Blockflötendebatte der CDU und weitere Leserbriefe

Inzwischen steckt die CDU wegen den klassischen DDR-Biographien von Ministerpräsident Stanislaw Tillich und anderen führenden Parteimitgliedern in der Blockflötendebatte. Mit der Gleichbehandlung der Linkspartei, aufgrund ihrer DDR-Vergangenheit, mit der NPD will man bei der CDU dennoch weiter machen. (mehr dazu in den Artikeln unten)

Inzwischen sind auch weitere Leserbriefe zum Thema Naziaufmarsch, CDU und Gedenken veröffentlicht worden.


Mittwoch, 26. November 2008
(Sächsische Zeitung)

Hier schreiben die Leser

Zum Thema „Gedenken am 13. Februar“ schreiben mehrere Leser:

Den politischen Missbrauch abwehren

Es ist schlimm, dass Neonazis anhaltend versuchen, aus der Katastrophe
politisches Kapital zu schlagen. Es ist ermutigend, dass sich deshalb
demokratische Kräfte für den 13. Februar 2009 verbünden und ihr „Geh
Denken“ mit angemessener und klarer Ablehnung der Propagandaaufmärsche
Rechter zum Ausdruck bringen wollen. Es ist irritierend, dass die
Oberbürgermeisterin eine „überparteiliche Initiative“ ausruft. Es ist
wohl zuerst Sache der Dresdner, das Gedenken zu gestalten und
politischen Missbrauch abzuwehren. Es ist zu verhindern, dass der 13.
Februar zur Bühne bundesweiter machtpolitischer Aktionen degradiert
wird. Lothar Müller, Wilthen

Dresden darf kein Ort für Naziaufmarsch sein

Herrn Rohwers Antworten im Interview sind – auch wenn sie wenig
erklären – sehr aufschlussreich, denn sie erlauben einen Einblick in
die politische Strategie der Dresdner CDU. Ich würde Herrn Rohwer gern
fragen, inwieweit er generell der Meinung ist, dass Aktionen gegen
Rechtsextremismus nicht durch Interesse an der Sache, sondern auf
Einladung basieren. Des Weiteren würde mich interessieren, ob Herrn
Rohwers Einschätzung des Altbundespräsidenten Richard Weizsäcker anders
lauten würde, wenn die Dresdner CDU zur Initiative eingeladen worden
wäre. Zusammenfassend kann ich nur die Bitte äußern, ein weiteres
Interview mit der Dresdner CDU zu führen und diese zu bitten, doch zu
erklären, was sie konkret dafür tut, dass Dresden im Februar 2009 nicht
wieder zum Ort des europaweit größten Naziaufmarsches wird.

Thomas Markert, per E-Mail

Bürger organisieren seit Jahren Widerstand

Vor dem Hintergrund, dass zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs
Persönlichkeiten wie Altbundespräsident von Weizsäcker, die Präsidentin
des Zentralrates der Juden Knobloch, mehrere Partei- und
Fraktionsvorsitzende und eine Reihe bekannter und integerer
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gehören und sich viele
rechtschaffene Bürger an der Aktion beteiligen, ist das eine
unerträgliche Diffamierung. Natürlich wäre es mir auch lieber, diese
Stadt könnte die Zeit um den 13. Februar im stillen Gedenken und mit
Würde begehen. Allein die Anwesenheit tausender Neonazis macht dies
unmöglich. Ein Großteil der Dresdnerinnen und Dresdner hat das erkannt
und organisiert seit mehreren Jahren den demokratischen Widerstand,
auch ohne die Unterstützung durch die CDU.

U. Tischer, per E-Mail


Dienstag, 25. November 2008
(Sächsische Zeitung)

Sachsens CDU steckt in Blockflöten-Debatte

Von Gunnar Saft

Sachsens
Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), wegen seiner
Vorwende-Karriere als DDR-Reservekader beim Rat des Kreises Kamenz in
der Kritik, bleibt dabei: Er habe nichts vertuscht. „Meine Biografie
war und ist bekannt und allen zugänglich.“ Gleichzeitig räumte er
gestern aber erstmals ein, dass die frühere ostdeutsche Blockpartei
CDU, der er seit März 1987 angehörte, Teil des DDR-Systems gewesen sei
und damit „letztendlich den Machtapparat der SED unterstützt“ habe
(siehe auch Seite 5).

Mit dieser ungewohnt offenen Einsicht rücken jetzt aber auch die
Biografien anderer CDU-Spitzenpolitiker in den Vordergrund. So sitzen
mit Tillich immerhin noch drei Minister am Dresdner Kabinettstisch, die
mit ihm viele Jahre der Vorwende-CDU angehört haben. Allen voran
Innenminister Albrecht Buttolo, der 1979 in die Partei eintrat. Dazu
kommen Sozialministerin Christine Clauß und Umweltminister Frank
Kupfer, die seit 1984 beziehungsweise 1982 CDU-Mitglieder sind.

Angesichts der nun ausgebrochenen Blockflöten-Debatte gibt es plötzlich
auch hier Nachfragen. Buttolo erklärte gestern, nie verborgen zu haben,
dass er von 1973 bis 1978 einfaches Mitglied der DDR-Kampftruppen war.
In die CDU sei er eingetreten, um die eigenen Kinder katholisch
erziehen lassen zu können. „Ich stehe zu meiner Biografie“, sagte er.
Clauß wird nun mit dem Umstand konfrontiert, dass sie von 1976 bis 1983
einen Ausreiseantrag gestellt hatte, dann aber Lehrbeauftragte der
Städtischen Frauenklinik Leipzig sowie CDU-Mitglied wurde. „Es war eine
schlimme Zeit der Repressalien für mich und meine Familie. Nicht
beruflich, aber persönlich. Ich wollte wieder am sozialen Leben
teilhaben. Und bin daher in die CDU eingetreten“, sagte sie der SZ.

Frank Kupfer, der von 1986 bis 1994 hauptamtlich für die CDU im Kreis
Oschatz arbeitete, sagt, er habe mit seinem Parteieintritt in der DDR
„zunächst etwas verändern“ wollen. Umso schmerzlicher sei es gewesen,
als er später bemerkt habe, dass dies so nicht funktionierte. Im
Wendejahr 1989 habe man allerdings für eine Gegenstimme bei der
DDR-Kommunalwahl und schließlich einen Aufruf für mehr Demokratie im
Land gesorgt.

Der sächsische CDU-Fraktionschef Steffen Flath, seit 1983
Parteimitglied, räumte gestern ein, dass die Ost-CDU durchaus „ein
Feigenblatt für das angeblich demokratische Staatswesen der DDR“ war.
Flath sieht dabei vor allem Leute wie den ehemaligen Parteichef Gerald
Götting in der Verantwortung. Bei dem habe man keinen Unterschied mehr
zwischen CDU und SED gespürt. Anders sei das bei den vielen einfachen
CDU-Mitgliedern gewesen. „Hier müssen wir aufpassen, ihnen nicht
Unrecht anzutun.“

Auch im Fall von Stanislaw Tillich, so Flath, wäre es besser gewesen,
mit den Fakten „offensiver umzugehen“. Umso mehr begrüße er, dass diese
Diskussion jetzt geführt wird. Einen Kurswechsel gegenüber der
Linkspartei, die Flath größtenteils auf eine Stufe mit der NPD stellt,
hält er aber für unnötig. Im Gegenteil, man müsse verhindern, dass sich
die Linke Schritt für Schritt aus der DDR-Vergangenheit herausmogele
und die Schuld allein den Blockparteien zuschiebe.


Mittwoch, 26. November 2008
(Sächsische Zeitung)

„Offenheit ist eine Stärke, die Wähler hoffentlich honorieren“

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich über seinen Wehrdienst, seine Familie und die Ost-CDU.

Herr Ministerpräsident, Sie haben Ihren Wehrdienst einst an der DDR-Grenze geleistet. Was haben Sie dort gemacht?
Was jeder Wehrdienstleistende gemacht hat. Erst die Ausbildung und dann ein Jahr Dienst an der Grenze.

Haben Sie sich freiwillig für einen solchen Einsatz gemeldet?
Nein, ich bin dafür gemustert worden. Weil ich keinen verlängerten
dreijährigen Wehrdienst leisten wollte, konnte ich es mir nicht
aussuchen, wo und wofür ich als Soldat eingesetzt werde.

Mit welchem Gefühl ging man damals auf Patrouille?
Man hatte ständig den Wunsch, dass nichts passiert und dass da
hoffentlich keiner kommt. Gleichzeitig gab es die Furcht vor dem
System, welches den Grenzsoldaten jederzeit mit Schwedt, also dem
Straflager der NVA, drohte.

Ihnen war also bewusst, dass Sie notfalls schießen müssen?
Genau deshalb hatte ich damals wirklich Angst, obwohl ich Gott sei dank
nie in die Situation kam. Mir war klar, dass ich als Soldat Befehle
ausführen muss und bei Verweigerung Repressalien drohen. In einer solch
extremen Situation, wo man damit aber ganz allein steht, wäre für mich
als Christ die Entscheidung für das Leben klar gewesen.

Die Linkspartei wirft Ihnen heute politische Doppelmoral vor, weil
Sie sie trotz einer typischen DDR-Biografie ausgrenzen und ihnen die
die Fehler der Vergangenheit anlasten.

Die Linke hat einen „Häutungsprozess“ hinter sich – von der SED zur PDS
zur Linkspartei. Und diese hat bis heute noch Mitglieder im Landtag
sitzen, die Bürger nicht nur bespitzelt, sondern ihnen auch geschadet
haben. Die sächsische CDU hat sich dagegen bereits Anfang der 90er
Jahre mit sich auseinandergesetzt. Es hat nirgends einen so
konsequenten Selbstreinigungsprozess gegeben wie bei uns. Deshalb
brauche ich mir heute von der Linkspartei nichts vorwerfen zu lassen.

Dennoch gibt es jetzt eine heftige Debatte über die Verantwortung der DDR-Blockparteien?
Natürlich muss sich die CDU weiter mit ihrer Vergangenheit
auseinandersetzen. Aber es darf nicht dazu kommen, dass Geschichte
einfach umgeschrieben wird. Die führende Rolle der SED innerhalb des
DDR-Machtsystems bleibt unumstritten.

Ihre Partei könnte auf dem Bundesparteitag über die Vergangenheit
der Ost-CDU reden. Im Leitantrag ist das Thema aber weitgehend
ausgeblendet?

Zusammen mit den CDU-Ministerpräsidenten von Thüringen und
Sachsen-Anhalt habe ich bereits eine entsprechende Ergänzung verlangt,
damit klar wird, dass die Ost-CDU als Blockpartei ein Teil des
einstigen DDR-Machtapparats war.
Und zu dieser Verantwortung sollten wir uns klar bekennen.

In der Debatte über Ihre DDR-Biografie sprechen Sie auch vom Ost-West-Konflikt. Warum gibt es nach 20 Jahren noch?
Die Menschen in Ost und West wissen immer noch zu wenig voneinander.
Auch gibt man sich wenig Mühe, sich mit dem jeweils anderen auseinander
zu setzen. Daher existieren viele Klischees. Aber kein Ostdeutscher
braucht sich als Mensch zweiter Klasse zu fühlen. Nur weil man in der
DDR gelebt hat, war man nicht automatisch ein Unterstützer des
SED-Regimes. Vielleicht sind 20 Jahre Aufarbeitung der Vergangenheit ja
zu kurz.

Sie haben eine umfangreiche persönliche Erklärung zu den Reizthemen
DDR-Kader, und Blockpartei CDU abgegeben. Ist Ihre Personalakte damit
komplett veröffentlicht?

Ich habe versucht, die maximal mögliche Transparenz zu erbringen. Ich
habe sogar meine Stasiakte veröffentlicht. Innerlich bin ich mir
sicher, alles Wesentliche gesagt zu haben und habe nichts hinzuzufügen,
was mein Leben und politisches Wirken in der DDR betrifft.

Wie haben Ihre Familie und Ihre Bekannten auf die Schlagzeilen in den vergangenen Tagen reagiert?
Die, die mich und mein Biografie kennen, haben mir aufmunternd auf die
Schulter geklopft. Selbstverständlich steht meine Frau in einer solchen
Situation an meiner Seite. Meine Kinder hatte ich bereits beim
Amtsantritt darauf vorbereitet, dass es keine leichte Zeit wird, dass
es auch öffentliche Angriffe gegen mich geben wird.

Im nächsten Jahr stellen Sie sich als Ministerpräsident Sachsens zur Wiederwahl. Wird Ihnen die aktuelle Debatte dann schaden?
Ich hoffe, dass Offenheit eine Stärke ist, die Wähler honorieren.

Gespräch: Dieter Schütz und Gunnar Saft


Dienstag, 25.11.2008
Spiegel Online

STANISLAW TILLICHS DDR-BIOGRAFIE
Stück für Stück kommt das Gedächtnis zurück
Von Steffen Winter, Dresden

Die
Erinnerung an seine DDR-Vergangenheit setzt bei Sachsens
Ministerpräsident Tillich offenbar nur langsam ein. Doch Akten
beweisen: Schon kurz nach dem Eintritt in die Blockpartei CDU schaffte
er es damals in die erste Reihe. Nun tut er sich sichtlich schwer,
seine Biografie zu erklären.

Dresden – Honoré de
Balzac, der große französische Realist, hatte früh einen Sinn für die
kleinen Schwächen seiner Landsleute: „Die Erinnerungen“, so analysierte
er, „verschönern das Leben, aber das Vergessen allein macht es
erträglich.“ Der Mann ist seit über 150 Jahren tot, doch das aktuelle
Hin und Her des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich (CDU)
um seine DDR-Vergangenheit hätte ihn womöglich erheitert.

Innerhalb
von Tagen setzt beim Regierungschef die Erinnerung an seine Zeit als
Mitglied der Blockpartei CDU wieder ein. Er legt jetzt eine Art
Generalbeichte ab, die man sich schon vor Jahren in dieser Form
gewünscht hätte.

Fest steht: Tillich war nun doch 1989 bei einem
umstrittenen Lehrgang für Marxismus/Leninismus an der Akademie für
Staat und Recht der DDR; er hatte offizielle Kontakte zur
Staatssicherheit; er diente in einem Grenzkommando. Erst unter Druck
von außen – auch des SPIEGEL – wurden diese Fakten bekannt. Der
Regierungssprecher kommentierte den Vorgang brüsk: „Was hier passiert,
ist eine gezielte Diskreditierung Einzelner. Und zwar deshalb, weil der
Ministerpräsident in der DDR gelebt hat.“

Ist es das? Mitnichten.

Es
geht ausdrücklich nicht darum, ob Tillich in der DDR gelebt hat. Aber
sehr wohl darum, wie er das tat. Es geht darum, dass es in keiner Weise
so war, wie besagter Sprecher der Öffentlichkeit vorgaukelte, dass
nämlich „ganz offen und transparent“ mit dem politischen Werdegang des
Ministerpräsidenten umgegangen wurde.

Nahezu alle bis zum
Wochenende zugänglichen offiziellen Lebensläufe Tillichs enthielten die
irreführende Formulierung, er habe vor der Wende eine „Tätigkeit in der
Kreisverwaltung Kamenz“ ausgeübt. Schon der Terminus ist zumindest
ungenau, weil es sich nun mal um den „Rat des Kreises Kamenz“ handelte.
Bei der Kreisverwaltung waren ja auch der Pförtner, der Fahrer und der
Gärtner.

Es macht einen Unterschied, ob jemand dem Rat direkt
angehörte, unabhängig vom jeweiligen Parteibuch. Als die Menschen im
Herbst 1989 auf die Straße gingen, hatten sie drei Anlaufstellen, um
gegen das verhasste Regime zu protestieren: die SED-Kreisleitung, die
Stasi-Kreisverwaltung und den Rat des Kreises. Es ist einzig der
Besonnenheit der Bürgerbewegten zu verdanken, dass die Ratsmitglieder
seinerzeit körperlich unversehrt die Revolution überstanden. Dass es
einer aus diesem Kreis eines Tages ins höchste Amt eines
gesamtdeutschen Bundeslandes schaffen würde, hätte die
Vorstellungskraft der Demonstranten mit Sicherheit überschritten.

Schnell in der ersten Reihe angekommen

Wichtig wäre nun Klarheit über diese alles andere als gewöhnliche DDR-Biografie – doch daran hapert es immer noch.

Vom
1. Oktober 1987 bis 24. Mai 1989 sei er Verwaltungsangestellter beim
Rat gewesen, teilte Tillich jetzt mit. Das ist erneut irreführend.
Tatsächlich wurde der aufstrebende Jungkader als stellvertretender
Abteilungsleiter für Handel und Versorgung geführt. Anwesenheitslisten
des Amtes belegen, dass Tillich das zuständige Ratsmitglied schon 1988
bei Abwesenheit vertrat – was die Staatskanzlei inzwischen auch
einräumt.

Tillich war kein Mitläufer, kein kleiner Angestellter.
Der Christdemokrat war schon kurz nach seinem Parteieintritt in der
ersten Reihe angekommen.

Er sei jung gewesen und habe aus seinem
Leben etwas machen wollen, gibt Tillich nun zu Protokoll. Nach
„Handlungsformen“ habe er gesucht, wie er sich unter den „politischen
Rahmenbedingungen entwickeln konnte“. Viele Worte, um zu beschreiben,
dass man sich in der Politbüro-Diktatur einzurichten begonnen hatte –
Stasi-Besucher und Wehrdienst an der Grenze inklusive, man konnte es
sich ja nicht aussuchen.

Oder doch? Unsichere Kantonisten zog
das DDR-Regime niemals zum Grenzdienst heran. Die Fluchtgefahr wäre
viel zu groß gewesen. Schon bei der Musterung war es möglich, den
Dienst an der Grenze auszuschließen. Ganz abgesehen von der
Möglichkeit, den Dienst an der Waffe ganz zu verweigern. Viele
Glaubensbrüder von Tillich sind diesen unbequemen Weg gegangen. Nicht
mal in der DDR wurde man dafür eingesperrt.

Doch Karriere machten die Bausoldaten in der DDR nicht mehr.


Donnerstag, 27. November 2008
(Sächsische Zeitung)

Thierse: Tillich verstrickt sich mit DDR-Karriere in Widersprüche

Berlin/Dresden. Die Debatte um die Rolle ostdeutscher CDU-Mitglieder im früheren Machtapparat der DDR verläuft weiter kontrovers.

Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen,
Hubertus Knabe, erklärte: „Wir brauchen keine ehemaligen
DDR-Funktionäre in der Politik, sondern Menschen mit
Demokratiebewusstsein und Zivilcourage.“ Hätte Sachsens CDU diese
Einsicht beherzigt, bräuchte sie sich jetzt nicht mit der Kritik an der
Vergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich herumzuschlagen.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) warf Tillich
Widersprüche vor. Einerseits gestehe er ein, dass die Ost-CDU Teil des
DDR-Systems gewesen sei. Andererseits verwahre er sich dagegen,
nachträglich zum Unterstützer des SED-Regimes gemacht zu werden. „Eine
Mitgliedschaft in der CDU war kein Akt des Widerstandes gegen das
SED-Regime, sondern die Blockpartei war Teil dieses Systems. Sie diente
der Stützung des Staatsapparates.“ Tillich sei kein einfaches
CDU-Mitglied gewesen, sondern habe in ihr Karriere gemacht.

Sachsens früherer Innenminister Heinz Eggert (CDU) relativierte dagegen
seine Kritik an Tillich. Wenn dieser 1990 für ein politisches Amt
kandidiert hätte, wäre er tatsächlich „gegen ihn gewesen“, sagte
Eggert. Doch müsse man die Kirche im Dorf lassen und dürfe Tillichs
neunmonatigen Chefposten beim Rat des Kreises Kamenz nicht
überbewerten. Heute kenne er Tillich durch dessen fast 20-jährige
Nachwende-Arbeit wesentlich besser. „Diese persönliche
Einzelfallprüfung hat er bestanden. Er hat mein volles Vertrauen und
gehört in das Amt des Ministerpräsidenten.“

Heinz Eggert sieht in der aktuellen Kritik an Tillich ebenfalls einen
Ost-West-Konflikt. „Zurzeit läuft gerade eine westliche
Generalverdachtswelle in unsere Richtung. Offenbar darf im Osten
einfach nichts normal sein.“

Sachsens langjähriger Ausländerbeauftragter und heutiger
CDU-Landtagsabgeordneter Heiner Sandig sagte, er selbst sei zu
DDR-Zeiten nie auf die Idee gekommen, in die CDU einzutreten.
Allerdings warnte er vor einer generellen Verurteilung von einstigen
Mitgliedern der Ost-CDU. Dort habe es genau so schlechte und gute
Menschen gegeben wie unter den Parteilosen in der DDR. (SZ/gs/dpa)


Freitag, 28. November 2008
(Sächsische Zeitung)
Staatsdiener Tillich drohte nach 1990 ein Karriereknick
Von Gunnar Saft

Bis heute gelten Gesetze, die DDR-Funktionären den Eintritt in den sächsischen Staatsdienst erschweren.

In
der Debatte um die DDR-Biografie von Ministerpräsident Stanislaw
Tillich (CDU) ist ein neues Problem aufgetaucht: Durfte Tillich, der
1989 Stellvertretender Vorsitzender für Handel und Versorgung beim Rat
des Kreises Kamenz war, überhaupt eine Laufbahn bis an Sachsens
Regierungsspitze machen? Hintergrund sind Vorschriften aus der
Wendezeit, mit denen Verantwortlichen des DDR-Machtapparats der
Eintritt in den öffentlichen Dienst oder in Parlamente verwehrt werden
sollte. Laut Agentur ddp beschlossen die Dresdner Stadtverordneten
1992, Bewerber, die in der DDR einen Posten wie Tillich hatten, ohne
Einzelfallprüfung abzulehnen. Ähnliche Versuche gab es sachsenweit. Im
Landtag scheiterte das Vorhaben, bestimmte Amtsinhaber pauschal von
neuen Staatsfunktionen auszuschließen, aber an rechtlichen Bedenken.

„Eine hypothetische Frage“

Tillich hatte in der DDR eine Funktion inne, die sich mit einem
heutigen Vize-Landrat vergleichen lässt. Allerdings waren seine
damaligen Kompetenzen als Verantwortlicher für Handel und Versorgung
deutlich geringer als die eines Stellvertretenden Vorsitzenden für
Inneres beim Rat des Kreises, der in der Regel mit SED-Mitgliedern
besetzt wurde. Laut Beamtengesetz müssen sich in Sachsen aber nur
Ex-DDR-Funktionäre in „herausgehobenen Funktionen“ einer
Einzelfallprüfung unterziehen. Nach heutiger Lesart sind das vor allem
frühere Vorsitzende der Räte der Kreise und deren erste Stellvertreter.

Die Staatskanzlei teilte daher gestern mit, dass „explizit keine
Bestimmung existiert“, die es Tillich verwehrt hätte, nach 1990 Beamter
im Freistaat zu werden. Man legte auch Wert auf die Feststellung, dass
das ohnehin „nur eine hypothetische Frage“ sei, da Tillich nach der
Wende zunächst in der Wirtschaft arbeitete und rechtlich gesehen auch
heute noch kein Beamter ist.


Freitag, 28. November 2008
(Sächsische Zeitung)
Blockflöten-Affäre: SPD will Ost-West-Debatte vermeiden
Von Gunnar Saft

Karl Nolle, derAnkläger,der aus dem Westen kam, weist alle Kritiker strikt zurück.

Kurz vor Weihnachten soll es im Handel sein: Ein Buch mit 100 DDR-Biografien sächsischer Politiker, dokumentiert auf 200 Seiten.

Der Autor Karl Nolle, Druckereibesitzer und SPD-Landtagsabgeordneter,
erntet für das unveröffentlichte Werk schon heute viel Kritik. Vor
allem, nachdem er vorab auch die umstrittene DDR-Karriere von
Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) beim ehemaligen Rat des
Kreises Kamenz publik machte.

Viel zu undifferenziert sei seine reine Datensammlung von ostdeutschen
Lebensläufen, heißt es nicht nur beim politischen Gegner. Auch etliche
Bürger fühlen sich angegriffen. Nicht zuletzt deshalb, weil Nolle erst
nach der Wende von Hannover nach Dresden kam und nun eifrig über das
Leben in der DDR resümiert. Nolle weist dagegen seine Kritiker
entschieden zurück. Die Geschichte der Griechen könne ja auch nicht von
den Griechen selbst geschrieben werden, hält er gegen. Und dass seine
Vorwürfe gegen die Blockflöten in der CDU, die heute wieder das Sagen
hätten, zu einem dumpfen Ost-West-Konflikt umgedeutet werden, gehe
schlicht am Thema vorbei. Nach wie vielen Jahren sei man eigentlich
noch Wessi, fragt der Wahlsachse zurück. „Dass ich als Ex-Wessi nichts
sagen darf, ist unakzeptabel.“ Auch beim bösen Verdacht, dass er
Tillich nur ins Visier nimmt, um nach Kurt Biedenkopf und Georg
Milbradt den dritten CDU-Regierungschef zu Fall zu bringen, winkt er
ab. Über CDU-Blockflöten habe er schon gewettert, als es einen
Ministerpräsidenten Tillich noch gar nicht gab.

Sachsens SPD, die mit Tillich am Kabinettstisch sitzt, hält sich
unterdessen bei dem Thema auffällig zurück. Der Blockflöten-Streit
kommt ihr ein Jahr vor der Landtagswahl nicht ungelegen. Intern zittert
man aber, ob Nolle am Ende nicht doch zu viele Ostdeutsche gegen sich
und damit gegen die SPD aufbringt. Das machte Parteichef Thomas Jurk
Nolle in einem lautstarken Gespräch klar. Offiziell schweigt sich Jurk
aus. Die Lage in der Koalition sondierte er dafür am Mittwoch bei einem
Treffen mit Tillich. Andere SPD-Spitzen sehen die wie folgt: „Nolle
braucht man als Opposition, für eine Regierungspartei ist er ein
absoluter Fehlgriff.“ Aber auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter
Weißgerber ist mit Nolle eher unzufrieden. „Gutes Thema, aber für die
Landtagswahl viel zu früh.“


Samstag, 29. November 2008
(Sächsische Zeitung)

„Schäbige Kampagne gegen Tillich“

Der
letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere (CDU) hat sich hinter
den wegen seiner Ost-CDU-Vergangenheit kritisierten sächsischen
Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich gestellt.

Dresden.
„Ich finde es völlig unangemessen, Karrieren 20 Jahre nach dem
Mauerfall danach zu beurteilen, ob jemand einmal im Rat des Kreises
gesessen hat und dort die nicht vorhandenen Bananen verteilen durfte“,
sagte er gegenüber der Montagsausgabe der „Sächsischen Zeitung“.

Es müsse Schluss damit sein, dass „das Seelenleben der Ostdeutschen von
Westdeutschen beurteilt wird“, so de Maiziere unmittelbar vor dem
CDU-Parteitag in Stuttgart. „Jedenfalls finde ich es anmaßend von
denjenigen, die dieses Leben nicht gelebt haben, dieses Leben
beurteilen zu wollen. Ich beziehe mein Selbstwertgefühl doch nicht aus
der Beurteilung durch einen Westdeutschen.““

Viele Leute hätten „im Osten Kariere gemacht und sich nachträglich eine
Widerstandskarriere angeschminkt“, so der letzte Ost-CDU-Chef: „Dazu
gehört Stanislaw Tillich nicht. Er steht zu seinem Leben.“

„Diese ganze Kampagne gegen Tillich ist schäbig. Und sie wird vor allen
Dingen von Leuten geführt, die keine Ahnung von der DDR haben“, sagte
de Maiziere, der ab November 1989 auch Chef der Ost-CDU war. „Es war
grundsätzlich so, dass bei den kommunalen Behörden die Mitglieder der
Blockparteien, selbst die schlimmsten Blockflöten, nur die Bereiche
Wohnungswirtschaft oder Handel und Versorgung kriegten. Das waren die
beiden Ressorts, bei denen man sich mit Sicherheit nur Feinde machen
konnte.“ Dies sei alles andere als der Ausgangspunkt einer großen
Kariere gewesen. „Das waren Posten, in den die Zahl der Freunde
automatisch gegen Minus 30 ging, wenn man sie ernst nahm.“

Zum Ost-Papier, dass seine Partei in Stuttgart verabschieden will,
sagte de Maiziere: „Es war sicherlich nicht klug, darin die ganze
Geschichte der ostdeutschen CDU auszusparen. Aber diese Geschichte
reduziert sich eben auch nicht nur auf irgendwelche Fragen des
Mitläufertums. Die Handlanger oben im Apparat der Ost-CDU haben wir
spätestens nach dem Sonderparteitag im Dezember 1989 ausgesondert.“ (SZ)


Montag, 1. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)
Tillich soll Fragebogen falsch ausgefüllt haben

Die Dresdner Staatskanzlei weist neue Vorwürfe gegen den Regierungschef zurück. Grüne fordern Aufklärung.

Berlin/Dresden.
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sieht Sachsens Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich (CDU) unter wachsendem Druck. Offenbar sei in einem
Fragebogen bei seinem Amtsantritt als Minister 1999 der Besuch einer
CDU-Parteischule verneint worden, was im Widerspruch zu einem von der
Staatskanzlei selbst verbreiteten Ausbildungsplan der Kamenzer Behörde
stehe. Regierungssprecher Peter Zimmermann wies das zurück. Tillich
habe keine Parteischule besucht. Laut „Spiegel“ verweigert die
Staatskanzlei jedoch die Herausgabe eines Fragebogens zum Lebenslauf,
den Tillich im Herbst 1999 bei seinem Amtsantritt als Minister für
Bundes- und Europaangelegenheiten habe ausfüllen müssen. In der
Erklärung werde mit fristloser Entlassung gedroht, falls sie falsch
oder unvollständig ausgefüllt werde. Tillich war in der Erklärung wie
andere Minister ostdeutscher Herkunft detailliert nach gelegentlichen
Stasi-Kontakten, der eigenen Stellung in der DDR und auch nach dem
Besuch von Parteischulen gefragt worden.

Die Tageszeitung „Die Welt“ schreibt, dass Tillich zudem schon die
letzte Volkskammer der DDR 1990 über seinen Werdegang „offenbar“
getäuscht habe. Sein Eintrag im Handbuch des Parlaments sei
„unvollständig und wahrheitswidrig“. So werde verschwiegen, dass er
nach den Wahlen am 7.Mai 1989 als CDU-Kandidat in den Kreistag von
Kamenz einzog und dann am 25. Mai Stellvertretender Vorsitzender des
Rates des Kreises wurde. Offiziell sei nur vom Ratsmitglied für Handel
und Versorgung die Rede gewesen.

„Ich bin verwundert darüber, dass im Wochenrhythmus neue Punkte aus
Tillichs Biografie die Runde machen“, sagte die Fraktionschefin der
Grünen im Landtag, Antje Hermenau. Sie halte es für angemessen, dass
Tillich zu Beginn der nächsten Plenarwoche die Vorwürfe vor dem Landtag
aus der Welt räume, „um diese Debatte ein für allemal zu beenden“.
(SZ/ddp/dpa)


DNN-Online
30.11.2008

Tillich erhält Unterstützung – Künast fordert Entschuldigung von CDU

Dresden. Die Debatte um die Rolle der CDU in der DDR und das
Agieren heute führender Christdemokraten hält unvermindert an. Am
Wochenende bekam Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU)
Rückhalt aus den eigenen Reihen, erhielt aber auch Kritik. „Ich finde
es völlig unangemessen, Karrieren 20 Jahre nach dem Mauerfall danach zu
beurteilen, ob jemand einmal im Rat des Kreises gesessen hat und dort
die nicht vorhandenen Bananen verteilen durfte“, sagte der letzte
DDR-Ministerpräsident und CDU-Politiker Lothar de Maizière der
„Sächsischen Zeitung“.

Es müsse Schluss damit sein, dass „das Seelenleben der Ostdeutschen von
Westdeutschen beurteilt wird“, erklärte de Maizière und sprach von
einer „schäbigen“ Kampagne gegen Tillich. Der 49- Jährige war wegen
seiner Arbeit in der regionalen Verwaltung der DDR in die Kritik
geraten. Als CDU-Mitglied war er seit Ende Mai 1989 im Rat des Kreises
Kamenz für Handel und Versorgung zuständig und zugleich Vize-Chef der
Behörde. Tillich wurde vorgeworfen, diese Funktion im offiziellen
Lebenslauf bisher nicht erwähnt zu haben.

Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer (CDU) verlangte in der
„Märkischen Oderzeitung“ eine faire Beurteilung der Biografien
Ostdeutscher. Niemand werde behaupten, dass die DDR-Vergangenheit „eine
Zeit gewesen ist, auf die er besonders stolz sein könnte“, sagte er.
„Aber niemand soll sich lebenslänglich Asche aufs Haupt streuen müssen,
nur weil er damals nicht abgehauen ist.“ Er räumte ein, dass die CDU
ihre Ost-Vergangenheit „nie richtig ausdiskutiert, sondern immer etwas
umgangen“ habe.

Der für den Aufbau Ost zuständige Bundesminister Wolfgang Tiefensee
(SPD) forderte die CDU auf, sich mit ihrer Vergangenheit als
Block-Partei in der DDR auseinanderzusetzen. „Das ist bei der CDU nicht
in genügendem Maße geschehen“, sagte er der Zeitschrift „Super Illu“.
Tillich habe sein Parteibuch in der Ost-CDU offenbar als Sprungbrett
für seine Karriere benutzt.

Im „Tagesspiegel am Sonntag“ warnte Tillich, die Aufarbeitung der
DDR-Vergangenheit politisch zu instrumentalisieren. „Für den Wahlkampf
ist das Thema gänzlich ungeeignet, die Biografien von 16 Millionen
DDR-Bürgern sind zu komplex, um damit zu politisieren und sie in einem
Dreißig-Sekunden-Statement zu richten“, sagte Tillich. Da würden Leute
Urteile abgeben, „ohne die tatsächliche Rollenverteilung und die
Lebensverhältnisse in der DDR zu kennen“.

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ steht Tillich
unter wachsendem Druck. Offenbar sei in einem Fragebogen bei seinem
Amtsantritt als sächsischer Minister 1999 der Besuch einer
CDU-Parteischule verneint worden, was im Widerspruch zu einem von der
Staatskanzlei selbst verbreiteten Ausbildungsplan der Kamenzer Behörde
stehe. Regierungssprecher Peter Zimmermann wies das zurück. Tillich
habe keine Parteischule besucht.

Die in Berlin erscheinende Tageszeitung „Die Welt“ schrieb, dass
Tillich schon die letzte Volkskammer der DDR 1990 über seinen Werdegang
„offenbar“ getäuscht habe. Sein Eintrag im Handbuch des Parlaments sei
„unvollständig und wahrheitswidrig“. So werde verschwiegen, dass
Tillich nach den Wahlen am 7. Mai 1989 als CDU-Kandidat in den Kreistag
von Kamenz einzog und dann am 25. Mai Stellvertretender Vorsitzender
des Rates des Kreises wurde. Offiziell sei nur vom Ratsmitglied für
Handel und Versorgung die Rede gewesen.

Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer stellte klar, dass
Tillich im Amt als Verantwortlicher für Handel und Versorgung
automatisch Vize-Chef der Behörde war. „Das ist zur damaligen Zeit auch
jedem bekannt gewesen“, sagte Kretschmer. Er sprach von einer
„gezielten Kampagne, den Ruf Tillichs zu beschädigen.“ Die Grünen im
Landtag von Sachsen forderten eine Stellungnahme Tillichs im Parlament,
um die Vorwürfe auszuräumen.

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, forderte
die CDU auf, sich auf dem Stuttgarter Parteitag für ihre
Blockpartei-Vergangenheit zu entschuldigen. „Das wäre eine überfällige
Geste, die auch die CDU gegenüber den Opfern des DDR-Unrechtsregimes zu
leisten hat“, sagte Künast der „Leipziger Volkszeitung“.

Sie beklagte, „dass die Ost-CDU ihre Vergangenheit zu einem Problem der
Ostdeutschen allgemein“ mache. „Nur eine Minderheit von DDR-Bürgern
arbeitete zu doppeltem Durchschnittsgehalt in Räten der Kreise und ließ
sich auf Einheitslisten wählen, wie es Herr Tillich tat.“ Für ihre
Geschichte sei die Ost-CDU allein verantwortlich. „Sie darf nicht die
in Mithaftung nehmen, die sich dem Einheitszwang trotz persönlicher
Nachteile entzogen haben oder wie die Bürgerrechtler, das System sogar
demokratisch verändert haben.“

DW/dpa


Dienstag, 2. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)
„Die Kampagne gegen Tillich ist beschämend“

Herr
Professor Biedenkopf, kann ein Politiker, der vor 1989 in das
DDR-Machtsystem ver-strickt war, heute Ministerpräsident von Sachsen
sein?

Das ist eine Fangfrage. Wann handelt es sich um eine Verstrickung, die
eine derartige Wirkung haben könnte? Mitglied der Ost-CDU zu sein, ist
es für sich genommen sicher nicht. Viele CDU-Mitglieder waren in der
DDR Bürgermeister. Ohne sie hätten wir die Erneuerung der kommunalen
Ebene in Sachsen nach 1990 kaum ähnlich erfolgreich leisten können. Die
jetzige Debatte über die DDR-Vergangenheit von Ministerpräsident
Tillich – 19 Jahre nach der Wiedervereinigung – finde ich nicht nur
beschämend, sondern unwürdig. Sie wird in den Medien überwiegend von
Westdeutschen bestritten, die keine Vorstellung davon haben, unter
welchen Bedingungen die Menschen im SED-Staat DDR wirklich gelebt haben.

Aber die Resonanz in der Öffentlichkeit ist ziemlich groß.

Das kann Art und Inhalt der Debatte kaum rechtfertigen. Die Resonanz in
Ostdeutschland ist deshalb so groß, weil Menschen von der Art betroffen
sind, wie über ihre Biografien geurteilt wird. Sie sind betroffen, dass
sie 19 Jahre nach der Wende vor allem aus dem Westen mit Vorwürfen
konfrontiert werden, die wohl eher der Unfähigkeit geschuldet sind,
sich in das Leben in diesem Teil Deutschlands hineinzudenken und zu
differenzieren.

Worauf führen Sie die Kampagne zurück?

Es ist der in Westdeutschland, vor allem in den Medien, noch immer
vorhandene Anspruch derer, denen seit 1945 das Glück zuteilwurde, in
Freiheit zu leben, über die Biografien derjenigen zu urteilen, denen
dieses Glück nicht beschieden war. Derartige Urteile spalten eher das
Land, als dass sie die Deutschen in Ost und West zusammenführen. Vor
allem dann, wenn wie in Sachsen geschehen, die hiesige CDU bereits 1991
große und schmerzhafte Anstrengungen unternommen hatte, die politische
Vergangenheit ihrer Mitgliedschaft aufzuarbeiten und die notwendigen
Konsequenzen zu ziehen.

Sie sind 1990 aus dem Westen nach Sachsen gekommen. Wie war die Situation damals?

Die Situation war außerordentlich schwierig. Im Landtag ging es darum,
die Vergangenheit der Abgeordneten im Zusammenhang mit möglichen
Verwicklungen mit der Staatssicherheit zu überprüfen und über ihren
Verbleib im Parlament zu urteilen. Mehrere Abgeordnete sind damals
ausgeschieden. Die sächsische CDU unterzog sich bereits im Sommer 1991
auf einem Parteitag der Frage, nach welchen Kriterien über die weitere
Mitarbeit von CDU-Mitgliedern zu entscheiden war. Sie arbeitete auf
diese Weise „ihre Vergangenheit“ auf. Das Ergebnis war ein
Sonderparteitag im Dezember 1991. Im Leitantrag hieß es dazu:
Beurteilungskriterien können letztlich nur das persönliche Verhalten
unter dem SED-Regime, die Bereitschaft zur offenen, ehrlichen und
kritischen Rückschau auf die eigene Biografie, der individuelle
Erneuerungswille sowie das Engagement für die zukunftsorientierten
Ziele der sächsischen CDU sein.

Wo war die Grenzlinie?

Wir haben uns damals darauf verständigt, dass die normale
Mitgliedschaft in einer Partei kein Grund ist, jemanden von einem Amt
fernzuhalten. Ausschlaggebend für eine Trennung war die vorbehaltlose
Akzeptanz und Interpretation der Politik der SED. Entscheidend war, ob
die Menschen zu den Verantwortungsträgern der CDU Vertrauen haben
konnten. Unter diesen Regeln wäre niemand auf die Idee gekommen, Herrn
Tillich die Befähigung für das Amt eines Ministers oder Regierungschefs
abzusprechen.

Ist die Auseinandersetzung der CDU mit ihrer eigenen Vergangenheit also abgeschlossen?

Wir haben die Aufarbeitung unserer Vergangenheit lange hinter uns. Herr
Tillich hat sich nicht zu rechtfertigen für sein Leben vor der Wende.
Mit der Entscheidung, CDU-Mitglied zu werden statt SED-Mitglied, hat er
jede Aussicht auf eine Karriere aufgegeben, wie eine SED-Mitgliedschaft
sie ihm geboten hätte. Tillich wollte in einer Zeit gestalten, in der
viele in der DDR voller Hoffnung auf Gorbatschow blickten; und dies
nicht im Sinne der SED. Als ich im Januar 1990 als Gastprofessor nach
Leipzig kam, saßen Studenten vor mir, die nicht wesentlich jünger waren
als Tillich. Auch Stanislaw Tillich hätte damals zuhören können. Ich
wäre kaum auf die Idee gekommen, ihm damals vorzuhalten, dass er im Rat
des Kreises Kamenz tätig war und im Jahre 1989 einen politischen Kursus
absolvierte.

Schadet die Kampagne Herrn Tillich?

Er wird in Sachsen wohl vor allem Zustimmung und Unterstützung
bekommen. Denn anders als die Linke hat sich die sächsische CDU ihrer
Vergangenheit gestellt – und zwar ehe die Wähler ihr 1994 zum zweiten
Mal die alleinige Regierungsverantwortung übertrugen. Was mich
bedrückt, ist der Umstand, dass in den Medien auch nicht im Ansatz der
Versuch er-kennbar wird, die Wirklichkeiten des Lebens in
Ostdeutschland unter der umfassenden Herrschaft der SED zu verstehen.
Die Westdeutschen beschweren sich immer, die Ostdeutschen seien nicht
in Westdeutschland angekommen. Hier müsste es wohl heißen: Die
Westdeutschen sind noch nicht in Ostdeutschland angekommen.

SPD und Linkspartei werfen der CDU eine Art Doppelmoral vor.

Dazu fehlt der Linken schon deshalb jede Legitimation, weil sie sich zu
keinem Zeitpunkt nach 1989 ihrer Vergangenheit wirklich gestellt hat
und heute alles unternimmt, ihre Verantwortung für die Unterdrückung
der Freiheit in der DDR zu verwischen oder zu leugnen. Sie handelt
doppelmoralisch, nicht die Union. Der SPD bot sich nach der Wende keine
Gelegenheit, SPD-Mitglieder aufzunehmen, denn die gab es zu DDR-Zeiten
als Folge der Zwangsvereinigung mit den Kommunisten nicht. Dagegen
haben West-Gewerkschaften keine Bedenken gehabt, die Mitglieder der
DDR-Gewerkschaften aufzunehmen.

Werden Sie für Herrn Tillich Wahlkampf machen?

Stanislaw Tillich hat meine uneingeschränkte Unterstützung. Heute
genauso wie vor 19 Jahren. Er war bereit, Sachsen in schwierigen Zeiten
als Ministerpräsident zu dienen und leistet gute und
verantwortungsvolle Arbeit. Im Landtagswahlkampf 2009 werde ich mich
für ihn einsetzen.

Das Gespräch führte Dieter Schütz.


Freitag, 5. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)

Dresdner Linkspartei mischt sich in Tillich-Debatte ein

Die Dresdner Linke warnt mit Blick auf die frühere Mitgliedschaft von Regierungschef Stanislaw Tillich in der Block-CDU vor einer Ost-West-Debatte. Die Instrumentalisierung der Diskussion für die Ost-West-Konfrontation im deutschen Parteienspektrum sei unerträglich, betonte Stadtparteichef Hans-Jürgen Muskulus. In den vergangenen Tagen hatten mehrere ostdeutsche CDU-Politiker davor gewarnt, dass Westdeutsche über ostdeutsche Biografien urteilen.

Muskulus betonte, dass die Mitgliedschaft in der Ost-CDU keine Pflicht gewesen sei. Es habe allerdings vielfältige und auch nachvollziehbare Gründe gegeben, einer Blockpartei beizutreten. Allerdings sei die Abneigung gegenüber der SED sicherlich kein Motiv für den Parteieintritt gewesen.

Diesen Eindruck erweckten CDU-Politiker wie Tillich und Steffen Flath. Das zeige, dass die CDU die Aufarbeitung ihrer Geschichte nicht abgeschlossen habe. Muskulus warnte aber auch vor „ostdeutschem Solidarverhalten in Form von Bunkermentalität“. (SZ/ale)


Samstag, 6. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)

Tillichs Sorge um das Stahlbesteck
Von Annette Binninger

Regierungschef Stanislaw Tillich tut sich schwer mit seiner „Ost-Biografie“. Dabei hatte er 1989 wenig Macht im Rat des Kreises.

Als Stanislaw Tillich zur Kreistagswahl in Kamenz am 7. Mai 1989 antritt, ist er ein paar Wochen zuvor gerade 30 Jahre alt geworden. Er ist Stellvertretender Abteilungsleiter im Ratsbereich Handel und Versorgung. Sein Vorgesetzter ist CDU-Mitglied. Und traditionell soll dieser Posten auch wieder mit einem Vertreter dieser Blockpartei besetzt werden. Auf Vorschlag der SED, wie es auch offiziell heißt, wird er und die anderen 18 Mitglieder durch unfreie Wahlen in das Kreis-Gremium befördert. Die Kandidaten des Nationalen Blocks erhielten 98,2 Prozent Zustimmung, vermeldete die SZ Kamenz damals.

Berichte zur Versorgungslage

Tillich schreibt Vorlagen, Vorschläge, Berichte, vor allem zur Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Er achtet dabei auch auf die damals von der Zentralregierung an die Bezirke und von dort an die Kreise weitergeleitete „Planerfüllung“. Und er legt in den in der Regel vierzehntäglichen Sitzungen Berichte zur Versorgungslage vor. Wo fehlt Brot, wo gibt es gerade nicht ausreichend Frischobst oder wo sind spezielle Rationierungen notwendig.

Selber steuern kann er nur wenig. Und wie etwas steuern oder umlenken, wo nichts da ist? In abendlichen Versammlungen hört der junge Tillich sich die Beschwerden der Menschen darüber an – und steckt die oft harsche Kritik dafür ein. Er gibt sie weiter, im heute lächerlich wirkenden Bürokratendeutsch, trägt vor, wo eine weitere Verkaufsstelle der HO (Handelsorganisation) oder des Konsum nötig wäre. In einem Gaststättenwettbewerb in Kooperation mit der SZ wirbt er dafür, dass „in allen niveaubestimmenden Gaststätten“ im Kreis Kamenz endlich Stahlbesteck eingesetzt wird. Und er wertet es als Erfolg, dass im Gasthof „Jesau“ endlich die Toilettenanlagen umgebaut werden. Laut „Jahresplan 89“ hatten sich die staatlichen Handelsorganisationen 195 Tonnen Obst, rund 100 Tonnen Gemüse und eine Tonne Wildfrüchte zum Ziel gesetzt. Tillich verwaltet den Mangel im Alltag des realexistierenden Sozialismus. Als Stellvertretender Rat für Handel und Versorgung, sagen sogenannte „gelernte DDR-Bürger“ heute, war Tillich der Prügelknabe, wenn es im Sommer kein Bier oder im Winter keinen Strom gab.

Andere Ratsmitglieder, die die SZ aufgespürt und nach ihren Erinnerungen an Tillich befragt hat, äußern sich positiv über den katholischen Sorben und einzigen CDU-Vertreter im Rat. „Tillich hat immer im Vordergrund die Menschen gesehen“, erinnert sich ein Ratsmitglied, damals ebenfalls um die 30 Jahre alt. „Tillich ist manchmal aufgestanden und hat gesagt: Leute, so können wir das nicht machen“, verteidigt er ihn gegen die „völlig ungerechten Attacken“.

Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen; aus Angst, dass es ihm, der damals die SED im Gremium stärkte, ebenso erginge wie Tillich. Umgelegt zu werden wie ein Lichtschalter, wenn man darüber redet, was damals war; weil sich die Deutschen schwertun, zwischen Schwarz oder Weiß die Grau-Stufen zu sehen, die das Einbindenlassen in ein noch so kleines regionales Machtgefüge in einer Diktatur mit sich bringt. Auch in Kamenz war letztlich die SED das Machtzentrum, nicht der scheindemokratische Rat des Kreises.

Ärger und heutige Hemmungen

„Sicher, manchmal mussten wir alle dafür, dass wir dort mitarbeiteten in den sauren Apfel beißen“, erinnert sich ein Ratsmitglied. Viele Kompromisse sei man eingegangen. Vielleicht auch dann, wenn Karl Barthel, der in den Sitzungen oft neben Tillich saß, monoton seinen Rechenschaftsbericht über die Situation bei Feuerwehr und Polizei oder eine Statistik über Ausreiseanträge vortrug. „Na, die habe ich dann direkt an die Stasi weitergeleitet – wusste doch jeder“, erinnert sich der heute 70-Jährige. Barthel war in den Achtzigerjahren Kamenzer Bürgermeister und Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für Inneres, dem eigentlich Mächtigen im Rat. Mit 18 Jahren trat er in die SED ein. Nach der Wende wurde er aus der Verwaltung entlassen. 16 Jahre arbeitete Barthel in Nürnberg für einen Wach- und Sicherheitsdienst. Erst im vergangenen Jahr kehrte er nach Kamenz zurück. Heute ärgert er sich über Tillich („ein echter Kader der CDU“). Seine Funktion im Rat des Kreises sei „kein besonderes Ruhmesblatt“, hat der Ministerpräsident kürzlich bedauert. Barthel hält dagegen: Er schäme sich nicht für das, was er damals getan habe. „Aus heutiger Sicht muss ich feststellen: Da hatten wir wohl den falschen Mann im Rat“, kritisiert er Tillichs Scham heute.

Nicht nur bei dem jungen Sorben ging es beruflich Anfang der Neunzigerjahre bergauf. Das früher im Rat zuständige Mitglied für Arbeit leitete nach 1989 das Arbeitsamt in Kamenz. Eine junge Juristin im Rat von damals ist heute Rechtsanwältin. Ein Ratskollege arbeitet heute in leitender Funktion in der Landesverwaltung. Das Mitglied des Rates für Finanzen und Preise ist heute bei einer Wohnungsgesellschaft tätig. Das Leben ging weiter.

„Man müsste doch darüber reden können“, ärgert sich eine Ex-Rätin über ihre Hemmung, frei über die damalige Zeit zu erzählen. Ihre Angestellten hätten sie gebeten, es nicht zu tun – aus Angst um ihre Arbeitsplätze. Es ist die gleiche Angst, die Stanislaw Tillich bei seinem Aufstieg in 14 Jahren vom Europa-Abgeordneten zum Ministerpräsidenten stets begleitet haben muss. In einem SZ-Porträt von 1996 heißt es, er lebe „offensiv mit seiner Biografie, wo drinsteht, dass er zu DDR-Zeiten zwei Jahre beim Rat des Kreises gearbeitet hat“. Und weiter: „Spätestens bei der nächsten Wahl wird das wieder herausgekramt, das weiß er.“ Tillich sollte recht behalten. Und er macht es nun seiner Partei schwerer, mit dem Finger auf andere „Ost-Biografien“ zu zeigen.


Montag, 8. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)

Linke fordern Erklärung von Tillich zu seiner DDR-Vergangenheit

Dresden – Die Linken im Landtag von Sachsen haben von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) eine Erklärung zu seiner DDR-Vergangenheit verlangt. Es sei zwingend erforderlich, dass der Regierungschef sich am Dienstag noch vor Beginn der Plenarsitzung dem Parlament erkläre, sagte Fraktionschef André Hahn am Montag in Dresden. Es stünden eine ganze Reihe von Vorwürfen im Raum. Hahn erwähnte unter anderem „Falschangaben“ und „Anstellungsbetrug“.

Tillich (49) war wiederholt vorgeworfen worden, in Fragebögen und Veröffentlichungen Details seiner beruflichen Karriere möglicherweise verschwiegen oder nicht in vollem Umgang offenbart zu haben. Er war zu DDR-Zeiten kurzzeitig im Rat des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung zuständig und in dieser Eigenschaft auch Stellvertreter der staatlichen Behörde. Die Anschuldigungen hatten eine Diskussion über den Umgang der CDU mit ihrer Geschichte als Blockpartei in der DDR ausgelöst. Tillich erhielt aus den eigenen Reihen viel Rückhalt.

Vertreter von CDU, SPD und FDP sahen am Montag keinen Bedarf, das Thema im Landtag zu behandeln. Nach den Worten von SPD-Fraktionschef Martin Dulig sollte die Debatte wieder auf ihren Kern reduziert werde. Die FDP hielt die Diskussion um Tillich für „überbewertet“.

Die Grünen hatten dem Regierungschef schon zuvor geraten, einen strittigen Fragebogen zu seinem Amtsantritt als sächsischer Minister 1999 von der Präsidentin des Verfassungsgerichtes in Leipzig, Birgit Munz, überprüfen zu lassen. Tillich solle entweder eine Erklärung abgeben oder den Fragebogen überprüfen lassen, bekräftige Fraktionschefin Antje Hermenau am Montag. „Es ist wichtig, dass das Amt des Ministerpräsidenten nicht beschädigt wird.“ (dpa)


Dienstag, 9. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)

„Tillichs Fehler lag in der Vergangenheit“

Von Gunnar Saft

Kommunikationsprofessor Wolfgang Donsbach sieht Sachsens Regierungschef durch die Debatte zu dessen DDR-Biografie eher gestärkt.

Seit zwei Wochen muss sich Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) der öffentlichen Diskussion zu seiner DDR-Biografie stellen. Kritiker halten ihm vor, lange nur ungenaue Angaben über sein Amt als Stellvertretender Vorsitzender für Handel und Versorgung beim Rat des Kreises Kamenz gemacht zu haben.

Rückendeckung für sein Auftreten in dem sehr heftig geführten Streit erhält Sachsens Regierungschef jetzt von Wolfgang Donsbach, Professor für Kommunikationswissenschaften an der TU Dresden. „Tillichs Fehler bei der Debatte lag eindeutig in der Vergangenheit“, erklärt der Medienexperte im SZ-Gespräch. Spätestens im Mai, als der CDU-Politiker das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, hätte er mit den Details seiner Biografie an die Öffentlichkeit gehen müssen. „Versuche, über solche Probleme lapidar hinwegzugehen, scheitern immer wieder.“ Früher oder später würden solch strittige Punkte „ausgegraben“ und ein politisches Thema. „Tillich hätte die Karten eher auf den Tisch legen sollen, um sich einen Teil der heutigen Vorwürfe zu ersparen.“

Kein Vorwurf an Karl Nolle

Inzwischen habe Tillich allerdings die richtigen Schritte unternommen und mehr Offenheit an den Tag gelegt, so Donsbach. Besonders Tillichs persönliche Erklärung, mit der er zu seiner DDR-Zeit Stellung nimmt, habe Wirkung gezeigt. Anhand seines Falles werde nun eine breite Debatte über das Leben in der DDR und über unterschiedliche Lebensläufe in Ost und West geführt. Laut Donsbach könnte das Ost- und Westdeutsche sogar näher bringen, weil „jetzt vielen die Augen geöffnet werden, wie es damals im Osten wirklich war“.

Zu einem anderen möglichen Ergebnis des Streits legt sich der Professor ebenfalls fest: „Tillich hat mitgemacht, er war aber nicht verstrickt.“ Auf keinen Fall würde Tillich deshalb am Ende als Verlierer dastehen. Donsbach hält vor allem in Sachsen und im Osten sogar ein Sympathieplus zugunsten des CDU-Politikers für möglich. In dem SPD-Abgeordneten Karl Nolle, der die Debatte mit ins Rollen gebracht hatte, sieht der Professor dennoch keinen Nestbeschmutzer. Auch was Nolle gemacht habe, sei politisch legitim. Die Diskussion sei notwendig gewesen. „Da ist es egal, woher die Fakten kommen.“

Allein im Landtag wird das Streitthema vorerst nicht auf der Tagesordnung stehen, obwohl das nach den Grünen gestern auch die Linken forderten. Tillich habe sich zu allen Fragen – inklusive seines bislang unveröffentlichten Fragebogens, den er 1999 bei seinem Amtsantritt als sächsischer Minister ausfüllen musste – genügend erklärt, hieß es aus der Staatskanzlei.


Freitag, 26. Dezember 2008
(Sächsische Zeitung)

Tillich fordert Ende der Ost-West-Debatte

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat die Deutschen in Ost und West zu einer offenen und fairen Debatte über die Zeit vor der Einheit des Landes aufgerufen.

Dresden – „Ich bin überzeugt davon, dass man mit einer Debatte Schluss machen muss, die von Schuldzuweisungen geprägt ist. Das hilft uns nicht weiter“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur dpa in Dresden. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR sollte eine Diskussion möglich sein, bei der „einer dem anderen zuhört und nicht schon vorher eine Meinung hat“.

Tillich war in der Debatte über die Rolle der Blockpartei CDU in der DDR zuletzt selbst eine zentrale Figur. Ihm wurde vorgeworfen, ein Amt zu DDR-Zeiten als stellvertretender Vorsitzender im Rat des Kreises Kamenz sowie Details seines beruflichen Werdeganges in der DDR verschwiegen zu haben.

In der CDU und auch in großen Teilen der ostdeutschen Bevölkerung erhielt Tillich Rückhalt. Westdeutsche dürften ohne Kenntnis des Lebens in der DDR ihre Landsleute im Osten nicht belehren oder verurteilen, lautete ein Argument.

„Die Debatten über deutsch-deutsche Geschichten und deutsch-deutsche Geschichte werden bestimmt noch Generationen dauern“, sagte Tillich. Die Ostdeutschen müssten aber auch Befindlichkeiten der Westdeutschen verstehen. „Es ist ja nicht so, dass da nur die Menschen im Westen dazulernen müssen. Das ist ein Geben und Nehmen“, betonte der 49 Jahre alte Regierungschef. (dpa)

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