Demonstration und Straßenfest gegen die Nazibrandanschläge

Gegen Naziterror demonstrierten am 18.9.2010 etwa 800 Menschen von der Dresdner Neustadt durch die gesamte Innenstadt zum Hauptbahnhof. Die Zahl blieb unter den Erwartungen, was jedoch der großen Konkurrenz an politischen Aktionen geschuldet war. So fuhren allein zur Anti-Atom-Großdemo in Berlin drei Busse aus Dresden. Desweiteren blieb die Szene aufgrund der kurzen Mobilisierungszeit weitgehend unter sich.

Durch die Route über das Terrassenufer wurden die Ausflügler auf der Brühlschen Terrasse ausführlich informiert. Viele DemoteilnehmerInnen schwärmten zudem mit Flugblättern aus und kamen mit PassantInnen ins Gespräch. Am Postplatz wurde die Demo durch eine Dachaktion von drei Menschen überrascht, die mit rosa Nebel und einem Transparent („soziale Revolution jetzt“) auf sich aufmerksam machten. Als am Hauptbahnhof aufgelöst wurde, prügelte die Polizei plötzlich los, ein Bild der Prügelbullen findet sich unter dem Artikel auf Indymedia. Die Polizei hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass sie eine seltsame Art der Rechtsauslegung verfolgt: So mussten Schriftzüge wie „Good Night white Pride“ abgeklebt werden.

Während der Demonstration gab es für die AnwohnerInnen der Columbusstraße in Dresden-Löbtau ein Straßenfest. In dieser Straße befindet sich das Haus mit der „Praxis“, wo ein Zimmer nach einem Brandanschlag ausbrannte. Mit Kinderfest, süßen Leckereien wie Punsch und Kuchen, Infoständen und Musik wurden die NachbarInnen zum lockeren Gespräch eingeladen. Viele nutzten die Gelegenheit, während sich die Kinder schminken ließen oder mit Straßenmalkreide aufgemalte Spiele spielten oder selbst malten. Auch „große Kinder“ spielten Federball und co. Die DemonstrationsteilnehmerInnen wurden anschließend mit Vokü, Livemusik und Feuershow empfangen und konnten den Tag ausklingen lassen.


Redebeitrag des AK Antifa Dresden zur Dresdner Naziszene

Lange Zeit hat sich die Dresdner Naziszene vergleichsweise ruhig verhalten, so schien es zumindest. Zwar gab es einzelne heftige Übergriffe: Überregional Aufsehen erregt hatten im Juni 2008 die Vorfälle nach dem EM-Halbfinalspiel Deutschland – Türkei, wo eine Horde Nazihools türkische Läden, deren BesucherInnen und PassantInnen in der Neustadt angriffen. Als im März 2009 deswegen ein Prozess stattfand, wurde einer der ProzessbeobachterInnen, ein Mitarbeiter des Kulturbüro bis in die Neustadt verfolgt, dort gestellt und brutal zusammengeschlagen. Zwar gab es jedes Jahr ein bis zwei Großdemonstrationen zum 13. Februar. Zwar existiert seit Jahren der Nazitreffpunkt auf der Oskar-Röder-Straße. Und die Nazis sitzen im Stadtrat und im Landtag, machen Wahlkampf für die NPD, produzieren sich bei Fußballspielen, stören gelegentlich Veranstaltungen des politischen Gegners, einzelne üben sich in Streetart oder malen Hakenkreuze, fahren zu Naziaufmärschen in andere Städte und bilden sich beim Jugendstammtisch weiter.

So klingt es im Nachhinein zynisch, diesen Zustand als relativ ruhig zu bezeichnen, aber er wurde wohl zu oft so wahrgenommen. Immerhin hat es in Dresden schon andere Zeiten gegeben. Anfang der 90iger mussten sich die ersten alternativen Projekte in der Neustadt regelmäßig militant selbst verteidigen. Jahrelang wurde der Abwehrkampf gegen die Nazis geführt, bis das Leben in der Neustadt einigermaßen sicher wurde. Mit dem Erstarken der NPD in der Mitte bis zum Ende der 90iger Jahre wurden auch in Dresden die Nazis wieder präsenter. Sie veranstalteten Demonstrationen, von 2001 bis 2003 knapp 20 Naziaufmärsche, dazu Störaktionen, Infostände und Veranstaltungen. Ein ermüdender Kampf begann darum, dass die Nazis niemals ungestört auf der Straße agieren konnten. Danach waren die großen Kader weg oder ruhig, die Kader, die die Nazis so erfolgreich um sich scharen konnten, die überregionale Nazikonzertlocations aufbauten und spontane Aktionen mit bis zu 80 Nazis machen konnten.

Es wurde – wie eingangs festgestellt „vergleichsweise“ ruhig. Doch durch den festen Treffpunkt auf der Oskar-Röder-Straße und die festen Events beim Fußball, sowie einer entsprechend dort immer anzutreffenden Nazi- und Hoolszene, erhielten sich die Nazistrukturen. Sie erhielten sich nicht nur, sie radikalisierten sich offenbar. Ein Herr Stanley Nähse der etwa 2004 mit wackligen „Hatecore“-Buchstaben auf Hauswänden in Mickten und Trachau anfing, ging schon bald dazu über, den politischen Gegner verbalradikal „töten“ zu wollen. Immer wieder schmierte er Klarnamen, Sprühercrews oder Antifa mit dem Zusatz „töten“ an unzählige Orte. Aus dem kleinen Schmierfink wurde ein in Nazi- und Hoolkreisen anerkannter „Kamerad“, der seine Streetcredibility nicht nur aus stadtweit anzutreffenden „Hatecore“-Sprühereien zieht, sondern auch aus anderen Aktionen gegen Linke.

Nun ist also die Katze aus dem Sack: Jetzt reden die Nazis nicht mehr nur vom Töten. Jetzt zünden sie dem politischen Gegner nächtens das Schlafzimmer an. Und das nicht nur einmal. War das Eis einmal gebrochen, flog gleich nach wenigen Tagen ein Molli in das nächste Wohnhaus. In beiden Fällen können wir von Glück sagen, dass wir jetzt niemanden zu betrauern haben. Darauf wollen und können wir nicht warten – wir müssen aktiv werden, den Nazisumpf austrocken – jetzt, hier, ein und für allemal.

Wehret den Anfängen – Wehret den Fortsetzungen!


Pressemitteilung von Julia Bonk

„Nazi-Gewalt  bedroht das Miteinander und die Vielfalt in Dresden“: zur Demonstration  am Samstag gegen die auch in Dresden um sich greifenden Bedrohungen  durch Neonazis erklärt die Dresdner Landtagsabgeordnete der LINKEN MdL  Julia Bonk

„Dresden hat am vergangenen 13. Februar gezeigt, dass  breit vorgetragener Protest gegen neonazistische Umtriebe einerseits  notwendig ist und andererseits aber auch erfolgreich sein kann. Es wäre  aber grundfalsch, die aktuell auch in Dresden zunehmende Nazigewalt zu  ignorieren oder zu negieren.
Im letzten Monat wurden in Sachsen vier  Brandanschläge verübt. Allein drei davon in Dresden, wobei alternative  Wohnprojekte und der Neue Jüdische Friedhof Ziele von Angriffen wurden.  Im August zündeten bisher nicht identifizierte Täter, die wahrscheinlich  aus der rechten Szene stammen, ein Erdgeschosszimmer in der „Praxis“ in  Dresden-Löbtau mit Brandbeschleuniger an. Es ist einem glücklichen  Zufall zu verdanken, dass keine Menschen bei diesen Anschlägen zu  Schaden gekommen sind. Nur fünf Tage später wurde das antirassistische  Wohnprojekt „RM 16“ mit einem „Molotow-Cocktail“ angegriffen. Es sei  hier noch einmal klipp und klar gesagt: Wer mitten in der Nacht ein  bewohntes Haus anzündet, muss sich über die Möglichkeit, dass Menschen  dabei zu schaden kommen, absolut im Klaren sein und dies ist eine  Grenzüberschreitung, die unser Bekenntnis für Gewaltlosigkeit,  Pluralität und unsere Solidarität mit den Betroffenen herausfordert.
Deshalb  findet am Samstag, 18.09. (15 Uhr am Albertplatz beginnend) gegen die  Nazigewalt in Dresden und Anderenorts eine Protestdemonstration statt,  die gleichzeitig die Solidarität und Anteilnahme mit den Betroffenen  zeigen soll. Ich verurteile die genannten Anschläge auf das Schärfste,  denn auch ich will ein anderes Leben, ein Leben in dem niemand wegen  seiner Hautfarbe, seiner politischen Ansichten oder seinen Gefühlen für  andere Menschen, um sein Leben fürchten muss.“


Sächsische Zeitung, 20. September 2010

Hunderte demonstrieren gegen Rechts

Von Denni Klein

Ein linkes Bündnis rief zu mehr Engagement gegen rechte Gewalt auf. Anlass waren Brandanschläge auf linke Wohnprojekte und den jüdischen Friedhof.

Rund 500 Menschen haben am Sonnabend im Dresdner Stadtzentrum gegen rechte Gewalt demonstriert. Anlass des Protestzugs zwischen Neustadt und Altstadt waren Brandanschläge auf linke Wohnprojekte und den jüdischen Friedhof in Dresden. Das linke Bündnis gegen Nazigewalt hat zu der Demonstration aufgerufen. Mit dem Protestzug sollte ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern der Brandstiftungen gesetzt werden, teilte das Bündnis am Sonntag mit.

„Wir sind mit der Resonanz insgesamt zufrieden. Allerdings kamen die Teilnehmer vorwiegend aus der linken Szene. Wir hätten uns eine breitere Unterstützung aus der Bürgerschaft für das so wichtige Thema gewünscht“, sagte ein Bündnissprecher am Sonntag. So sei am Rande der Demonstration vielen Interessierten über die Brandanschläge berichtet worden. „Doch von den zahlreichen Zuschauern reihten sich nur wenige in den Protestzug ein.“

Motto: „Immer Angriff auf alle“

Unterstützung bekam er von der Linken Landtagsabgeordneten Julia Bonk. „Ich verurteile die Anschläge auf das Schärfste, denn auch ich will ein anderes Leben, ein Leben in dem niemand wegen seiner Hautfarbe, seiner politischen Ansichten oder seinen Gefühlen für andere Menschen, um sein Leben fürchten muss.“

Die Politikerin verwies auf zunehmende Gewalt von Neonazis. So stand der Protestzug unter dem Motto: „Es ist immer ein Angriff auf uns alle“. Die Polizei sprach von einer friedlichen Kundgebung.


Dresdner Neuste Nachrichten
Montag, 20.September 2010

500 Menschen beteiligen sich an Demonstration gegen Brandstifter

Etwa 500 Menschen haben sich am Sonnabend an einer Demonstration beteiligt, die unter dem Motto „Naziterror stoppen“ stand. Die Organisatoren, darunter die Landtagsabgeordnete der Linken Julia Bonk, hatten zu der Kundgebung aufgerufen, weil Ende August drei Brandanschläge in Dresden verübt worden sind. Sie gehen davon aus, dass für alle drei Taten Rechtsextreme verantwortlich sind und forderten mehr Solidarität mit den Opfern solcher Attacken.

Die Kundgebung verlief friedlich, die Teilnehmer der Demo liefen vom Albertplatz zur Synagoge, auf dem Terrassenufer zum Landtag, über den Postplatz und den „Külz-Ring“ zum Rathaus und weiter auf der St. Petersburger Straße zum Hauptbahnhof. Dort endete die etwa dreistündige Demonstration am Sonnabend gegen 18 Uhr mit einer Abschlusskundgebung.


Sächsische Zeitung, 18. September 2010

„Die Nazis hätten uns fast getötet“

Von Thilo Alexe und Alexander Schneider

Die Geschichte beginnt am 20.April, Hitlers Geburtstag: Der Spielplatz auf der Columbusstraße, erzählt Anwohnerin Sandra, war vollgeschmiert mit Hakenkreuzen. „Hier kommen viele Eltern aus Löbtau mit ihren Kindern her“, sagt Sandra. „Die waren schockiert.“

Die Hakenkreuze sind rasch beseitigt worden. Doch damit endet Sandras Geschichte nicht. Die Studentin wohnt im etwas maroden Backsteinhaus neben dem Spielplatz, wo vorwiegend linke Jugendliche, aber auch Familien mit Kindern leben. „Praxis“ nennen sie ihr Stadtteilprojekt, weil sich in dem Gebäude, das in den 20er-Jahren die KPD beherbergte, später ein Zahnarzt praktiziert hatte. Ein ausgebleichtes Transparent weht vor einem Fenster im zweiten Stock. Am Eingang ruft ein Plakat zur Blockade einer Nazi-Party in Gera auf.

„Praxis“ mehrfach angegriffen

Vier Monate nach der Spielplatzschmiererei folgte die nächste Provokation in der „Praxis“. Wieder an einem neuralgischen Datum. Am Morgen des 17. August, dem Todestag des Führer-Stellvertreters Rudolf Heß, flog ein Stein in die Scheibe des Hauses. Nur zwei Tage später dann der bislang schwerste Angriff. Durch das noch immer zerstörte Fenster kippten die Täter nachts Brandbeschleuniger und zündeten ihn an. Flammen schlugen aus dem Erdgeschoss. Das ganze Zimmer brannte. Der junge Mann, der den Raum bewohnt, war glücklicherweise nicht zu Hause. Hätte er auf dem wackligen Hochbett im selbst eingezogenen Holzboden geschlafen, wäre er vermutlich erstickt oder verbrannt. Da ist sich Sandra sicher. Mehr hätte passieren können, das Feuer drohte auf das erste Geschoss überzugreifen. Sandra: „Die Nazis hätten uns fast getötet.“

Heute zeugt ein großer schwarzer Rußfleck von dem Anschlag. Wie ein Mahnmal prangt er an der Hauswand. Es ist nicht leicht, mit den Bewohnern über die Horrornacht zu sprechen. Die meisten wollen nicht. Manche aus Angst, manche aus genereller Skepsis gegenüber der Presse. Sandra heißt auch nicht Sandra. Die junge Frau will ihren Namen nicht preisgeben. Sie fungiert als eine Art Sprecherin der Bewohner. Sie vermutet gewalttätige Neonazis aus Löbtau oder dem angrenzenden Gorbitz als Täter. „Das war eine neue Qualität“, sagt sie. Bislang habe es Schmierereien gegeben und Aufkleber mit Nazi-Parolen. Doch kein Feuer.

Brandsatz fliegt durchs Fenster

Wenige Tage später am 24. August wird erneut ein Brandsatz in ein Pieschener Zimmer geworfen. Wieder sind das Ziel Linke, diesmal ein sogenanntes antirassistisches Projekt in der Robert-Matzke-Straße. Wieder ist es Nacht. Der Molotow-Cocktail fliegt durch ein offenes Fenster in der zweiten Etage. Der Bewohner schreckt hoch. Er kann die Brandherde selbst löschen. Sein Glück: Die Flasche zerbarst nicht.

„Es geht um eine Art kulturelle Hegemonie im Viertel“, sagt Max. Der Vater, der gerade in Elternzeit ist, zählt zu den 15 Bewohnern in der Matzke-Straße. Wie Sandra vermutet er Neonazis als Täter. Schon seit Jahren werde Haus und Bewohner von Rechten angegriffen. Erst im Frühjahr klebten sie Aufkleber im Viertel mit dem Aufruf: „Antideutsche Strukturen – Robert-Matzke-Straße 16 angreifen“. Die Polizei hat ermittelt, herausgekommen ist jedoch nichts. Und jetzt der Brandsatz. „Die Stadt muss erkennen, dass es ein Naziproblem gibt“, sagt Max, der seinen wirklichen Namen ebenfalls verschweigt.

Die betroffenen Bewohner in der Matzke- und der Columbusstraße sind nun dabei, sich besser zu schützen. Sie schaffen Feuerlöscher und Rauchmelder an, machen ihre Häuser, die eigentlich offen stehen sollen, einbruchsicher. Das RAA-Büro für Opfer rechter Gewalt und die Rote Hilfe sammeln Spenden dafür.

Die Polizei nimmt die Anschläge sehr ernst. Sofort nach den Angriffen, bei denen offensichtlich Tote in Kauf genommen wurden, übernahm die „Soko Rex“, die Sonderkommission Rechtsextremismus, des Landeskriminalamtes (LKA) die Ermittlungen. Auch in der Staatsanwaltschaft wird die neue Eskalation der Gewalt mit Sorge betrachtet. Eine heiße Spur jedoch gibt es nicht. Es werde in alle Richtungen ermittelt, so eine LKA-Sprecherin.

Im Haus auf der Columbusstraße gibt es in einem Eckzimmer einen kleinen öffentlichen Treff. Künstler stellen aus, demnächst referiert jemand zum Thema Kapitalismus und Krise. Eine Punkband hat hier ihr Domizil. Doch die Bewohner sind scheu. Heute aber, am Sonnabend, wollen sie auf die Straße gehen und demonstrieren.

Die Demo eines „Bündnisses gegen Nazigewalt“ startet am Sonnabend, 15 Uhr, am Albertplatz. Die Route: Albertstraße, Carolabrücke, Synagoge, Terrassenufer, Landtag, Ostra-Allee, Postplatz, Marienstraße, Rathaus, St. Petersburger Straße, Wiener Platz.

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