Taktik-Kassiber der jungen welt

Strategie für den nächsten 13. Februar in Dresden in sechs Lektionen von Commander Shree Stardust in der Jungen Welt.
 
 

 
16.02.2009 / Feuilleton / Seite 12

Das Desaster von Dresden

Taktik-Kassiber
Von Commander Shree Stardust

Das
Fatale an der Schlacht von Dresden war, daß es zu keinerlei Schlacht
kam. Der gesammelte Nazipöbel von NPD bis Kameradschafts-SA,
marschierte einmal mehr völlig ungehindert durch die Straßen. Die
Innenstadt wurde den Nazis stundenlang überlassen. »Dresden macht vor,
wie man gegen Neonazis kämpfen kann«, nennt das Wolfgang Tiefensee.

Nun
müssen wir die Größenverhältnisse in die Perspektive setzen. 6000
Faschisten sind eine Menge. Aber als die NPD am 1. März 1997 gegen die
Wehrmachtsausstellung nach München mobilisierte, da waren es knapp
5000. Diese numerische Steigerung in zwölf Jahren fällt kaum ins
Gewicht.

Der Unterschied zwischen dem Sieg von München 1997 und
dem Desaster von Dresden 2009 liegt nicht in den Zahlen. Er liegt auf
der Ebene der Organisation, des Willens, der Kampfmoral und der
Kampfkraft.

Das Alarmierende sind nicht 1000 Nazis mehr oder
weniger. Das Problem ist die Zusammensetzung der Nazidemonstration.
1997 in München gab es auch schon einen massiven Anteil von
Stiefelfaschisten. Aber insgesamt war die Nazidemo deutlich älter –
viele inzwischen verstorbene Altnazis latschten damals noch mit – und
weitaus weniger schlagkräftig.

Was dagegen 2009 in Dresden auf
der Straße war, das war eine durchorganisierte, faschistische
Bürgerkriegsarmee. Bedrohlich sind weniger die 6000 Neonazis an sich,
als die militärische Schlagkraft dieser 6000 Neonazis: ihre
Kompaktheit, ihre Organisation, ihre intakten Befehlsketten, ihre
Sicherheit im Manövrieren.

Das muß um jeden Preis zerschlagen
werden! Aber wie? 1997 in München endete die NPD-Demo mit einer
krachenden Niederlage. Auch damals spielte die Polizei den Faschos in
die Hände. Auch damals gewährte die Justiz den Faschos die Münchner
Innenstadt als Marschroute. Edmund Stoiber gab an, den Marienplatz
nötigenfalls freiknüppeln zu lassen. Dort aber kam die Nazidemo bis
heute nicht an. In Dresden 2009 kamen sie durch, und zwar problemlos!
Sie kamen nicht durch, 1997 in München.

Warum? In Dresden gab es
zwei Bündnisse. Dem einen fehlte die Masse, dem anderen die
Entschlossenheit. 1997 in München gab es ein gemeinsames Bündnis, eine
breite antifaschistische Einheitsfront von autonomer Antifa bis DGB.
Die militanten Aktivisten in diesem Bündnis waren gute
Einheitsfrontkader. Sie waren in der Lage, auch Gewerkschafter und
bürgerliche Antifaschisten für den Slogan »Marien­platz – nazifrei!« zu
gewinnen, und schließlich in der Großdemonstration praktisch
durchzusetzen, daß man den Marienplatz unter allen Umständen
verteidigen mußte.

Nach dem Ende der Bündnis-Demo strömten dann
Abertausende weiter Richtung Marienplatz. Verstärkt durch die spontane
Beteiligung von Passanten in der Innenstadt waren es bald an die 20000.
Diese bauten über eine, über zwei Stunden Druck auf gegen die
Polizeiabsperrungen … bis der erste über die Spanischen Reiter
sprang, und dann war kein Halten mehr. Der Marienplatz wurde gestürmt
und besetzt, schon zogen die Massen ins Tal, der Nazi-Demonstration
entgegen. Zweimal, dreimal wurde versucht, durch die Polizeiketten zu
brechen, Unruhe bei den Nazis, Anzeichen von Panik. Nur knapp hielten
die Ketten der Polizei. Am Ende wurden die Nazis zur Umkehr gezwungen.
Es war eine krachende Niederlage für die Faschisten.

Seither
haben die Nazis in München nichts Nennenswertes mehr hingekriegt, keine
bundesweite Mobilisierung dorthin gewagt. Nach Dresden wird man als
Faschist auch 2010 wieder gerne fahren.

Gibt es Lichtblicke? Ja,
gibt es. 4000 auf der Demonstration von »No pasarán« – das ist ein
satter Mobilisierungserfolg der Antifa. Die antifaschistischen
Gegenaktivitäten fielen dieses Jahr insgesamt stärker aus als sonst –
zahlenmäßig. Aber dieser Mangel an Entschlossenheit! Diese
Bereitschaft, sich mit dem Setzen von »Zeichen«, mit purer Symbolik
zufriedenzugeben, während man den Faschisten kampflos die Innenstadt
läßt. Dresden zeigte 2009, wie man gegen Nazis nicht kämpft.

 

http://www.jungewelt.de/2009/02-16/049.php

 


 

20.02.2009 / Feuilleton / Seite 13

1.) Generalstab einsetzen

Taktik-Kassiber: Rostock Dresden Stalingrad
Von Commander Shree Stardust

Siege
sind organisierbar. Siege sind keine Zufallsprodukte, und mit dem
Autounfall Jörg Haiders ist uns die Geschichte nun wahrlich schon
entgegengekommen. Aber Siege müssen erarbeitet werden. Siege brauchen
Vorbereitung, Planung, Mobilisierung. Erst wenn das erledigt ist, kommt
im entscheidenden Moment das Schlachtenglück dazu.

Und
Niederlagen sind was Gutes, solange man noch Gelegenheit hat, Lehren zu
ziehen und diese erfolgreich anzuwenden. Mit so einem zünftigen
Desaster im Rücken läßt sich sogar besonders viel klären. Wir wollen
deshalb jetzt eine Woche lang an dieser Stelle durchkassibern. Und
diese Kassiber-Salve hat als einziges Ziel: Dresden 2010.

Warum
eigentlich Dresden? Warum heißt der Versuch der NPD, sich einen der
Frankfurter Schule vergleichbaren Think Pool zu schaffen (albern),
»Dresdner Schule«?

Nach der Wende war Dresden praktisch sofort
eine Hochburg des militanten Faschismus. Mein erster Besuch dort war
irgendwann Anfang der 90er Jahre, und ich hab’ gleich von Nazi-Hools
aufs Maul bekommen. Einem in Dresden wohnenden Genossen wurde mit
scharfer Munition ins Fenster geschossen. Dresden mag heute sein, wie
es will: Dresden Anfang der 90er war echt ungemütlich. Es wimmelte von
Nazis.

Das nun ist inzwischen doch anders. Das Desaster von
Dresden 2009 bestand darin, daß die Nazis einmal mehr ungehindert
marschieren konnten. Wenn zum Beispiel das Neue Deutschland schreibt,
10000 Demonstranten hätten sich den Faschisten – das ND schreibt
natürlich nicht »Faschisten« – »in den Weg gestellt«, dann ist das
leider sachlich falsch. Die 10000 sind durch Straßen gelaufen und haben
sich auf Plätze gestellt. Es waren aber leider nicht die Plätze und
Straßen, auf denen die Faschisten marschierten.

Immerhin, 10000
– und Anetta Kahane hat schon recht, wenn sie darauf hinweist, daß die
antifaschistischen Mobilisierungen in Dresden von Jahr zu Jahr an Masse
und Kraft gewinnen, daß 2009 zum ersten Mal mehr Gegendemonstranten auf
den Beinen waren als Nazis. Für andere Städte mag das nichts Besonderes
sein. Dresden ist ein spezielles Terrain, und für Dresden selbst war
2009 in mancherlei Hinsicht ein Schritt nach vorne – wenn es auch,
dummerweise, aus der strategischen Gesamtsicht ein komplettes Desaster
war.

Die strategische Gesamtschau ergibt auch, daß wir insgesamt
ziemlich gut aufgestellt sind, durch hartnäckige Arbeit zuverlässig in
die Offensive zu kommen. Nur muß einigen Anlauf nehmen, wer weit zu
springen beabsichtigt.

Der Sieg von Rostock und Heiligendamm zum
Beispiel, im Juni 2007, der wurde über zwei Jahre vorbereitet. Kader
wurden weit vor dem Ereignis nach Rostock und in die Region geschickt
und über Monate dort fest installiert. Es gab Vorbereitungskonferenzen
in Rostock, Mobilisierungsmaterial in mehreren Wellen und mit
Massenauflage.

Dazu gab es einen funktionierenden Generalstab,
der sich alleine aufs Taktische konzentrierte, Karten studierte, in
Ortsterminen das Terrain sondierte, Treffpunkte, Marschrouten und
Rückzugswege festlegte und für jeden Plan A auch einen Plan B und C
ausarbeitete. Offenbar waren das keine Leute, die auf Ruhm und
Bravo-Starschnitt aus waren, zumindest ist bis heute unklar, wer
eigentlich in diesem Generalstab gesessen hat.

Siege jedenfalls
sind organisierbar. Dresden 2010 ist organisierbar. Aber das verlangt
etwas von uns. Es verlangt von dieser Zeitung, die eine eminent
wichtige Rolle spielen kann und muß, den Fokus immer wieder auf Dresden
2010 zu richten. Es verlangt, daß ATTAC seine vornehme Zurückhaltung im
Antinazikampf endlich beendet. Ein Sieg 2010 verlangt von den Linken in
der Linkspartei und in den Gewerkschaften, die Bereitschaft zur
Einheitsfront mit der Antifa durchzusetzen. Aber das verlangt auch von
der Autonomen Antifa, ihre Bündnisfähigkeit und Konsensbereitschaft
deutlich zu steigern. All das verlangt ein Sieg in Dresden 2010:
entschlossen durchorganisieren – eine antifaschistische Einheitsfront!

 

http://www.jungewelt.de/2009/02-20/048.php

 


 

21.02.2009 / Feuilleton / Seite 12

2.) Aktionsbündnisse schmieden

Taktik-Kassiber
Von Commander Shree Stardust

Lieber
Papa Staat, verbiete die NPD! Papa Staat, untersagst du bald mal den
Neonazis ihre Aufmärsche? Papa Staat, bitte mach die Neonazis weg!

Die
Anhänglichkeit, mit der Antifaschisten aller Couleur auf der
NPD-Verbotsdebatte hängengeblieben sind, hat etwas Wunderliches. Es ist
eine einzige große Ausrede. Wir sind es doch! Wir selbst, jeder von uns
ist aufgefordert, jetzt aufzustehen, jeden Tag antifaschistische
Festigkeit und Unversöhnlichkeit auszustrahlen. Du, ganz genau, du mußt
auf die nächste Antineonazidemo gehen! Hast du dir vorher Flugblätter
und Aufkleber besorgt? Bist du ein Faktor der Veränderung, der in
seinem Freundeskreis, in Schule, Betrieb, Sportverein und Uni einen
antifaschistischen Unterschied macht? Leg los. Du kannst alles lernen.
Aber du darfst nicht weiter zuschauen, duldsam und naiv. Du mußt jetzt
kämpfen. Dafür brauchst du Verbündete.

Alle historische
Erfahrung spricht dagegen, daß dieser antifaschistische Verbündete der
Staat sein wird. Auch in der Weimarer Republik setzte die
Millionenmasse der Sozialdemokraten und Gewerkschafter auf den Staat,
auf die preußische Polizei, auf das Verfassungsgericht, auf die
Vernünftigen in der Reichsregierung, die doch nun endlich ein Einsehen
haben müßten und dem Terror der SA Einhalt gebieten sollten. Alle
Erfahrung der jüngsten Vergangenheit spricht dagegen. 130 Menschen
haben die Neofaschisten seit der sogenannten Wiedervereinigung in
Deutschland ermordet. 130! Dazu kommen Zehntausende, ja:
Hunderttausende von Gewaltdelikten ohne Todesfolge, ungezählte
Sachbeschädigungen, Erpressung, Nötigung und Verfassungsverstöße aller
Art. Jede Rockerclique hätte längst »die ganze Härte des Gesetzes« zu
spüren bekommen. Nicht so die Neofaschisten, abgesehen von wenigen
Ausnahmefällen, in denen eine empörte Öffentlichkeit Druck gemacht hat.

Jan
Maas beschreibt im Magazin Marx21 das Problem der ewigen
NPD-Verbotsdebatte anhand der Dresdner Ereignisse: »Außerdem hat die
NPD beim Aufmarsch von Dresden keine entscheidende Rolle gespielt.
Dieser Aufmarsch wurde getragen von gut organisierten
Nazikameradschaften, die den Kern einer zukünftigen Bürgerkriegsarmee
bilden wollen. Diesen Mob mit einem Parteiverbot stoppen zu wollen,
bedeutet, seine Entschlossenheit zu unterschätzen.«

Leo Trotzki
schrieb 1931, in seinem »Brief an einen deutschen Arbeiter-Kommunisten,
Mitglied der KPD«: »Die Frage der Machtergreifung durch die Faschisten
werden folglich nicht Abstimmungen entscheiden, sondern der
Bürgerkrieg, den die Faschisten vorbereiten und auslösen. Kann man auch
nur eine Minute annehmen, daß Hitler und seine Berater dies nicht
begreifen und voraussehen? Das hieße, sie für Dummköpfe halten. Es gibt
kein größeres Verbrechen in der Politik, als auf die Dummheit eines
starken Feindes zu hoffen!«

Volle Konzentration auf die eigene
Kraft, auf die eigenen Strukturen, auf die eigene Aktion! Das bedeutet
auch, das ewige Hü und Hott der Diskussion über ein NPD-Verbot
zugunsten entschlossener Massenarbeit schleunigst zu beenden. Übrigens
nicht deshalb, weil ein NPD-Verbot nicht sinnvoll wäre. Sondern weil es
längst dermaßen überfällig ist, daß nur naive Menschen noch daran
glauben können, daß der Staat es ohne effektive Massenbewegung für die
Zerschlagung Neofaschistischer Strukturen durchführen wird.

Wir
brauchen unbedingt Bündnisse anderen, besseren Typs: Aktionsbündnisse!
Die hohen Funktionäre der jeweiligen Organisationen bringen dafür nicht
sehr viel. Die reagieren ohnehin, wenn die Basis dabei ist, sich auch
ohne Anleitung der Topfunktionäre zu organisieren.

Sucht und
findet Aktivisten, durchdringt die mittleren Ebenen, verbündet euch,
schmiedet Allianzen, entwickelt Strukturen, die vor allem eines sind:
aktionsorientiert. Wir müssen Kurs nehmen auf die Zerschlagung der
Neonazistrukturen – durch den planvollen Aufbau einer
antifaschistischen Massenbewegung.

 

https://www.jungewelt.de/2009/02-21/051.php

 


 

 

23.02.2009 / Feuilleton / Seite 12

3.) Befreit die Provinzen!

Taktik-Kassiber
Von Commander Shree Stardust

Dieser
Kassiber richtet sich an die Antifaschisten in der Provinz. Von den
Funktionären der politischen Großorganisationen wird die Dramatik der
dortigen Lage nicht verstanden. Weiträumig und feige beantwortet der
Funktionär die Gewaltfrage mit dem ewig gleichen Spruch: »Gewalt
erzeugt immer nur Gegengewalt!« – und findet eine super geschnittene
Wohnung in Berlin-Friedrichshain tiptop saniert!

Hier, in der
Provinz, sind Gewalt und Gegengewalt eine rein praktische Frage, die
Gewalt der Neofaschisten ist täglich schon da, latent, lauernd. Den Mut
der dortigen Aktivisten, gegen diese ständigen Drohungen standzuhalten,
zeichnet keine Stiftung mit Preisen und Urkunden für
zivilgesellschaftliches Engagement aus.

Wollen wir die Nazis
2010 in Dresden schlagen, müssen wir den Druck überall erhöhen. Es kann
nicht sein, daß ganze Mittelgebirge antifaschistische Notstandsgebiete
bleiben. Und es muß nicht sein. Selbst dort, wo die Faschos am Drücker
sind, hat sich zumeist ein komplexes Gegengewicht gebildet, das auch
unter schwierigsten Bedingungen für eine Befreiung der Provinzen vom
Joch des Rechtsterrorismus arbeitet.

Das Netz der
»Bürgerbündnisse gegen Rechtsextremismus« ist in den letzten Jahren
gewachsen. Hier treffen sich das Antifa-Kid aus dem kleinen Dorf und
der Ordnungsamtschef der Kleinstadt, der wacker an Naziaufmärschen und
Nazikonzerten verbietet, was er kann – in ständigem Kleinkrieg mit
Gerichten und Nazianwälten. Hier gibt es den alten Kämpen der
Arbeiterbewegung, der alles das noch und wieder kennt, die
Friedensaktivistin, den Dorfpfarrer mit dem heiligen antifaschistischen
Zorn, den aufrechten Lehrer und sogar den einen Polizisten, der seine
Aufgabe ernst nimmt.

Diese Bürgerbündnisse sind oftmals von
einer aufreizenden bürgerlichen Harmlosigkeit. Mit und in ihnen zu
arbeiten verlangt Geduld. Niemand aber sollte die Wichtigkeit dieser
Bündnisse für die Lage in den umkämpften Provinzen unterschätzen,
niemand auch ihre aufrichtige, unversöhnliche Gegnerschaft zu
faschistischen Umtrieben.

Für den Aufbau effektiver Gegenwehr
sind sie auch deshalb wichtig, weil diese Bürgerbündnisse eine Art
Schutzpuffer bilden können, der fortschrittlichen Jugendkulturen und
einer neuen Generation antifaschistischer Aktivisten mehr Raum zum
Manövrieren verschafft.

Überall erscheinen die Jugendkulturen
krass polarisiert. Hart umkämpft sind aktuell die Rollsportler, Skater
und BMX-Fahrer. Die Jugendkultur ist mittelfristig das alles
entscheidende Terrain, wenn wir die Neonazis in den Provinzen und
anderswo zurückdrängen werden. Laßt den Mann um die 30 den Liberalen,
sprach Lenin: Wir sind die Partei der Zukunft, wir sind die Partei der
Jugend! Solange die Nazis ein Rekrutierungsübergewicht behalten und
Jahr für Jahr mehr Nachwuchs abbekommen, kann das Problem mit
mathematischer Sicherheit nur schlimmer werden.

Aber wir haben
es bei den heute 14- bis 18jährigen mit einer Generation zu tun, die
mit dem Vorhandensein einer brutalen und äußerst offensiv agierenden
Nazijugendkultur aufgewachsen ist. Hier, unter den 14 bis 18jährigen,
eröffnete sich ein strategisches Fenster, zeichnet sich die Möglichkeit
ab, eine Generation mehrheitlich gegen faschistische Dummheiten zu
imprägnieren. Aber wehe, wenn wir hier nicht endlich die Initiative in
die Hand bekommen!

Dafür brauchen wir eigene Magneten. Wir
brauchen Leute, Orte, Party-Reihen und Styles, wo sich die und der
Jugendliche sagt: »Cool, so will ich leben, so will ich reden, so kann
man drauf sein, das ist eine geile Art, seine Jugend zu verbringen.«

Koalitionen
anderer Art ermöglicht und erfordert die Lage in der Provinz: Schützen
dich die Heavy-Metaller, die lokale Rockergang oder eine freiwillige
Feuerwehr, sieht der Alltag gleich viel entspannter aus…


http://www.jungewelt.de/2009/02-23/042.php

 


 

24.02.2009 / Feuilleton / Seite 13

4.) Ein Dreijahresplan

Taktik-Kassiber
Von Commander Shree Stardust

Schlachten gewinnen, das ist die Kunst der Taktik. Aber man muß auf mittlere Sicht anlegen und strategisch arbeiten. Was die Nazis speziell im Osten über 20 Jahre weitgehend ungestört aufgebaut haben, das läßt sich nicht in wenigen Monaten beseitigen. Der faschistische Tumor sitzt schon wieder böse im Körper, entsprechend tief muß geschnitten werden. Doch um den faschistischen Krebs zurückzudrängen braucht es auch Nachbehandlung: Bestrahlung, bessere Ernährung, Wellnesskuren, Homöopathie. Das wird mindestens drei Jahre dauern.

Die Faschisten haben ihre Aufbauarbeit im Osten mit beachtlicher Hartnäckigkeit vorangetrieben. Selbiges tun sie schon seit Jahrzehnten im Westen, weshalb es mir nebenbei bemerkt eher unklar ist, was genau an den Faschisten es ist, das so sonderlich »Neo-« sein sollte? »Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist!« schrieb Erich Fried. Aber ein Antifaschist, dem nichts weiter einfällt als Antifaschist zu sein, ist kein Antifaschist, geht das bei Erich Fried weiter. Um den Faschismus wirklich zu besiegen, braucht es ein neues Leben in Gemeinschaft, eine bessere Welt.

Es hätte drum keinen Sinn, wenn sich alle politischen Aktivisten jetzt in eine antifaschistische Ein-Punkt-Bewegung verwandeln. Mobilisiert gegen die 380-KV-Leitung durch den Thüringer Wald, gegen NATO-Konferenzen und besonders und immer wieder dagegen, daß jeder Bank Milliarden Euros hinterhergeschmissen werden, während ganze Gesellschaftssegmente abrutschen. Was es aber braucht, sind besondere Organe für den antifaschistischen Kampf – Aktionskomitees, Aktionsbündnisse. Und es ist eine Übereinkunft politischer Strömungen, innerhalb all der einzelnen Bewegungen und Projekte ein deutliches Mehr an Energie und Aktivität gegen die Faschisten zu richten – und zwar drei Jahre lang, kontinuierlich.

Ich bin übrigens weit entfernt, das antifaschistische Heil nur vorrangig in der Gewalt zu suchen. Wir müssen unsere Verteidigungssysteme aber gerade deshalb upgraden, damit kulturelle, pädagogische, ästhetische und argumentative Strategien ihre Wirkung frei entfalten können. Und ich erlaube mir den Hinweis, daß man mit Pädagogik nicht gewinnen kann, solange man ständig aufs Maul bekommt.

Und wer sich anschickt, Offensiven zu planen, tut immer gut daran, etwaige Gegenstöße gleich mit einzukalkulieren. Wir brauchen Alarmlisten, funktionierende Telefonketten. Der Einsatz technischer Hilfsmittel, Sirenen, Megaphone, Kameras zum Beispiel, ist stark ausbaufähig. Und aber ja: Wir brauchen besondere Formationen von Leuten, die auf einen rechtsterroristischen Überfall mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu reagieren verstehen. Wir wollen nicht werden wie die Faschos. Wir wollen aber auch nicht ewig Opfer bleiben, schon aus Gründen einer hedonistischen Lebenseinstellung: Nazis sind Gift für die Lebensqualität.

Wir brauchen weiterhin die ganze Vielfalt an Themen, Ansätzen, Philosophien. Konkret geht es natürlich darum, die Weltwirtschaftskrise von links zu gewinnen. Auch hier sollten wir auf mittlere Sicht anlegen.
Die Krise wird nicht übermorgen vorbei sein, der soziale Widerstand sich Welle um Welle aufbauen. Und viel spricht dafür, daß diese Krise, auf welche die Nazis so geduldig gelauert haben, höchstdieselben auf tönernen Füßen erwischt hat. Die spontane Verallgemeinerung geht jedenfalls kaum in die Richtung, daß man irgendwelche Probleme dieser Tage besonders gut im nationalen Rahmen lösen könnte. Ein neuer Zyklus sozialer und politischer Kämpfe hat begonnen.

Heiligendamm, der Sturm über die Felder, bleibt das Paradigma dieser Phase. Eine Straße, die auf einer Breite von drei Kilometern berannt wird, ist nicht zu verteidigen. Diese neue Taktik muß aber für den antifaschistischen Kampf und für das Terrain der Städte neu erfunden werden. Da muß man üben: Dresden 2009, Dresden 2010, Dresden 2011 – danach anders weiter.


http://www.jungewelt.de/2009/02-24/052.php

 


 

 

25.02.2009 / Feuilleton / Seite 13

5.) Welcome to Chiapas, Germany!

Taktik-Kassiber
Commander Shree Stardust

Drei
Jahre lang Druck aufbauen, Strukturen ausbauen, am Massenbewußtsein
arbeiten. Mehr, aktiver, besser und lauter und selbstbewußter werden:
Nirgends ist das notwendiger, nirgends vielversprechender als in den
sogenannten Fünf Neuen Ländern.

Die FNL sind dem
Durchschnittslinken mit Westwurzeln ein siebensiegeliges Buch
geblieben. Die progressive Einwohnerschaft Berlins besteht weiterhin zu
drei Vierteln darauf, irgendwie Westdeutschland zugehörig zu sein.
Königs Wusterhausen? Die Welt hinter Weißensee?

Man hat diese
Gebiete – das halbe Brandenburg! ganz Sachsen! – westlinkerhand als
rettungslos verloren gegeben und innerlich den Nazis überschrieben.

Daß
wir uns verstehen: Als Offizier der Intergalaktischen Befreiungsarmee
sind mir Staatsgrenzen ein rein technisches Hindernis. Chiapas und das
Wendland sagen mir von vornherein mehr als Baden-Württemberg oder der
Erftkreis, was sich in beiden letztgenannten Fällen sofort ändern
könnte, sobald es auch dort eine EZLN oder Gleisbesetzungen geben
würde. Aber irgendwann muß man sich einmal den historischen Realitäten
stellen – und den strategischen Herausforderungen, die sich ergeben
haben. Deshalb soll dieser Kassiber kein Beitrag zur Kampagne »Der
Osten ist bunt!« werden. Ich sage eher: Der Kampf tobt in den FNL, und
wir haben alle Chancen, ihn zu gewinnen!

Es bedarf einer
gesonderten Anstrengung. Während sich die Linkspartei im Westen zu
verankern sucht, sollten beispielsweise die Gewerkschaften das
umgekehrte tun und sich mit Verve, Hartnäckigkeit, großangelegten
Kampagnen und vielen Hauptamtlichen ins Zeug legen für den Aufbau der
gewerkschaftlichen Macht in den FNL. Das wird Zeit brauchen, drei Jahre
oder so. Aber nichts könnte wichtiger sein, als daß die
Gewerkschaftsbewegung im Osten in die Offensive kommt. Jeder
gutorganisierte Betrieb kann ein antifaschistisches Bollwerk werden.

Selbiges
gilt für den direkten antifaschistischen Kampf. Eines schönen Tages muß
man den Gegner da angreifen und besiegen, wo er am stärksten und
kompaktesten aufgestellt ist. Kämpfe, die man nicht vermeiden kann,
bereitet man besser vor. »Man muß eine Karte der faschistischen
Kasernen und der übrigen faschistischen Herde in jeder Stadt, in jedem
Bezirk haben. Die Faschisten versuchen, die revolutionären Zentren zu
umzingeln. Die Umzingler müssen umzingelt werden.« (Leo Trotzki: »Wie
wird der Nationalsozialismus geschlagen?«, 1931)

Die Umzingler
können umzingelt und besiegt, die FNL können befreit und sogar das
deutsche Chiapas, ein zweites, ein riesiges Wendland werden. Das
Zentrum der politischen Konflikte in Deutschland hat sich ohnehin
verlagert – die Westlinken sollten mal ihre Augen aufmachen. Die neuen
Länder sind überhaupt die neuen Länder. Nirgends sind unsere Aktivisten
mutiger und kampferprobter! In NRW oder Hamburg stehen sich die Lager
in jahrzehntelang ausgeschaufelten Schützengräben gegenüber. In den FNL
ist die Lage weiterhin volatil. Hier ist Platz, hier ist Bewegung, hier
ist das Potential, das Gesamtverhältnis der Kräfte in Deutschland in
unsere Richtung zu drehen. Wir brauchen bundesweite Mobilisierungen
nach Dresden!

http://www.jungewelt.de/2009/02-25/044.php

 


 

26.02.2009 / Feuilleton / Seite 13

6.) Erhöht die Schlagzahl!

Taktik-Kassiber
Von Commander Shree Stardust

Die
Fortdauer eines Problems verzerrt und verdirbt den Geist. Ein Problem
ist ein Konflikt, eine Frage, die nicht verstanden wurde; solche
Probleme werden zu Narben, und die Unschuld ist zerstört. Jeder
Konflikt muß verstanden und damit beendet werden.«

Das
vorangegangene Zitat stammt nicht von Leo Trotzki. Es ist von Jiddu
Krishnamurti (Das Notizbuch, 1976). Ich bringe es, weil ich bei diesen
Sätzen sofort an meine Neonazis denken mußte. Wie kommt es, daß ein
abgenudeltes Symbolsystem wie der Nationalklimbim 2009 einen Teenager
derartig anspricht, daß er sich ein Hitler-Bild übers Bett hängt?

Die
Verwunderung über dieses Phänomen und das Eingeständnis seines
aktuellen Nicht-Verstehens ist die Voraussetzung dafür, daß wir uns
richtig verhalten. Faschisten sind schließlich Energievampire. Die
Tatsache, gehaßt zu werden, erzeugt in ihnen ein wohliges Gruseln. Das
Verbotensein und Bekämpftwerden, der gemeinsame Feind, packt die
staubigen Charakterrestbestände des Faschisten zu einem halbwegs
handlungsfähigen Komplexhaufen zusammen.

Mir geht es mit dem
hier Gesagten nicht um »akzeptierende Jugendarbeit« und auch nicht um
die Vorstellung, der Faschismus sei ein rein therapeutisches Problem.
Er ist auch ein therapeutisches Problem, right? Und eine theoretische
Aufgabe.

Ich kann die Problematik rund um Leo Trotzki
nachvollziehen. Die Anarchisten werfen ihm die Niederschlagung des
Kronstädter Aufstands vor. Die Traditionskommunisten lehnen ihn mit
großem Eifer und aus komplexen Gründen ab. Macht das. Werft ihm vor,
lehnt ihn ab – aber lest seine Texte zwischen 1930 und 1933: »Wie wird
der Nationalsozialismus geschlagen?«, »Porträt des
Nationalsozialismus«, »Der einzige Weg« und »Was nun? Schicksalsfragen
des deutschen Proletariats«.

Lest überhaupt. Eine erfolgreiche Offensive braucht theoretische Klarheit, nicht von einzelnen, sondern en masse!

Ein
sehr gutes Buch zum Verständnis der faschistischen Ideologie und
Klassenbasis ist weiterhin der Klassiker von Daniel Guerin: »Faschismus
und Großkapital« (Fascism and Big Business, 1936). Hier erhellt vor
allem der Vergleich von italienischem und deutschem Faschismus.

Italien
1920: Die zwei roten Jahre sind vorbei, die Massenstreiks und
Betriebsbesetzungen ebben ab – und diese neue Bewegung um den
ehemaligen Chefredakteur von Avanti, Benito Mussolini, wird mit
rasanter Geschwindigkeit zu einem terroristischen Machtfaktor. Die
Sturmabteilungen in den schwarzen Hemden greifen die streikenden
Landarbeiter an, überfallen Gewerkschaften und Linksparteien, sausen im
Sturm in die Arbeiterdemos und schießen in die roten Massen. Der
Überfall auf der Autobahnraststätte Teufelstal? Der Gewerkschafter mit
der eingetretenen Schädeldecke? Der Faschismus habe kein Programm,
sagte Mussolini: »Unser Programm ist die Tat.« – zu lesen: die Gewalt!

Das
»Programm« des Faschismus ist seine Nützlichkeit gegen soziale
Rebellion durch Gewalt – und durch Zersetzung des Klassenbewußtseins
(der »Antikapitalismus« der Nazis). Deshalb sind die Kernthesen dieser
Kassibersalve, daß wir erstens eine praktische Antwort auf die
rechtsterroristische Gewalt finden und zweitens den antifaschistischen
Kampf mit der sozialen Frage verbinden, speziell die Gewerkschaften für
aktiven Antifaschismus gewinnen müssen.

Letzteres ist ein
Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wir brauchen die Gewerkschaften in
Dresden 2010. Aber der erste Schritt in die Offensive gegen die
Neonazis sind die Massendemonstrationen am 28. März: »Wir zahlen nicht
für Eure Krise!« Fahnen der Antifa am 28. März – Gewerkschaftsfahnen
und endlich auch die von ATTAC bei jeder Antinazidemo. So wird eine
Einheitsfront gebaut, die nicht nur die faschistische Option blockiert,
sondern gleichzeitig eine erfreulichere Option eröffnet.

Einheitsfrontpolitik
ist die Kunst, einen entschlossenen Kern im Zentrum einer
Massenbewegung zu etablieren. Das braucht Zeit. Gerade deshalb müssen
wir ab jetzt die Schlagzahl erhöhen!

http://www.jungewelt.de/2009/02-26/048.php

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