Die Tatsache, dass Nazidemos sehr viel sanfter als Antifademos von der Polizei behandelt werden, selbst bei größerer Gewaltätigkeit von der Nazidemo aus, wird noch einmal von einer Nazi-Aussteigerin berichtet – aus der Innensicht quasi. Sie war offenbar am 14.2. auf der No pasarán-Demo und äußert sich so: "In Dresden war ich nun erstmals bei der Gegendemo. Märsche habe ich ja
viele mitgemacht. Hab auch mal auf einen "Bullen" mit dem Megaphon
eingeschlagen. Bei der Antifa wurde ich aber prompt festgenommen,
obwohl ich nichts getan hatte – zum ersten Mal. Mit den Nazis geht die
Polizei anders um. Glauben die Exkameraden ja nicht."
Quelle: taz, 18.03.2009
Innenansichten der rechten Szene
Schwerer Ausstieg
Fabian und Anna sind um die 20 Jahre alt und verbrachten einen großen Teil ihres Lebens in rechten Kameradschaften. Nun haben sie den Ausstieg geschafft. Der taz sagten sie, warum. VON ANDREAS SPEIT
Bild: Mitglied einer Kameradschaft: Es verlangt Mut, Schluss zu machen mit der rechten Szene. Foto: dpa
BERLIN taz Wir treffen die Aussteiger irgendwo in Ostdeutschland. Es ist dunkel, die Händler des Ortes haben die Stände bereits geschlossen. Die beiden warten an einer Laterne. Schwarz gekleidet sind die Frau und der Mann. Sie erfüllen kein Klischee von Rechtsextremen. Ihr Style erinnert eher an linke Jugendliche aus der autonomen Szene.
Seit ein paar Jahren kopieren auch die Kameraden und Kameradinnen der "Autonome Nationalisten" (AN) Style und Habitus der Autonomen. An der Kleidung der beiden fehlen aber die szenetypischen Buttons der AN: "Nationale Sozialisten bundesweite Aktionen" oder "Burn Israel Burn".
Davon haben sich Anna und Fabian verabschiedet. Die beiden sind raus. Die rechtsextreme Szene haben die Zwanzigjährigen vor wenigen Wochen verlassen. Sie nach über sieben Jahren, er nach fünf. Die Begrüßung ist noch unsicher und die ersten Treffen beobachten zum Eigenschutz unbemerkt Kollegen. Es besteht in dieser Szene die Möglichkeit, dass Journalisten eine Falle gestellt werden soll. Es könnte nur ein vorgetäuschter Ausstieg sein.
Das sind Bedenken und Überlegungen, die Aussteigerhilfen wie "Exit" in Berlin oder die "Arbeitsstelle gegen Rechtsextremismus und Gewalt" (ARuG) aus Braunschweig immer wieder berücksichtigen. Seit über acht Jahren bestehen mittlerweile professionelle Ausstiegshilfen. An die 300 Aussteiger will "Exit" betreut haben. Bundesweite Zahlen sind schwer zu benennen, sagt Reinhard Koch, Geschäftsführer von ARuG. "Die Kriterien sind bei den Ausstiegshilfen sehr unterschiedlich", sagt er und erklärt: "Bei der einen reicht es, wenn die Aussteiger zwei Jahre keine Straftat verübten. Bei der anderen, wenn sich nachweislich das Denken verändert hat." Nicht in allen Bundesländern bestehen solche Programme, betont Koch. Auch dort nicht, wo Anna und Fabian leben.
Verlegen schaut Anna ins Leere, Fabian blickt nach unten. Wie sollen sie beim ersten Gespräch über ihren Werdegang reden, über den sie später nach weiteren Kontakten sagt: "Scheiße, das ist ja mein halbes Leben gewesen"?
"Mit 13 kam ich in die Szene"
VON ANNA
Mit der Szene kann ich heute nichts mehr anfangen. Klingt wie so ein Lippenbekenntnis, das man eben jetzt sagen muss, wenn man raus ist. Wie konnte ich nur, wie war ich verblendet, solche Sätze werden doch erwartet. Mit 13 Jahren kam ich in die Szene, über meinen damaligen Freund, könnte ich jetzt irgendwie entschuldigend erzählen. Dass ich in einem Heim groß wurde, keinen tollen Schulabschluss machte, wohl auch. Aber so einfach will ich es mir jetzt auch nicht machen. Ich war eine Rechtsextremistin, ich war nicht bloß eine Mitläuferin, ich wusste genau, was ich tat.
Mit dem Freund machte ich schnell Schluss, der ging eigentlich nur zu den Partys. Ich fand die Sprüche gegen Ausländer völlig richtig. Dass die nur auf unsere Kosten leben, glaubte ich. Mit der Zeit wollte ich aber mehr politisch machen. Und so übernahm ich immer mehr diese Einstellungen: Deutsche zuerst, wir schützen Volk und Vaterland. Ich hinterfragte wenig, ging alleine zu den Kameradschaftsabenden und Parteitreffen. Bratwurst statt Döner, ja, ich weiß, auch das klingt peinlich, aber ich lebte das. Je öfter ich zu den Kameradschaftstreffen kam, umso mehr wurde mir vertraut. Die älteren Kameraden begannen mir Aufgaben zu übertragen. Da war ich echt stolz. Ich bin wer, ich habe was zu sagen. Und im Hintergrund übernahm ich Aufgaben über Aufgaben. Eine große Rednerin bei Aufmärschen war ich nicht. Aber die Märsche vorbereiten, die Kameraden verbindlich zusammenzutelefonieren, die Busse bestellen und vorab die Flugblätterverteilung zu organisieren, all das machte ich.
An die 40 Leute waren wir eine Zeit lang. Fühlten uns stark, trafen uns immer wieder. Pflegten das Netzwerk der einzelnen Kameradschaften: Wanderungen, Sonnenwendfeiern, Museumsbesuche oder einfach zusammen abhängen. Nach der Schule, nach der Arbeit war ich nur noch für die Bewegung unterwegs. Meine Freunde aus der Szene – ich hatte drei in der Zeit – fanden das anfänglich immer gut, später nervte sie das und sie mich. Wenn die mich einengten, sagte ich: tschüss. Die Bewegung war alles für mich. Als ich 18 wurde, erhielt ich gleich einen NPD-Mitgliedsantrag. Die Partei fand ich aber viel zu lasch. Ich blieb lieber bei den Kameradschaften, half aber bei der NPD. Später baute ich die AN mit auf.
Eine Frauenkameradschaft versuchte ich zu gründen. Doch die meisten Mädels hingen da nur ab, weil ihre Freunde dazugehörten. War die Beziehung zu Ende, waren sie weg. Frauen wurden nur als Sexobjekt gesehen. Rumgereicht, aber, na ja, die sind auch selbst schuld gewesen, schnelle Nummer auf dem Klo und so. Meist sind die politisch wirklich dumm. Mich hat das genervt, die wollten gar keine Politik machen. Als ich versuchte, bei den Mädels – weil ein älterer Kader meinte: Kümmere dich doch um die – durchzusetzen, dass sie bitte nicht so mit Bomberjacken und Springerstiefel rumlaufen sollen, blieb das ungehört. Die haben gar nicht verstanden, dass gerade wir als Frauen, wenn wir nicht wie Klischeenazis aussehen, viel mehr Zuspruch finden. Wenn wir Bürgerzeitungen verteilten und nett daherkamen, war der Zuspruch viel größer.
Nach sieben Jahren kamen bei mir aber immer mehr Fragen auf, zur Politik, zur Weltanschauung. Die Antworten reichten mir nicht. Meine Fragen wurden nicht beantwortet. Warum nehmen uns die Ausländer die Arbeit weg, wenn doch hier kaum welche leben, wieso ist der Deutsche mehr wert als der Türke? Unsere Exkameraden haben ja schon im Internet geschrieben, das "stundenlange weltanschauliche Gespräche" mir nichts mehr brachten.
In Dresden war ich nun erstmals bei der Gegendemo. Märsche habe ich ja viele mitgemacht. Hab auch mal auf einen "Bullen" mit dem Megaphon eingeschlagen. Bei der Antifa wurde ich aber prompt festgenommen, obwohl ich nichts getan hatte – zum ersten Mal. Mit den Nazis geht die Polizei anders um. Glauben die Exkameraden ja nicht.
Von den Rechten ging ich weg, weil mit der ganze Hass und die Gewalt gegen Migranten, Juden und Andersdenkende unerträglich wurde. Das wurde mir zu viel.
VON FABIAN
Wie fühle ich mich? Einsam, gerade am Anfang, als wir raus waren. Seitdem ich 14 bin, drehte sich alles um die Kameradschaften. Glücklicherweise sind wir zusammen von der AN weg. Das macht es leichter. Auch dass ich nicht alleine wohne wie Anna. Reingerutscht bin ich in die Szene nicht. Ich suchte den Kontakt. Im Internet stieß ich auf Rechtsrock, lud mir die Schulhof-CDs bei der NPD runter, fand die Musik und auch die Aussagen gut. Was soll ich heute beschönigen. Besonders die sozialpolitischen Positionen: Arbeit für Deutsche, Hilfe für Familien. Die da oben, Bonzen, Politiker wie Gewerkschaftler, verraten doch die einfachen Arbeiter, das deutsche Volk, dachte ich und ich wollte was dagegen tun.
Ich schrieb im Internet eine Adresse an. Keine zwei Wochen später meldete sich ein Kader, wir trafen uns. Ob er gleich meinte: "Komm doch zu einem Aufmarsch mit", habe ich vergessen. Aber das war mein Einstieg: Aufmärsche gegen die Linke, Verteilungen von NPD-Bürgerzeitungen, Kameradschafts- und NPD-Veranstaltungen: All das machte ich mit. Wie Anna las ich mir mehr und mehr Wissen an. Das vermeintlich Soziale im Nationalen bewegte mich. Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Verelendung: Dagegen wollte ich was machen. Der Strasser-Flügel in der NSDAP und die SA: Da fand ich Antworten. Deren Anfeindung in der damaligen Bewegung hätte mir schon früher zu denken geben sollen. Auch wie wenig deren ökonomische Ideen tatsächlich ausgereift waren.
Bei Schulungen wie zu Antikapitalismus – die fanden meist in Gaststätten statt – tauchten bei mir Fragen über Fragen auf. Mich nervte zunehmend, dass da kaum diskutiert wurde. Referat und das wars. Die meisten schienen sich mehr auf das Bier danach zu freuen. Damals fühlte ich mich dann wie einer der führenden Kader, die anderen waren die "Kraken", das Fußvolk.
Man glaubt gar nicht, wie viele in der Szene sind, die eigentlich politisch nicht wirklich verbindlich was wollen. Prollig und gewaltbereit. Auf Partys reichte oft eine blöde Kleinigkeit, schon schlug man sich. Ich war mal bei einer Geburtstagsparty, da haute ein Kamerad einem anderen mit einer Bierflasche ins Gesicht. Und doch hielt mich dieses Ding: Wir sind eine Gemeinschaft, wir kämpfen zusammen gegen die anderen. Kameradschaft und eben auch diese Gewalt. Das hat was, wenn man mit 4.000 Leuten durch die Straßen marschiert. Man fühlt sich stark. Ich war auch mal dabei, wo wir eine Antifa-Aktion aufmischen wollten.
Die vermeintliche Kameradschaft, die oft vorbei ist, wenn man nicht auf Linie ist, wird hochgehalten. Nach Aktionen fand gemeinsames Grillen statt. Weihnachten gab es eine Weihnachtsfeier. Da kamen so 30 Leute, auch Familien, alle aus unserer Gegend. Manche brachten selbstgebackenen Kuchen, Kekse mit. Glaubt man jetzt vielleicht nicht, aber einige Kuchen waren mit Hakenkreuz verziert. Als es plötzlich hieß, die Bullen kämen, wurde alles schnell reingestopft. Bei den AN kümmerte ich mich um die Websites. Das machte ich von zu Hause aus, Texte brachten Kameraden auch mal vorbei. Meine Eltern sagten nichts. Wir sahen ja auch nicht so typisch nazimäßig aus. Die wussten natürlich, wo ich stand, was ich machte. Aber, und ich glaub, das war gut, die haben mich nicht unter Druck gesetzt. Mit den Mitschülern war es was anderes. Über die Szene hinaus waren wir ja bekannt.
Die NPD wollte, dass Anna und ich für sie kandieren. Wir wollten nicht. Die ganzen Streitereien der vergangenen Monate, diese persönlichen Kungeleien, nee, ohne uns. In den Kameradschaften ist das Verhältnis zur NPD immer mal so, mal anders. Alle schimpfen, die NPD nutzte sie bloß aus, als Wahlhelfer und so, verspräche viel, hielte wenig. Und doch, bei Aktionen, Wahlen sind sie wieder da. Echt verlogen, der Umgang.
Vieles passte zum Schluss eben einfach nicht mehr, na ja, auch, dass ich merkte, dass mich Männer wie Frauen anziehen. All diese niveaulosen Sprüche und diese ganzen Gewalttaten konnte ich auch nicht mehr ertragen. Ich war einfach auf dem falschen Weg.
Protokolle: Andreas Speit
Kameradschaften
In den vergangenen Jahren gelang es den "Freien Kameradschaften" (FK) vermehrt Jugendliche anzusprechen. Hier wirken militante Neonazis, gewaltbereite Naziskinheads und aggressive Rechtsrocker zusammen. Sie bieten einen Szenealltag an, im dem das Politische mit dem Privaten einhergeht: Partys, Aufmärsche, Konzerte oder einfaches gemeinschaftliches Abhängen. Mitte der 90er-Jahre riefen Neonazis wie Thomas Wulff und Christian Worch zu der Gründung von FK auf. Damals waren mehrere rechtsextreme Organisationen verboten wurden. Heute existieren etwa 200 FK, die oft mit der NPD zusammenarbeiten. Die Partei hat erkannt, dass das Angebot der FK jüngere Menschen viel mehr anspricht als das Parteileben. In den letzen Jahren entwickelten sich aus den FK die "Autonomen Nationalisten" (AN). Hier werden Aktionsformen und Styles von linken Autonomen kopiert. Die NPD ist den AN zu parlamentaristisch und zu moderat ausgerichtet. Die NPD befürchtet, dass die AN ihr bemüht bürgerliches Image gefährden könnten.
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