Jüdische Allgemeine: Sylke Tempel wünscht sich eine Dresdner Gedenkoffensive

Jüdische Allgemeine Nr. 8/09
19. Februar 2009

! Einspruch !
Sylke Tempel wünscht sich eine Dresdner Gedenkoffensive

Das ist der Gipfel. Nicht nur, dass am Wochenende wieder einmal Neonazis Dresden belagerten, um dort ihre Aufmärsche zum Gedenken an die Bombennacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 zu veranstalten. In diesem Jahr verprügelten sie auch noch einige Gegendemonstranten, darunter Gewerkschafter und Mitglieder der Linkspartei (vgl. S. 2). Nun wird wohlfeil die Polizei kritisiert, die zu wenig getan habe. Nur: Das ist allerhöchstens die halbe Wahrheit. Seit Jahrzehnten vereinnahmen Rechtsextremisten die Stadt und das Gedenken an die Luftangriffe. Zu DDR-Zeiten kam ihnen die staatlich verordnete, antiwestliche Rhetorik von den „anglo-amerikanischen Bombern“ gelegen. Dann sind es Mutlosigkeit und Beschränktheit der Politik gewesen: Die deutsche Linke hatte keine Lust, sich mit dem historischen Ereignis zu beschäftigen, wollte man die Deutschen doch nicht als Opfer sehen. Die Konservativen schwiegen, weil sie den Vorwurf des Revisionismus fürchteten. So konnten die Rechtsextremen gleichermaßen Ort und Gedenken besetzen. Dabei muss es doch möglich sein, zwei Gedanken auf einmal zu denken und dies der Öffentlichkeit plausibel zu machen: Natürlich haben Deutsche unter den Bomben gelitten. Natürlich sind Hunderttausende Zivilisten getötet worden. Natürlich waren viele von ihnen keine Nazis. Dennoch bleibt das Prinzip von Ursache und Wirkung bestehen: Ohne Hitler, den Deutsche gewählt haben, hätte es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben und folglich keine alliierten Angriffe auf Hamburg, Köln oder Dresden. Im nächsten Jahr sollte deshalb keine Gegendemonstration, sondern eine Hauptdemonstration stattfinden: mit Politikern der ersten Garde und einer bürgerlichen Mitte, die zugleich das Leiden und die Verantwortung der Deutschen thematisiert. Nur so wird man Dresden und das Gedenken zurückerobern.

Die Autorin ist Chefredakteurin der Zeitschrift „Internationale Politik“.

 

Quelle:
http://juedische-allgemeine.de/epaper/pdf.php?pdf=../imperia/md/content/ausgabe/2009/ausgabe08/01.pdf

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