Versammlungsgesetzentwurf in der Kritik – Bericht von der Anhörung mit Sachverständigen im Landtag

Gestern fand im sächsischen Landtag eine
Anhörung zum Gesetzentwurf für das neue Versammlungsgesetz statt.
Dieser soll kaschieren, dass die CDU schon seit Jahren jeglichen
praktischen Protest in Dresden gegen den Naziaufmarsch am 13. Februar
aktiv behindert. Stattdessen wird der Naziaufmarsch als Vehikel
genutzt, um das Versammlungsgesetz in Sachsen gravierend
einzuschränken.


Über diesen Vorgang und den Inhalt des Gesetzentwurfs wurde schon von „Alternative Dresden News“ ausführlich berichtet. Hier erstmal noch eine kurze Zusammenfassung.

Nach
diesem Gesetzentwurf soll es prinzipiell erleichtert werden,
Demonstrationen mit dem Argument der Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung zu beauflagen oder ganz zu untersagen. Das gilt
insbesondere für Demonstrationen, die schon in der Vergangenheit zu
Gefährdungen und Störungen geführt haben und in direkten Bezug zur
aktuellen Veranstaltung gebracht werden können, oder „besondere
tatsächliche Umstände die Annahme rechtfertigen, dass die Versammlung
oder der Aufzug in gleicher Weise zu einer Gefährdung führen wird.“ Mit
dieser Argumentationsgrundlage lässt sich theoretisch jede Antifa- oder
Nazidemonstration verbieten.

Neben dem
totalitarismustheoretisch geprägten Sprachgebrauch in der Begründung
zum Gesetzentwurf, zeigt sich auch in der konkreten Ausgestaltung der totalitarismustheoretische Ansatz, wenn nämlich
im Entwurf weiterhin davon die Rede ist, das Versammlungsrecht an Orten
die mit nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft
in Verbindung stehen einzuschränken.

Konkret als Orte benannt
mit genau definierten Umgebungen werden allerdings nur das
Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, die Frauenkirche mit Neumarkt in
Dresden und am 13. und 14. Februar zusätzlich die nördliche Altstadt
und die südliche innere Neustadt. Würde man dieses Szenario konkret auf
den 13. und 14. Februar 2009 in Dresden beziehen, so stellt man fest,
dass die Naziaufmärsche auch schon letztes Jahr außerhalb dieses
Bereichs lagen. Stattdessen wären davon fast alle Gegenveranstaltungen
betroffen gewesen.

Gegen den Naziaufmarsch wäre dann konkret
nur noch ein äußerst wackliges Konstrukt aus der inhaltlichen
Begründung des Gesetzentwurfs verwendbar. Die Würde der Opfer außerhalb der
konkret benannten Orte sei durch die allgemeine Verschärfung des
Versammlungsrechts geschützt. Das Leugnen der Verantwortung des
nationalsozialistischen Regimes durch die Nazis wird dann einfach als
Verhöhnung der Opfer der Bombardierung definiert.

Zur
allgemeinen inhaltlichen Begründung brauchen nicht viele Worte verloren werden.
Am Bemerkenswertesten ist die Feststellung, dass die Frauenkirche in
Dresden seit 1945 das stärkste Sinnbild für die zivilen Opfer des
Krieges ungeachtet ihrer Nationalität wäre. Der rassisch motivierte
Vernichtungs- und Eroberungskrieg vor allem im Osten Europas wird dabei
völlig außer Acht gelassen, bzw. vom zweiten Weltkrieg einfach
abgetrennt, als hätte es damit nichts zu tun gehabt. Auch Auschwitz
fand während des zweiten Weltkriegs statt und wurde in dem Ausmaß nur
durch diesen möglich. Diese Vernichtungslager dürften als Symbols zu
Recht wesentlich stärkere Sinnbilder für zivile Opfer in diesem Krieg
sein.

Zu den restlichen historischen Ungenauigkeiten sei den
Machern des Gesetzentwurfs das Studium von Fachliteratur zum Thema
empfohlen. Zum Beispiel „Dresden im Luftkrieg“ von Götz Bergander, der
auch zur Historikerkommission gehört und schon in den 70er Jahren
anfing, eine objektive historische Betrachtung des Ereignisses zu
publizieren.

Am Mittwoch, den 25. November 2009 tagte nun
der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss des Sächsischen
Landtages. Am Anfang dieser Sitzung stand eine öffentliche Anhörung von
Sachverständigen zu dem Gesetzentwurf.

Geleitet wurde die
Sitzung vom CDU-Landtagsneuling Martin Modschiedler, der die
Gelegenheit wahrnahm, nach Herzenslust die NPD und ihren "Gutachter"
Christian Worch zu dissen. Das Publikum war gemischt, lachte aber
mehrheitlich darüber. Nazis selbst waren nur wenige zu sehen: René
Despang mit weiblichem Anhang und Hartmut Krien. Andreas Storr saß als
Mitglied im Ausschuss und spielte Worch in der Fragerunde den Ball zu,
was dieser aber so gut wie garnicht ausnutzte. Die Statements im
Einzelnen.

Prof. Dr. Dirk Heckmann, CDU-Mitglied, fand den
Gesetzentwurf im Großen und Ganzen verfassungsrechtlich unbedenklich,
hatte dennoch eine Reihe Detailkritiken anzubringen. Mit Erstaunen
vermerkte er beispielsweise, dass mit dem Schutz von Opfern der
"kommunistischen Gewaltherrschaft" juristisches Neuland betreten wird.
Andere Absätze fand er zu weit gefasst und damit zu unklar, nämlich
dort, wo der Versöhnungsgedanke und die Opfer des Krieges geschützt
werden sollen.

Kati Hille vom Landratsamt Sächsische Schweiz
Osterzgebirge, CDU-Mitglied, begrüßte den Entwurf. Sie stellte zwar
fest, dass es in ihrem Landkreis bisher immer gelungen war, historisch
sensible Orte in der Verständigung mit den Veranstaltern unberührt zu
lassen, fand es aber besser, dies nun bequem per Gesetz verordnet zu
bekommen.

Ralf Hron, Dresdner DGB-Chef, stellte die Position des
DGB vor. Darin waren die deutlichsten Worte gegen den Aufmarsch zu
vernehmen. Inbesondere mahnte er an, dass das bürgerschaftliche
Engagement zu unterstützen sei, ein Verbot von Nazidemos jedoch auch
nicht schlecht ist, die Zivilgesellschaft jedoch nicht davon entlastet,
Position gegen Nazis zu beziehen. Er betonte, dass Protest in Sicht-
und Hörweite endlich einmal auch in Dresden zuzulassen sei, da es
immerhin geltendes Recht darstellt, dass der Gegenstand des Protestes
diesen zu hören und zu sehen bekommt. Tausende PolizistInnen zum
Schutze der Nazidemo heranzukarren sei ebenso unverständlich, da
PolizistInnen im Dienste der Bürger zu stehen haben.

Prof. Dr.
Martin Morlok, SPD-nah, widmete sich einer ausführlichen, sehr klaren
Kritik des Entwurfes und bescheinigte diesem, ein
verfassungsrechtliches Risiko zu sein. Der Entwurf versuche mehrere
unscharfe Rechtsbegriffe sich gegenseitig stützen zu lassen: Die Würde
der Opfer, Orte mit historischer Bedeutung und der öffentliche Frieden.
So sei es fraglich, ob es nachweisbar ist, dass ein Ort der Historie
die Würde der Opfer verletzt, indem dort demonstriert wird. Als
Kernproblem benennt er: Wann liegt denn eine solche Würdeverletzung
vor? Und was ist ein Ort von historisch herausragender Bedeutung? Er
hält die Gesetzgebungstechnik daher für missglückt, da hier
Erinnerungspolitik und Gefahrenabwehr ineinander gedreht werden. Das
Grundrecht auf freie Wahl des Ortes einer Demonstration kann nicht
eingeschränkt werden, ohne dezidiert nachzuweisen, dass eine Verletzung
der Menschenwürde der Opfer an diesem Ort vorliegt.

Prof. Dr.
Christian Pestalozza ist prinzipiell dafür, den Gesetzentwurf auf den
Weg zu bringen. Allerdings versteht er nicht die Gleichsetzung des
Unrecht des NS mit der „kommunistischen Gewaltherrschaft“. Hier muss
eine klare Distanz zum NS geschaffen werden. Des weiteren versteht er
nicht, warum im Gegensatz zum Entwurf dafür die Synagogen nicht mehr
erwähnt werden. Die Orte der Opfer des NS müssen unbedingt wieder
hinein, also Synagogen, ehemalige Synagogen, Konzentrationslager und
deren Außenlager. Absatz 15 Punkt 2 sei zu streichen.

Prof. Dr.
Ralf Poscher bemängelt, dass im ersten Absatz mit Copy&Paste
geschlampert wurde, durch eine unsaubere Ummodelung eines Bundesgesetz
zum Landesgesetz. Desweiteren gehe es nicht an, dass argumentiert werde
mit den Erfahrungen vergangener Demonstrationen, sondern es müsse immer
eine konkrete Gefahr nachgewiesen werden, da Demonstrationen ohnehin
bei sich entwickelnden Gefahren aufgelöst werden können. Zum Anliegen
der Gesetzes macht er deutlich, dass der Gesetzgeber hier in der
Pflicht ist, zu beweisen, warum eine solche Grundgesetzeinschränkung
notwendig ist. Es muss außerdem klargestellt werden, welche Orte warum
betroffen sind – unter Wahrung des Grundgesetzes. Skeptisch ist er, wie
die Würde einzelner Menschen an Orten gefährdet sein kann, hier
schließt er sich Prof. Morlok an.

In der Fragerunde hatte Prof.
Poscher außerdem Gelegenheit, über das Trennungsgebot zu sprechen. Der
neben ihm sitzenden Ordnungsbürgermeister Sittel mußte sich damit im
Prinzip anhören, dass dieses sich nicht über mehrere Kilometer
erstrecken kann. Leider waren jedoch die Gerichte genau dieser
Argumentation von Poscher, die im Kern auch für die diesjährige
Demonstration von No pasarán vor Gericht gebracht worden war, nicht
gefolgt, sondern hatten die dem Dresdner Ordnungsamt eigene
Rechtsauffassung bestätigt.

Ordnungsbürgermeister Sittel
bemerkte, dass die Situation um den 13. Februar für die Dresdner Bürger
nicht zufriedenstellend ist. Dennoch haben die Bürger rechtextreme
Demonstrationen hinzunehmen, auch wenn nach seinen Erkenntnissen die
Mehrheit dagegen ist oder ein Verbot wolle. Ein Verbot sei wegen des
hohen Gutes der Versammlungsfreiheit jedoch nicht möglich, sondern
vorher müssen die Auflagen vollständig ausgeschöpft werden, weswegen
die entsprechenden Bescheide auch immer länger werden. Er betonte, dass
im Prinzip das gesamte Demonstrationsgeschehen um den 13. eine Folge
der rechtsextremen Demos sind, dass also diese das Problem darstellen.

Christian
Worch, der von der NPD als Experte in die Runde geschickt wurde, hatte
offenbar kein eigenes Gutachten angefertigt, sondern kommentierte nur
munter seine Vorredner, indem er sich das rauspickte, was ihm vom
Gesagten in den Kram passte. Einen Seitenhieb auf Ralf Hron konnte er
natürlich auch nicht unterlassen. Besonders gefiel ihm aber
anscheinend, was Prof. Morlok zum Völkerschlachtdenkmal sagte, nämlich
dass die Würde der Opfer der Völkerschlacht allmählich ausdünne. Damit
zeigt er, dass er, der zum Thema 13. Februar ohnehin im Clinch mit den
Veranstaltern der Nazidemo liegt, auch inhaltlich überhaupt kein
Interesse an dem Thema zeigt. Zum Gesetzentwurf sagte er immerhin, dass
er es vor dem Verfassungsgericht kippen möchte. Er prangerte an, dass
es hastig "vor dem 13. Oktober" durchgezogen werden solle. Dies bot
einen weiteren Anlass, auf Nazikosten zu lachen, was sich nicht wenige
Anwesende immer wieder genehmigten.

Alles in allem werden CDU
und FDP, die "Möchtegerngesetzgeber", wie einem der Professoren
herausrutschte, ordentlich nachzuarbeiten haben. Besser wäre es natürlich, sich lieber auf praktischen Protest zu konzentrieren, statt wieder nur die staatliche Gewalt zu bemühen.

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