Historikerkommission und Phase2

Auf indymedia erschien jetzt eine lesenswerte Replik auf einen Beitrag in der Winterausgabe der Phase2 (Nr. 30). Wir dokumentieren hier den Artikel und verweisen auf die interessante, inhaltliche Diskussion zum bürgerlichen Gedenken in Dresden, die sich in den Ergänzungen unter dem Artikel auf indymedia entwickelte.

 


 

Dresden: Historikerkommission und Phase2


von ra0105 2008-12-19 12:03

Der 13. Februar 2009 steht vor der Tür. Das Highlight für die rechtsextreme Szene und in der Folge wohl auch eines der wichtigsten Daten für antifaschistische Kreise. In der sächsischen Landeshauptstadt spielt der Jahrestag der Bombardierung seit jeher eine besondere Rolle und genau dieser Umgang wird von Teilen der Linken scharf angegriffen. Jüngstes Beispiel ist ein Artikel der in der Dezemberausgabe (2.30) der Phase2 erschienen ist und hier einer kritischen Würdigung unterzogen werden soll.

Unter dem Titel „Das Dresdner Finale“ wird in der Zeitschrift versucht kritisch zu den Arbeiten der Historikerkommission Stellung zu beziehen. Diese wurde von der Stadt einberufen, um ein für allemal die hanebüchenen Legenden zu zerstören, die sich um die Bombardierung ranken.
Nicht zu Unrecht wundert sich die Verfasserin, warum dies überhaupt notwendig ist. Sind die Mythen über Tieffliegerangriffe, Phosphorbomben und Totenzahlen die die Hunderttausendmarke überschreiten nicht längst widerlegt?

Wenn dem so sei, welchen Beitrag kann die Historikerkommission denn eigentlich noch leisten, außer das Gedenkritual anhand von offiziellen von der Stadt eruierten Fakten zu legitimieren? Ist die eingesetzte Arbeitsgruppe von Historikern nicht viel mehr als ein perfider Trick das Gedenken gegen die Vereinnahmung von außen zu schützen, so dass endlich wieder in Ruhe weiter getrauert werden kann?

Tatsächlich sind die Legenden, die sich um Dresden rankten, im Wesentlichen bereits vorher widerlegt worden. Die Schwierigkeit, die sich hier allerdings ergibt, ist die deutliche Differenz zwischen offizieller Geschichtsschreibung und der Erzählung über Dresden. Letzteres, die ‚oral history‘, erwies sich dabei stets als enorm faktenresistent.

Eine mündliche Überlieferung, die wesentlich wirkmächtiger ist als andere Formen der Geschichtsüberlieferung, hat nichts mit einer Dresdner Spezifika oder einem besonderen deutschen Verhältnis zur Geschichte zu tun. Dies war und ist in allen Teilen der Welt so. Als im Mittelalter in England die Ritualmordlegende erschaffen wurde, war dies zuerst auch nur ein Gerücht. Die offizielle Kirche wandte sich zu Beginn sogar entschieden gegen diese Legende, bis sie diese selbst Stück für Stück aufnahm mit den bekannten weitreichenden Konsequenzen.
Was macht die ‚oral history‘ so stark? Zum einen natürlich, dass Menschen solchen Überlieferungen meist wesentlich stärker ausgesetzt sind, als fachwissenschaftlichen Erkenntnissen zum selben Thema. Diese Form der Überlieferung muss auch nicht zwangsweise falsch oder gar bewusst erlogen sein, häufig stellt sie die einzige Quelle für einen Gegenentwurf der offiziellen Geschichtsschreibung dar und ist für den Historiker von unschätzbarem Wert. Wer wolle sich denn allein auf die Akten des stalinistischen Apparates verlassen wollen um Erkenntnisse zum Gulag zu generieren? Welcher ernsthafte Historiker denn die Schilderungen von Ausschwitzüberlebenden vernachlässigen? Eine ‚oral history‘ gehört geprüft und kann manchmal wie im Falle Dresdens widerlegt werden.

Warum wehrt sich die Bevölkerung so stark dagegen? Die Behauptung es ginge den Dresdnern bei der Produktion dieser Legenden um eine Relativierung der Shoa greift zu kurz. Außer Frage wird eine Überhöhung des 13. Februars von interessierten Kreisen dazu benutzt, man denke nur an den unsäglichen Begriff des Bombenholocaust.

Nur die Gerüchte es handelt sich um 200.000 Tote wurden als erstes von einer schwedischen Zeitung aufgegriffen und dies zu einem Zeitpunkt, als das wahre Ausmaß der Shoa, weiterer Genozide und Barbareien noch nicht im vollen Umfang bekannt waren. Dass die Dresdener Bevölkerung so vorausschauend gehandelt haben soll, wirkt nicht überzeugend. Ist es nicht plausibler, dass es zu den üblichen Irrtümern gekommen ist, die jeder kennt wenn ein ungewöhnliches und emotional aufwühlendes Ereignis eintritt?

Ein vielleicht etwas zu triviales Beispiel, was aber dennoch zu einigem an Erkenntnisgewinn beitragen kann. Wer zum ersten Mal einen schweren Autounfall beobachtet hat, ist in der Regel überrascht, wie gering das Ausmaß der Verletzungen ist. Da überschlägt sich ein Pkw mehrfach und der Fahrer steigt vollkommen unverletzt aus. Was wäre, wenn sich hunderte oder tausende Unfälle zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort ereignet hätten? Beim Anblick einiger Toter, denn nicht alle hatten so viel Glück, würde der unvorbereitete Beobachter schnell zu dem Schluss kommen, hier müsste es hunderte oder Tausende Tote geben.

Die Dresdner Bevölkerung, die von einem Bombenangriff und einem Feuersturm in einem für sie bisher unbekannten Ausmaß getroffen wurde, kann gar nicht die Anzahl der Toten realistisch einschätzen. Das es eine Totenzählung gab die nur knapp 20.000 Opfer nachweisen konnte und von einer Maximalzahl von 25.000 ausging, also just in etwa der Bereich den auch die Historikerkommission annimmt, muss dabei nicht zwangsweise dem entgegenstehen. Dem NS-Propagandaministerium kam diese Überhöhung nicht ungelegen. Und die Bevölkerung konnte diese Zahl abtun mit dem Hinweis, dass sind ja nur die Mindestzahlen. Aus Sicht von jemanden, der die Bombardierung und auch das anschließende Chaos erlebt hat, ist es durchaus wahrscheinlich das bei weitem nicht alle Toten gefunden worden sind. Schließlich waren die Überlebenden mit ihrem eigenen Auskommen beschäftigt, zu einem qualifiziertem Urteil ob die Toten zur fast vollständigen Gänze geborgen werden konnten, waren sie hingegen nicht in der Lage. Augenzeugen sind in Kriegsgebieten schon immer sehr unzuverlässig gewesen und das auch ohne dass eine politische Intention dahinter stehen muss, dass liegt in der Natur der Sache.

Wie sind aber die andern Mythen zu erklären, etwa die der Phosphorbomben? Auch das liegt an der Unerfahrenheit der Menschen. Die Schilderungen, die bzgl. der Bomben abgegeben worden sind, passen nämlich überhaupt nicht zu dem wie eine Phosphorbombe sich tatsächlich verhält. Phosphor, ein Synonym für einen praktischen unlöschbaren Brand, wurde mit dem Feuersturm vermengt.

Die hartnäckigste Legende ist jedoch die der Tieffliegerangriffe. Die Leute glauben sie erlebt zu haben. Wen interessiert denn da, dass es in den Aufzeichnungen der Piloten und deren Befragungen keine Hinweise darauf gab, dass es aufgrund der durch den Feuersturm ausgelösten Turbulenzen sogar als äußerst unwahrscheinlich gelten muss, dass dies überhaupt durchführbar gewesen ist.

Man es hat doch erlebt, man ist ja nicht verrückt. Irre ist man sicher nicht, nur ist das Gedächtnis kein statisches Ding. Erinnerungen können sich mit anderen Geschehnissen überlagern, Erzählungen anderer im Laufe der Zeit zum eigenen memorierten Erlebten werden.
An dieser Stelle ging die Forschungsarbeit der Historikerkommission auch dann weit über das bisher Untersuchte heraus. Das Elbufer wurde systematisch nach Munition abgesucht, welche, so sie nicht in den zerfetzten Leibern der Flüchtenden zurückblieb, sich in Massen hätte finden lassen müssen. Das Ergebnis war jedoch eindeutig. Kein einziger Hinweis, dass an dieser Stelle ein solches Massaker stattgefunden hatte. Und dieser Beweis wiegt doch um einiges schwerer als das Nichtvorhandensein irgendwelcher Aufzeichnungen bei den Piloten. Die Autorin mag recht haben, letztendlich waren, vom Ergebnis her betrachtet, die Erkenntnisse der Historikerkommission nicht wirklich überraschend. Die Methoden die dazu jedoch angewendet worden sind, waren jedoch umfangreicher und genauer als je zuvor.

Allein dies rechtfertigt die Einberufung einer solchen Kommission. In dem Artikel wird bemängelt, dass der Stadt es bisher nicht gelungen ist, sich mit ihrer Sicht sich gegenüber den Legenden durchzusetzen und sich darum um die Einsetzung der Arbeitsgruppe bemühte. Nebenbei wird süffisant angemerkt, dass die Mitglieder der Kommission bereits vorher in ihrer Forschungsarbeit zu den gleichen Ergebnissen gekommen sind, die Historikerkommission so gesehen also überflüssig war. Abgesehen davon, dass bereits gezeigt wurde, dass die Historiker in diesem Rahmen auch Untersuchungen anstellten, die vorher nicht gemacht worden sind – zur Erinnerung: Die Kommission arbeitete immerhin 4 Jahre! – wird die Wirkmächtigkeit dieser Arbeit seltsam unterschätzt.

Es ist schon interessant, dass man sich in der Phase 2 dieser widmet, ihr somit wenigstens implizit eine gewisse Bedeutung beimisst, sie aber dennoch insgesamt für eher unwichtig hält, denn die Ergebnisse waren dem aufgeklärten Antifaschisten ja bereits vorher bekannt. Erstens stimmt dies hinsichtlich der Totenzahlen so nicht, auch in antifaschistischen Kreisen wurden mit Totenzahlen von bis zu 35.000 operiert, eben auch weil es bisher keine wissenschaftlich umfassenden öffentlichen Untersuchungen gab. Zweitens wird dabei eins völlig vernachlässigt:
In einem Kommunikationsakt kommt es nicht nur auf transportierten Inhalt an, sondern auch wer der Sender, wer Empfänger ist. Es ist ein Unterschied ob ein Historiker im akademischen Diskurs zu bestimmten Ergebnissen kommt und sich seine Ergebnisse sich auch vor allem an jene Sphäre richtet und allenfalls von einer sehr kleinen hoch interessierten Minderheit zur Kenntnis genommen wird, oder ob Historiker im Auftrag der Stadt forschen und die Ergebnisse auch mit der Stadt gemeinsam vorgestellt werden und sich somit primär an die Stadtbevölkerung richten. Bereits die Arbeit der Historikerkommission ist von den Lokalmedien beständig begleitet worden und sorgte für ein entsprechendes öffentliches Forum.

Woher stammt also die Aversion gegen diese Kommission? Einige Textstellen geben ein Hinweis…

So heißt es u.a.: „Dass es diesem Bündnis [einem Zusammenschluss verschiedener städtischer Gruppen, die das offizielle Gedenken gestalten; die Historikerkommission kann zumindest als deren informeller Teil bezeichnet werden – A.d.A] weniger um eine Kritik am Gedenken selbst ging, als um eine Rettung dieses elementaren Bestandteils des Dresdner Selbstverständnisses vor Fremdvereinnahmung, wurde mehrfach deutlich gemacht.“

An dieser Stelle liegt der Hund begraben. Die Historikerkommission scheint tatsächlich nur ein Vehikel zu sein um weiter in Dresden gedenken zu können. Man beachte, dass hier nicht die Art und Weise des Gedenkens kritisiert wird, denn wie dieses Ritual vonstatten geht, dazu finden sich in dem Text keine Ausführungen. Anscheinend scheint ein Gedenken egal in welcher Form ablehnenswert und somit wird auch folgerichtig der Historikerkommission vorgeworfen, dass es ihr "[…] weniger um eine Kritik am Gedenken selbst ging[…]".

Mit dieser Stoßrichtung ist die Autorin nicht allein. In Dresden wurde von Teilen der Linken in den vergangenen Jahren immer wieder verkündet, man wolle kein besseres Gedenken, sondern gar keines. In diese Kerbe schlägt auch auf der Website ‚venceremos‘, so heißt es auf der Mobilisierungseite zum 13./14. Februar: "Die zweite schlechte Nachricht ist, dass das öffentliche Gedenken immer noch nicht der Vergangenheit angehört. Deshalb empfiehlt sich erneut eine antifaschistische Intervention in Dresden: gegen jede Form von Geschichtsrevisionismus – Naziaufmärschen und bürgerlichem Gedenken entgegen treten!"

Man muss sich diese Forderungen die in dem ‚Phase 2‘ Text zumindest implizit und auf ‚venceremos‘ sehr explizit formuliert werden, einmal in Ruhe auf der Zunge zergehen lassen. Der Stadt, als Institution und ihren Bewohnern oder auch ganz allgemein der Öffentlichkeit wird also das Recht abgesprochen einem historischen Ereignis zu gedenken. Man mag ja geteilter Meinung sein, ob die Opfer des Bombenangriffes ein Recht zur öffentlichen Trauer haben, angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus und seinen Helfern. Lehnt man dies ab, nimmt man zumindest billigend in Kauf, dass zumindest Kinder, die nun wirklich weder durch Taten noch durch Unterlassen, irgendeine Schuld auf sich geladen haben können, einem tatsächlich natürlichem Gefühl der Trauer nicht hingeben dürfen.

Diese Diskussion führt jedoch nicht weiter, denn die Trauer steht in Dresden schon lange nicht mehr im Vordergrund. Das hat ganz praktische Gründe, denn der Anteil der ‚Erlebnisgeneration‘ sinkt beständig und die offizielle Stadt Dresden, also die Bürgervertretung, stand auch in den letzten Jahren nie weinend an der Gedenkstätte. Trauer, verstanden als emotionaler Zustand, konnte schon seit Jahren nicht glaubhaft vermittelt werden und so kann es nur um ein Gedenken gehen.

Was bedeutet es aber, wenn man verlangt, dass auch ein Gedenken, gleich jedweder Art abgelehnt wird? Das ist nichts anderes als Geschichtsfälschung! Nicht darüber reden zu dürfen, nicht öffentlich an ein historisches Ereignis, welches unbestritten einschneidende Konsequenzen für die Stadtgeschichte hatte, erinnern, dem Gedenken zu dürfen, bedeutet historische Fakten aus dem öffentlichen Diskurs heraus halten zu wollen. Es muss verwundern, dass man angesichts der renitenten Legenden in Dresden eine Diskussion in der Öffentlichkeit über den 13. Februar verhindern will, wozu sich der Jahrestag natürlich vortrefflich eignet. Fürchtet man nicht, dass die ‚oral myth‘ durch ein solches Verhalten nicht noch bestärkt wird? Und abgesehen davon, lässt es sich denn mit einem aufgeklärten und kritischen Geist vereinbaren, dass man Teile der Geschichte verschweigen will?

Dass der der Artikel in der ‚Phase 2‘, von einer Geschichtswissenschaftlerin verfasst wurde, muss noch mehr zu denken geben. Ist man sich der Konsequenzen nicht bewusst, die die Forderungen nach einem verordneten Ende des Gedenkens in Dresden haben oder nimmt man dies in Kauf?
Oder sind die Folgen irrelevant, weil im Vordergrund stehen muss, dass alles was ‚Die Deutschen‘ mit ihrer Geschichte anfangen aus einem vulgärantideutschen Reflex heraus per se schlecht und zu bekämpfen ist, auch wenn es auf Kosten eines reflektierten Geschichtsbildes geht?

Mehr Infos zu den Gegenaktivitäten anlässlich des 13./14.02.09 findet ihr unter:

No Pasaran! – Dresden – der lokale Zusammenschluss des bundesweiten Bündnis gegen den Naziaufmarsch

Venceremos

 

Quelle:

http://de.indymedia.org/2008/12/236651.shtml

Comments are closed.