antifa.de: Auswertung zu Dresden 2009

geschrieben von Antifaschistische Linke Berlin (1. April 2009)

Die Gegenaktivitäten zum Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Februar 2009 stellen einen Perspektivenwechsel dar. Nie zuvor kamen mehr Menschen aus der gesamten BRD nach Dresden und brachten ihren Protest auf die Straße.
Trotzdem konnte der Nazi-Aufmarsch nicht gestoppt werden. Lest, wie das im nächsten Jahr gelingen kann. Diskutiert den Text, beteiligt Euch an den Vorbereitungen für die Proteste und kommt im Februar 2010 nach Dresden.

Dresden 2010 calling!
Auswertungstext der Antifaschistischen Linken Berlin [ALB] zu den Aktivitäten gegen den Neonazi-Großaufmarsch in Dresden am 14. Februar 2009

Times are changing
Die Gegenaktivitäten zum Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Jahr 2009 stellen einen Perspektivenwechsel dar. Nie zuvor kamen mehr Menschen aus der gesamten BRD nach Dresden und brachten ihren Protest auf die Straße: Etwa 4.000 Menschen nahmen an der Demonstration des neu gegründeten, bundesweiten Antifa-Bündnis „No Pasaràn!“ teil. 8.000 Menschen beteiligten sich an den Aktionen des zivilgesellschaftlichen „Geh Denken!“-Bündnis und mehrere Hundert an den Protesten des antideutschen „venceremos“-Bündnis am Vortag. Unbestritten ist die unterschiedliche inhaltliche und aktionistische Ausrichtung der Gegenproteste. Nichtsdestotrotz stellt allein die Masse an Menschen, die den Neonazi-Aufmarsch in Dresden als bundes-, ja europaweites Problem begreifen, einen eindeutigen Wandel dar. Unsere politische Bewertung der Vorbereitungen der Gegenproteste, des Verlaufes des 14. Februar 2009 und die Konsequenzen, die wir daraus für 2010 ziehen, sind Gegenstand dieses Textes.

„Hingehen, wo was geht“ – ALB und IL mobilisieren nach Dresden
Im Nachlauf der 2007 im Antifaschistischen Info Blatt (AIB) begonnenen Debatte um Ziele und Perspektiven antifaschistischer Politik fand im März 2008 in Marburg eine Podiumsdiskussion zwischen VertreterInnen der [ALB], Avanti, der Antifaschistischen Linken International Göttingen [ALI] und der Antifa KOK Düsseldorf statt. Als Folge der Diskussion entwickelte sich innerhalb des bundesweiten, bewegungsorientierten Zusammenschlusses Interventionistische Linke (IL) die Ansicht, dass der jedes Jahr in Dresden stattfindende Neonazi-Aufmarsch ein gemeinsames Thema für eine breit angelegte Antifa-Mobilisierung sein muss.
Gründe dafür waren und sind die Relevanz des Aufmarschs für die extreme Rechte, der dort vertretene Geschichtsrevisionismus und dessen thematische Anschlussfähigkeit an die bürgerliche Mitte in der BRD, in Sachsen und insbesondere in Dresden. Dort ist ein Neonazi-Aufmarsch von einer Dimension entstanden, der in der BRD aktuell ohnegleichen ist. Um es verkürzt, aber eindeutig zu sagen: In Dresden sind die politischen Koordinaten der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft weit nach rechts verschoben. Der gesellschaftliche Diskurs zum Thema Bombardierung und einhergehender Täter-Opfer-Umkehrung bewegt sich so weit rechts, dass ein gemeinsamer Trauermarsch von Neonazis und BürgerInnen möglich war. Hinzu kommt die Tatsache, dass am bürgerlichen Trauern auf dem Heidefriedhof um die deutschen Opfer der Bombardierung jedes Jahr wieder unwidersprochen Neonazis teilnehmen konnten.

Für uns als linksradikale Antifas ist hier der Anlass für eine massenhafte, bundesweite Intervention gegeben.

Wir werden siegen?
Die antifaschistische Gegenmobilisierung der letzten Jahre wurde vor allem durch antideutsche Antifa-Gruppen im Rahmen des so genannten „venceremos“-Bündnisses betrieben. Zugute halten muss man ihnen den Versuch, den Neonazi-Aufmarsch und seine Besonderheit, nämlich die Anschlussfähigkeit an bürgerliche Diskurse, immer wieder in den Mittelpunkt antifaschistischer Debatten zu rücken. Das Verharren auf einer theoretisch-philosophischen Ideologiekritik beschränkt antideutsche Antifa-Gruppen allerdings in ihrer praktischen Handlungsfähigkeit und führt in die politische Isolation. Ihr entkontextualisiertes Verwenden von Nationalfahnen, das für AntimilitaristInnen unerträgliche Abfeiern von Krieg und Kriegsmaterial in Layout und Texten, die undifferenzierte Gleichsetzung von BürgerInnen und Neonazis sowie das Diffamieren von zivilgesellschaftlichen Versuchen, den Neonazi-Aufmarsch zu stoppen, machten es bewegungsorientierten Antifas unmöglich, sich an den Bündnisbestrebungen  von „venceremos“ zu beteiligen.

Mit dieser Ausgangslage gründete sich Anfang 2008 in Dresden das „No Pasaràn!“- Bündnis. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, mehr Gruppen aus der antifaschistischen und linksradikalen Bewegung zu mobilisieren und in gegenseitiger Bezugnahme auch mit bürgerlichen Neonazi-GegnerInnen zusammenzuarbeiten. Primäres Ziel war es im Gegensatz zu der Antifa-Mobilisierung der letzten Jahre, sich nicht an den BürgerInnen abzuarbeiten, sondern den größten Neonazi-Aufmarsch in Europa zu verhindern.
In diesem „No Pasaràn!“-Bündnis sahen wir als Antifaschistische Linke Berlin [ALB] und Teil der Interventionistischen Linken (IL) unseren lokalen Referenzpunkt für eine Intervention. Mit einer bundesweiten antifaschistischen Großmobilisierung betraten wir 2009 absolutes Neuland in Dresden.

Berlin fährt Zug
Die An- und Abreise von AntifaschistInnen aus Berlin wurde 2009 bewusst per Bahn organisiert. Hintergrund dessen war, dass schon auf der Anreise als „kritische Masse“ agiert werden sollte, die ein erfolgreiches gemeinsames Handeln in Dresden begünstigen könnte. Zudem gab es in den Jahren davor regelmäßig Angriffe von Neonazis im Zug. Durch die gemeinsame Fahrt konnte dies 2009 – zumindest für AntifaschistInnen aus Berlin – verhindert und den Neonazis etwas Platz in den öffentlichen Verkehrsmitteln streitig gemacht werden.

Allerdings kam es bereits am Treffpunkt in Berlin zu grundlosen Übergriffen der Polizei, die Verletzte und Anzeigen nach sich zogen. Den wenigen Neonazis im Zug wurde genau so viel Platz wie den ca. 400 AntifaschistInnen zugesprochen und die Abfahrt des Zuges massiv verzögert. Beim Umsteigen auf der Strecke nach Dresden gewährleistete die Polizei schließlich, dass in den Anschlusszug vor allem Neonazis einsteigen durften. Viele Berliner AntifaschistInnen kamen dadurch erst mit einiger Verspätung in Dresden an.

Ein derartiges polizeiliches Vorgehen ist unserer Einschätzung nach weder spontan noch zufällig. Es lässt sich allerdings auch durch eine gemeinsame Fahrt im Buskonvoi nicht ausschließen. Dies zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen bei vorhergegangenen Großmobilisierungen wie beispielsweise nach Köln gegen den Anti-Islamisierungs-Kongress im September 2008.

Zum Tag selber – Bilder, die weltweit zu verstehen sind
In Dresden fand mit 4.000 TeilnehmerInnen die bisher größte Antifa-Demo statt. Grundlage dafür war die bundesweite Mobilisierung durch bewegungsorientierte Antifa-Strukturen und IL, die auf eine Blockade des Neonazi-Aufmarsches zielte. Hier bleibt festzuhalten: Der Neonazi-Aufmarsch konnte in keiner Weise behindert oder gar verhindert werden. Das muss im nächsten Jahr anders werden.

Für den Verlauf des 14. Februar 2009 bedeutsam war insbesondere das skandalöse und eindeutig gegen links gerichtete Polizeikonzept: Die „No Pasaràn!“-Demo durfte nicht die vorgesehene Route gehen, wurde mehrmals von teilweise schwerbewaffneten Polizeieinheiten angegriffen, musste mit nahezu komplettem Spalier laufen und wurde am Ende gekesselt. Währenddessen marschierten nahezu 7.000 Neonazis aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland unbehelligt und frei von direkten Protesten durch Dresden. In unmittelbarer Nähe des Aufmarsches war kaum Polizei eingesetzt. Dies hatte zur Folge, dass die Neonazis die behördlichen Auflagen durchaus frei auslegten, teilweise vermummt und bewaffnet marschierten und JournalistInnen am Rande angriffen.

Im Anschluss an die Antifa-Demo kam es zu verschiedenen militanten Aktionen gegen die Polizei und deren Fahrzeuge. Diese Aktionen sind absolut nachvollziehbar vor dem Hintergrund der durch die Stadt Dresden und die Polizei provozierten Eskalation im Vorfeld und während der Demo, der weiträumig abgeschirmten Neonazis und vielen teilweise schwer verletzten DemonstrantInnen. Autonomer Antifaschismus heißt auch Unversöhnlichkeit mit den bestehenden Verhältnissen und nicht das schweigende Hinnehmen von staatlicher Gewalt.

Kann Dresden Köln?
Die bürgerlichen Gegenproteste des „Geh Denken!“-Bündnis, dem neben Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen vor allem demokratische Parteien links von CDU und FDP angehörten, mobilisierten ebenfalls bundesweit gegen den Neonazi-Aufmarsch und schafften es immerhin ca. 8.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Dies ist selbstverständlich zu begrüßen.
Vergessen werden darf aber nicht, dass diese Anstrengungen zum Auftakt des Superwahljahres 2009 von statten gingen, in dem sich alle Parteien als der wirksamste Akteur im Kampf gegen Rechts präsentieren wollen.

Ein großes Problem in Dresden stellen die vollkommen unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Strukturen und Rahmenbedingungen im Vergleich zu Köln oder anderen Städten in den westlichen Bundesländern dar. Die meisten TeilnehmerInnen der Gegenproteste kamen über die bundesweite Mobilisierung von außerhalb. In Dresden selbst ist es den fortschrittlichen Teilen der Zivilgesellschaft bisher nicht gelungen, in die Offensive zu kommen. Das bereits erwähnte gesellschaftliche Klima und die insbesondere von der CDU vorangetriebene „Extremismus-Theorie“ münden vor Ort regelmäßig in einer Gleichsetzung von Links und Rechts sowie in der Forderung nach einem stillen Gedenken an die Opfer der Bombardierung. Protest gegen Neonazis ist darin nicht vorgesehen. Von Seiten der Stadt Dresden wurde noch nicht einmal versucht, den Aufmarsch zu untersagen. Im Gegenteil: Ordnungsamt und Gerichte haben den Nazi-Aufmarsch explizit gleichberechtigt mit den anderen Demonstrationen behandelt.

Diese Situation macht es für 2010 noch wichtiger, den Aufmarsch als bundesweites Problem zu begreifen, politischen Druck von Außen zu erzeugen und breit nach Dresden zu mobilisieren. Gleichzeitig muss sich in Dresden aber auch die Erkenntnis durchsetzen, dass Symbolpolitik fernab der Neonazis nichts bringt – wirkungsvoller Protest kann nur heißen, den Aufmarsch der Neonazis direkt zu blockieren.

In diesem Zusammenhang kritisieren wir insbesondere die Symbolpolitik des „Geh Denken!“-Bündnisses. Im Vorfeld des 14. Februar mobilisierten Teile dieses Bündnisses unter anderem mit der Parole „Dresden kann Köln!“ und spielten damit auf die massenhafte Blockade des Anti-Islamisierungs-Kongress im September 2008 an. Am Tag selber war von solcher Entschlossenheit wenig zu spüren: Fernab der Neonazis wurden Bühnen aufgebaut, Reden gehalten, Bratwürste gegessen und Demos durchgeführt. Eine Blockade des Neonazi-Aufmarsches wurde von „Geh Denken!“ zwar im Vorhinein thematisiert – am Tag selber aber nicht einmal ansatzweise versucht. Darin liegt eine gravierende Schwäche in diesem Jahr, aber auch eine Chance für die Zukunft. Wie in Köln 2008 muss es in Dresden künftig gelingen, dass Antifas und zivilgesellschaftliche Kräfte zusammen oder in gegenseitiger Bezugnahme den Neonazi-Aufmarsch blockieren wollen und am entsprechende Tag alles Mögliche tun, um dies in die Tat umzusetzen. Um die Parole „Europas größten Nazi-Aufmarsch stoppen“ ernst nehmen zu können, muss dazu ein Sinneswandel beim „Geh Denken!“-Bündnis stattfinden.

Noch ist nicht allerdings absehbar, ob sich in diesem heterogenen Bündnis diejenigen durchsetzen werden, die CDU, FDP und die Stadt Dresden mit ins Boot holen und weiter auf Symbolpolitik setzen wollen, oder ob es den FreundInnen des praktischen Antifaschismus im Bündnis gelingen wird, im Sinne einer tatsächlichen Verhinderung des Neonazi-Aufmarschs zu agieren. Nicht unwesentlich wird dabei sein, wie sich die Partei DIE LINKE im Lauf des nächsten Jahres positioniert, welche Rolle sie einnehmen will und wie sie ihre Aufgabe definiert. In diesem Jahr hat die Partei alle drei Bündnisse vor Ort unterstützt, direkt mobilisiert wurde von ihren führenden VertreterInnen allerdings nur für die Aktivitäten von „Geh Denken!“. Für das kommende Jahr erwarten wir eine klare und öffentliche Positionierung für eine Blockade der Neonazis – auch innerhalb des Geh Denken-Bündnisses.

Don`t look back in anger – Dresden 2010
Zusammenfassend halten wir fest: Dresden 2009 war mit 7.000 Neonazis der größte und erfolgreichste Aufmarsch der letzten Jahre in Deutschland und Europa.

Trotzdem war es auch mit Abstand die erfolgreichste Antifa-Mobilisierung seit dem Bestehen des Neonazi-Großaufmarsches. Nie waren sich mehr Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet der Problematik bewusst und wollten sich dieser annehmen. Nie war die Zahl derer, die sich aktiv dagegen stellen wollten, größer.

Besonders begrüßen wir, dass sich in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Neonazi-Großevent ein Wandel vollzogen hat und die Gegenaktivitäten nun auch von bewegungsorientierten linksradikalen Gruppen unterstützt werden. Gleichwohl sind 2009 nicht annähernd alle Vorstellungen umgesetzt worden – der Neonazi-Aufmarsch konnte weder be- noch verhindert werden.

Um dies zu erreichen, muss in Dresden Einiges geschehen. Eine antifaschistische und radikale Linke, die sich politisch ernst nimmt, muss 2010 enorme Anstrengungen verwenden, um den Neonazi-Aufmarsch in Dresden zu blockieren und zu verhindern. Die Auseinandersetzung mit dem Geschichtsrevisionismus der extremen Rechten und der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit muss hierbei inhaltliche Grundlage sein.

Blockade und Verhinderung des Neonazi-Aufmarschs müssen von Antifa und Zivilgesellschaft klar und offen als gemeinsames Ziel formuliert werden. Entsprechend muss an dem Tag und im Vorfeld zusammen agiert werden. Die Grundlagen hierfür sind dieses Jahr gelegt worden. 2010 müssen sowohl die antifaschistische als auch die zivilgesellschaftliche Mobilisierung größer und entschlossener werden – und in gegenseitiger Bezugnahme und Akzeptanz vorgehen. Die Relevanz des Neonazi-Aufmarsches und die Einbettung in die speziellen gesellschaftlichen Gegebenheiten in Sachsen und vor allem in Dresden dürften 2009 durch die mediale Aufmerksamkeit noch mehr Menschen deutlich geworden sein. Daran gilt es in den nächsten Jahren anzuknüpfen.

Unsere Aufgabe ist es, jetzt direkt weiter zu machen und neue Ausgangslagen für nächstes Jahr zu schaffen. Wir müssen Neonazi-GegnerInnen noch besser vernetzen und die Zusammenarbeit zwischen Antifa und Zivilgesellschaft stärken, um gemeinsame Aktionen im Jahr 2010 vorzubereiten und dann auch umzusetzen.

Für die Antifaschistische Linke Berlin wird es auf jeden Fall auch 2010 wieder heißen „No Pasaràn! Kein Ort für die Verdrehung der Geschichte – Den Neonazi-Großaufmarsch in Dresden verhindern!“.

Antifaschistische Linke Berlin [ALB], März 2009

 

Quelle:

http://www.antifa.de/cms/content/view/1049/32/

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