Die grüne Fraktion im Stadtrat beschallt nun schon traditionell den jährlich stattfindenden Naziaufmarsch am 13. Februar in Dresden vom Rathaus aus mit Klezmermusik. Wegen dieser Aktion während des Naziaufmarsches am 13. Februar im Jahr 2008 wurde nun der grüne Stadtrat Stephan Kühn zu einer Geldstrafe von 150 Euro verurteilt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wurde eine Rede der Nazis durch „laute, jüdische Musik“ gestört. Dazu gibt es einen ausführlichen Artikel aus der Jungle World.
jungle world | 28 | 9. Juli 2009
Ruhe für die Landsmannschaft
Darf
man mit »lauter, jüdischer Musik« einen Aufmarsch von Nazis stören?
Nein, findet die Staatsanwaltschaft Dresden und fordert 150 Euro
Bußgeld von einem Stadtrat der Grünen.
von Matthias Galle
Dresden macht es den Nazis nicht allzu schwer. Dieser Eindruck
entsteht zumindest angesichts des Umgangs der Behörden mit den
Protesten gegen die jährlichen rechtsextremen Demonstrationen zum
Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Auch in
diesem Jahr durften die Nazis auf ihrer Route unter anderem durch die
barocke Altstadt marschieren. Das Ordnungsamt und die Polizei
verhinderten dabei einen wirkungsvollen und für die Nazis deutlich
wahrnehmbaren Protest.
Am Mittwoch vergangener Woche reichte die Staatsanwaltschaft Dresden
nun auch noch einen Strafbefehl nach, der sich gegen eine gelungene
Missfallensbekundung richtete, die sich die Grünen im vergangenen Jahr
einfallen ließen. Als der von der »Jungen Landsmannschaft
Ostdeutschland« angemeldete »Trauermarsch« zum Jahrestag der
Bombardierung Dresdens am Rathaus vorbeigezogen sei, haben die Grünen
in ihren Fraktionsräumen eine »große Anlage und Boxen aufgebaut« und
den Platz vor dem Rathaus beschallt, berichtet der Fraktionssprecher
Jens Hoffsommer der Jungle World. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft
Dresden störte dies die »zu dieser Zeit gehaltene Rede«, die
unterbrochen werden musste, wie es in der Anklageschrift heißt. Die
Staatsanwaltschaft sah damit den Aufmarsch der Nazis gestört. Der
grüne Stadtrat Stephan Kühn müsse nun 150 Euro bezahlen, teilte seine
Fraktion mit.
Wie es die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift formulierte,
habe es sich bei den abgespielten Klezmer-Stücken um »laute, jüdische
Musik« gehandelt. »Dieser Jargon ist schon seltsam«, kommentiert Jens
Hoffsommer die Beschreibung. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft
Dresden, Christian Avenarius, entschuldigt die Formulierung als
»unangebracht«. Sie beruhe vermutlich auf einem Versehen, sagt
Avenarius der Jungle World. Dass jedoch durch diesen Fehler der
Eindruck entsteht, dass ausgerechnet Nazis nicht von als »jüdisch«
wahrgenommener Musik gestört werden sollten, führt nicht gerade zu
einem besseren Bild vom Umgang der Behörden mit den Naziaufmärschen.
Kati Lang von der Dresdner Beratungsstelle für Betroffene
rechtsextremer und rassistischer Gewalt sieht in dem Bußgeld, das gegen
Kühn verhängt wurde, »ein fatales Signal an die Öffentlichkeit«. Denn
an dem Tag, als den Grünen der Bescheid der Staatsanwaltschaft
zugestellt wurde, sprach das Amtsgericht im nur wenige Kilometer
entfernten Meißen fünf Nazis frei. Diese hatten im August 2006 an einem
nicht genehmigten Aufmarsch zu Ehren von Rudolf Heß in Meißen
teilgenommen. In der Demonstration, bei der unter Trommelschlägen und
im Fackelschein Parolen wie »Rudolf Heß – Märtyrer des Friedens«
geäußert wurden, sah das Amtsgericht Meißen allerdings keine Störung
des öffentlichen Friedens. »Während zivilcouragierter Protest verfolgt
und mit Strafe belegt wird, werden den Nationalsozialismus
verherrlichende Aufmärsche geduldet«, kommentierte Kati Lang die beiden
Gerichtsentscheidungen in einer Mitteilung.
Von dem zu zahlenden Bußgeld wollen sich die Grünen im Dresdner Stadtrat nicht einschüchtern lassen.
Sollten die Nazis am 13. Februar erneut auf dem Vorplatz des Rathauses
erscheinen, »werden wir uns wieder etwas einfallen lassen«, sagt Jens
Hoffsommer. Ein ähnliches Verfahren gegen die Fraktion wurde 2007 noch
ohne Auflagen eingestellt. Nun droht beim nächsten musikalischen
Protest wohl erneut ein Bußgeld.
»Es erfordert eine unglaubliche Menge an Toleranz, wenn man sieht,
wie weit die Demonstrationsfreiheit geht«, sagt Avenarius, der Sprecher
der Staatsanwaltschaft, mit Blick auf die Naziaufmärsche. Genauso klar
ist für ihn jedoch auch, dass Straftaten verfolgt werden müssen. Und
deshalb dürfte wohl auch in Zukunft einer Beschallung aus dem Rathaus
ein Brief der Staatsanwaltschaft folgen – eine neue unter den
zahlreichen Unannehmlichkeiten rund um den 13. Februar in Dresden.