Die Zeit – Geschichtsfälscher mit Trauerflor

Dresden
Geschichtsfälscher mit Trauerflor

Von Olaf Sundermeyer
14.2.2009 – 19:03 Uhr

Dresden gedenkt des 64. Jahrestags des Bombenangriffs. Die NPD will die Erinnerung mit einem Großaufmarsch missbrauchen

Umkämpfte Erinnerung: Bei den alliierten Bombenangriffen am 13. und 14. Februar 1945 wurde auch die Dresdner Frauenkirche zerstört, bis zu 25.000 Menschen starben im Feuersturm

Die Dresdner Heide liegt am frühen Morgen unter einer dünnen, unberührten Schneeschicht. Auf dem Heidefriedhof oberhalb der Landeshauptstadt fegen Männer in grünen Latzhosen den Weg frei zum Ehrenhain für die „Namenlosen, die hier verbrannten im Höllenfeuer aus Menschenhand“, das in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 aus alliierten Flugzeugen über die Stadt fiel und Tausenden Tod und Leid brachte – als Antwort auf den Angriffskrieg, den Hitlerdeutschland verbrochen hatte.

Die Männer der Friedhofsverwaltung unterhalten sich mit gedämpften Stimmen, wohl aus Respekt. Denn wie in jedem Jahr wird hier auf dem Ehrenhain der Toten gedacht. Ein halbes Dutzend kniehoher Metallständer wartet auf die Kränze, die hier am Abend niedergelegt werden. Immer noch sucht die Stadt ihren Frieden.

Aber es gibt Menschen, die diese Trauer missbrauchen. Einige von denen sitzen unten am Elbufer, im Landtag. Für die rechtsextreme NPD-Fraktion ist heute Wahlkampfauftakt. Seit Wochen läuft sie sich warm dafür, das Gedenken an die Toten des „alliierten Bombenterrors“ soll der erste Schritt sein zum Wiedereinzug in das Landesparlament bei der Wahl Ende August.

Und in Sachsen gibt es reichlich Menschen, die so denken wie der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel. Der sagt im Hinblick auf den Gedenktag: „Es ist endlich an der Zeit, sich der babylonischen Gefangenschaft einer verdrehten und an den Interessen der Alliierten orientierten Geschichtsschreibung zu befreien.“ Die offizielle Veranstaltung der Stadt ist für ihn „die Stunde der Geschichtsfälscher“.

Gansel hatte in einer Landtagsdebatte vor vier Jahren von „Bombenholocaust“ gesprochen. Denn neben Orten und Gedenktagen versucht die NPD auch Begrifflichkeiten umzudeuten. Dabei funktioniert sie als parlamentarischer Arm der rechten Szene, die Dresden zu ihrem zentralen Aufmarschplatz auserkoren hat. An diesem Samstag werden sich hier Tausende Neonazis aus ganz Deutschland versammeln, um einen geschichtsträchtigen Ort und Tag zu besetzen.

Zwar fungiert die NPD nicht als offizieller Anmelder, sie ist aber die Instanz, die dahinter steht. Offizieller Veranstalter ist „Die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“, eine Kaderschmiede, die sich aus dem rechtsextremen Teil des Burschenschaftsmilieus speist. Die Landsmannschaft ist ehemalige Heimstatt von Jürgen Gansel, der solche Verbindungen zur Landtagsfraktion pflegt.

Und so werden auch Holger Apfel, der NPD-Landtagsfraktionschef, und viele andere prominente Parteivertreter morgen mit marschieren. Die rechten Strategen mobilisieren bereits seit Wochen, und sie sind bemüht, ihrer braunen Klientel bürgerliche Verhaltensweisen beizubringen. Die NPD ringt um Respektabilität, es ist Wahlkampf. Deshalb herrscht Bomberjacken- und Sonnenbrillenverbot.

Neben dem Sächsischen Landtag sitzt die NPD auch im Dresdner Stadtrat, als „Nationales Bündnis“, mit drei Abgeordneten, von denen sie einen als „Zeitzeugen“ feiert, weil er als Kleinkind die Bombennacht überlebte. Aus der Erfahrung dieser Nacht tritt Werner Klawun für die „Stärkung des Nationalgefühls“ ein.

Andere, die als Erwachsene die Zerstörung ihrer Stadt erlebten, kamen bereits gestern zu einem Gedenkgottesdienst in der Frauenkirche zusammen. Etwa der heute 84-jährige Rudolf Eichner, der in der Kirche seine Gedanken zu dem Neonaziaufmarsch formulierte: „Ich beklage, dass auch heute noch Einzelne versuchen, Schuld aufzurechnen und durch unversöhnliches Reden über die Tage im Februar 1945 die Opfer der Angriffe zu missbrauchen.“

In Dresden ist dieser Erinnerungsmissbrauch seit Jahren eine leidige Tradition, die vor allem in Osteuropa als deutsche Umdeutung der Geschichte wahrgenommen wird. Auch an anderen Orten versuchen Neonazis, die Erinnerungskultur zu instrumentalisieren.

In Dortmund beispielsweise marschieren die Neonazis regelmäßig zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September. Dafür mobilisiert der sogenannte „nationale Widerstand“ mit Bildern von den Fliegerangriffen auf Dresden, um anschließend gegen die „Kriegstreiberstaaten USA und Israel“ zu hetzen. „Nie wieder Krieg nach unserem Sieg“ tönt es bei solchen Veranstaltungen. Es soll der Eindruck erweckt werden, dass die eigentlichen Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten begangen wurden. Diese These wollen die Rechten ins öffentliche Bewusstsein einfräsen.

Und die Kriegsschuld? Die liegt demzufolge beim „Kapital“, das – der antisemitischen Verschwörungstheorie folgend – gleichzusetzen ist mit dem internationalen Judentum. Juden als Kriegstreiber, Deutsche als Opfer. So einfach ist die historische Arithmetik der Neonazis, auf den Straßen und in den Parlamenten.

Die Taktik geht auf: Der 14. Februar hat sich in Dresden als „Tag der Bewegung“ etabliert. 5000 Polizisten aus ganz Deutschland werden diesmal aufgeboten, um die Stadt zu schützen – und die NPD. Dafür stehen Absperrgitter rund um den Sächsischen Landtag, den Sitz von Gansel und Apfel. Die Demokratie schützt ihre Feinde.

Mehrere Tausend Neonazis werden schon heute in der Stadt erwartet. Dazu eine fünfstellige Zahl an Gegendemonstranten, die sich in verschiedenen Lagern formiert haben. Auf der einen Seite ein bürgerliches Bündnis unter dem Motto „Geh Denken“, auf der anderen Seite linke Gruppen, die den Nazi-Aufmarsch blockieren wollen.

Einen Tag vor den befürchteten Auseinandersetzungen herrscht noch Unsicherheit in der Stadt über die genaue Streckenführung der einzelnen Veranstalter. Das städtische Verwaltungsgericht ist bemüht, den Vorplatz des Hauptbahnhofes nicht zum Kampfplatz werden zu lassen. Die Neonazis wollen dort ihren Marsch beginnen. Und dann ist da noch das Heimspiel von Dynamo Dresden morgen. Ein Klub, der viele potenzielle Gewalttäter anzieht.

Die Demokraten in der Stadt zeigen bereits am Morgen Flagge: An der Semperoper, wo am Abend ein Sinfoniekonzert zu Ehren der Bombenopfer stattfindet, hängt ein großes weißes Banner: „Jeder ist mitverantwortlich für das, was geschieht – und für das, was unterbleibt“ (Erich Kästner).

Bei der Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof müssen diejenigen, die durch den Ehrenhain schreiten, an den in Stein eingemeißelten Namen von Orten vorbei, die man nicht übersehen kann. Neben „Dresden“ stehen da auch „Coventry“, „Lidice, „Ouradour“ und „Warschau“.

Quelle:
http://www.zeit.de/online/2009/08/dresden-bombenangriffe-neonazis?page=all

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