Es brennt in Sachsen

Ein sehr guter Artikel über die Brandanschläge in Sachsen erschien auf der Titelseite der Zeitung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens – „Der Sonntag“ – am 10. September 2010. Insbesondere die rassistischen Brandanschäge werden hier thematisiert, in dem die Perspektive eines Restaurantbesitzers beschrieben wird, der 60.000 Euro Schaden hatte. Das Spendenkonto der RAA ist unten angegeben.

Es brennt in Sachsen

10. September 2010
Redaktion DER SONNTAG
Titelseite

Kemal Günes ist Türke – und integriert in Deutschland. Dann fliegen Brandsätze in sein Restaurant. Kein Einzelfall in Sachsen.

Kemal Günes ist es gewohnt: Dass er in einer Gaststätte eine halbe Stunde lang auf ein bestelltes Bier wartet – vergebens. Oder dass seine Beutel an der Supermarkt-Kasse misstrauisch untersucht werden – als würde er stehlen. Oder dass in seinem türkischen Restaurant mitten in Freiberg auf Ausländer geschimpft wird. »Dann mache ich so«, sagt Kemal Günes, der seinen richtigen Namen nicht veröffentlichen will, und hält sich seine Ohren zu.

Doch den Rauch in jener Sommernacht konnte er nicht mehr verdrängen. Beißend stieg er ihm in die Nase. Es war kurz nach drei, Kemal Günes hatte noch seinen Laden sauber gemacht und sich gerade hingelegt, da dachte er: »Vielleicht habe ich Brot im Ofen vergessen?« Als er zum ­Fenster auf die Straße hinuntersieht, quillt der Rauch schon aus der Gaststätte unter seiner Wohnung. Fenster und Tür des Lokals sind mit Steinen eingeworfen, Sitzbänke und Tische stehen in Flammen. Günes schiebt einen der mit Benzin getränkten Lappen auf die Straße – mit dem Fuß, seine Hose fängt Feuer.

Bereits zwei Nächte vor diesem 29. Juli hatte ein paar Straßen weiter in Freiberg ein Kebab-Imbiss gebrannt.

In Eilenburg wurden im Juni und Juli zwei Imbisswagen, deren Betreiber ausländische Wurzeln haben, ebenfalls Opfer von Brandanschlägen.

In Döbeln wurden im Juli Autos eines gegen Rechtsextremismus aktiven Vereins angezündet, und in Dresden im August zwei links-alternative Häuser, in denen Erwachsene und Kinder schliefen.

Am 29. August brannte die Begräbnishalle des Neuen Jüdischen Friedhofs in Dresden – und am 5. September ein Asia-Imbiss in Brandis bei Leipzig.

»Allein im ersten Halbjahr 2010 gab es 120 rechtsextreme und rassistische Gewalttaten in Sachsen«, sagt Juliane Wetendorf von der Opferberatungsstelle RAA in Chemnitz. »Im Vergleich zum letzten Jahr ist das ein leichter Anstieg. Auffällig sind 2010 vor allem die zwölf Brandanschläge und ihre Brutalität.«

Das Landeskriminalamt (LKA) ist zurückhaltend mit Vermutungen über die Täter. Zwar ermittelt in einigen Fällen die Sonderkommission Rechtsextremismus. Doch LKA-Sprecherin Silvaine Reiche sagt: »Erfahrene Kollegen schließen einen rechtsextremen Hintergrund nicht aus – aber die Taten müssen nicht unbedingt politisch motiviert sein.«

Der Mann, der vermutlich das Restaurant von Kemal Günes angezündet hat, wurde von der Polizei mittlerweile gefasst. Ein schon vorher straffälliger und arbeitsloser 26-Jähriger, der angab, grundsätzlich nichts gegen Ausländer zu haben – nur leisteten sie so wenig für das Aufblühen der regionalen Wirtschaft. Deshalb die Brandsätze. Auch warf er in der selben Nacht vermutlich noch die Steine in einen Asia- und einen Orient-Imbiss schräg gegenüber von Günes’ Gaststätte. Ob das Rassismus ist, muss ein Gericht klären.

Das Urteil für Kemal Günes ist schon gesprochen. Verloren wie ein Fremder steht er in seinem Restaurant: Schwarz verkohlt sind die einst grünen Wände, Kabel hängen von der Decke, der Tresen ist nur noch ein Gerippe. »Alles Schrott, alles kaputt«, sagt er leise, sieht zu Boden und ringt um Fassung. Die Versicherung wird ihm 10.000 Euro zahlen, die Stadt Freiberg bittet um Spenden. Sein Schaden aber beträgt 60.000 Euro. »Ich habe keine Kraft mehr, und kein Geld«

Kemal Günes war ganz anders als die Ausländer in der Propaganda der neuen Nazis: Er hat in Deutschland sein eigenes Geld verdient, hat Steuern gezahlt, lag dem Staat nicht auf der Tasche. Seit dem Brandanschlag braucht er Hartz IV, es ist ihm sichtlich unangenehm.

Letzte Nacht erst prangte wieder ein Aufkleber auf seinem Briefkasten. Darauf ein Mann in Hitler-Pose, mit erhobenem Arm.

Andreas Roth

Spendenkonto des Vereins RAA Sachsen für die Opfer der Brandanschläge
Konto: 643998600, BLZ: 85080200, Verwendungszweck: Brandanschläge

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