Sächsische Zeitung
16.02.09
Dresden
Zwischen Ausnahmezustand und Anständigen-Aufstand
Rechtsextreme marschierten, Demokraten demonstrierten dagegen – eine vorläufige Bilanz des 13. und 14. Februar 2009 in Dresden.
Eine schmale blonde Frau in dunklem Mantel schießt den ersten Pfeil. Er trifft direkt ins Braune. Er trifft „die Neonazis, die unsere Stadt heimsuchen und Dresden zu ihrem Symbol machen wollen.“ So ruft es Oberbürgermeisterin Helma Orozs (CDU) am Freitagmittag auf dem Heidefriedhof bei der zentralen Kranzniederlegung zum Gedenken an die Opfer der Bombenangriffe vom 13. und 14. Februar 1945. Und sie fährt fort: „Sie besudeln das Andenken an die Toten, sie gehören nicht in dieses Stadt, sie schänden diese Stadt.“
Das sitzt. An der richtigen Stelle. „Blöde Kuh,“ schimpft eine Gemeinte in der Menge leise. „Wer missbraucht hier wen politisch?“ Ihr Gesinnungsnachbar, nicht minder betroffen: „Das ist moralisch verwerflich, dass eine Bürgermeisterin eine demokratisch gewählte Minderheit ausgrenzt!“ Passende Selbstbezeichnung: Minderheit.
Im Vorfeld des Wahlkampfes
Diese Minderheit ist das Nationale Bündnis im Stadtrat, die NPD-Fraktion im Landtag und ihre Sympathisanten. Sie sonnen sich im jährlichen Aufmarsch von Rechtsextremisten aus ganz Deutschland und Europa, der republikweit größten Macht-Demonstration dieser Art. Ein Aufmarsch, der aus 25 000 Dresdner Opfern und Tätern, die bei den Angriffen starben, in grotesker Geschichtsverdrehung Hunderttausende macht, sie sämtlichst zu Unschuldigen erklärt, die Historie dadurch missbraucht und benutzt. Um deutsche Schuld zu relativieren, zu verharmlosen, um einen „Bomben-Holocaust“ zu konstruieren und gegen den Massenmord an den Juden aufzurechnen. Sechs- bis Siebentausend machen sich am Wochenende auf an die Elbe, im Blick schon den November: Dann wird in Sachsen gewählt.
Die Stadt erwartet sie. Wie jedes Jahr. Doch diesmal ist manches anders: Ein breites Bündnis für Demokratie hat zur Gegendemo aufgerufen. Nicht dabei ist die CDU. Auch nicht die FDP. Dafür etwa kirchliche Organisationen, Gewerkschaften, die SPD, Grüne, die Linkspartei. Aber der „Ausnahmezustand“ hängt nicht ihretwegen über der Stadt. Sondern wegen der Rechtsextremisten und vieler zumeist ebenfalls angereister gewaltbereiter Linksextremisten, die es hier mit den Nazis aufnehmen wollen. Was da kommen sollte und auch kam, kündigt sich bereits am Freitagabend an. Vor der Frauenkriche versammeln sich 3000 Dresdner zum stillen Gedenken unter dem Motto „Wahrhaftig erinnern – versöhnt leben“. Sie halten Kerzen, lauschen der Musik und den kämpferischen Worten des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel, der die Anwesenden aufruft, am Sonnabend „gegen die Rechten“ mitzudemonstrieren.
Die sind längst unterwegs. Über Tausend marschieren vom Hauptbahnhof zum Wettiner Platz und zurück. Durch gähnend leere Straßenschluchten. Die Polizei soll sie aus dem historischen Stadtzentrum fernhalten. Das gelingt.
Mitten dazwischen, am Külz-Ring, tanzen unterdessen ein paar Hundert Linksautonome zu Techno-Musik und dem wirren Spruch „Keine Versöhnung mit Deutschland“. Antideutsche nennen sie sich. Gewaltfreiheit ist nicht unbedingt ihr Ding. Noch sind sie friedlich. Umso seltsamer, dass die Polizei sie einkesselt, ihre Wagen im Karree, Stoßstange an Stoßstange. Was Vorsichtsmaßnahme ist, kann auch provozierend wirken. Es bleibt trotzdem ruhig. Vorerst.
Schon der frühe Sonnabend indes schmeckt nach Ausnahmezustand. Überall grüne und blauweiße „Minnas“ und 4300 Polizisten aus zehn Bundesländern. Im Zentrum kommt der Verkehr fast völlig zum Erliegen. Über den Albertplatz fegt eisiger Wind, als sich dort mehrere Tausend sogenannte Linksautonome in Bewegung setzen, beschallt von Musik, umtanzt von Clowns, durchsetzt von Vermummten. Es riecht nach Ärger.
Aus Deutschland und Europa
Ein paar Hundert Meter weiter sammelt sich am Goldenen Reiter die zentrale der drei „Geh Denken“-Demonstrationen, die ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen. Auch dort Tausende, aber aus allen Generationen, aus vielen deutschen Städten, aus mehreren Ländern. „Natürlich kommen wir heute hierher“, sagt Robert Slovacek und schließt die Faust fest um sein Schild mit den Initialen des tschechischen Gewerkschaftsbundes. „Wir erklären uns solidarisch mit allen, die sich für Demokratie einsetzen.“ „Und gegen den Faschismus“, ergänzt Frantisek Kopetz, angereist mit einer Solidarnosc-Delegation aus Jelenia Gora. Dann setzt sich der Zug in Bewegung, über den Carolaplatz, die Carolabrücke, zur Synagoge.
Dort drängelt sich ein Bekannter heran. „Gut dass ich dich treffe“, sagt er. Ich suche seit einer Stunde bekannte Gesichter. Wie viele Dresdner sind überhaupt hier?“ Gute Frage. Zwischen 8 000 und 10000 Menschen sind „gegen Rechts“ auf den Straßen, maximal die Hälfte davon Einheimische. „Die Bürger dieser Stadt wissen sich zu wehren“. So hat es OB Helma Orosz, die zu dieser Zeit am Altmarkt vor 1000 Teilnehmern und einiger CDU-Prominenz eine Gedenk-Stele einweiht, amVortag gesagt. Nur etwa ein Prozent der Dresdner folgt heute ihren Worten. Verständlich, weil viele Menschen lieber still gedenken. Aber in Zeiten des schreienden Missbrauchs des 13. Februars und dieser Stadt ist es damit allein nicht mehr getan.
Wieder „Bomben-Holocaust“
Das zeigt zur selben Stunde der Marsch der Rechtsextremisten vom Hauptbahnhof zum Postplatz. Durch die Altstadt dürfen sie auch heute nicht. Der Zug unter Führung von Sachsens NPD-Chef Holger Apfel und dem Bundesvorsitzenden Udo Voigt setzt auf Ordnung und Disziplin. Im November wird schließlich gewählt. Ihre Parolen macht das nicht erträglicher. Auch „Bomben-Holocaust“ ist wieder dabei. Auch das ist ein Akt der Gewalt, die nicht nur als körperliche Aggression daherkommt.
Eine andere eskaliert am Neumarkt: Einige Autonome wollen den Polizeikordon sprengen und zu den Rechtsextremen durchbrechen. Steine fliegen, ein Wasserwerfer fährt auf, Beamte jagen Gewalttätige. Die setzen sich ab. Zunächst zur Synagoge, dann zum Terrassenufer – und hinein in den Zug der friedlichen „Geh Denken“-Demonstranten. Ein Denken-Geher packt einen Fliehenden und zischt: „Du versteckst dich nicht bei uns, mach deinen Krawall woanders.“ Drei junge Antifa-Aktivisten befördern den Krawallo, wie die meisten fast noch Kind, aus den Reihen. „Sowas kotzt mich an“, sagt Uwe Rosemann. „Die machen uns doch alles kaputt.“
Rosemann ist zwanzig, mit einer Antifa-Delegation aus Flensburg nach Dresden gekommen und seine Aktion ein Symptom für das Dilemma der Autonomen: Deren friedliche Mehrheit wird immer wieder benutzt als Deckung, von törichten „Danke, Bomber-Harris“-Provokateuren und gewaltbejahenden, totalitär argumentierenden und handelnden Pseudo-Linken, die nicht merken, dass sie schon nicht mehr rot, sondern bereits rotbraun sind.
Aufmarsch der Extremisten
Um 16 Uhr haben die „Geh-Denken“-Züge ihr Ziel erreicht. Der Theaterplatz ist eine einzige bunte Menge. Luftballone steigen auf, eine ältere Dame verteilt lächelnd Schokolade, ein kleiner Junge Bonbons, wenn auch weniger freiwillig. Man wärmt sich innerlich am Glühwein, an der eigenen Masse und an der Polit-Prominenz, die so hochkarätig nach Dresden gereist ist wie selten. Darunter Verkehrsminister Tiefensee, Grünen-Chefin Claudia Roth, DGB-Chef Michael Sommer. SPD-Chef Franz Müntefering sagt, die „braune Soße“ dürfe in Deutschland „nie wieder eine Chance haben“. Wolfgang Thierse greift die Nicht-Beteiligung von FDP und CDU auf und fordert: „Es muss einen Konsens über die Parteigrenzen hinweg geben für Demokratie, Menschenrechte, gegen Ausländerfeindlichkeit.“
Doch zwischen die vielen wichtigen und richtigen Worte an diesem Tag fallen auch etliche Fragwürdigkeiten. Manche sind gut gemeint, wie die Behauptung, eine bessere Ausbildung sowie mehr Arbeitsplätze und gerechtere Löhne seien das beste Gegenmittel gegen Rechtsextremismus. Als wären nicht Finnland für das eine und die Schweiz für das andere traurige Gegenbeispiele – und das Problem viel komplizierter. Andere Sprüche hingegen sind völlig deplatziert.
Vielleicht hätte jemand auch Gregor Gysi vorher erklären sollen, dass es hier vor allem gegen politischen und ideologischen Missbrauch des Gedenkens geht. Und ihn so davor bewahrt, ähnliches zu tun, indem er unter anderem gegen Diäten-Erhöhungen wettert. Als ein Europaparlamentarier der Linken ruft, „wir haben nur die Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei“, platzt einem jungen Demonstranten der Kragen: „Ich bin nicht hier, um mir diesen Parteipolit-Scheiß anzuhören! Selbst wenn im November gewählt wird!“ Schimpft’s, und geht zurück über die Augustusbrücke. Viele tun es ihm gleich. Auch einige Krawallos, die am Albertplatz Polizeiwagen umwerfen. Zur Eskalation kommt es jedoch nicht mehr. Später plaudern dort zwei Antifa-Aktivisten mit zwei Polizisten. Man scherzt. Man wünscht sich „einen schönen Abend“. Gegenseitig.
Eine Stunde danach erinnert im Schauspielhaus das uraufgeführte Stück „Die Wunde Dresden“ an die Mitschuld Dresdens am 13. Februar 1945. Diese Wunde hat sich nach dem 13. und 14. Februar 2009 keinen Milimeter geschlossen. Auch nicht dadurch, dass die Aktion „Geh Denken“ erfolgreich war und mehr Demokraten gegen weniger Rechtsextremisten demonstrierten. Weil mehr als je zuvor Dresden auch Aufmarschplatz war für rechte und linke Demokratiefeinde. (Von Oliver Reinhard)
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