taz: 64. Jahrestag der Bombardierung – Die Wunde Dresden

In der taz erschien heute ein Artikel mit einer Einschätzung der politischen Lage zum diesjährigen Naziaufmarsch und zum Gedenken.

taz,
11.02.2009

64. Jahrestag der Bombardierung
Die Wunde Dresden

In Dresden demonstrieren am Wochenende extreme Rechte gegen den „Bombenholocaust“,
ein linkes Bündnis gegen extreme Rechte. Die Mitte lässt Trennschärfe
vermissen.
VON ROBERT SCHRÖPFER


Gegen sie haben in Dresden fast alle etwas: geschichtsrevisionistische Neonazis.    Foto: dpa

Wenn sich am 13. und 14. Februar die Zerstörung Dresdens durch englische und
amerikanische Bomberverbände zum 64. Mal jährt, strebt die
Auseinandersetzung um dieses Erinnerungsdatum einmal mehr einem neuen
Höhepunkt entgegen. Obwohl es sich um kein rundes Gedenkjubiläum
handelt, mobilisiert die extreme Rechte für den absehbar größten
Aufmarsch des erst begonnenen Jahres. Die bürgerliche Mitte pflegt
tradierte Formen des stillen Gedenkens an die Opfer, tut sich aber
schwer damit, deutliche Formen der Abgrenzung, geschweige denn des
Protests zu entwickeln. Nicht umsonst platziert der Theaterregisseur
Volker Lösch, dessen „Dresdner Weber“ vor ein paar Jahren
Staatsanwaltschaft und Feuilletons beschäftigten, mitten in die Debatte
eine Inszenierung, die kaum auf Heilung der „Wunde Dresden“, so der
Titel, zielen dürfte. Schon vor der Premiere geht die Rede von
angeklebten Hitlerschnauzern des Bürgerchors.

Dresden – so hat es den bedauerlichen oder auch
bedenklichen Anschein – ist nicht mehr nur eine Chiffre des
Bombenkriegs und des Leids auch der deutschen Zivilbevölkerung. Unter
dem Eindruck jahrelanger rechter Aufmärsche scheint die Stadt
inzwischen auch ein Synonym für die mangelnde Fähigkeit geworden zu
sein, dem Geschichtsrevisionismus der Neonazis und
Nationalkonservativen etwas entgegenzusetzen, wenn nicht gar für deren
Versuche selbst, deutsche Opferzahlen gegen die nationalsozialistischen
Verbrechen aufzurechnen.

Mindestens ebenso sehr aber steht die
Stadt auch und noch immer für die Künste und ihre Italianità, für
Versöhnung und Wiederaufbau. Diese Zuschreibungen sind die Kehrseite
der Medaille – konkurrierender Kontrast und zugleich Resonanzraum für
die anderen Dresden-Mythen. Abgesehen von Berlin als Hauptstadt, dem
Weimar der Klassiker und Buchenwalds und Nürnberg, der Stadt des
Mittelalters und der Meistersinger, der Reichsparteitage wie der
NS-Kriegsverbrecherprozesse besitzt kaum eine andere Stadt eine
vergleichbar vielschichtige, auch ambivalente symbolische Aufladung.
Und kaum eine andere Stadt erregt mit ihren Debatten bundesweit eine
ähnlich kontroverse und emotionalisierte Anteilnahme – vom Wiederaufbau
der Frauenkirche bis zum Streit um den Bau der sogenannten
Waldschlösschenbrücke.

Dresden – das war bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein wegen ihrer vermeintlichen Dekadenz verpönte Residenzstadt der
Wettiner, die für den polnischen Thron die Führungsrolle des
protestantischen Deutschlands an Preußen abzugeben bereit gewesen
waren, die in den sogenannten Befreiungskriegen gegen Napoleon noch bis
in die Leipziger Völkerschlacht auf Seiten der Franzosen standen und
sich immer mehr für italienische Malerei interessierten als eine
„deutsche“ Kunst. Erst mit den Romantikern bekam die Stadt, die für
Winckelmann und Kleist die erste Begegnung mit einem imaginierten Süden
war, ihren Platz als „Elb-Florenz“, wie sie Herder wegen ihrer
Antikensammlung nannte, unstrittig zugewiesen.

Der Nimbus der Kunststadt ist es, der den
Mythos vom Untergang der in die nationalsozialistischen Verbrechen
vermeintlich kaum verstrickten Barockstadt erst möglich machte.
Niemand, so geht die Erzählung, habe ernsthaft daran geglaubt, dass
Dresden – militärisch, industriell und logistisch vermeintlich
bedeutungslos – Ziel alliierter Luftangriffe werden könnte. Umso größer
erscheint die Schuld der Vernichtung im Flächenbombardement. Plötzlich,
unerwartet und einzigartig lauten die Attribute, die sich unmittelbar
danach und befördert von der nationalsozialistischen Propaganda mit dem
Angriff verbunden haben. Bis in die DDR hinein wirkte die Erzählung von
der Kulturwut der – so eine damalige Formulierung –
„angloamerikanischen Luftgangster“.

„Sie sagen nie ,die Nazis!‘, sondern ,die
Tiefflieger‘, reden vom ,Morgenstern der Jugend‘ und ,wer das Weinen
verlernt hat, der lernt es beim Untergang Dresdens'“, so lässt Uwe
Tellkamp in seinem Wende-Roman „Der Turm“, der in der Stadt gleichsam
die gesamte DDR fokussiert und Dresden in der Rückschau zu einer
gefühlten Hauptstadt des Ostens macht, eine seiner Figuren fluchen.
Auch die oppositionelle, kirchlich geprägte Friedensbewegung wandelte
auf einem schmalen Grat, wenn seit Beginn der 1980er-Jahre beim
Gedenken an der Ruine der Frauenkirche das von den Deutschen zerbombte
Coventry vielfach als Gegenstück der eigenen Dresdner Erfahrung
gleichgesetzt wurde. Nach der Wiedervereinigung wurde die Gedenkreihe
im Golfkrieg um Bagdad erweitert. Was für die Bombardierten
unzweifelhaft ein und denselben existenziellen Schrecken bedeutet –
historisch und politisch sind solche Gleichsetzungen unzulässig.

Und Dresden – das ist auch die Stadt des
Sich-Neu- und Wieder-Erfindens von der Reformbewegung und Gartenstadt
Hellerau bis hin zum PR-Topos vom Silicon Saxony der Chipindustrie, das
selbst in der Krise mehr mit München und Frankfurt zu verbinden scheint
als mit den Schwesterstädten der Dauer-Depression Ost. Umso größer war
deshalb auch die Bestürzung, als ausgerechnet im scheinbar stabilsten
Bundesland des Ostens die NPD im Jahr 2004 zum ersten Mal seit Ende
1960er-Jahre wieder in einen Landtag einzog – mit dem im einst roten
Sachsen erschreckend nah an die SPD heranreichenden Ergebnis von mehr
als neun Prozent der Wählerstimmen.

Die Stadt deshalb als hoffnungslosen Fall
abzuschreiben, wäre dennoch verfehlt. Die antideutsche Kampagne, die
mit Parolen wie „Keine Träne für Dresden“ einen vermeintlichen
„deutschen Konsens“ angreift, schießt über das Ziel hinaus. Sie
verhöhnt die Opfer. Und sie lässt eben jene Trennschärfe vermissen,
deren Fehlen sie den Attackierten attestiert. Mangelnde Deutlichkeit
der Abgrenzung ist nicht mit Einverständnis zu verwechseln, und es gibt
durchaus Signale für eine Kursänderung in dieser Frage.

Zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs zum
„GehDenken“, der mit Gegendemonstrationen auch hörbar gegen den rechten
Aufmarsch protestieren will, zählen neben dem SPD-Politiker Wolfgang
Thierse, Linke-Fraktionschef Gregor Gysi und der
Grünen-Parteivorsitzenden Claudia Roth nicht nur Ex-Bundespräsident
Richard von Weizsäcker, sondern ebenso – auch wenn er seine
Unterschrift auf innerparteilichen Druck zurückzog – der sächsische
Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Die neue CDU-Oberbürgermeisterin
Helma Orosz lehnt zwar eine Beteiligung an den Demonstrationen ab, will
aber symbolisch auf einen der „GehDenken“-Züge treffen. Außerdem sind
bei der offiziellen Gedenkzeremonie auf dem Dresdner Heidefriedhof, wo
sich Vertreter der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in den
vergangenen Jahren immer wieder mit Abordnungen der NPD konfrontiert
sehen mussten, „protokollarische Veränderungen“ vorgesehen.

Symbolisch tritt Dresden bislang als die Stadt
der Zerstörung, des Gedenkens, des Wiederaufbaus und auch des Versuchs
eines Revisionismus auf. Diesem mehrdeutigen Erinnerungsort eine
weitere Komponente hinzuzufügen oder besser ihn gar umzukodieren als
Ort der Auseinandersetzung mit Geschichte, als Ort der Zurückweisung
rechter Vereinnahmungsversuche und eines breiten demokratischen Konsens
– das hieße, den Geschichtsrevisionisten tatsächlich eine Niederlage
beizubringen. Es wäre ein wichtiger Erfolg für die Zivilgesellschaft,
wichtig zumal im Osten.

Quelle:
taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/die-wunde-dresden

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