Die taz berichtet gut und sehr realitätsnah – ein Lichtblick angesichts der gruseligen Berichte in der Sächsischen Zeitung, wo von No pasarán als rot-braunem Block die Rede ist und wo Ursache und Wirkung vertauscht wurde: Nicht wir haben die Polizei angegriffen, sondern die Polizei hat uns die genehmigte – die von Ordnungsamt und Gerichten zugewiesene – Route verweigert und dann die Demonstrationsspitze massiv angegriffen.
taz, 16. Februar 2009
"Gehdenken" in Dresden gegen Rechts
Nur ein bisschen stärker
Die
Gegenkundgebung zum Neonazi-Aufmarsch in Dresden war nur ein bedingter
Erfolg der Zivilgesellschaft. Denn sie demonstrierte auch die
Uneinigkeit der Nazi-Gegner. VON MICHAEL BARTSCH
Auch DGB-Chef Sommer, SPD-Chef Müntefering und Bundestagsvizepräsident Thierse protestierten gegen Rechts. Foto: dpa
DRESDEN taz "Wir
sind mehr, wir sind stärker!", rief der SPD-Vorsitzende Franz
Müntefering am Samstag auf dem Dresdner Theaterplatz. Er war nicht der
einzige Redner beim "GehDenken", der die zahlenmäßige Überlegenheit
dieser Kundgebung gegen den gleichzeitig stattfindenden "Trauermarsch"
von Neonazis beschwor.
Doch die Mehrheit fiel knapper aus als
erwartet. Von 12.500 Teilnehmern sprach zunächst der Organisator Ralf
Hron vom DGB, während die Polizei am Ende 6.500 Demonstranten zählte.
Auf der anderen Seite, beim von der "Jungen Landsmannschaft
Ostdeutschland" organisierten Aufmarsch waren es 6.000 Teilnehmer – und
damit die größte Demonstration von Neonazis in der deutschen
Nachkriegsgeschichte.
Seit Mitte der Neunzigerjahre
missbrauchen die Neonazis den Tag des Gedenkens an die Bombardierung
Dresdens vom 13. und 14. Februar 1945. Mittlerweile gilt der Termin als
jährlicher Höhepunkt der Szene in Deutschland, wobei inzwischen häufig
Rechtsextremisten aus dem Ausland zu sehen sind.
In den letzten Jahren blieben sie allerdings
nicht allein. Immer wieder stellten sich Demonstranten gegen die
Neonazis, und einige Male gelang es auch, ihren Aufmarsch zeitweise zu
blockieren. Doch bislang war die Gegenaktivität eher eine lokale
Angelegenheit gewesen.
Die Prominenz marschierte ganz vorn: Zug zur Semperoper. Foto: dpa
Diesmal
versuchten die Veranstalter, mit einem von zahlreichen Prominenten
unterstützten bundesweiten Aufruf ein überregionales, deutliches
Gegengewicht zu schaffen. Die Abschlusskundgebung auf dem Theaterplatz
vor der Semperoper, auf der unter anderem die Prinzen spielten, hatten
die Veranstalter als fröhliches Fest gegen den düsteren Aufmarsch
geplant, was auch gelang: Nach den Reden tanzten viele jugendliche
Teilnehmer vor der riesigen Bühne.
"Man darf nicht nur hinter der Gardine stehen
und still gedenken", hatte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee
(SPD) zuvor beim Auftakt des Sternmarschs gesagt. Er distanzierte sich
damit auch von der Dresdner CDU, deren Vorsitzender Lars Rohwer das
"GehDenken" als eine Veranstaltung "linker Chaoten" diffamiert hatte.
Die Distanzierung der CDU war denn auch ein
Grund, warum das Ziel, eine breite Front von Bürgern mit Zivilcourage
gegen die Nazis zu bilden, nur bedingt gelang. Ein weiterer Grund war
das Verhalten der Polizei: So wäre die Abschlusskundgebung
eindrucksvoller ausgefallen, hätte die Polizei nicht in sinnloser Weise
den bunten Zug der Initiative "No pasarán" an der geplanten Vereinigung
mit dem "GehDenken" gehindert.
Die autonome Demonstration, zu der sich
beachtliche 3.500 Teilnehmer einfanden, darunter Antifas, Clowns,
"Antideutsche" mit Israel-Fahnen-Trägern und DDR-Nostalgiker mit
FDJ-Fahnen, wollte die Isolation der vergangenen Jahre überwinden, in
die sie sich mit der Lobpreisung des Bombenangriffs auf Dresden selbst
manövriert hatte.
Durften nicht zur Hauptkundgebung: Autonome Demonstranten. Foto: ap
Diesmal wollte
man sich dem Bündnis anschließen, durfte aber nicht. So ist es
vielleicht auch zu erklären, warum der Tag in Dresden nicht gewaltfrei
endete. Frustrierte Gruppen kippten zwei Polizeiwagen um und
beschädigten drei weitere. In der Nähe der Synagoge griff die Polizei
ihrerseits überhart zu. 86 Personen wurden in Gewahrsam genommen, es
gab mehrere Verletzte.
Auf die strikte Trennung der Demonstrationszüge
bedacht, offenbarte die Polizeitaktik weitere Fragwürdigkeiten: Wie
eine Wagenburg hatten die 4.300 Einsatzkräfte mit ihren Fahrzeugen das
Stadtzentrum mehrfach abgeriegelt. Bürger, die ohnehin über den
Totalausfall der öffentlichen Verkehrsmittel fluchten, wurden zur
Abschlusskundgebung nicht durchgelassen.
Peinlicher noch blieb die Feststellung, dass
Wahlkampf und Parteiengezänk auch diese beiden Dresdner Gedenktage
überschatteten. CDU und FDP mieden das "GehDenken", während die Linke
bei städtischen Gedenkveranstaltungen wie der Enthüllung einer
Gedenkinschrift für die auf dem Altmarkt eingeäscherten 6.000 Toten
fehlte. Hier zog sich CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz wie zuvor bei
der Veranstaltung vor der Frauenkirche achtbar aus der Affäre: "Wir
sollten nicht vergessen, wer den Krieg losgetreten hat", rief sie.
Beim "GehDenken" redete sie zwar nicht,
verteilte aber vor der Synagoge die symbolischen weißen
Versöhnungsrosen. Dem Dresdner Schauspieler Wolfgang Stumph blieb es
vorbehalten, auf der Bühne die Abwesenheit von Ministerpräsident
Stanislaw Tillich (CDU) zu bedauern. An dessen Stelle redeten
Bundesgrößen wie Wolfgang Thierse, Gregor Gysi, DGB-Chef Michael Sommer
oder Claudia Roth. "Wenn 100 Nazis kommen, müssen 1.000 von uns da
sein", sagte sie.
Einige Stunden
später, auf dem Rastplatz Teufelstal bei Jena, war das Verhältnis aber
anders: Rund 40 deutsche und schwedische Nazis überfielen dort zwei
Busse mit Gegendemonstranten und verletzten fünf Menschen. Ein Opfer
erlitt einen Schädelbruch, einem anderen wurde die Kniescheibe
zertrümmert. Die Polizei nahm die Personalien der Angreifer auf.
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Quelle: taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/nur-ein-bisschen-staerker