Der 13. Februar in Dresden, die Antifa und das Gedenken

Auf Indymedia wurde der Aufruf des anderen Antifabündnis zum 13. Februar 2009 ausführlich kritisiert. Wir dokumentieren hier den Indymedia-Artikel vom 1.1.09.

 

In diesem Jahr gibt es zwei Gruppen die den antifaschistischen Protest anlässlich des 13. Februar vorbereiten. Die organisatorische Trennung ist dabei Ausdruck inhaltlicher Differenzen, die in Dresden zwar schon immer vorhanden waren, nun aber mehr oder weniger offen zum Tragen kommen. Gleichwohl stehen sich die beiden Kreise nicht feindlich gegenüber und man ist bemüht um eine konstruktive Zusammenarbeit. Inhaltliche Debatten kann und soll dies jedoch nicht verhindern. Der Aufruf des Vorbereitungskreises ‚Keine Versöhnung mit Deutschland‘ bleibt damit nicht unumstritten.

Die wesentlichste Konfliktlinie zwischen beiden Gruppen ist dabei der Umgang mit dem bürgerlichen Gedenken. Während ‚No Pasaran‘ zu einem pragmatischen Umgang mit den bürgerlichen Kräften neigt und Bündnispartner sucht, um gegen den Naziaufmarsch vorzugehen, scheint der andere Vorbereitungskreis den Bürgern gegenüber unversöhnlich, so sie sich auch an den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten beteiligen. Das bürgerliche Gedenken wird abgelehnt, da es Geschichtsrevisionismus impliziert. Gegen diese Sichtweise richtet sich der folgende Text.

Im Aufruf wird festgestellt: "Das in der sächsischen Landeshauptstadt alljährlich zelebrierte Gedenken an die Toten der Bombardierung ist dabei weit mehr als die Erinnerung an ein historisches Ereignis"
So richtig es sicher ist, dass es beim Gedenken nicht alleine um ein bloßes Erinnern an historische Ereignisse geht, impliziert dieser Satz jedoch, dass es auch darum geht. Folgerichtig würde ein Abschaffen des Gedenkens auch bedeuten, dass man ob gewollt oder nicht, eine Möglichkeit entfernt, an historische Ereignisse zu erinnern.

Das Gedenken abzuschaffen ist jedoch erklärtes Ziel, denn es heißt auf der Homepage ‚Venceremos‘: "Die […] schlechte Nachricht ist, dass das öffentliche Gedenken immer noch nicht der Vergangenheit angehört." und auf dem Mobilisierungsplakat heißt es unumwunden: "Gedenken abschaffen".
Wenn, weil die Art und Weise der Durchführung des Gedenkens nicht gefällt, man also das Gedenken abschaffen will, muss sichergestellt werden, dass durch andere Formen der Reflektion an Geschichte, dieser Verlust kompensiert werden kann.
Tut man dies nicht, heißt das Teile der Geschichte aus dem Diskurs heraushalten zu wollen. Dies bedeutet jedoch die Rekonstruktion der Geschichte, die eo ipse schon nicht objektiv sein kann, mutwillig zu verfälschen, da man Teile nicht erzählt will.

Doch genau das wird getan, wenn es heißt: "Die einzige vernünftige Konsequenz aus der deutschen Geschichte bleibt der bedingungs- und kompromisslose Bruch mit ihr."
Dazu sei angemerkt, dass ein Bruch mit der Geschichte nicht möglich ist. Es gibt die sprichwörtliche ‚Stunde Null‘ nicht. Der flüchtige Moment der Gegenwart wird stets zur Vergangenheit, und die Vergangenheit wirkt immer auf Gegenwart und Zukunft ein. Die geforderte weltweite Amnesie ist ja auch nur das Ergebnis, aus den angeblichen Lehren die aus der deutschen Geschichte zu ziehen sind. Man sieht, selbst bei einem praktisch nicht umsetzbaren Bruch mit der Geschichte, kommt man von selbiger nicht los, da sie selbst Anlass für den Bruch ist. Ungeklärt auch, wie man mit den Artefakten der Geschichte umgehen will, konsequenterweise müssten diese vernichtet werden. Dies würde etwa bedeuten Gedenkstätten bzgl. des 9. Novembers zu schleifen. Man kann nicht annehmen, dass die Autoren beim Schreiben des Aufrufes derartiges im Sinn hatten, es ist jedoch die Konsequenz daraus.

Ein Bruch mit der Geschichte zu vollziehen, heißt eben sich von ihr zu lösen, die Verbindungen zu kappen. Der Preis wäre nicht nur das Vergessen der Opfer, sondern dass man sich auch jeder Möglichkeit versagt, aus den Dramen der Geschichte noch etwas zu lernen. Dass eine Auslöschung eines Teils der Geschichte die höchste Form der Geschichtsfälschung ist, muss man im Hinterkopf behalten wenn die Autoren formulieren: "Wer ihn [den Bruch (A.d.A)] nicht vollziehen will, kommt um eine umfassende Revision und Verfälschung dieser Geschichte nicht herum[…]"
Dieser Ausspruch ist im höchsten Maße unverständlich, da es doch gerade der Bruch mit der Geschichte ist, der dazu führt, was eigentlich verhindert werden soll.

Der Irrtum kann nur erklärt werden, dass der Begriff ‚Bruch‘ hier systematisch falsch verstanden worden ist. Ohne hier eine Exegese betreiben zu wollen, lässt sich vielleicht doch erhellen, was die Autoren mutmaßlich mit diesen Aussagen meinen könnten.
‚Bruch mit der Geschichte‘ scheint in diesem Text so etwas wie die maximale Opposition zum Geschehenen zu bedeuten und auch, dass sich aus der Gegnerschaft gegenüber des historischen Nationalsozialismus sich für die Autoren zwingend ergibt, gegen das öffentliche Gedenken in Dresden sein zu müssen, denn es heißt: "Der notwendige Bruch mit der deutschen Vergangenheit dagegen impliziert die unnachgiebige Kritik des Dresdner Trauerspektakels in allen seinen Gestalten."
Aus einer antifaschistischen Perspektive heraus ist die Geschichte zu erzählen, und das bedeutet für die Autoren, dass die Dresdner Bevölkerung kategorial in Täter oder Opfer einzuteilen ist. Für Grautöne ist dort kein Platz oder wie es dort ausgedrückt wird: "Deutsche Täter_innen sind keine Opfer."

Ohne die Debatte hinsichtlich der Objektivität von Geschichtswissenschaft vertiefen zu wollen, scheint jedoch offensichtlich, dass so man sich, aus welchen Gründen auch immer, explizit auf eine Seite schlägt, die Objektivität leiden muss und das Ranksche Ideal, zu erzählen ‚wie es eigentlich gewesen ist‘, dabei zwangsläufig in weite Ferne rückt. Das man dies mit einem Anspruch tut, etwas gegen Geschichtsfälschung zu unternehmen, ist jedoch bei weitem nicht der einzige Widerspruch in diesem Text.


‚In der Woche um den 13. Februar herum trifft sich die kollektive Trauer deutscher Bürger_innen um sogenannte "deutsche Opfer" mit dem zur Zeit größten Nazi-Aufmarsch Europas. Beide vereint die Suche nach kollektiver Identität […]‘

Es ist zu fragen, welche kollektive Identität der ‚deutschen Bürger‘ denn gemeint ist. Augenscheinlich – "[…]Rekonstruktion deutscher Identität[…]" – scheint es sich hierbei um die nationale Identität zu gehen.

Es ist unbestritten, dass in Dresden zahlreiche Bürger mit deutschem Pass sich während des Jahrestages in Dresden einfinden. Dass der deutsche Bürger an sich dies aber tut, kann angesichts der äußerst niedrigen Teilnehmerzahl bei den bürgerlichen Gedenkveranstaltungen wahrlich nicht behauptet werden. Dass der 13. Februar bedeutend für die Lokalgeschichte ist und darüber hinaus auch zum allgemeinen Bildungskanon gehört, sollte jedoch nicht dazu führen, anzunehmen, der deutsche Bürger suche hier seine Identität, denn so wichtig ist der 13. Februar nun bei weitem nicht für das Selbstbewusstsein der Deutschen. Für die historische Untermalung der deutschen Identität muss da eher der 3. Oktober, der 9.November oder gar wie der Spiegel (51/2008) neulich bewies sogar die Varusschlacht herhalten, wobei letzteres ein schönes Beispiel für Mythenbildung ist, liegt die Auseinandersetzung immerhin rund 1800 Jahre vor der Ausbildung des ersten Nationalstaates.
Historisch betrachtet ist Deutschland, im Gegensatz zu etwa Frankreich, eine Kulturnation. Für die Konstruktion der nationalen Einheit also vor allem Kultur und Sprache entscheidend. Die Behauptung auf der Suche nach nationaler Identität komme man nach Dresden also völlig übertrieben. Zwar ist die Geschichte als Bezugspunkt für die ‚Schicksalsgemeinschaft‘ von hohem Interesse, vor allem die Sprache ist hier jedoch vor allem für die deutsche Nation, ebenso wie für viele andere, von viel vitalerem Interesse. Dies zeigte sich auch jüngst als Teile der CDU Deutsch in den Verfassungsrang erheben wollten.

Auch der gemeine Nazi musste nicht erst nach Dresden kommen um sein rassistisches und antisemitisches Weltbild zu finden, er hatte es wohl schon vorher. Dass Großveranstaltungen jedweder Art für die Stärkung einer kollektiven Identität nützlich sind, steht dem nicht entgegen und ist auch beileibe nicht auf die rechte Szene beschränkt. Man hat fast den Eindruck, als habe der Mythos Dresden auch bei denjenigen seine Spuren hinterlassen, die vorgeben ihn so radikal zu kritisieren. Denn zusammenfassend lässt sich sagen, dass wohl niemand nach Dresden kommt auf der Suche nach einer kollektiven Identität. Dass diese hier gefestigt und gestärkt wird kann als gegeben angenommen werden. Insofern macht es sicher Sinn in Dresden zu intervenieren, allerdings wird in Dresden weder über die Ausgestaltung der deutschen Nation, noch über Wohl und Wehe des selbst ernannten nationalen Widerstandes entschieden.

Problematisch ist jedoch vor allem wie in dem Aufruf immer wieder Nazis und Bürger in einem Atemzug genannt werden. So war, wie bereits erwähnt, nicht nur von der Suche nach kollektiver Identität die Rede, die Bürger wie Nazis betreiben, sondern es heißt auch weiter:

"Die untereinander konkurrierenden Strömungen des Dresdner Gedenkens schreiben die deutsche Ideologie fort und stellen sich damit in die Tradition der deutschen Täter_innen."

Das sich die Neonazis und Altnazis teils auch ganz bewusst in die Tradition der Nationalsozialisten stellen ist sicher keine bahnbrechende Erkenntnis. Die Behauptung jedoch, dass Bürger sich in eine Tradition von Nazis stellen ist bemerkenswert.
Dass es bei einer solch heterogenen Gruppe von Bürgern, Personen und Personengruppen gibt, die nicht linksradikalen Standards erfüllen, dürfte keine Überraschung sein. Auch dass bei einigen Vertretern der Bürger vielleicht so manches rassistisches und antisemitisches Ressentiment vorhanden ist, kann man sicher nicht ausschließen.
Bei aller berechtigten Kritik, die es an Bürger geben mag, eine Nivellierung ihrer Position auf die der Nazis entbehrt jedweder Grundlage. Nicht umsonst verzichtet man auch vollständig auf Belege von Äußerungen der entsprechenden Protagonisten, die einen solchen Schluss zulassen würden. Für die Autoren des Aufrufes scheint alleine die Teilnahme an einem Gedenken auszureichen.

Eine komplette Gleichsetzung von Nazis und Bürgern findet freilich nicht statt, so wird den Bürgern immerhin zugestanden, dass sie den Nationalsozialismus ablehnen. Natürlich ist dies nur ein gemeiner Trick der Bürger, denn: "[…] so bezieht das aktuelle Gedenken sein Selbstbewusstsein perfiderweise gerade daraus, dass es behauptet, im eigenen Trauern den Nationalsozialismus abzulehnen und der deutschen Geschichte vollständig Rechnung zu tragen[…]"
Spätestens an dieser Stelle muss man sich die Frage stellen, was denn von den Bürger erwartet wird. Man kann sicher nicht davon ausgehen, dass eine Stadt ihre eigene partielle Zerstörung feiert, auch wird man von eventuellen Angehörigen nicht erwarten können, dass der Tod geliebter Menschen bejubelt werden wird.
Was man jedoch erwarten kann ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte, sowohl mit der allgemeinen Stadtgeschichte als natürlich auch mit der individuellen Lebensgeschichte der Opfer der Angriffe. Welche Rolle sie während der Zeit des Nationalsozialismus gespielt haben, ist zu erfragen und wie man heute dazu verhält, das sind die Fragen die zu stellen sind. Und die Antworten sind es die ‚No Pasarán‘ auch einfordern wird.

Doch selbst die klare Benennung des Kontextes in dem sich der 13. Februar abgespielt hat, scheint den Vertretern des anderen Vorbereitungskreises nicht zu genügen.

‚Die Ablehnung des deutschen Nationalsozialismus im gewandelten Dresden-Gedenken erfolgt nicht durch die Konfrontation des eigenen Tuns mit der geschichtlichen Erfahrung, sondern allein dadurch, dass zum Gedenkritual die deutsche Geschichte hinzuaddiert wird. In der beliebten, und von vielen Linken unkritisch übernommenen, Sprache des Gedenkens verkommt die Geschichte des deutschen Nationalsozialismus zur "Vorgeschichte" oder zum "Hintergrund" der Bombardierung deutscher Städte. Sie bildet den "Kontext", der an jeder passenden und unpassenden Stelle mit genannt wird. Die Hierarchie ist von vornherein festgelegt: im Zentrum stehen die "deutschen Opfer" und obendrauf oder untendrunter, davor oder dahinter muss zwanghaft der "Kontext" beschworen werden. Ganz folgerichtig trägt der 2005 veröffentlichte fundamentale Text des modernisierten Gedenkens den Titel "Rahmen für das Erinnern".‘

Es ist schon amüsant mit anzusehen, dass man in Dresden in den Vorjahren über eine angebliche Entkontextualisierung des Gedenkens geklagt hatte und sich nun an der Kontextualisierung des Gedenkens stört. Und man muss sich auch hier fragen, was denn seitens der Bevölkerung eigentlich unternommen werden kann, um diese Gruppe zufrieden zu stellen. Mehr als einen (kausalen) Zusammenhang zwischen anderen Ereignissen herzustellen ist einfach unmöglich. Wer sich daran stört, der muss das Gedenken tatsächlich abschaffen. Wer ein Problem damit hat, dass einzelne historische Ereignisse in einen gesamthistorischen Prozess eingeordnet werden, der hat anscheinend nicht verstanden, dass es bei einem öffentlichen Gedenken und erst Recht in der Geschichtswissenschaft nicht ausschließlich darum geht, einzelne Ereignisse zu beleuchten, sondern gerade den mal verborgenden mal offen liegenden Zusammenhang zwischen einzelnen Ereignissen zu erhellen. Und dazu ist auch natürlich notwendig sich mit dem einzuordnenden Ereignis ausführlich zu beschäftigen. Ein Ereignis ohne Kontext erzählen zu wollen ist sinnfreies Geplapper. Zu Recht sollte man sich also gegen eine Entkontextualisierung des Gedenkens wenden, so es denn geschehen sollte.

Den Zusammenhang dagegen herstellen zu wollen, bedeutet nicht, dass die Geschichte der deutschen Barbarei auf diesen Kontext reduziert wird, so wie der Aufruf glauben machen will:


"Die einschneidende geschichtliche Erfahrung der deutschen Barbarei wird darauf reduziert, als "Kontext" im Zuge des eigenen Gedenkens mit genannt oder "erinnert" zu werden."

Im Gegenteil wie einschneidend die geschichtliche Erfahrung ist, zeigt sich ja erst gerade dadurch, dass bei solchen Ereignissen der Kontext, also die Barbarei mitgedacht wird. Man vergleiche etwa die Gedenkfeiern anlässlich der Atombombenabwürfe in Japan, wo bis heute von den Alliierten verurteilte und hingerichtete Kriegsverbrecher als Heilige verehrt werden, wo Kriegsverbrechen systematisch geleugnet werden und man sich bis heute in der Rolle der eigentlichen Opfer sieht. In Deutschland wäre dies so nicht möglich. Neonazis sprechen in diesem Zusammenhang von Schuldkult, tatsächlich handelt es sich jedoch nur um die Kontextualisierung der Ereignisse. Und das zeigt deutlich, dass der entsprechende Teil der Geschichte nicht reduziert, sondern im Gegenteil maximiert wird, da er überall dort mitgedacht werden muss, wo er hingehört. Und dafür Sorge zu tragen, dass diese Kontextualisierung auch entsprechend geschieht, dies geschieht am einfachsten über einen öffentlichen Diskurs über das Gedenken. Wäre das öffentliche Gedenken abgeschafft und zur Privatsache degradiert, schwände auch die Möglichkeit zur antifaschistischen Intervention.

Wenn in dem Aufruf beklagt wird, der Kontext bilde lediglich den Spannungsbogen um über deutsche „Opfer“ (Anführungszeichen im Original – A.d.A) zu reden, zeugt dies auch von ungeheurer Inkonsequenz. Bei den Feierlichkeiten anlässlich des D-Day wird nicht zu erst über NS-Vernichtungslager und Shoa gesprochen. Dies gehört zwar untrennbar zum Kontext der Ereignisse des 6. Juni 1944, aber man erinnert an diesem Tag an eine militärische Operation. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Kontext eines Ereignisses nicht primär erzählt wird. Und da sich bei derartigen Feierlichkeiten niemand beschwert liegt es nahe anzunehmen, dass das Problem eher daran liegt, dass hier Deutschen gedacht wird.
An das Schicksal jedoch gar nicht zu erinnern, bedeutet wie bereits mehrfach betont Geschichtsfälschung, auch wenn sie aus vermeintlich edlen Motiven begangen wird.

Problematisch an dem Aufruf ist ferner, dass er nicht in der Lage ist, ein differenziertes Bild der Geschichte zu zeichnen, stattdessen durchziehen Simplifizierungen den Text. Unbestritten ist die Gesellschaft des Dritten Reiches am besten mit dem Begriff der totalitären Herrschaft (Arendt) zu bezeichnen und es ist richtig, dass der totale Krieg, so wie im Aufruf geschrieben, alles andere als ein Geheimprojekt war. Im Gegenteil, Erich Ludendorff führte bereits im Jahre 1935 in einer entsprechend bezeichneten Denkschrift aus, wie er sich einen totalen Krieg vorstellte. Zumindest partiell wurde das Theorem des totalen Krieges auch in die Praxis umgesetzt und nicht ohne Grund fürchtet man sich von der Rache der herannahenden ‚Russen‘.

Die Behauptung jedoch "[…] die Verwirklichung vo[m] Judenmord […] war kein Geheimprojekt einer Clique von Parteinazis. Es war das öffentlich formulierte und unter allgemeiner Zustimmung und Beteiligung vorangetriebene Projekt einer ganzen Gesellschaft." scheint überzogen. So sehr es richtig ist, dass an dem Mord an Juden, Roma und Sinti und anderen, Hunderttausende beteiligt waren, ist es nicht haltbar von einer allgemeinen Zustimmung zum Völkermord zu reden. Dass: ‚[…] die Bereitschaft "ganz normaler Deutscher" zur aktiven Beteiligung an Mord und Grausamkeit gegen Jüdinnen und Juden […] empirisch umfassend belegt [ist]‘ ist dabei kein sonderlich überzeugenden Argument. Denn auch die Beteiligung ganz normaler Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainer, Franzosen ist empirisch belegt. Man kann sogar zeigen, dass die Überlebenschance von Juden sehr abhängig davon war, in welchem Land man sich befand.
Unter den Top 10 der meistgesuchten NS-Verbrechern des Wiesenthal-Zentrums findet sich ein Deutscher und ein gebürtiger Österreicher. Beim Rest handelt es sich vor allem um Osteuropäer. Einzelfälle? Das Pogrom von Lemberg zeigt, dass die wohl nicht der Fall ist. Nicht ohne Grund kommt Efraim Zuroff, Chef des Wiesenthal-Zentrum zum Ergebnis: "Der Holocaust war nicht: Deutsche gegen die Juden. Er war: Europa gegen die Juden.[…] In Litauen wurden 98 Prozent der Juden in ihren Heimatdörfern ermordet. Es gab nur einen einzigen Transport nach Auschwitz. In Estland, Kroatien oder der Ukraine fanden die Deutschen sehr viele Menschen, die bereitwillig gemordet haben. Das will natürlich in diesen Ländern niemand hören."

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, es soll nicht darum gehen wegzureden, dass die Nationalsozialisten beim Projekt der Shoa die unumstrittene Führerschaft innehatten. Auch nicht, dass es ohne das nationalsozialistische Deutschland es nicht zu einem Genozid gekommen wäre. Jedoch hat die Vernichtung der Juden in Europa eine europäische Dimension und dies bezieht sich sowohl auf Opfer als auch Täter. Die Täter allein auf Deutsche reduzieren zu wollen und im gleichen Atemzug Deutsche nur als Täter verstehen zu können, wird der Geschichte nicht gerecht. Und es ist ein historisches Faktum, dass die Durchführung der Shoa ohne die Mithilfe der lokalen explizit nichtdeutschen Bevölkerung so nicht möglich gewesen wäre. Nur niemand würde aufgrund dieses Umstandes auf die Idee kommen, die Durchführung der Shoa als allgemeinen ukrainischen Willen zu bezeichnen.

Auf diesen Umstand angesprochen wird häufig eingewendet mit ‚deutsch‘ sei weniger eine bestimmte Staatsangehörigkeit gemeint, sondern vielmehr so etwas wie ein bestimmter Habitus, eine Art Geisteshaltung. Insofern richte sich der Ausspruch ‚Deutsche Täter sind keine Opfer‘ nicht zwingend gegen die gesamte Bevölkerung, sondern exklusiv gegen diejenige, die sich als Teil der Volksgemeinschaft verstanden haben. Im Rahmen einer Analyse ist es zwar durchaus möglich Begriffe, hier deutsch, anders zu definieren als im allgemeinen Sprachgebrauch üblich, spätestens wenn hieraus eine Parole wird, sind Missverständnisse jedoch unvermeidlich. Im Rahmen einer Demonstration kann dem Passanten der Subtext der Parole nicht vermittelt werden und es ist manchmal auch zu bezweifeln, ob alle Parolenrufer ihren Ausruf in diese Richtung verstanden wissen wollen. Was also auf der Straße aufgrund der Kommunikationsstruktur unmöglich erscheint, macht auch den Autoren des Aufrufes so einige Schwierigkeiten.

So heißt es: "Schon die Erwähnung der ideologischen Motivation im Antisemitismus enthält den Verweis darauf, dass die Deutschen ihre Taten freiwillig und ohne äußeren Zwang begingen […]"

Wer sind ‚die Deutschen‘? Will man hier nicht ahistorisch behaupten, dass ‚die Deutschen‘ in allen individuellen Einheiten Verbrechen begangen haben, muss ‚Deutsch‘ hier als nationalsozialistischer Habitus verstanden werden. Dass diese ‚Deutschen‘, gemeinhin als Nazis tituliert, ihre Taten freiwillig begangen, respektive als ihre Mission begriffen, darüber herrscht Konsens. An bereits weiter oben zitierter Stelle gibt man sich jedoch Mühe nachzuweisen, dass viele ’normale Deutsche‘ an den Verbrechen beteiligt waren. Ganz offensichtlich scheint man in dem Text mit der Vokabel ‚Deutsch‘ teils völlig unterschiedliche Dinge benennen zu wollen. Mal die nationale Identität, mal die politische (nationalsozialistische) Auffassung. Da jedoch im Grundsatz der Begriff negativ verwandt wird, muss die Frage gestellt werden ob hier nur eine antifaschistische Gesinnung zum Ausdruck kommt oder ob die Gegnerschaft nicht allgemeingültiger ist.

Letzteres kommt letztlich auch in der Namensgebung des Vorbereitungskreises zum Ausdruck ‚Keine Versöhnung mit Deutschland‘. Dabei wird jedoch nicht auf die aktuelle Politik der Bundesrepublik rekurriert, genauer die Politik Deutschland mit Ausnahme der Erinnerungspolitik an das Dritte Reich spielt überhaupt keine Rolle.
Keine Versöhnung, also die fortdauernde Feindschaft mit der deutschen Nation, liegt nicht in der aktuellen Außen- und Innenpolitik begründet. Afghanistan, Kosovo, Abschaffung des Asylrechtes, rassistischer Normalzustand, ‚No go Areas‘, sozialer Kahlschlag – all das spielt keine Rolle.

Die englische Queen, die selbst die deutschen Bombenangriffe auf die Insel erleben musste, spendete für den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, die lokale jüdische Gemeinde beteiligt sich seit Jahren in Kooperation mit anderen bürgerlichen Kräften an den Protesten gegen den Naziaufmarsch. Stellvertretend stehen sie für jene, den man es nicht übel nähme, wenn sie als Opfer der Barbarei nichts von Versöhnung wissen wollten. Ihnen jedoch vorschreiben zu wollen, dass sie dies nicht tun. ist schlicht anmaßend.

Ist ‚Keine Versöhnung mit Deutschland!‘ aber als Ausdruck der eigenen Identität gemeint ist die Parole überflüssig. Meint man mit Deutschland den historischen Nationalsozialismus, so ist die unversöhnliche Gegnerschaft bereits durch das Attribut antifaschistisch zum Ausdruck gebracht. Meint man damit die aktuelle Politik der Bundesrepublik, dann hätte man diese im Aufruf thematisieren müssen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass es in dem Aufruf nicht gelungen ist zu zeigen, warum sich eine radikale Linke gegen das Gedenken an sich wenden muss. Die Ablehnung des bürgerlichen Gedenkens, die Auswahl der Parolen scheinen weniger sachlich begründet, als viel mehr aus einer allgemeinen Aversion zu entstehen.

Europas größter Naziaufmarsch steht bevor. Mehr Informationen unter:
dresden1302.noblogs.org No pasarán, der lokale Zusammenschluss des bundesweiten Bündnis gegen den Naziaufmarsch

Venceremos

Siehe auch:
Die Historikerkommission und die Phase 2

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