„Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg“

Im Februar 2005 erschien das Buch „Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg“. Dabei handelt es sich um eine nüchterne und sachliche Bestandsaufnahme um den 13. Februar 1945 in Dresden unter Einbeziehung des aktuellen Stands der historischen Forschung. Das Buch ist ein Beispiel für die Bemühungen die Legenden um den 13. Februar auf den Boden der Tatsachen zu holen. Einer der Herausgeber, der Historiker Matthias Neutzner, ist gleichzeitig Mitglied der Interessengemeinschaft „13. Februar 1945“ die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte Dresdens im 2. Weltkrieg zu erforschen.

Hier präsentieren wir als Leseempfehlung einige Kapitel, die für das Verständnis der Debatte in Dresden und wie es zu der ausgepägten Art des Mythos Dresden in aller Welt kommen konnte, von großem Wert sind.

Blick vom Rathausturm über die Prager Straße in Richtung Hauptbahnhof 1947, 1955, 1961, 1969 – Erläuterung ganz unten im Text von Wolfgang Hesse

Das rote Leuchten – Dresden und der Bombenkrieg
edition Sächsische Zeitung
Hg.: Oliver Reinhard, Matthias Neutzner, Wolfgang Hesse
Februar 2005

Vorwort

„Wie sollte man umgehen mit dem Leid, dem Schmerz, mit dem Untergang der Stadt, die die eigene war. Wie anders, als mit dem Mut der Verzweiflung anzufangen, sich zu erinnern. (…) Um der Zukunft willen ist es nötig, sich zu erinnern. Aber es ist eine andere Erinnerung als damals. Sie ist distanzierter und kühler, unerbittlicher darin, die Zusammenhänge aufzuklären gegen das Vergessen. Die Frage, auf die es eigentlich keine Antwort gibt, kann nicht gänzlich ohne Antwort bleiben. Denn bevor es über Dresden Nacht wurde, war es Nacht geworden über Coventry und Leningrad, über Auschwitz und Buchenwald.“ (Christof Ziemer, 1987)

(…) Keine andere Stadt der Welt wurde in so wenigen Stunden mit herkömmlichen Mitteln so umfassend zerstört, nirgendwo sonst kamen in einer derart knappen Zeitspanne so viele Menschen ums Leben wie in Dresden. Und nur an wenigen Orten ist die Betroffenheit über und die Erinnerung an den konventionellen Bombenkrieg bis heute so tief empfunden und lebendig im kollektiven Bewusstsein der Bewohner. (…)

Anmerkung: Hier irren die Verfasser in typisch eurozentristischer Weise: Beim Luftangriff auf Tokio kamen keine vier Wochen später in noch weniger Stunden noch mehr Menschen um.

Neutzner, „Vom Alltäglichen zum Exemplarischen“

letztes Kapitel

Die kollektive Erzählung vom 13. Februar 1945

Wie immer es der deutsche Propagandaapparat auch angestellt hätte, es wäre ihm nicht gelungen, die Zerstörung Dresdens binnen weniger Wochen zum symbolhaften Beispiel für die Auswirkung der alliierten Bombenoffensive zu „machen“, die Chiffre Dresden einfach „herzustellen“. Aller Professionalität und des umfangreichen Repertoires aus Beeinflussen und Unterdrücken, Lancieren und Aneignen, Verstärken und Verschweigen zum Trotz – die in den vorangegangen Kapiteln beschriebene Aktionen der Berliner Führung hätten doch nur ein künstliches Zeichen produziert, das beliebig geblieben wäre, als Propaganda erkennbar und ohne emotionale Kraft. Die rasche „Symbolwerdung“ gelang nur, weil Dresden als Ort vor seiner Zerstörung eine nachdrückliche Ausstrahlung mit mindestens europäischen Wirkradius besaß und weil das Ereignis des Dresdner Feuersturms in seinem Geschehen und seinen Folgen tatsächlich aus der langen Reihe der fast tagtäglichen Zerstörung im sechsten Jahr des Zweiten Weltkrieges herausragte.

Aus umgekehrter Perspektive betrachtet hätten aber auch diese beiden Aspekte allein nicht genügt, die Zerstörung Dresdens zur Chiffre für den alliierten Bombenkrieg zu machen und nachhaltig zu festigen. Zumindest wäre Dresden starke „Konkurrenz“ in anderen europäischen Städten erwachsen, die durch die Bomben der Alliierten noch schwerere Schäden erlitten hatten, die ähnlich Dresden weiterhin bekannt waren und emotionale Ausstrahlung besaßen. Erst das konsequente Aufgreifen des Geschehens in der Propaganda der deutschen Führung erzeugte jene Vereinfachungen, Überhöhungen und Verschiebungen, die letzlich die symbolhafte Chiffre formten.

Als im Mai 1945 der sechsjährige Krieg mit der umfassenden Niederlage der Verursacher zu Ende ging, wurde die Zerstörung Dresdens bereits in fest gefügten Erzählformen erinnert, die sich in einigen zentralen Aussagen deutlich vom tatsächlichen Geschehen und von objektiven Wertungen unterschieden. Dresden erschien als einzigartige und unschuldige Stadt, die plötzlich und sinnlos eine in ihren Auswirkungen ebenso einzigartige Zerstörung erfahren hatte. Diese Perspektive auf den 13. Februar 1945 in Dresden war nicht auf die Dresdener Überlebenden oder die deutsche Bevölkerung insgesamt beschränkt. Auch in Teilen der Öffentlichkeit, mindestens in den Ländern Westeuropas und Nordamerikas, war sie im Sommer 1945 bereits manifestiert. Die Erzählung mündet fast zwangläufig in eine Wertung: So erinnert mussten die Luftangriffe auf Dresden Kritik hervorrufen. Die Zerstörung der Stadt wurde – je nach Position des Betrachters – zum tragischen Unglück oder zum vorsätzlichen Verbrechen. Gegenentwürfe zu dieser Erzählung, in denen etwa Dresden als militärisch bedeutend dargestellt wurde und die Luftangriffe als sinnvoll und gerechtfertigt bewertet wurden, existierten parallel, waren aber bereits deutlich verdeckt.

Es lohnt, die einzelnen Grundthemen der dominierenden Erzählung noch einmal zu betrachten:

Die einzigartige Stadt. In jeder Erzählform, selbst bei nur knappen Erwähnungen, wird die Darstellung der Zerstörung Dresdens mit dem Hinweis auf den weltweiten kulturellen Ruhm der Stadt und ihre Schönheit eingeleitet. Das Bild der „Kunststadt Dresden“ muss mindestens in Europa so fest etabliert gewesen sein, dass auf das Stichwort der Zerstörung hin quasi reflexhaft die Erinnerungsformeln von der Bedeutung der Stadt präsent waren. Dies ist sofort auch als Kernthema der deutschen Propaganda aufgegriffen und ausführlich vertieft worden. Dadurch gestützt und in der umfassenden Zerstörung vom materiellen Kern gelöst, gerann der Ruhm sehr schnell zum Mythos, wurde die schöne Kunststadt zum einzigartigen Dresden – „ohne Beispiel in der Welt“.

Die unschuldige Stadt. In solch umfassender Schönheit konnte es keine Schuld und nichts Kriegerisches geben. Die deutsche Propaganda lieferte schwärmerische Beschreibungen der zerstörten Kulturbauten in solchem Maß, das allein deren Zahlen jeden Bericht dominieren mussten. Die schwachen Hinweise der Alliierten auf die Dresdner Rüstungsindustrie – die ja tatsächlich bedeutend gewesen ist – wurden durch die deutschen Entgegnungen mit einigen Federstrichen weggewischt; allein die Eisenbahnlinien waren nicht zu leugnen. Da sich die beiden britischen Luftangriffe am 13. und 14. Februar vor allem gegen das unmittelbare Stadtzentrum gerichtet hatten, wo es tatsächlich nur wenige militärisch bedeutende Ziele gab, konnte die deutsche Propaganda diese Diskussion leicht als gegenstandslos abtun. Von Fremdarbeitslagern, KZ-Außenstellen, Gestapogefängnissen und Ähnlichem redete man ohnehin nicht. Das Selbstbild Dresdens hatte immer schon Industrie, Militär und andere „kulturlose“ Themen verdrängt, ebenso hielt es die massive Tourismuswerbung. Daran konnte nun von deutscher Seite in einer Doppelstrategie von Verschweigen und Betonen angeschlossen werden und so verschwanden etwa die Gauhauptstadt Dresden, der Festungsbereich Dresden oder das Rüstungskommando Dresden aus dem Blick. Die Stadt erschien fern des Krieges, unschuldig auch aus militärischer Perspektive. Die feste Verankerung des Flüchtlingsthemas in der Erzählung untermauert dies: Deren Unschuld als Nichtkombattanten übertrug sich implizit auf die Stadt, die ihnen Obdach bot.

Die Plötzlichkeit der Zerstörung. Die Dresden-Erzählung ist eine Luftkriegs-Erzählung. Nur mit dieser hypermodernen Technologie konnte solch umfassende Zerstörung so rasch und ohne Vorzeichen erreicht werden. „Plötzlichkeit“ bedeutet hier also Effizienz und Überraschung gleichermaßen. Binnen weniger Minuten wurde aus latenter Bedrohung tatsächlich Gefahr, die Bombardierung selbst benötigte je „Arbeitsgang“ nur eine oder zwei Viertelstunden. Die deutsche Propaganda beschrieb die Zerstörung Dresdens in nur einer Nacht vor allem als Kontrast von Vorher zu Nachher, die nur Stunden auseinander lagen. Die alliierten Berichte betonen die Effizienz als Beweis militärischer Überlegenheit. So wurde die kollektive Erzählung fest mit einem wirkungsvollem Moment hoher Dramatik verbunden.

Die einzigartige Katastrophe. Die Luftangriffe auf Dresden stellten unzweifelhaft eines der schwersten und effektivsten Bombardements des Zweiten Weltkrieges dar, ehe nur wenige Monate danach in Hiroshima eine neue Epoche in der Geschichte der Zerstörung eingeleitet wurde. Für Dresden und die Menschen in der Stadt waren sie eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes. Die Nachricht darüber erreichte die Öffentlichkeit Europas und Amerikas binnen weniger Tage, vermittelt durch summarische Beschreibungen und durch Zahlenangaben. In den ersten drei Wochen nach dem 13. Februar 1945 lieferte die deutsche Propaganda so gut wie keine Details zu den Auswirkungen der Luftangriffe – von der Aufzählung der Schäden an Kulturgütern abgesehen – , während Sprachwahl und Bewertung den Eindruck einer vollständigen Zerstörung der gesamten Stadt erzeugten. Die Presse der Welt folgte dem rasch einhellig. Als in den schwedischen Berichten erste Schätzungen zur Zahl der in Dresden getöteten Menschen auftauchten, die alles bisher Bekannte übertrafen, griff die deutsche Propaganda dies sofort auf, stärkte die hohen Angaben aktiv und sorgte für eine weite Verbreitung – alles dies verdeckt und wider besseres Wissen. In den eigenen Darstellungen wurden dagegen niedrigere, aber ausdeutbare Zahlen genannt, was gezielt die Glaubwürdigkeit der Angaben aus dem neutralen Ausland stärkte. Am Ende des Krieges waren sowohl in der deutschen Öffentlichkeit als auch in Westeuropa und Amerika Größenvorstellungen von mehren hunderttausenden Opfern weithin verbreitet. Damit schienen die Angriffe auf Dresden tatsächlich das weitaus folgenschwerste Ereignis des Lufkrieges gewesen zu sein. In der deutschen Führung hätte man dies leicht korrigieren können. Indem stattdessen das Erzählmotiv der einzigartigen Zerstörung gestärkt wurde, suchte man sich bereits bessere Ausgangspositionen für die Schulddiskussion nach dem Krieg zu verschaffen.

Die sinnlose Zerstörung. Sofort nach dem 13. Februar 1945 bestritt die deutsche Propaganda jeden militärischen Wert der Luftangriffe, nach einigen Tagen führte sie das Adjektiv „sinnlos“ für die Zerstörung Dresdens ein. Auf alliierter Seite wehrte man sich dagegen nachdrücklich und begründete die Angriffe mit der Notwendigkeit, die Logistik des deutschen Militärapparates zu schwächen. Die Propaganda konnte dabei allerdings die internen Auseinandersetzungen und Strategien und Moral des Luftangriffes nur bedingt kaschieren und lieferte so Ansatzpunkte, die es der Gegenseite leicht machten, die alliierten Begründungen zu diskreditieren. Am wirkungsvollsten erwies sich die nachdrückliche Festlegung des Bildes der wertvollen Kulturstadt, mit dem – eher emotional als rational – Dresdens Rolle als militärisches Zentrum der deutschen Verteidigung in den Hintergrund trat.

Alle Erzählkonstanten, die im Frühjahr 1945 den kollektiven Bericht der Zerstörung Dresdens in seiner Hauptströmung ausmachten, haben so gut wie unbeschadet die Zeiten überdauert und bilden noch heute den Kern eines mittlerweile weltweit bekannten Symbols. Dies ist das eigentlich Außergewöhnliche. Mit zunehmendem Abstand zu den Ereignissen, mit der Verfügbarkeit verlässlicher Informationen und ausgewogener Bewertungsmaßstäbe hätten die kollektiven Erinnerungen korrigiert und ergänzt werden können. Dass dies nicht geschah, hatte wiederum mit Propaganda zu tun: Die Chiffre Dresden erwies sich unverändert brauchbar auch für die politischen Auseinandersetzungen nach dem Mai 1945.

Neutzner, „Vom Anklagen zum Erinnern“

letztes Kapitel

Der Rahmen für das Erinnern

Am Abend des 45. Jahrestages der Zerstörung Dresdens, dem 13. Februar 1990, versammelten sich die Dresdner erneut, diesmal jedoch in einem völlig veränderten gesellschaftlichen Umfeld. Binnen weniger Monate war die politische Diktatur der SED implodiert und die zerstörte Frauenkirche diente jetzt nicht mehr als Kulisse für staatliche Gedenkkundgebungen. Nunmehr nutzte Bundeskanzler Helmut Kohl die Emotionalität dieses Ortes, um im Dezember 1989 für sein Ziel eines wiedervereinigten Deutschlands zu werben. Die Veranstaltungen am 13. Februar 1990 hatten zum ersten Mal ein „runder Tisch“ der Kirchen, der Stadtverwaltung und vieler Gruppen gemeinsam vorbereitet. Nach Jahren mehr oder weniger offener Konfrontation konnte die Kirche nun heraustreten, „der Marktplatz wird zur Kirche“. Der in den Jahren zuvor abseits der offiziellen Deutungen erarbeitete Umgang mit der Erinnerung schien auch, und gerade, im veränderten Umfeld weiterhin gültig: „Der 13. Februar ist ein Tag, an dem der Weg in die Zukunft über die Erinnerung führt“, sagte Christof Ziemer in seiner Rede auf dem Dresdner Altmarkt. „Wir gedenken der Toten und erinnern damit zugleich an die Würde, die Kostbarkeit und die Unverletzlichkeit des Menschen. In die Trauer über eigenes Leid mischt sich Scham und Schuld über unsägliches Leid, das in deutschem Namen über andere gekommen war. … Indem wir uns dieser Geschichte stellen, bekennen wir uns zur Aufgabe, eine menschliche Gemeinschaft aufzubauen, in der das Kriterium für wahre Gerechtigkeit die Solidarität mit dem schwächsten Glied ist; sei es nah oder fern.“ Dem geschichtlichen Verstehen, so die Vision, solle nun die „freie verantwortliche Tat“ folgen.

Ein solcher Konsens aber war kaum noch herzustellen. In der Innenstadt tauchten am Abend erste Flugblätter auf, in denen gefordert wurde: „Verbrecher am deutschen Volk auf die öffentliche Anklagebank!“ In den öffentlichen Diskussionen artikulierte sich die Erwartung, nun da endlich Meinungsfreiheit herrsche, die Wahrheit über die Geschichte der Zerstörung Dresdens erfahren zu können – was oft auf die Katastrophe zielte. In der sich formierenden politischen Landschaft der Parteien, Organisationen, Gruppen, der Verwaltung und Wirtschaft wurden rasch unterschiedliche inhaltliche Prämissen für die Erinnerung deutlich. Zum ersten Mal beeinflussten politische Akteure von außen die Erinnerung der Stadt, wurde sie Teil nationaler und internationaler Diskurse. Und zum ersten Mal wurde alles dies live von dutzenden Fernsehstationen in alle Welt übertragen.

Eine gemeinsame Erinnerungsarbeit in der Atmosphäre des „runden Tisches“ kam nicht wieder zustande. Stattdessen bildete sich eine vielfältige Erinnerungskultur heraus, in der unterschiedliche inhaltliche Perspektiven und Formen einander ergänzen oder im Gegensatz zueinander stehen. Es ist hier kein Raum, dieses komplexe Netz von Akteuren und Aktionen, von Zielen, Bedingungen und Wirkungen darzustellen. Vermutlich benötigt es ohnehin größeren zeitlichen Abstand und breitere Forschung, um Zusammenhänge zu erkennen und ausgewogene Bewertungen zu formulieren. So soll lediglich in groben Zügen die Geschichte der kollektiven Erzählung seit 1990 und die Bedeutung der Chiffre Dresden skizziert werden.

Parallel zur deutschen Wiedervereinigung, die im Oktober 1990 staatsrechtlich ihren Abschluss fand, musste das Verhältnis der Deutschen zu den Völkern Europas und der Welt neu bestimmt werden. Dies setzte gemeinsames Erinnern voraus, in dem die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle einnahm. In diesem Kontext wurde die Chiffre Dresden seit 1990 verstärkt politisch aufgegriffen und Dresden mit dem 50. Jahrestag der Zerstörung 1995 endgültig als gesamtdeutscher Gedenkort bestätigt. Dabei war die kollektive Erzählung zumindest kaum in Frage gestellt. Dresden galt noch immer als einzigartige, unschuldige Stadt; seine Zerstörung wurde weiterhin mit demselben Superlativ einzigartig erinnert und als sinnlos klassifiziert. Während die politische Mitte die Chiffre Dresden aus dem zeitgeschichtlichen Kontext heraus interpretierte und ihr Gedenken auf Frieden und Versöhnung ausrichtete, wurde für die extreme Rechte der Bundesrepublik der 13. Februar mehr und mehr zum symbolischen Ort der deutschen Opfer, der Aufrechnung von Leid und Schuld.

Mit den ersten detaillierten Forschungen zur Stadtgeschichte Dresdens in Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg differenzierten sich ab 1995 das Geschichtsbild in der lokalen Fachöffentlichkeit. Nunmehr lagen fundierte Erkenntnisse vor, mit denen der erheblichen Bedeutung der Stadt etwa im nationalsozialistischen Unterdrückungsapparat, als bedeutende Rüstungsstadt, als Militärbasis etc. nachgewiesen werden konnte. Parallel dazu ergaben weitere Forschungen auch eine genauere Sicht auf die Militärgeschichte des Zweiten Weltkrieges im Allgemeinen und den alliierten Luftkrieg im Besonderen. Diese Erweiterungen des Geschichtswissens kollidierten deutlich mit der kollektiven Erzählung vom 13. Februar. Da diese für viele Dresdner mittlerweile zum festen Bestandteil ihrer Biografien geworden ist und andere Akteure sie für unterschiedliche politische Zwecke in Stellung gebracht haben, trafen öffentliche Korrekturen des Geschichtsbildes auf erbitterten und hoch emotionalen Widerstand. Eine Versachlichung der Diskussion ist bislang nicht gelungen.

Die Jahrestage der Zerstörung Dresdens sind nach wie vor durch vielfältige Aktionen des Erinnerns geprägt, die auch die Solidarität mit fremdem Leid, das aktive Eintreten gegen Gewalt und Krieg einschließen. Als nachhaltig wirkende Orte der Erinnerung sind dabei nach wie vor die Kirchen wichtig, ergänzt u.a. durch den Altmarkt, wo seit dem Jahr 2000 eine eigene Veranstaltungstradition entstand.

Eine neue, wichtige Rolle könnte der Erinnerungsort Frauenkirche spielen. Die Ruine der Frauenkirche war seit dem Februar 1945 als Stadtzeichen sinnbildlich mit der Zerstörung Dresdens verknüpft, blieb gleichwohl als Ort aktiver Erinnerung bedeutungslos. Dies änderte sich erst 1982 durch unkonventionelles, bürgerschaftliches Engagement – außerhalb der etablierten Strukturen und in mutiger Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Status Quo. Auch auf diese Tradition bezogen sich die Initiatoren, als sie 1990 zum Wiederaufbau der Kirche aufriefen und dies überaus kontrovers diskutiert wurde. Nunmehr ist der äußere Bau der Kirche vollendet und prägt das Stadtbild in beeindruckender Weise. Tatsächlich ist eine Wunde geheilt – ein Versöhnungswerk vor allem zwischen den Dresdenern und ihrer geschundenen Stadt. Der Bau wurde und wird durch großartige Gesten der Solidarität und der Versöhnung in Deutschland und in aller Welt gefördert. Indem sie dies entgegen nehmen, sind die Dresdner die Verpflichtung eingegangen, diese Kirche nunmehr der Welt zu widmen, den im Aufruf zum Wiederaufbau formulierte Anspruch des „Weltfriedenszentrums“ einzulösen. Dies allerdings hat in den Wiederaufbau-Diskussionen der letzten Jahre kaum eine Rolle gespielt und ist bislang noch ohne institutionelle Basis geblieben.

Vor dem 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens steht die demokratische Öffentlichkeit der Stadt vor der Aufgabe, Ziele und Mittel des Erinnerns an den 13. Februar 1945 zu diskutieren und neu zu bestimmen, an die wertvollen Traditionen der Erinnerungskultur anzuknüpfen und dem Missbrauch vorzubeugen. Dazu formulierte eine Gruppe Dresdner Bürger im Herbst 2004 einen „Rahmen für das Erinnern“, der Grundsätze des Erinnerns benennt und vor allem einen Horizont der Erinnerung aufzeigt: Frieden.

Hesse, „Bild-Geschichte(n)“

letztes Kapitel

Der Engel der Geschichte

(…) Wie wenige andere Bilder des 20. Jahrhunderts hat die von Peter geprägte Rückenfigur der „Bonitas“, der „Güte“, auf dem Rathausturm vor dem Ruinenfeld der Innenstadt ikonische Bedeutung erlangt, über den Ort und die Zeit hinaus. die schier nicht enden wollende Reihe der Nachfolger verweist auf eine breite Sinnstiftung, in der sich viele finden und dieses Motiv zu ihrer Deutung nutzen konnten: Verteidiger der Alliierten wie Revisionisten, Pazifisten oder SED-Funktionäre, Christen und Humanisten. Im Hintergrund dieser Figur, als klagender, mahnender, begütigender oder apokalyptischer „Engel“ gedeutet, vollzieht sich der Wandel: der Untergang Dresdens in den Ruinen, die Ausbreitung einer öden Brache, der zweiten Zerstörung und der Aufbau einer neuen Stadt. (…)

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