Nazis am 13.2. in Dresden: „Same procedure as every year“? – ein Bericht aus Leipzig

Ein schöner Hintergrundbericht zu den Naziaufmärschen um den 13. Februar 2011 in Dresden erschien bei der Leipziger Internetzeitung mit dem Titel „Same procedure as every year?“: Neonazis möchten im Februar 2011 erneut durch Dresden marschieren. Ein ausführlicher Blick wird dabei auf das Konzept der Nazis geworfen, welches neben einem Sonntag-Abend-Aufmarsch am 13. 2. einen Sternmarsch am 19.2. vorsieht. Aber auch die politische Situation wird reflektiert: Gedenkdiskurs, Extremismus, und nicht zuletzt die Proteste dagegen.

Leipzig informiert nicht nur, sondern mobilisiert auch schon: Das Leipziger Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft auf, nach Dresden zu kommen und organisiert Trainings (das erste am 10.1.), Busse und Veranstaltungen. Heute (5.1.) findet in Leipzig dazu ein Koordinierungstreffen statt: 19 Uhr im linXXnet, Bornaische Str. 3d.


Leipziger Internetzeitung, 4. Januar 2011

mit Bildern hier: www.l-iz.de/Politik/Sachsen/2011/01/Neonazis-planen-Aufmarsch-in-Dresden-im-Februar.html

„Same procedure as every year?“: Neonazis möchten im Februar 2011 erneut durch Dresden marschieren

Patrick Limbach

Foto: Im Februar 2010 blockierten tausende Dresdner die Straßen, welche als Marschrouten ins Auge gefasst worden waren

Die berühmte Frage aus einem heiteren Silvestersketch passt treffend auf das alljährliche Ritual, was sich rund um den 13. Februar in Dresden abspielt. Seit Mitte der 90er Jahre beteiligen sich Neonazis in der sächsischen Landeshauptstadt am Gedenken an die Opfer der Bombardierung Dresdens im Jahr 1945.

Die Vereinnahmung des Jahrestags passt ins Konzept brauner Ideologen. Angesichts mehrerer tausend Bombentote zwängt es sich leicht in eine Opferrolle, aus der heraus sich die Ursachen für den Zweiten Weltkrieg ausblenden lassen. Jürgen Gansel, Landtagsabgeordneter und Chef-Ideologe der sächsischen NPD, ging im Jahr 2005 gar soweit, die alliierten Luftangriffe zum „Bombenholocaust“ zu verklären. Das Wort ist in der Neonazi-Szene mittlerweile zum geschichtsrevisionistischen Kampfbegriff mutiert.

Nachdem im Jahr 2010 breite zivilgesellschaftliche Proteste die aus dem In- und Ausland angereisten 7.000 Neonazis rund um den Bahnhof Neustadt blockiert haben, wurden szeneintern schnell die Rufe nach neuen Aktionskonzepten laut. Die vermeintliche Lösung war schnell gefunden: Sternmärsche in Kombination mit spontanen Demonstrationen. Lieber ein bisschen Laufen und danach im schlimmsten Fall stundenlange Polizeimaßnahmen über sich ergehen lassen anstatt sich die Beine im Polizeikessel in den Bauch stehen, lautete die Devise. Doch die Rechnung ging meist nicht auf.

Nach anfänglichen kleinen Erfolgen am 1. Mai in Berlin oder am 5. September in Dortmund, scheiterte die Szene bei ihrer Generalprobe für Dresden am 16. Oktober in Leipzig am breiten Widerstand der Leipziger Bürger. Um 2011 in Dresden zumindest ein bisschen Geschichtsrevisionismus zu versprühen, rüstet die Szene daher auf. Dabei kommt ihr zu Gute, dass der 13. Februar auf einen Sonntag fallen wird.

Foto: … im Vorfeld waren die Widerständler gegen den Neonaziaufmarsch gezielt als „Extremisten“ eingestuft worden – vor Ort blieben die Blockierer hingegen zum größten Teil friedlich.

Während die offzielle Gedenkveranstaltung der Stadt auf dem Heidefriedhof, an der sich auch Neonazis seit Jahren beteiligen, am Sonntagvormittag stattfinden wird, plant die „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“ ihren eurpoaweit beworbenen Großaufmarsch erst für den 19. Februar. Trotz des Misserfolgs in der Messestadt halten die Organisatoren aus NPD-Umfeld und Kameradschaftsszene an ihrem Sternmarsch-Konzept fest. Auf drei Routen verteilt möchten sie mit mehreren tausend Kameraden durch die Landeshauptstadt ziehen.

Dass der Aufmarsch sowohl von parteigebundenen als auch parteilosen Neonazis organisiert wird, unterstreicht die Bedeutung, die die Szene dem braunen Großevent beimisst. Der Erfolgsdruck ist hoch. Dresden ist nach dem endgültigen Wunsiedel-Aus der letzte Großaufmarsch, zu dem sich mehr als 1.500 Neonazis mobilisieren lassen. Dabei sind den Nationalsozialismus verklärende Aufzüge dieser Größenordnung für die Szene von großer Bedeutsamkeit, geben sie der Szene doch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl nach innen. Wegen des gescheiterten Großaufmarsches 2010 laden die Neonazis den Jahrestag 2011 nicht nur geschichtsrevisionistisch auf, sondern möchten am 19. Februar laut Anmeldung für das „Recht auf Gedenken und Versammlungsfreiheit“ marschieren.

Daneben setzen sie wie in den Vorjahren auf einen abendlichen Gedenk-Aufmarsch am Jahrestag selbst. Weiterhin kündigen die Organisatoren eine „Aktionswoche“ an. Über das, was sich dahinter konkret verbirgt, schweigen sich die Initiatoren aus. Erfahrungen aus anderen Städten und dem Vorjahr lassen vermuten, dass es sich um eine Reihe von kurzfristig angemeldeten oder spontanen Aktionen handeln wird. Daneben hat die Kampagne eine Fülle von Propagandamaterialien wie Aufkleber und Plakate aufgelegt, die demnächst als Beschäftigungsmaßnahme für junge Männer mit zu viel Restfreizeit dienen sollen. Um die eigenen Reihen ideologisch zu festigen, wurde zudem eine 54-seitige Broschüre aufgelegt, die dem Leser „eine interessante Reflexion“ und „einen Blick hinter die verzerrte Darstellung der öffentlichen Medien“ ermöglichen soll.

Foto: … auch 2010 waren die Neonazis schon dieser Meinung, nun haben sie eine eigene Broschüre aufgelegt, welche zeigen soll, wie die Presse lügt. Zentral ging und geht es jedoch um eine Uminterpretation der Geschichte des zweiten Weltkrieges.

Die frühen Aktivitäten der Neonazis sind der engagierten Zivilgesellschaft nicht verborgen geblieben. Die wappnet sich gegen das neuerliche braune Happening. Bereits Anfang Oktober veranstalteten die Neonazi-Gegner eine Aktionskonferenz, um ihr Vorgehen gegen das anstehende Neonazi-Spektakel in Dresden abzustimmen. Am 9. Dezember startete die Kampagne „Dresden Nazifrei 2011“ mit einem Flashmob in der Dresdner Innenstadt. In ihrem Aufruf rufen die Neonazi-Gegner zu Blockaden auf. Zu den prominenten Erstunterzeichnern zählen unter anderem die Spitzenpolitiker wie Albrecht Schröter (SPD), Antje Hermenau (Bündnis 90/Die Grünen) und Bodo Ramelow (Linke), aber auch Künstler wie Bela B., Konstantin Wecker und Tocotronic. Die Landtagsfraktion der Linken hat bereits ihre Unterstützung zugesagt.

„Wir sind solidarisch mit all jenen, die mit uns das Ziel teilen, diesen Naziaufmarsch durch friedlichen Protest zu verhindern (…) Die Mitglieder unserer Fraktion werden deshalb an den antifaschistischen Gegenaktionen am 13. wie auch am 19. Februar teilnehmen und Verantwortung übernehmen.“ Weiterhin wird sich die Linke nicht an den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten beteiligen. Parteisprecher Rico Schubert sagte dem „Focus“, es sei geschichtlich nicht richtig, die Dresdner Toten des Bombenangriffs vom Februar 1945 in Zusammenhang mit anderen Kriegsopfern zu stellen. Die Partei fordere daher eine schnellstmögliche Umgestaltung der Denkmäler auf dem Heidefriedhof.

Foto: Massiver Polizeieinsatz im vergangenen Jahr in der Landeshauptstadt. Interessant wird wohl 2011, ob es zu einer weiteren Entspannung zwischen Gegendemonstranten und Polizei, wie seit Jahren bereits in Leipzig kommt.

Interessant dürfte der abermalige Diskurs um Opferzahlen und Gedenkkultur werden, der jährlich von Politikern des konservativen Lagers vom Zaun gebrochen wird. Allzu oft standen sich ideologische Gegensätze in Dresden einer erfolgreichen Verhinderung des braunen Massenspektakels im Weg. Im Jahr 2010 versuchte Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) die Anerkennung der zehntausenden Blockierenden gleich mit einzuheimsen, indem sie kurzerhand die von der Stadt organisierte Menschenkette fernab des Neonazi-Treffpunkts zum Mittel des Blockadeerfolgs erklärte. So konnten sich zwar viele erklärte Extremismusgegner als Sieger fühlen – die Gewinner des Tages waren trotzdem die im Vorfeld zu „Extremisten“ umgedeuteten und streckenweise von der Dresdner Staatsanwaltschaft kriminalisierten Unterstützer von „Dresden Nazifrei“.

Man darf gespannt sein, wie der alljährlich von der Staatsregierung angestoßene Extremismusdiskurs im Jahr 2011 verlaufen wird. Innenminister Markus Ulbig (CDU) lieferte mit seinem sturen Festhalten an einer Extremismusklausel beim Demokratie-Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen“ bereits einen ungefähren Vorgeschmack. „Wir werden uns weiterhin bei Versuchen der Kriminalisierung solidarisch zueinander verhalten“, erklären die Unterstützer von „Dresden Nazifrei“ schon jetzt wohl wissend um das, was bis zum 13. Februar an Auseinandersetzungen und behördlichen Schikanen noch auf sie zukommen könnte. „Wir stellen uns gegen jeden Versuch, antifaschistischen Protest als ´extremistisch` zu bezeichnen .“

In Leipzig möchte das zivilgesellschaftliche Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ für die Teilnahme an den geplanten Massenblockaden werben. Geplant sind neben inhaltlichen Debatten ein Aktionstraining und die Organisation von Bussen. „Wir zeigen uns natürlich solidarisch mit den Protesten gegen die Aufmärsche in Dresden“, erklärt Bündnissprecherin Juliane Nagel (Die Linke). „Neonazis darf nirgendwo ein Terrain geboten werden. Insbesondere in Dresden ist es allerdings auch Aufgabe von Antifaschisten und Zivilgesellschaft, den Umgang mit dem Gedenken an die Bombardierung durch Politik und Bevölkerung kritisch zu hinterfragen, denn dieses bietet den Nazis Anknüpfungspunkte.“

Quelle: www.l-iz.de/Politik/Sachsen/2011/01/Neonazis-planen-Aufmarsch-in-Dresden-im-Februar.html

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