche brachten, wurde ich
hinuntergerufen. Es waren zwei Wärter, Menschenfreunde unter den
Schindern, alte Sozialdemokraten, die in dieses erstickende Gewebe der
Gefängnisordnung Löcher stießen, durch die lebensspendende Luft
eindrang. Es waren Siebert, ein kleiner, freundlicher Mann, und Walter,
der Großgewachsene mit dem guten, klaren Gesicht. Wenn sie an Sonntagen
Dienst machten oben in unserer Abteilung, da war es wirklich Sonntag,
auch hinter Gittern. Kein Verhör, kein Vorführen bei der Gestapo drohte
am Sonntag. Es war Ruhe im Hause, man holte Luft, besann und entspannte
sich; und wenn sich die Zellentür öffnete, weil es Essen gab, so war
kein Gebrüll und Geknurre dabei, wie es die andern Wachhunde
üblicherweise von sich gaben.

Diesen beiden Männern verdanke ich unendlich viel. Siebert besorgte mir
Bücher, die ich selbst auswählte. Beide trösteten und waren herzlich,
und einmal führte mich Walter in eine Zelle, unten in der
Männerabteilung. Es war schon nach dem Überfall auf die ČSR. Im grauen
Zellenlicht stand Hans Dankner, schmal, knochig, mit dem dichten Haar
und den dunklen eindringlichen Augen, wie ein heiliger Sebastian von
Riemenschneider. Er war zerschlagen, und um seine Beine waren blutige
Fetzen gewickelt. Es war das letzte Mal, daß ich Hans Dankner sah, ehe
ihn die Mörder vernichteten. Letztes Mal, letztes Mal – schreckliches,
tödliches Wort…

Aus: Lea Grundig, Gesichte und Geschichte, 1958

 


 

Zuchthaus Waldheim

 

Die Haftanstalten bekamen des öfteren von den verantwortlichen
Nazigrößen Besuch. Dabei entstand häufig eine schwierige Situation für
politische Gefangene. Im direkten Frage- und Antwortspiel mußten sie
sich gegenüber ihren Peinigern äußern. Der Reichsstatthalter der NSDAP
für Sachsen, Martin Mutschmann, besuchte das Zuchthaus Waldheim schon
im Oktober 1934. (…)

Fast gleichartig lief ein Besuch Mutschmanns 1943 ab, weshalb an dieser
Stelle einige Bemerkungen dazu gemacht werden sollen. Mutschmann führte
diesen Besuch vor allem durch, um sich über die Rüstungsproduktion im
Zuchthaus zu informieren. Der Kriegsverlauf zwang die Faschisten,
größere Aufträge für die Produktion von Rüstungsgütern den
Haftanstalten zu übertragen. Hans Lauter, der den Besuch Mutschmanns
auf der 17. Abteilung selbst miterlebte, berichtet: "Vorn, unmittelbar
an der Eingangstür zum Arbeitssaal, wurde ein weißgedeckter Tisch
aufgestellt, auf dem die Erzeugnisse der Produktion dieser Abteilung,
die für die Firma Carl Bauch, Roßwein, arbeitete, säuberlich
ausgebreitet wurden. Damals arbeitete ich an einem Gewindestrehler, den
ich zum Schneiden eines Trapezgewindes einrichtete, und am zweiten
Gewindestrehler nebenan arbeitete ein aus Dresden stammender
Jungkommunist, der jüdische Eltern hatte. Er hieß Hans Dankner, war von
Beruf Gärtner und durch uns als Genossen auf diese Abteilung
‚organisiert‘ und für die Ausübung einer Arbeit als Dreher qualifiziert
worden. An einem Vormittag des Jahres 1943 ging die Eingangstür auf,
der Hauptwachmeister machte Meldung, die wir infolge des Maschinenlärms
nicht verstehen konnten, worauf Mutschmann bedeutete: "Weitermachen!"
Zu seiner Begleitung gehörten etwa 12 Personen. Etliche dieser Herren
gingen ihm voraus und blieben an Maschinen stehen, an denen eine für
sie interessante Arbeit verrichtet wurde. Da die Maschine, an der ich
arbeitete, an der der Eingangstür gegenüberliegenden Wand stand, mußte
ich mich umdrehen, wenn ich diese Gruppe sehen wollte. Das konnte ich,
obwohl es verboten war, weil ich so tun konnte, als ob diese Bewegung
zum Einrichten der Maschine und zum Prüfen der Genauigkeit des
Werkstücks gehöre. Bei einer solchen Bewegung sah ich, wie Mutschmann
von sich aus Häftlinge ansprach. Weil einige seiner Begleiter an
"meiner Maschine" stehengeblieben waren, dachte ich, daß Mutschmann
auch mich ansprechen wird. Mein Innerstes sagte mir, ihm eine
klassenbewußte Antwort zu erteilen, aber ohne ihm Handhabe zu geben,
aus diesem Grund gegen mich vorzugehen. Und so kam es auch. Mutschmann
klopfte mir mit einem Finger auf die rechte Schulter, um anzudeuten,
daß er mit mir sprechen will. Daraufhin schaltete ich die Maschine aus,
machte die vorgeschriebene Meldung in vorgeschriebener Haltung und
wartete, bis er mich ansprach. Seine Begleitung stand im Halbkreis
rings um uns beide. Er, mit verschränkten Armen und ein wenig
breitbeinig vor mir stehend, sprach mich nach längerer Betrachtung mit
den Worten an: "Wo sind sie her?" Meine Antwort: "Aus Chemnitz." Darauf
er: "Da sind wir ja gar nicht so weit voneinander entfernt her." Dann,
nach einer Pause: "Was ham sie ausgefressen?" Darauf ich: "Ich wurde
wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt!" Mutschmann: "Was ham Sie
da gekriegt?" Ich: "Zehn Jahre Zuchthaus." Mutschmann: "Was ham sie
davon weg?" Ich: "Siebeneinhalb Jahre." Mutschmann: "Wie alt sind sie
jetzt?" Ich: "Siebenundzwanzig Jahre!" Mutschmann: "Dann waren sie wohl
ein kommunistischer Jugendführer?" Ich: "Ich war Funktionär der
Arbeiterjugend!" Mutschmann musterte mich eine ganze Weile von oben bis
unten und fragte dann: "Nun sagen sie mal, sind Sie denn nun von ihren
Wahnsinnsideen geheilt?" Ich: "Herr Reichsstatthalter, ich kann gar
nicht von Wahnsinnsideen geheilt werden, weil ich niemals an
Wahnsinnsideen gelitten habe." Zunächst schien er, mich groß ansehend,
meine Antwort nicht zu begreifen. Dann schlug er sich, zu mir gewandt,
mit der flachen Hand auf die Stirn und schrie zum entfernt stehenden
Aufsichtsbeamten: "Herr Hauptwachmeister, der Kerl macht hier weiter!"
Nachdem sich Mutschmann zum Gehen gedreht hatte, ging er schräg zurück
und fragte meinen Nachbarn, Hans Dankner: "Was haben sie ausgefressen?"
Hans Dankner darauf: "Vorbereitung zum Hochverrat!" Mutschmann: "Hassen
Sie die Juden?" Hans Dankner: "Ich liebe alle arbeitenden Menschen!"
Daraufhin Mutschmann, ziemlich zornig schreiend: "Herr Wachtmeister,
die Kerle machen hier weiter in Hochverrat!"
Danach verließ die "Mutschmanntruppe" den Saal. Konsequenzen hatte
dieses Ereignis zunächst für uns nicht…" Die geschilderten Ereignisse
zeigen, daß sich die politischen Gefangenen auch in solchen Situationen
bewährten und den Faschisten mutig entgegentraten.

Aus: Martin Habicht, Zuchthaus Waldheim, 1988

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