ak: Wenn der Wind durch die Elbstadt pfeift – Warum Neonazis jedes Jahr in Dresden marschieren

In der aktuellen Ausgabe der ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis gibt es zwei Artikel zum 13. Februar in Dresden. Der eine Artikel beschäftigt sich mit den Neonazis und findet sich hier online.
Der andere Artikel, geschrieben vom Bündnis "No pasarán", widmet sich dem Mythos Dresden und liefert Einschätzungen zum aktuellen Stand der Gegenaktivitäten. Dieser Artikel ist bis zur Januarausgabe der ak nur durch den Erwerb einer ak im gut sortierten Zeitschriftenladen erhältlich 😉


ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis
/ Nr. 545 / 18.12.2009

Wenn der Wind durch die Elbstadt pfeift

Warum Neonazis jedes Jahr in Dresden
marschieren


Kalt ist es, während sich tausende Neonazis durch
die Straßen und über die Brücken Dresdens schieben. Jedes Jahr ein
ähnliches Bild: ein Meer von gesenkten schwarzen Fahnen, ein Marsch
ohne Parolenrufe, begleitet von klassischer Musik. Und doch ist
das, was dort zu sehen ist, alles andere als besinnlich. Was hier
jedes Jahr im Februar stattfindet, ist der größte regelmäßige
Naziaufmarsch in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa. Und auch
wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht auffallen mag: Wenn
Neonazis über Deutschland heulen, meinen sie damit in der Regel das
"wahre Deutschland", und das wiederum meint nichts anderes als den
Nationalsozialismus.

Zunächst war es nur eine Handvoll Neonazis, die sich in den
1990er Jahren dem bürgerlichen Gedenken an die Bombardierung
Dresdens im Februar 1945 anschloss. Ende des Jahrzehnts begannen
dann die anfänglich zahlenmäßig überschaubaren Naziaufmärsche. Über
die Jahre hat sich das, was die Neonazis unter öffentlichem
Gedenken verstehen, nicht nur vergrößert, sondern immer weiter
ausdifferenziert. Als "Trauermarsch" inszeniert, geht es ihnen,
anders als bei tagespolitischen Anlässen, um das Würdevolle, das
Insichgekehrtsein. Geht es nach ihnen, soll sich über interne
politische Differenzen zumindest an diesem Tag ein Schleier von
Tränen legen.

Veranstaltet wird dieses gruselige Zusammenkommen seit Jahren
von der ehemalige Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO),
die sich 2005 wegen ihrer extrem rechten Orientierung in Junge
Landsmannschaft Ostdeutschland
umbenennen musste.
Mitveranstalter ist die NPD. Beide fordern, den 13. Februar zum
"offiziellen Gedenktag der Bundesrepublik" zu erklären. Schließlich
sei Dresden der Höhepunkt der "Vernichtungspolitik" gegen das
"östliche Deutschland" gewesen und daher als Gedenkort besonders
gut geeignet.

Zwischenzeitlich gab es für JLO und NPD Konkurrenz aus den
eigenen Reihen: Das Aktionsbündnis gegen das Vergessen
(AgdV) – ein Bündnis aus Freien Kameradschaften und Teilen der NPD
– witterte Vereinnahmungsversuche und veranstaltete einen eigenen
Aufmarsch, nicht am Samstag, sondern am Jahrestag selber. 2010
fällt der Jahrestag jedoch auf einen Samstag, und prompt werden
alle Bedenken über Bord geworfen. So wurde bereits angekündigt,
dass es nur einen Aufmarsch geben solle.

Obwohl sich die extreme Rechte über die Bedeutung des Gedenkens
an die Zerstörung Dresdens im Grunde einig ist, gibt es doch
Unterschiede in den Schwerpunktsetzungen und inhaltlichen Bezügen.
So bemüht sich z.B. die JLO stärker als das AgdV um ein bürgernahes
Auftreten, indem sie versucht, "den Dresdner" anzusprechen. Sie
betont, dass die Deutschen gekämpft hätten, nicht "weil sie für
Hitler waren, sondern weil sie ihr Vaterland retten wollten, das in
eine schier auswegslose Situation geraten" sei. "Ahnungslos", so
heißt es, sei das "deutsche Volk" gewesen – deutscher Opfermythos
par excellence.

Dabei fing es doch eigentlich ganz harmlos an


Wie es zur Situation von 1945 gekommen ist, wird weitgehend
ausgespart – Deutschland ist halt irgendwie in diesen Krieg
hineingeschliddert. Nicht der Nationalsozialismus selbst steht im
Mittelpunkt, sondern das Kriegsende. Diese Fokussierung findet sich
auch bei anderen neonazistischen Bearbeitungsversuchen deutscher
Geschichte, sei es in Bezug auf das Gedenken an deutsche Soldaten
oder an einzelne vermeintliche Heldenfiguren. Solche Erzählungen
liefern eine Erklärung für das Ende der NS-Herrschaft und versuchen
gleichzeitig, die Niederlage mit einer direkten Anklage in einen
moralischen Gewinn umzudeuten. Als "größter Vernichtungsschlag
aller Zeiten" (JLO) wird mit dem Mythos Dresden nicht nur die
Hinterlistigkeit und Brutalität des Feindes behauptet, Ziel
alliierten Handelns sei die Auslöschung des "deutschen Volkes"
gewesen. Um das zu beweisen, wenden sich beispielsweise die
Freien Nationalisten Gladbeck gegen die "unrealistischen
Zahlen" der durch die Bombardierungen Getöteten; diese würden "auf
den Erforschungen von Besatzereinheiten" beruhen, die "Deutschland
seit dem 8. Mai 1945 beherrschen".

Aus diesem Grund sieht die JLO im "standhaften Einsatz für die
historische Wahrheit" ihren Auftrag, den es auch heute gegen
staatliche Repression und politische Anfeindungen zu verteidigen
gelte. So wird das Gedenken in Dresden zum persönlichen Bekenntnis
zu dieser vermeintlichen Wahrheit, welches es alljährlich zu
erneuern gilt: "Denn die Toten mahnen uns. Ihr Opfer ist unser
Auftrag!" (AgdV)

Die alte Geschichte von der falschen
Wahrheit


Doch es kommt noch schlimmer: Sogar der Geist dieser Toten "lebt
hunderttausendfach in uns fort", meint das AgdV. Und die JLO setzt
in punkto Pathos noch eins drauf, wenn sie meint, nur die
Erinnerung könne die "Vernichtung der deutschen Volkseele"
verhindern. Wer es tatsächlich wagt, nicht zu erinnern, übt "Verrat
am deutschen Volk" – wohl eines der schlimmsten Verbrechen, die ein
Neonazi begehen kann.

Die Besinnung auf das deutsche Leid soll dem Neonazi von heute
vor Augen führen, dass all seine Sorgen und Nöte verblassen vor den
großen Opfern seiner Vorfahren. Die nämlich haben gekämpft, und
zwar für Deutschland und für den Nationalsozialismus. Entsprechende
Transparente bleiben da nicht aus: "Großvater, wir danken Dir!"

Die Luftkriegslegenden der Neonazis haben vornehmlich eine
emotionale und identitätsstiftende Funktion. Geschichte wird dabei
zur Glaubensfrage, und zur "Wahrheit" wird, woran geglaubt werden
soll. Da wird dann eben so viel Schreckliches aufs Tapet gebracht,
wie man zur Einstimmung auf das alljährliche neonazistische
Trauerspektakel benötigt.

Aber nur weil es für Neonazis keine Rolle spielt, dass ihre
"Wahrheiten" widerlegbar sind, heißt das nicht, dass es nicht
richtig wäre, dies trotzdem zu tun. Und es heißt vor allem, sich
Wege zu überlegen, wie dieser Großveranstaltung beizukommen ist.
Wie auch immer die Neonazis diesen Tag gestalten werden, in ihrer
"Ruhe" alleine lassen sollte man sie jedenfalls nicht.

Maike Zimmermann



Quelle: http://www.akweb.de/ak_s/ak545/40.htm

One comment