Der Rechte Rand: „Wir können Köln“

Der Rechte Rand Nr. 116 ThumbnailDie Publikation "Der Rechte Rand" erscheint seit 1989 regelmäßig mit Informationen von und für AntifaschistInnen. In der aktuellen Ausgabe wird über die Proteste um den 13. Februar in Dresden berichtet.

"Wir können Köln!"

Dresden: breites antifaschistisches Bündnis gegen geplanten Naziaufmarsch.

Ein
breites, gut aufgestelltes Bündnis und gelassene Kooperation mit
anderen Anti-Nazi-Protesten verspricht Nazis und Mythologen in Dresden
die Suppe zu versalzen.

Der Rechte Rand Nr. 116Die sächsische Hauptstadt Dresden hat
sich in den zurückliegenden Jahren um das neuralgische Datum 13.
Februar, den Tag der alliierten Bombardierung der Stadt 1945, zum
Groß-Aufmarschplatz der deutschen und europäischen Nazi-Szene
entwickelt.

Der Protest dagegen war stets zerrissen und demgemäß
schwach, zumindest zahlenmäßig schwächer als die "Gedenk-" oder
"Trauermärsche" der vereinigten Neonazis, die sich jenseits der
allfälligen Animositäten und Unvereinbarkeiten zwischen NPD und "Freien
Kräften" unter der Klammer der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland "
(JLO) zusammenfanden. Nach Wunsiedel und Halbe ist Dresden das
neonazistische Großereignis im braunen Jahreslauf. Und das hat vor
allem inhaltliche Gründe: Mit dem Diskurs zur "geschichtlichen
Wahrheit" über Dresdens "Zerstörung" bewegt sich die extreme Rechte
seit langem tief im gesellschaftlichen Diskurs der Mitte. Die
Wortführer der extremen Rechten können gelassen aussprechen, was viele
derer, die den Mythos des Dresdener "Opfergangs", des
"Bombenholocausts" und der "Sinnlosigkeit" der alliierten Bombardierung
hochhalten wollen, nicht mehr ohne Gesichtsverlust verkünden können.
So, wie sich die Aufmarsch-Anmelder auf massenhaften Zulauf von bis zu
6.000 TeilnehmerInnen verlassen können, konnten sie sich bislang auch
darauf verlassen, dass die verkniffene Fraktion geschichtsklitternder
Monopolverwalter der allein selig machenden "Dresdener Wahrheit" einen
wirksamen Protest verhinderte.

Daran könnte sich jedoch am 14.
Februar 2009 etwas ändern: Unter dem Motto "Geh Denken" hat sich ein
breites bürgerliches Bündnis entwickelt, das seinen Wunsch, den Nazi-
Aufmarsch gänzlich zu unterbinden, hinter der offenen Vokabel "stoppen"
nur mühsam verbirgt. Erstmals reiht sich viel Politprominenz jeder
Provenienz in einen Aufruf ein, der deutlich den Anspruch erhebt, die
ebenso unhaltbare wie unverwüstliche Dresdener Geschichtsdeutung vom
Kopf auf die Füße zu stellen. Von SPD-Chef Franz Müntefering über
Linken-Chef Gregor Gysi bis zur Grünen-Chefin Claudia Roth reicht das
politische Spektrum der Unterstützung für "Geh Denken", vom DGB über
die Kirchen, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Charlotte Knobloch, die Jüdische Gemeinde Dresden bis hin zu
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Natürlich konnte der
entscheidende Passus nicht ohne Sperrfeuer seitens hartnäckig gestriger
DresdnerInnen bleiben. Die schlimme Stelle lautet: "Die Gleichsetzung
der Opfer der Luftangriffe auf Dresden mit den Ermordeten in den
Konzentrations- und Vernichtungslager soll den Holocaust verharmlosen.
Während Leningrad, Rotterdam oder Coventry Ziele des deutschen
Angriffsund Vernichtungskrieges waren, wurde Dresden im Zuge der
Beendigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bombardiert. Um
der rechtsextremen Propaganda entgegenzutreten, darf dieser Unterschied
nicht verwischt werden." Derart deutliche Worte waren bisher nur in
angefeindeten Aufrufen von Antifa-Gruppen und "NS-Verherrlichung
stoppen!" zu lesen und es ist ein Qualitätssprung, dass zum Aufräumen
der Trümmer des "Great Dresden Swindle" jetzt in eher bürgerlichem
Kontext die Ärmel hochgekrempelt werden. Solange Dresden auch offiziell
bis heute in einem aberwitzigen Atemzug mit Auschwitz, Hiroshima, New
York und Bagdad genannt wird und indiskutable Deutungstraditionen von
extrem rechten Revisionisten über dümmlich US-feindlichen
DDR-"Antiimperialismus" bis zu pathologischen Friedensfreunden zu einem
straffen, blonden Zopf geflochten wurden, waren derart breite Bündnisse
nicht möglich.

Diesmal bleibt nur die CDU außen vor, die sich mit
ziemlich peinlichem Gezeter selbst bloßstellt. Der Partei-Rechtsaußen
und Dresdener Kreisvorsitzende Lars Rohwer hat sich in Briefen an
einige UnterzeichnerInnen, vor allem Kirchenleute, des Aufrufs "Geh
Denken" gewandt und sie aufgefordert ihr Engagement zu überdenken. Der
erwähnte Passus sei "aggressiv", werfe "uns um Jahre zurück" und passe
nicht zum "stillen und würdevollen" Gedenken, das nur echte
Dresdenerinnen und Dresdener zelebrieren könnten, die ihre Geschichte
besser kennen würden als sonst jemand von außerhalb. Diese alberne
Wagenburg-Mentalität von Krämerseelen wie Rohwer, die jeden
Zusammenhang Dresdens mit NS-Terror und -Vernichtungskrieg ausblenden
und einen Opferstatus ganz eigener Prägung für ihre "Ville Martyr"
beansprucht, könnte kommendes Jahr deutlich zurückgedrängt werden:
Selbst die neue CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz liebäugelt
schüchtern mit dem Bündnis, sie hat wohl gemerkt, wie sehr sich
Opfer-Kasper wie Rohwer gerade vergaloppieren.

Eigene
Gegenaktivitäten veranstalten im Februar 2009 die AntifaschistInnen von
"No pasaran", unterstützt unter anderem von der "Interventionistischen
Linken". Sie sehen "Geh Denken" nicht als Konkurrenz, sondern als
Ergänzung eines klar auf Verhindern ausgerichteten Anti-Nazi-Protests.
"Wir können Köln" heißt es beim Kulturbüro Sachsen, das die
Koordination des "Geh Denkens" besorgt. Man bezieht sich dabei
natürlich auf die Blockade des Anti-Islamisierungs- Kongresses durch
15.000 Protestierende im Sommer 2008. Mit Demos auf beiden Elbufern,
sternmarschartiger Routenführung und raumgreifenden Veranstaltungen wie
einem offenen Shabbat-Gottesdienst an der Synagoge und großem
AbschlussKonzert auf dem Schlossplatz hofft man nicht nur die Nazis zu
stoppen, sondern auch Deutungshoheit zurück zu gewinnen.

Quelle:

Der Rechte Rand, Nr. 116, Jan/Feb 2009

nadir.org/nadir/periodika/drr/index.php/artikel/116/2

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