Replik auf einen Diskussionsartikel im AIB

Die Debatte um die Bewertung der Ausrichtung der beiden Antifa-Vorbereitungsbündnisse für den 13. Februar hat bereits begonnen. Wir dokumentieren einen Indymediabeitrag der eine Reaktion auf einen Diskussionsartikel im AIB darstellt.

Die Mythen des Vorbereitungskreis ‚Keine Versöhnung mit Deutschland‘

Im Antifaschistischen Info Blatt #84 ist eine Replik zu einem Text des ‚No Pasaran‘ – Bündnis (NP) aus der Ausgabe 83 erschienen. Mit der kämpferischen Ansage ‚Kein Frieden mit dem Dresden – Mythos‘ versucht man sich inhaltlich mit der Position von NP auseinandersetzen. Neben einigen nicht von der Hand zu weisenden Argumenten, ist der Grundtenor des Artikels jedoch vor allem Ausdruck der Stürmung einer ideologischen Sackgasse. Die Kritik am Gedenken ist nicht auf der Höhe der Zeit, im Gegenteil, verglichen mit früheren Positionen von ‚venceremos‘ gar eine Rolle rückwärts. Das ist schade…

Unter dem Abschnitt ‚Problem verkannt?‘ wird zu Recht kritisiert, dass im besagten Artikel nicht hinreichend ausgeführt worden ist, dass der Neonaziaufmarsch nicht so einfach vom Himmel gefallen ist, sondern eine Mitursache für die Ausmaße, die er inzwischen gewonnen hat, auch im Verhältnis der Stadt zu ihrem 13. Februar liegt. Wenn es z.B. vorkommt, dass etwa 800 Neonazis in der Lokalpresse unter ‚Bürger‘ subsumiert werden, wie es noch Anfang des Jahrtausend geschah, dann zeigt dies deutlich, dass es da wohl ein Problem gibt.

Wenn man jedoch behauptet, dass NP das Problem verkannt hat, dann muss aber auch der Bündnisaufruf des letzten Jahres ignoriert werden, indem es u.a. hieß: "Es ist kein Zufall, dass Dresden für die Nazis eine große Bedeutung hat: Die politische Anschlussfähigkeit an Teile des bürgerlichen Lagers, das von einem rechten CDU-Landesverband dominierte Klima, ein scheinbar nazifreundliches Ordnungsamt, ein kaum vorhandenes zivilgesellschafliches Engagement und der anfänglich nur schwache antifaschistische Widerstand haben ihn so lange erhalten können."

Stoßrichtung des Artikel von NP war nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Dresdner Gedenken, sondern die Betonung der Notwendigkeit eines breiten Bündnis zur Verhinderung des Naziaufmarsches. Die Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Gedenken wird deshalb aber nicht ausfallen, sie wird nur an anderer Stelle stattfinden. Die Saison ist noch jung, es ist davon auszugehen, dass ‚NP‘ da noch entsprechend nachliefern wird. Man kann sicher kritisieren, dass dies bis jetzt noch nicht explizit geschehen ist, jedoch braucht eine fundierte Kritik auch Raum sich zu entwickeln, will man nicht in pure Phrasendrescherei verfallen oder dabei stehen bleiben. Dies ist nämlich bei dem Text des VK ‚ Keine Versöhnung mit Deutschland‘ par excellence geschehen.

Ausgangspunkt der Überlegung ist, dass ein öffentliches Gedenken per se geschichtsrevisionistisch, also geschichtsverfälschend, sei. So hieß es bereits im letzten Jahr daher folgerichtig kurz und knackig ‚Gedenken abschaffen‘ und in diesem Jahr: "Der Hintergrund vor dem die Neonazis ihre Propaganda anbieten, bleibt aber die Erzählung von den Deutschen als Opfer, die auch in ihren bürgerlichen Varianten die Relativierung [gemeint: Verharmlosung A.d.A] der Schuld der Deutschen zum Ziel hat."
Wenn also Nora Goldenbogen, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Dresden sagt:
"Seit vielen Jahren beteiligen wir uns an den Gedenkveranstaltungen der Stadt Dresden oder an den Friedensgebeten der Kirchen." dann ist also in den Augen des VK die jüdische Gemeinde in Dresden Teil des Problems. Auch sie machen mit beim Gedenken, sie sind also Teil des Opfermythos. Denn immerhin gehören sie ja auch zu den Erstunterzeichnern unter dem Aufruf des Geh-Denken Bündnis.

Das mag grotesk klingen, ist jedoch nur die logische Konsequenz in einem Weltbild wo dichotom zwischen Opfern und Täter geschieden wird. Das Täter auch gleichzeitig Opfer sein können – in der Welt des ‚VK‘ unmöglich. ‚Deutsche Täter sind keine Opfer!‘ diese Phrase, dieses Dogma ist Ausgangspunkt aller Überlegungen. Da stört es auch nicht, dass bei einem Volltreffer auf die Gefangenanstalt Mathildenstraße hunderte Antifaschisten, darunter auch zahlreiche Deutsche, den Tod fanden. ‚Deutsche Täter sind kein Opfer!‘ und da spielt keine Rolle, dass eine Tat eine schuldhafte Handlung benötigt. Dresden war oder ist ‚deutsch‘. Alle die es da getroffen hat, ob Kleinkind oder Antifaschisten ‚Deutsche Täter sind keine Opfer!‘. Das heißt: Nicht nur, dass man offensichtlich unfähig ist einer Person sowohl den Status des Opfers als auch des Täters zuzugestehen, selbst Menschen die niemals individuelle Schuld auf sich geladen haben konnten, wie etwa Kinder, selbst erklärte Gegner des Nationalsozialismus, alles eine Soße. Volksgemeinschaft at it’s best.

Angesichts dieses theoretischen Rahmen kann der Umgang mit dem Gedenken natürlich nicht wundern, so heißt es: "Nur über Mittel der Relativierung, Entkonkretisierung und Entkontextualisierung gelingt die pauschale Verklärung der NS-Bevölkerung, die sich angesichts deren Verstrickungen ins NS-Regime verbieten müsste." Mit ‚Relativierung‘ und ‚Entkontextualisierung‘ ist auch so gleich die eierlegende Wollmilchsau gefunden. Wenn also am Heidefriedhof die Stelen für Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Ravensbrück, Sachsenhausen,Theresienstadt, Coventry, Leningrad, Rotterdam, Warschau, Lidice und Oradur einen Rahmen, man könnte auch sagen Kontext, bilden für die Dresdner Stele, dann ist dies natürlich ein Ausdruck der Relativierung (Verstanden als Verharmlosung). Wenn man an der Frauenkirche gedenkt – völlig unabhängig vom Inhalt der gehaltenen Reden – dann ist dies natürlich eine Entkontextualisierung, denn die Frauenkirche ist ein Symbol der Zerstörung gewesen. In einer solchen Wahrnehmung gefangen, kann der kategoriale Unterschied zwischen Neonazis und Bürgern nicht wahr genommen werden, dass es den Nazis nämlich darum geht mit dem Hinweis auf die Ereignisse in Dresden den Nationalsozialismus zu rehabilitieren, weil die Alliierten auch unschöne Dinge gemacht haben, während die Bürger sowohl die Bombardierung als auch die nationalsozialistische Herrschaft als Katastrophe betrachten und durchaus, dies wird in den Reden immer wieder betont, in der Lage sind einen kausalen Zusammenhang zwischen Beidem herzustellen. Und dies ist nicht nur ein vordergründiger Unterschied, wie der ‚VK‘ glauben machen will.

An der Stelle wo die Bürger sich natürlich als Opfer der Verhältnisse oder Nazis sehen wollen, ist natürlich Einspruch anzumelden. Auschwitz war nur möglich, weil die meisten nichts getan haben, Dresden fand statt, weil nur die militärische Aktion die Barbarei beenden konnte. Die Konsequenz daraus kann aber nicht sein, dass man heute Bürger mit Nazis in einen Topf wirft, sondern dass man an sie appelliert gemeinsam die Nazis aufzuhalten. Dazu gehört auch, dass man anerkennt, dass es in Dresden Opfer gab. Nicht aus einem taktischen Kalkül heraus, sondern weil die Verneinung dieses Umstandes einer Geschichtsfälschung gleichkommt. Doch während man früher wenigstens noch individuelle Trauer akzeptieren konnte ist nun plötzlich auch individuelle Trauer kritisierbar. Dies wird zwar nicht weiter ausgeführt, zeigt aber in welche Richtung der Zug Fahrt aufgenommen hat. Das ist insbesondere deswegen bedauerlich, weil in den letzten Jahren eine wachsende Bereitschaft im bürgerlichen Lager zu konstatieren ist, sich auch aktiv gegen den Naziaufmarsch zu stellen. Die Nivellierung von bürgerlichen und neonazistischen Positionen, so wie dies der VK ‚Keine Versöhnung mit Deutschland‘ betreibt ist dabei alles andere als hilfreich, außerdem wird diese dem Gegenstand der Kritik nicht gerecht.

Quelle:
de.indymedia.org/2009/10/264124.shtml

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