Aufruf der iL zur antifaschistischen Demonstration am 14. Februar 2009 in Dresden

Im Februar 2009 wollen Neonazis in Dresden wie in den vergangenen
Jahren mit mehreren tausend Neonazis am Samstag nach dem Jahrestag der
Bombardierung durch die Alliierten durch die Stadt zu marschieren.
Auch im Jahr 2009 ist mit einer großen Mobilisierung zu rechnen. Der
jährliche Aufmarsch in Dresden ist der letzte große Aufzugstermin der
deutschen Naziszene, an dem sie mit internationalem Interesse rechnen
kann. Die Interventionistische Linke (iL) beteiligt sich am Bündnis
gegen den Naziaufmarsch.

 

NAZIS
NO WAY !

 

14. Februar 2009
11.00 Uhr
Hauptbahnhof Dresden

IL-Plakat

 

Warum gerade Dresden?

In der Bundesrepublik waren es vor allem Faschisten und
Revanchisten, insbesondere der Vertriebenenverbände, die an die
offiziellen Propagandalügen des Goebbels’schen Ministeriums, in denen
von mehreren hunderttausend Toten die Rede war, anknüpften. Schon in
der jungen BRD wurde die Bombardierung zur Relativierung der deutschen
Kriegsschuld und zum Aufbau eines deutschen Opferbildes benutzt. Die
ewig wiederkehrenden Lügen der Revisionisten fanden offene Ohren und
konnten sich beinahe ungehindert in großen Teilen der westdeutschen
Gesellschaft festsetzen. Nach 1989 blieb das verbreitete Bild der
"verbrecherischen" Bombardierung mit hunderttausenden Toten zunächst
unangegriffen.


Selbst in der DDR, in der die Entnazifizierung wesentlich mehr war als
eine handvoll Urteile, wo Antifaschismus ein Begriff war, zu dem breite
Teile der Bevölkerung einen positiven Bezug hatten, war die Ausdeutung
der Angriffe auf Dresden strittig und von Staatsräson gezeichnet. Hatte
der erste Nachkriegsbürgermeister Dresdens, Walter Weidauer, noch von
einer vermeidbaren, aber von deutschen Faschisten provozierten
Katastrophe gesprochen, erfolgte in der offiziellen DDR-Politik schon
bald ein radikaler Schwenk: Die Bombardierung wurde als Verbrechen der
Westalliierten gedeutet, deren Ziel es gewesen sei, der UdSSR und der
späteren DDR nur zerstörte Städte zu hinterlassen. Auch die dort viele
Jahrzehnte stets wiederholten Opferzahlen waren aus der Luft gegriffen.

 

Auf seiner Suche nach "Normalität" hat sich das wiedervereinte
Deutschland schließlich auch als Opfer entdeckt. Da der
Nationalsozialismus ja heute mehr als bewältigt sei, müsse auf der
einen Seite ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen und die
"alte Last" abgeschüttelt werden. Auf der anderen Seite soll damit aber
gleichzeitig der Zeitpunkt gekommen sein, an dem – ohne Schuldgefühle –
um die eigenen Toten getrauert werden könne. Mehr noch: Die Betonung
der eigenen Opfer dient einem Geschichtsbild, bei dem in einem europäischen Zeitalter des Grauens" auf allen Seiten in derselben Art
und Weise Opfer zu beklagen seien. Der historische Kontext
verschwindet, Ursache und Wirkung werden verwischt, heraus kommt eine
Erinnerungskultur wie sie z.B. dem Zentrum gegen Vertreibung vorschwebt
– und die "Normalität" ist wiederhergestellt.

 

Ab 1998 geriet der Jahrestag der Bombardierung Dresdens in das
Blickfeld organisierter Neonazis. Deren wichtigste Erfahrung in den
ersten Jahren war die Duldung ihres organisierten Auftretens im
öffentlichen Raum – dies war neu und gab den Nazis gehörigen Auftrieb.
Die bürgerliche Gesellschaft versagte zuerst mehrere Jahre lang bei der
Abgrenzung der eigenen Trauer von den Verbrechen der Nazis.
So über die Jahre ermutigt und trotz interner Hoheitsfragen zu der Art
des Gedenkens stieg die Beteiligung von 200 Nazis 1999 bis auf ein
Höchstmaß von ca. 6.000 Teilnehmenden im Jahr 2005.
Im Vorfeld des 60. Jahrestages der Bombardierung Dresdens wurde der
Umgang mit dem immer größer werdenden Naziaufmarsch auch in der
Öffentlichkeit intensiver diskutiert. Dabei wurde deutlich, wie stark
das bürgerliche Bild des Geschehens von nazistischen und
revanchistischen Vorgaben geprägt war. Als Konsequenz daraus
beauftragte die Stadt Dresden eine HistorikerInnenkommission mit der
Überprüfung der bekannten Quellen und weiteren Nachforschungen
bezüglich der Opferzahlen. Diese kam zu dem Ergebnis, dass die
Gesamtzahl der Getöteten zwischen 20.000 und 25.000 liegt – also
deutlich niedriger ist, als in der Vergangenheit stets propagiert.

 

Parallel zur Arbeit der HistorikerInnen wurde die Diskussion über
den Umgang mit dem Jahrestag in Dresden fortgesetzt. In der Folge
distanzierten sich die Stadt und zahlreiche bürgerliche Initiativen
erstmals inhaltlich von der Relativierung der deutschen
Kriegsverbrechen. Danach stieg die Beteiligung an den bürgerlichen
Demonstrationen und Kundgebungen ebenfalls auf bis zuletzt gut 2.000
Menschen. Gut auch, dass in den letzten Jahren direktes
antifaschistisches Eingreifen mit z.B. Strassen- und Brückenblockaden
erste Erfolge zeigte und die Route der Nazis immerhin schon mal
verkürzt werden musste.

 

Lasst uns in Frieden mit eurem Krieg – oder immer neue Märchen

Die militärische Zerschlagung des deutschen Faschismus war für alle
Menschen, die weltweit unter seinem Joch lebten und litten unbestritten
und unzweifelhaft ein Tag der Befreiung. Dabei darf aber nicht aus dem
Blick geraten, dass gerade für die Westalliierten eben auch
weltpolitische und geostrategische Überlegungen eine Rolle im eigenen
Vorgehen spielten. Für sich allein genommen wäre der
Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung Europas,
ihr aggressiver und mörderischer Rassismus und Anti-Slawismus, die
Blut-und-Boden-Ideologie, das arische Herrenmenschentum und die
absolute Verwertung jeden Lebens wohl nicht zum Invasions- und
Angriffsgrund geworden – die territoriale Expansion des Deutschen
Reiches und die damit verbundenen militärischen Überfälle auf
Großbritannien und (fast) alle Nachbarstaaten und deren Besetzung
schon. Einen unreflektierten positiven Bezug auf die Kriegsführung
insbesondere der Westalliierten halten wir daher für unangebracht. Die
Bezugspunkte eines radikalen linken Antifaschismus sind andere: Die
internationalen Lagerkomitees in den Konzentrationslagern, die
international kämpfenden PartisanInnen, der Widerstand gegen
Nazideutschland, der auf gesellschaftliche Befreiung zielte. Und damit
meinen wir eben nicht die in der heutigen Bundesrepublik hochgehaltenen
rechten Militärs um einen Herrn von Stauffenberg.
Und so wird in manchem Redebeitrag während antifaschistischer
Demonstrationen, in einigen Aufrufen, in Parolen oder durch das
Schwenken britischer, französischer, amerikanischer oder kanadischer
Fahnen ein alter Trugschluss ausgedrückt: der Feind meines Feindes ist
mein Freund.
Die Kräfteverhältnisse und damit die eigene defensive und desolate
Situation heute wie damals aber zu ignorieren und sich als Verbündete
der mächtigen Militärapparate zu imaginieren, schafft weder ein
historisches Bewusstsein noch eine emanzipatorische Perspektive.

 

Deshalb greifen wir ein

Aufgrund der immensen Bedeutung, die der Großaufmarsch für die
Neonaziszene hat, werden wir uns ihm am 14. Februar in Dresden in den
Weg zu stellen.

 

Dass heute immer mehr Menschen klar wird, dass die bisherige
Gedenktradition in Dresden maßgeblich durch Fehlinformationen und
Entschuldigungswünsche bestimmt wurde, ist ein deutlicher Fortschritt.
Es reicht aber nicht, bei dieser neu gewonnen Erkenntnis stehen zu
bleiben und keine weiteren Schlüsse daraus zu ziehen. Nur durch die
aktive Teilnahme an antifaschistischen Gegenaktivitäten kann den
Geschichtsleugnern der Raum zur Verbreitung ihrer Propaganda genommen
werden.
In der Stadt gibt es seit Jahren vielfältigen Widerstand gegen die
Vereinnahmung des Gedenkens durch die Nazis. Diese Vielfalt ist für uns
Einladung und Anknüpfungspunkt. Manche Gründe und Aktionsformen liegen
uns näher als andere. Was uns aber verbindet, ist die Entschlossenheit,
den Nazis nicht die Straße zu überlassen. Wir verstehen uns als Teil
einer breiten antifaschistischen Bewegung, innerhalb derer die Antriebe
und Praktiken verschieden sind. In diese Vielfalt wollen wir uns
einfügen und sie uns zu Nutze machen, da auch an diesem Tag eine
interventionistische und radikale linke Perspektive verteidigt und
gestärkt werden kann und muss. Die Blockade des G8-Gipfels in
Heiligendamm im Sommer 2007 und die Verhinderung des
Rassistenkongresses in Köln im Herbst 2008 haben deutlich gezeigt, dass
spektrenübergreifend koordinierte und entwickelte Aktionen nicht nur
punktuell erfolgreich sein können, sondern auch eine radikalisierende
Dynamik entwickeln. Dies gilt natürlich nicht nur für solche
Großereignisse. Auch in kleineren Initiativen und bei lokalen Aktionen
machen wir ähnliche Erfahrungen. In dieser Tradition, die aus dem
zivilen Ungehorsam ebenso schöpft, wie aus der antifaschistischen
Selbsthilfe, sehen wir uns und unsere Pläne für Dresden. Um den Nazis
wirkungsvoll entgegenzutreten, sie effektiv zu behindern und den
Naziaufmarsch perspektivisch unmöglich zu machen, rufen wir auf:

 

Kommt alle nach Dresden und beteiligt euch an der Demonstration und den Aktionen!

 

14. Februar 2009
11.00 Uhr
Hauptbahnhof Dresden

 

www.dazwischengehen.org/de/story/2008/12/nazis-no-way

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