Eines der wichtigsten Bestandteile des internationalen Opfermythos um Dresden sind die Totenzahlen. Kurz nach dem Angriff geisterten bereits Zahlen bis zu einigen Hunderttausend Toten weltweit durch die Presse. Goebbels Propagandaministerium startete damit eine Propagandakampagne, fälschte ein paar Dokumente und schon war der Mythos verfestigt und hat sich teilweise weltweit bis heute gehalten. Eines der bekanntesten gefälschten Dokumente war der Tagesbefehl Nr. 47 der Dresdner Ordnungspolizei. Erst 1965, als das echte Dokument auftauchte, wurde klar, dass dort einfach eine Null angehangen worden war.
Die hinter verschlossenen Türen arbeitende Kommission zur Ermittlung der Totenzahlen in der DDR 1946 trug das ihrige zur Mythenbildung bei, da die von der Kommission ermittelte Zahl von 35.000, oft als willkürlich „von oben“ festgelegt abgetan wurde. Die Zahl 35.000 wurde jedoch auch nach 1990 von den meisten Historikern und den Dresdner Stadtoffiziellen verwendet. Im 1995 vom Dresdner Stadtmuseum herausgegebenen Buch „Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit“ wurde bereits eine detaillierte Aufschlüsselung veröffentlicht, derzufolge nur noch 25.000 Tote festgestellt werden konnten. Da dieses Ergebnis weitgehend ignoriert oder angezweifelt wurde, und auf einige Theorien, die zu höheren Totenzahlen führen, keine Antworten liefern konnte, berief im Jahr 2004 der damalige Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) eine Historikerkommission ein. Diese sollte die bisherigen Ergebnisse wissenschaftlich überprüfen und alternativen Theorien zur Schätzung der Totenzahlen nachgehen, um sie bestätigen oder widerlegen zu können.
Auf dem Historikertag 2008 veröffentliche die Kommission einen Zwischenbericht. Für viele überraschend konnten bisher nur 18.000 Tote festgestellt werden. Die Arbeiten sind weitestgehend abgeschlossen, und die Kommission geht davon aus, dass die Zahl im Abschlußbericht 2009 maximal 25.000 betragen wird. Wir dokumentieren hier die Erklärung der Historikerkommission auf dem Historikertag 2008 in Dresden und einige Berichte in der Presse zum Thema. In einem Artikel auf indymedia wird die Brisanz des Ortes der Veröffentlichung der neuen Ergebnisse zum Thema gemacht. Die Veranstaltung der Historikerkommission wurde in dem nach einem ehemaligen Waffen-SSler benannten Otto-Beisheimsaal der TU Dresden durchgeführt.
- Zwischenbericht der Historikerkommission (1. Oktober 2008)
- Bericht von Holger Starke, Stadtmuseum Dresden (4. Dezember 2008)
- Presseartikel in der Welt (1. Oktober 2008)
- Kommentar eines Augenzeugen in der Welt (5. Oktober 2008)
Landeshauptstadt Dresden
Erklärung der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945
Dresden 1. Oktober 2008
I.
Die Zerstörung des Stadtzentrums von Dresden durch alliierte Luftangriffe im Februar 1945 ist tief in die Biographien der Erlebnisgeneration eingeschrieben und gehört bis heute zum festen Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt. Seit dem Februar 1945 wurde das historische Geschehen zum Gegenstand einer breiten und vielfältigen Erinnerungskultur mit teilweise weltweiter Ausstrahlung – aber auch einer intensiven propagandistischen Nutzung und weitreichenden Mythologisierung. Seit Jahrzehnten wird dabei in einem öffentlichen Diskurs das historische Geschehen kontrovers dargestellt und interpretiert.
Im Zentrum der Auseinandersetzung um die Dresdner Luftkriegsereignisse steht die extrem gegensätzliche Darstellung der Zahl der Opfer der Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945. Bis heute schwanken die Angaben zwischen 20.000 und bis zu 500.000 Toten, selbst Opferzahlen von einer Million Menschen sind in der Literatur zu finden.
Dresden ist damit ein herausragender Fall einer deutschen Stadt, die sich des Ausmaßes der größten Katastrophe in ihrer Geschichte nicht annähernd sicher sein kann.
Allein dies stellt bereits eine Herausforderung für die Geschichtswissenschaft dar. Darüber hinaus aber ist die jahrzehntelange Kontroverse um die Dresdner Opferzahlen Ausdruck einer zutiefst umstrittenen Symbolbildung: Bis heute steht Dresden alljährlich im Mittelpunkt intensiver geschichtspolitischer Auseinandersetzungen, die weit über den regionalen Rahmen hinausreichen.
Deshalb beauftragte der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Dresden im Jahr 2004 eine unabhängige Historikerkommission damit, die umstrittene Frage der Opferzahl umfassend zu untersuchen und offene Fragen zu klären. Die breite, interdisziplinär angelegte Arbeit in verschiedenen Projektgruppen umfasst Archivare, Archäologinnen und Archäologen, Historikerinnen und Historiker, Museumsspezialisten, Verwaltungsbeamte und engagierte Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerschaft Besonders wichtig war die Öffentlichkeitsarbeit, mit der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gewonnen und kommunalpolitische Widerstände überwunden wurden. Mit seinem Beschluss vom 18. Januar 2007 hat der Stadtrat das wissenschaftlich anspruchsvolle und zeitaufwändige Projekt mit Finanzmitteln unterstützt und die Berufung der meist nebenamtlich wirkenden Expertinnen und Experten bestätigt.
Die Arbeit im überwiegenden Teil der Einzelprojekte ist abgeschlossen. Der 47. Deutsche Historikertag 2008 in Dresden gibt nun Gelegenheit, Ergebnisse der Kommissionsarbeit zu präsentieren und zu erläutern. Die Publikation des ausführlichen Kommissionsbericht mit dem Endergebnis wird im Jahre 2009 erfolgen.
II.
Im Ergebnis der Untersuchungen der Kommission sind bislang 18.000 Dresdner Luftkriegstote nachgewiesen worden, die den Luftangriffen zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 zuzuordnen sind. Die Kommission geht von maximal 25.000 Menschen aus, die während der Februar-Luftangriffe in Dresden ums Leben gekommen sind.
Bis etwa zum Jahresende 2008 wird die Analyse der umfangreichen Daten, die von der Kommission recherchiert worden sind, noch anhalten. Es ist zu erwarten, dass die genannte Größenordnung der Dresdner Luftkriegstoten des Februar 1945 im Endergebnis qualifiziert werden kann. Die Kommission hat in ihren Untersuchungen keine Beweise oder belastbaren Indizien dafür gefunden, dass die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen – auch unter Einbeziehung nichtidentifizierter oder unbekannter Opfer – wesentlich über- oder unterhalb des angegebenen Bereichs liegen könnte.
III.
Eine wesentliche Grundlage für die Arbeit der Historikerkommission stellten vor allem intensive Recherchen und Analysen von Archivdokumenten und Informationssammlungen dar. Der überwiegende Teil dieser Unterlagen aus Archiven und Behörden ist im Rahmen der Kommissionsarbeit erstmalig ausgewertet worden – allein im Dresdner Stadtarchiv betrifft dies 780 laufende Meter Archivgut.
Die Arbeitsgruppe „Statistisch-geografische Analyse“ war und ist bemüht, alle erreichbaren personen-, orts- und zeitkonkreten Angaben zu Dresdner Luftkriegstoten aus zahlreichen verschiedenen Quellen elektronisch zu erfassen und durch den Vergleich abzustimmen. so entsteht erstmals ein differenziertes Bild des Geschehens in Dresden, das in elektronischen Datenbanken verzeichnet und auf Geodatenbasis kartiert wird. Zusammenführung und Abstimmung dieser Daten erfordern noch weitere Bemühungen. Der Stand der Arbeit ermöglicht aber schon jetzt eine Annäherung an die Größenordnung der Gesamtopferzahl.
Zum heutigen Zeitpunkt liegt eine Datenbank mit etwa 40.000 personenbezogenen Vorgängen vor, die einzelne Fälle der Bergung, Bestattung und amtlichen Registratur der Dresdner Luftkriegstoten betreffen – wobei pro betroffener Person teils mehrfache Einträge aus unterschiedlichen Quellen vorliegen. Diese Datenbasis basiert im wesentlichen auf der elektronischen Erfassung und Auswertung Zehntausender Informationen aus umfangreichen Unterlagen von bislang etwa 25 Friedhöfen, aus fragmentarisch überlieferten Nachweisen aus dem Bestand des städtischen Vermisstennachweises sowie aus den Unterlagen verschiedener Archive, Standesämter und Amtsgerichte in und außerhalb Dresdens. Vergleichend und ergänzend wurden Datensammlungen der städtischen Friedhofsverwaltung und des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge ausgewertet.
Diese umfangreiche Informationsbasis erlaubt erstmalig eine wenigstens annähernde Rekonstruktion der geschichtlichen Abläufe von Bergung, Registratur
und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten. Daneben lässt der Vergleich verschiedener paralleler Überlieferungen Rückschlüsse auf die Qualität zusammenfassender Aussagen in Archivdokumenten zu.
Insgesamt wird deutlich, dass die Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten in Dresden – gemessen an der Situation in der schwer zerstörten Stadt – bemerkenswert geordnet verlaufen ist. Die Verantwortlichen hatten schwere Luftangriffe auf Dresden erwartet und ihre Organisationen intensiv auf die Bewältigung der dann eintretenden Folgen vorbereitet. Angesichts der enormen Größe der Katastrophe musste jedoch vielfach improvisiert werden, so dass erhebliche Abweichungen von den geplanten Vorgehensweisen unvermeidlich waren. Alle verfügbaren Unterlagen belegen dabei, dass die Zivilverwaltungen und die Polizei bemüht waren, die Ordnungsmäßigkeit im Umgang mit den Luftkriegstoten aufrecht zu erhalten. Zusammenfassende Statistiken der Luftkriegstoten aus der Zeit zwischen Februar und Juli 1945 erweisen sich als in der Größenordnung korrekt, wenngleich – bedingt durch erhebliche Kommunikationsprobleme der Verwaltungen untereinander und die Überlagerung mit weiteren Kriegsereignissen – als im Detail nicht exakt. Stadtverwaltung und Polizei in Dresden gingen ab März 1945 von ca. 25.000 Opfern der Februar-Luftangriffe aus. Diese Größenordnung wurde auch in weiteren lokalen Statistiken in der Nachkriegszeit aufrechterhalten. Nach späteren erneuten Untersuchungen schätzte die Stadtverwaltung die Dresdner Luftkriegstoten auf etwa 35.000 – was der heutigen Überprüfung nicht standhält – und legte sich ab 1965 auf diese Zahlenangabe fest.
Konträr zu den lokalen Statistiken verwendete die nationalsozialistische Propaganda bereits wenige Tage nach dem 13. Februar 1945 in ihrer Auslandsarbeit mehrfach höhere Opferzahlen. Im März 1945 wies schließlich das Auswärtige Amt die deutschen Gesandtschaften im neutralen Ausland an, Opferzahlen von bis zu 200.000 Toten in Dresden zu verbreiten. Als zentraler Bestandteil einer weiterreichenden Mythologisierung der Zerstörung Dresdens wurden Zahlen in dieser Dimension in den propagandistischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit und im „Kalten Krieg“ unablässig weiter verwendet. Sie finden sich bis heute in der Fach- und Populärliteratur, in den Medien und in der Öffentlichkeit. Sie werden nach wie vor auch als Argument in politischen Auseinandersetzungen verwendet.
IV.
Die Historikerkommission hat sich sorgfältig mit allen bekannten Argumentationen auseinandergesetzt, mit denen wesentlich höhere Zahlen an Luftkriegstoten für Dresden begründet werden.
Weit verbreitet ist die Vermutung, dass die Bergung der Opfer der Luftangriffe im Dresdner Stadtgebiet nicht flächendeckend geschehen sei. Man müsse, so die Behauptung, von vielen Tausend Toten ausgehen, die in den Kellern des zerstörten Stadtzentrums verblieben seien. Die Historikerkommission konnte im Rahmen der bereits erwähnten statistischgeografischen Analyse nachweisen, dass in ausnahmslos allen Dresdner Schadensgebieten Bergungen von Luftkriegstoten stattgefunden haben. Dazu wurden bislang einzeln dokumentierte Bergungen in mehr als 600 Dresdner Straßen ermittelt. Die Dokumentationen der Stadtarchäologie, die seit 1994 große Teile der Altstadt in archäologischen Grabungen untersucht hat, belegen eine sorgfältige Beräumung der kriegszerstörten Keller in der Nachkriegszeit. Im Zeitraum von 1994 bis 2008 wurden bei Grabungen auf ca. 10 ha der Stadtfläche an nur drei Stellen der Dresdner Altstadt sterbliche Überreste von insgesamt 14 Toten gefunden, von denen 11 mit Sicherheit den Luftangriffen des Jahres 1945 zuzuschreiben sind.
Vielfach wird vermutet, dass eine sehr große Zahl von Menschen im Feuersturm der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 rückstandslos verbrannt sei und damit nicht mehr auffindbar wäre. Dafür wurden bislang keine Anhaltspunkte gefunden. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat die Kommission versucht, über Expertengutachten Aussagen zum Brandgeschehen im Feuersturm zu erhalten. Materialuntersuchungen machten deutlich, dass in den Kellern der Altstadt auch zeitweilig keine Verhältnisse erreicht wurden, bei denen menschliche Körper nahezu rückstandslos verbrennen würden. Es bestätigt sich der Eindruck der Bergungskommandos, dass die Mehrzahl der Toten in den Kellern durch Sauerstoffmangel erstickt oder durch einstürzende Gebäudeteile erschlagen wurden. Im Freien können im Feuersturm unter bestimmten Umständen – zeitweise und auf wenige Orte begrenzt – höhere Temperaturen aufgetreten sein. Über Fallstudien zu einigen Dresdner Straßen, die sich mitten im Feuersturm befanden und am stärksten betroffen waren, wurde versucht, eine quantifizierbare Vorstellung von den Auswirkungen der Luftangriffe zu erhalten. Im Ergebnis aufwändiger Recherchen – unter Einschluss von Nachbarschaftsinterviews unter Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – wurde deutlich, dass auch in baulich vollständig zerstörten Innenstadtstraßen eine größere Zahl Einwohnerinnen und Einwohner überlebten.
Einen wesentlichen Problembereich bei der Auseinandersetzung um die Zahl der Luftkriegstoten in Dresden stellen auswärtige Flüchtlinge dar, die sich am 13. Februar 1945 in Dresden befunden haben. Es wird oft vermutet, dass eine sehr hohe Zahl an Flüchtlingen den Luftangriffen zum Opfer gefallen sei (genannt werden Zahlen von mehreren Hundertausend Menschen) und diese in der Registratur der Dresdner Behörden nicht nachweisbar wären. Die Kommission kann dazu einerseits über die Erfassung aller bekannten Einzelfälle nachweisen, dass auswärtige Luftkriegstote wie alle Dresdnerinnen und Dresdner auch von den städtischen Behörden registriert worden sind. Parallel dazu wurde eine breit angelegte Analyse von zentralen deutschen Personenstandsregistern und Statistiken der Flüchtlingsbewegungen durchgeführt. Auch wenn die genaue Zahl der in Dresden zum Zeitpunkt der Luftangriffe anwesenden Flüchtlinge nicht mehr feststellbar ist, kann die Kommission im Ergebnis dieser Untersuchung mit Sicherheit ausschließen, dass im Februar 1945 in Dresden etwa Zehntausende Menschen ums Leben gekommen sind, die ihren Wohnsitz nicht in der Stadt hatten.
Für die Diskussion um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten sind Darstellungen, dass zusätzlich zu den Bombardierungen auch alliierte Tiefflieger unter den aus der brennenden Stadt fliehenden Menschen ein Blutbad angerichtet hätten, von eher peripherer Bedeutung. Weil entsprechende Erinnerungen aber immer wieder vorgetragen werden, war die Kommission vom Dresdner Stadtrat explizit beauftragt worden, auch diese Frage erneut zu untersuchen. Dazu wurden nach mehrfachen öffentlichen Aufrufen Angaben von 270 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen überprüft. Im Ergebnis dessen führte der sächsische Kampfmittelräumdienst an mehreren von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen benannten Orten aufwändige Suchen nach Geschossfragmenten durch, die einen Bordwaffenbeschuss belegen würden. Die Sondierungs- und Grabungsarbeiten sind in diesen Tagen abgeschlossen worden. Dabei sind weder bei diesen Untersuchungen noch aus der Analyse von Archivdokumenten oder Zeitzeugenberichten schlüssige Belege für systematischen Bordwaffenbeschuss bei den Luftangriffen vom 13. bis 14. Februar 1945 deutlich geworden. Nachweislich haben Luftkämpfe über Dresden stattgefunden, deren Wahrnehmung wahrscheinlich als Tieffliegerangriffe gedeutet wurde. Dies würde einzelne Todesfälle oder Verwundungen durch fehlgegangene Feuerstöße nicht ausschließen.
V.
Die Kommission unternahm besondere Bemühungen, um die Erfahrungen und Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des 13. Februar 1945 zu sammeln und auszuwerten. Die Arbeitsgruppe „Oral History“ registrierte dazu alle in den verschiedenen Dresdner Sammlungen bereits vorhandenen Zeitzeugenberichte – zum jetzigen Zeitpunkt ca. 1.500 Erlebnisschilderungen unterschiedlicher Art. Mehrfach wurde öffentlich aufgefordert, Informationen für die Kommissionsarbeit bereitzustellen und für Interviews zur Verfügung zu stehen. Im Ergebnis dessen konnten 40 lebensgeschichtlich angelegte Interviews aufgezeichnet, transkribiert und in Teilen bereits analysiert werden. Die Auswertung der großen Informationsfülle aus Berichten und Interviews dauert noch an. Sie wird auch nach dem Ende der Kommissionsarbeiten fortgeführt werden müssen.
In den Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wird die Dimension der Dresdner Katastrophe im Februar 1945 deutlich – vor allem in ihren Auswirkungen auf jede einzelne Lebensgeschichte, auf Familien und Nachbarschaften. Für die Arbeit der Kommission enthalten die Berichte wertvolle Fakten, die das Wissen um die geschichtlichen Abläufe im Detail verbesserten. In der übergreifenden Analyse der einzelnen Berichte werden die Aussagen und Wertungen der Kommission tendenziell eher unterstützt, wenngleich einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch teilweise abweichende Beobachtungen und Schlussfolgerungen vermitteln. Deutlich wird der Einfluss eines jahrzehntelangen kollektiven Erinnerns auf die persönlichen Erzählungen und Wertungen.
Mit einem Teilbereich der Zeitzeugenerinnerung hat sich die Kommission im Besonderen beschäftigt: Dazu wurden Berichte einzelner Militärangehöriger aus dem Umfeld der Dresdner Standortkommandantur der Wehrmacht untersucht. Dabei wurde deutlich, dass die Verantwortlichen dort, von der Katastrophe überfordert, nur am Rande an den Bergungsarbeiten beteiligt gewesen waren und sich ansonsten hauptsächlich damit befassen mussten, das Trümmerfeld Dresden als „Festungsbereich“ für den Endkampf herzurichten. Selbst die Zahl der Opfer unter den Soldaten – bei einer aktuellen Garnisonsstärke von rund 17.000 Mann offenbar nur ca. einhundert – ist ihnen nicht bekannt gewesen. Ihre nachträglichen Aussagen zu Gesamtzahlen der Dresdner Luftkriegstoten bleiben spekulativ.
VI.
Mit ihrer aufwändigen und detaillierten Untersuchung möchte die Historikerkommission dazu beitragen, die Zerstörung des Dresdner Stadtzentrums im Februar 1945 als größte Katastrophe in der Stadtgeschichte und als tief eingetragene Erfahrung in den Biographien der Betroffenen zu erinnern und wissenschaftlich darzustellen. Sie ist dabei von der Verantwortung geleitet, die aus der weltweiten Bedeutung des Dresdner Geschehens als Geschichtssymbol resultiert. In der Konsequenz des von Deutschland ausgegangenen Krieges wurde Dresden im letzten Kriegsjahr durch alliierte Luftangriffe schwer zerstört. Innerhalb weniger Stunden starben viele Tausend Menschen – Zivilistinnen und Zivilisten sowie Militärangehörige, Dresdnerinnen und Dresdner sowie Flüchtlinge, aber auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene. Für die wenigen noch nicht ermordeten Dresdner Jüdinnen und Juden bedeuteten die Luftangriffe Gefahr und Rettung vor Deportation gleichermaßen. Ein verantwortliches Erinnern an das Schicksal aller dieser Menschen setzt ein ernsthaftes und andauerndes Bemühen um die Korrektheit der geschichtlichen Darstellung voraus.
In der Konsequenz des von Deutschland ausgegangenen Krieges wurde Dresden im letzten Kriegsjahr durch alliierte Luftangriffe schwer zerstört. Innerhalb weniger Stunden starben viele Tausend Menschen – Zivilistinnen und Zivilisten sowie Militärangehörige, Dresdenerinnen und Dresdener sowie Flüchtlinge, aber auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene. Für die wenigen noch nicht ermordeten Dresdener Jüdinnen und Juden bedeuteten die Luftangriffe Gefahr und Rettung vor Deportation gleichermaßen. Ein verantwortliches Erinnern an das Schicksal aller dieser Menschen setzt ein ernsthaftes und andauerndes Bemühen um die Korrektheit der geschichtlichen Darstellung heraus.
HT 2008: Dresden und die unbekannten Toten
Bericht von:
Holger Starke, Stadtmuseum Dresden, Museen der Stadt Dresden
Auf einem Historikertag eine Diskussion über „Dresden und die unbekannten Toten“ zu führen, erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Nicht nur wegen der Konzentration auf ein Teilproblem eines Ereignisses in einer Stadt, sondern auch, weil keines der neun Referate Bezug zum Motto „Ungleichheiten“ herstellte. Auf den zweiten Blick erscheint es jedoch durchaus gerechtfertigt, dass am Ort des Ereignisses auch der Bericht der „Kommission zur Ermittlung der Zahl der Todesopfer während der Luftangriffe vom 13. bis 15. Februar 1945“ zur Diskussion kam. Erstens steht die Erzählung von der Zerstörung Dresdens exemplarisch für Gleichheiten und Ungleichheiten der Erinnerungskultur in Ost und West. Zweitens offenbart sich hieran in prägnanter Weise ein der Zeitgeschichte inhärentes Problem: das der Ungleichheit und des Widerstreits von individueller Erinnerung und den Ergebnissen zeithistorischer Forschung. Wobei für die Dresdner Überlebenden der Gegensatz zur Geschichtserzählung der SED bestimmend war, denn freie wissenschaftliche Forschung über dieses Ereignis hat es in der DDR nie gegeben.
In geschichtspolitischer Hinsicht reicht die Bedeutung der Debatte über die Zerstörung Dresdens weit über die Stadtgrenzen hinaus. Bis zum heutigen Tag ist der Name der Stadt ein weltweit abrufbares Symbol für die Vernichtungskraft und die Schrecken des modernen (Luft-) Krieges. Die Geschichte von ihrer Zerstörung steht für den Wandel einer kollektiven Erzählung, für deren Lösung von den historischen Fakten und ihren Transport in einen für rationale Erklärungen kaum noch erreichbaren Erzählraum. Sie steht aber auch für den Prozess von Versöhnung und Vergebung, für den demokratischen Aufbruch in der DDR, die Einbindung der Opferperspektive und die Neuausmittelung der Positionen auf demokratischer Grundlage, wie sie im Diskurs über den Bombenkrieg in Dresden und innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft in den 1990er-Jahren erfolgte.[1]
Die Zweifel an der Zahl der Luftkriegsopfer waren damit jedoch nicht ausgeräumt; sie dienten in der Folgezeit rechtsextremen Kräften zur Relativierung der Kriegsschuld und des Holocaust. Daraufhin beauftragte der Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg 2004 eine „Historikerkommission“ unter der wissenschaftlichen Leitung von Rolf-Dieter Müller (Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr) mit einer umfassenden Untersuchung. Interdisziplinäre Arbeitsweise, Methodenvielfalt und Forschungstransparenz zeigten sich in der Vielzahl von Professionen der in der Kommission vertretenen Fachleute (Historiker, Militärhistoriker, Publizisten, Museumsfachleute, Archivar, Archäologe, Ingenieur), in der methodischen Vielfalt der Teilprojekte bzw. bei der öffentlichen Diskussion der Methoden und ersten Forschungsergebnisse.[2] Im Januar 2007 präzisierte der Stadtrat Arbeitsschwerpunkte und Ziele und stellte die Finanzierung des Vorhabens auf eine sichere Grundlage.
Auf dem Historikertag 2008 wurde der vorläufige Abschlussbericht vorgestellt.[3] Vorbehaltlich noch ausstehender Teilergebnisse legte sich die Kommission auf die Zahl von maximal 25.000 Toten bei den Luftangriffen im Februar 1945 in Dresden fest. Die etwas überraschende Feststellung – war doch die Zahl von etwa 35.000 Toten noch lange Zeit nach 1990 weitgehend unbestritten geblieben – war Ausgangspunkt für das Referat von THOMAS WIDERA (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden). Er skizzierte, auf Grundlage der Pionierarbeiten von Matthias Neutzner, die Rezeptionsgeschichte des Ereignisses und die Genese der Opferzahlen. Die Zahl von ca. 35.000 Toten, wie sie bis zum Ende der DDR offiziell galt, war demnach bereits 1946 durch eine auf Veranlassung der sowjetischen Stadtkommandantur einberufene, vom späteren Oberbürgermeister Walter Weidauer (SED) geleitete Kommission festgestellt worden. Da Quellen und Methoden jedoch nicht völlig offen gelegt wurden und in der Öffentlichkeit bereits die von der NS-Propaganda lancierte, stark überhöhte Zahl kursierte, blieb Raum für Spekulationen. Genährt wurden diese durch widersprüchliche Angaben sowie Fälschungen in Sachbüchern und Erinnerungsberichten in der Folgezeit. Der Umstand, dass der freie Zugang zu den Dresdner Akten nicht gegeben war, verhinderte bis 1990 eine Überprüfung, zumal wichtige Bestände, wie THOMAS KÜBLER (Stadtarchiv Dresden) ergänzte, erst danach erschlossen wurden.
ROLF-DIETER MÜLLER (Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr, Potsdam), Leiter des Teilprojekts „Prüfung der relevanten dokumentarischen Überlieferung/Genesis der Totenzahl“, unterzog die in jüngerer Zeit publizierten Erinnerungsberichte früherer Wehrmachtsoffiziere, in denen sehr hohe Opferzahlen auftauchen, der Kritik und ordnete diese zu Recht der Rezeptionsgeschichte zu. Ausgehend von der militärischen Lage vor dem Luftangriff und den Aufgaben der Wehrmachtkommandantur wies er schlüssig nach, dass die Befehlshaber vor Ort nicht in der Lage waren, sich einen genauen Überblick über die Zahl der Toten zu verschaffen. Keine einzige Quelle militärischer Provenienz lässt zudem Schlüsse auf höhere Zahlen als auf jene Zahlen zu, die damals im Generalstab des Heeres kursierten (25.000 bis 35.000).
HELMUT SCHNATZ (Koblenz) bot eine quellenkritische Analyse des öffentlichen Diskurses am Beispiel der Berichte über Tieffliegerangriffe. In Anknüpfung an die 1977 erstmals von Götz Bergander (Berlin) hieran geäußerten Zweifel hatte Schnatz 2000 ein Buch zum Thema vorgelegt.[4] Seine Kernaussage, dass es im Elbtal zwar Luftkämpfe gegeben hat, jedoch keinen systematischen Bordwaffenbeschuss auf Zivilisten, erfuhr nunmehr durch eine Vor-Ort-Untersuchung einer Arbeitsgruppe des Militärhistorischen Museums unter Leitung des Militärhistorikers Wolfgang Fleischer (Dresden) Bestätigung. Gemeinsam mit dem Kampfmittelräumdienst Sachsen waren, auf der Basis von 103 kartierten Augenzeugenberichten, sechs Verdachtsflächen untersucht worden, ohne dass Bordwaffenmunition gefunden worden wäre. Anschließend stellte Schnatz seine bereits 2006 im Detail präsentierte, vergleichende Analyse der Wirksamkeit britischer Flächenangriffe vor. Die methodisch bestechende Studie stellte die in 245 Angriffen durch Flugzeuge der Royal Air Force (RAF) auf deutsche Städte abgeworfene Bombenlast in Beziehung zur Zahl der Todesopfer. Das Ergebnis dieses Vergleichs lässt nur den Schluss zu, dass die Opferzahl in Dresden nicht höher als bisher angenommen (35.000) gewesen sein kann.
Ein innovatives Vorhaben, die „Statistisch-Geografische Analyse“, stellte der Ingenieur, Historiker und Publizist MATTHIAS NEUTZNER (Dresden) vor. Mit seinem Forschungsansatz, Massendaten der „Einzelfallperspektive“ zu erfassen, zeitlich und geografisch zu verorten und sie zu aggregierten Daten der Verwaltung in Beziehung zu setzen und damit auch die Qualität der dokumentarischen Überlieferung zu prüfen, beschritt Neutzner methodisches Neuland. Als Zwischenergebnisse präsentierte er die partielle Korrektur, Neubewertung bzw. Bestätigung von Teilzahlen und die Rekonstruktion des Ablaufs von Bergung, Registrierung und Bestattung der Toten in Grundzügen. Fallstudien zu drei Straßenzügen zeigen das große Potenzial des Forschungsansatzes. Nach bisherigem Stand des Teilprojekts sind mehr als 18.000 Opfer nachgewiesen, wobei sich die Zahl auf maximal 25.000 erhöhen kann. Die Dimension des Vorhabens erfordert zwar einen langen Atem, lässt jedoch, nach Georeferenzierung und Verknüpfung der Personendaten mit anderen Daten wie denen der Infrastruktur, weit reichende Erkenntnisse über das ursprüngliche avisierte Ziel hinaus erwarten.
THOMAS WESTFALEN (Archäologisches Landesamt Sachsen, Dresden) berichtete über die mit dem Ziel der Altersbestimmung seit 1993 vorgenommene Untersuchung der Keller in der Altstadt. Nach Abschluss eines Fünftels der Arbeiten hat sich bestätigt, dass die Keller nach dem Krieg systematisch beräumt, enttrümmert und versiegelt worden sind. Die Rekonstruktion des Brandgeschehens hat ergeben, dass eine rückstandsfreie Verbrennung menschlicher Körper nicht stattgefunden hat und somit die Dunkelziffer von nicht in den Akten verzeichneter Toter für die Innenstadt vernachlässigbar ist.
RÜDIGER OVERMANS (Freiburg), Leiter des Teilprojekts „Statistiken im Vergleich“, machte die bislang weitgehend ignorierten Quellen der Vermisstenforschung aus den Bereichen Personenstandswesen und Suchdienste zur Grundlage seiner Studie. Die Gesamtzahl der beim Standesamt Dresden verzeichneten und außerhalb der Stadt angezeigten Opfer der Luftangriffe vom 13.-15.2.1945 führte er mit den auf der Grundlage repräsentativer Stichproben gewonnenen Zahlen aus den beim Kirchlichen Suchdienst geführten Heimatortskarteien für Schlesien und dem seit 1938 beim Standesamt Berlin I geführten „Buch für Todeserklärungen“ zusammen. Damit gelang ihm sowohl die Bestätigung der Zahl von ungefähr 20.000 Toten, wie sie durch Leichenfunde belegt ist, als auch der erste schlüssige Nachweis dafür, dass sich Flüchtlinge aus Schlesien nur vereinzelt unter den Todesopfern der Luftangriffe befunden haben. Die Gesamtzahl der in Berlin verzeichneten zivilen Todesopfer seit 1938 lässt zudem den Schluss zu, dass weit höhere Opferzahlen ausgeschlossen werden können.
Die Historikerin NICOLE SCHÖNHERR (Stadtarchiv Dresden) berichtete eingangs von der aufwändigen, jedoch kaum ertragreichen Befragung von Archiven und Meldeämtern in der Dresdner Umgebung. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit standen jedoch die Auswertung von ungefähr 1.500 lebensgeschichtlichen Berichten/Interviews und die Quantifizierung relevanter Angaben, wovon bisher ein Viertel abgeschlossen werden konnte. Neu angefertigt wurden, nach Erarbeitung eines Auswahl- und Fragenkatalogs, 40 Interviews. Nicht unproblematisch erscheint, dass sich die Zeugnisse (Eigenbericht, Telefoninterview, Interview) hinsichtlich Quellenwert und Entstehungszusammenhang unterscheiden und die Mehrzahl erst in den 1990er-Jahren entstanden ist. Es ist anzunehmen, dass die erfassten Daten nur „das Bild subjektiver Erinnerung verdichten“ (Rolf-Dieter Müller). ALEXANDER VON PLATO (Institut für Geschichte und Biografie, Hagen), Leiter des Teilprojekts „Oral History“, wies jedoch darauf hin, dass im Einzelfall auch weiterführende Erkenntnisse möglich sind. So haben präzise Nachfragen für einzelne Straßen, hochgerechnet auf die Stadt, die mit anderen Methoden festgestellte Höchstzahl von 25.000 Toten mit erstaunlicher Genauigkeit bestätigt.
Der für Veranstaltungen mit diesem Thema in Dresden ungewöhnlich sachliche Verlauf war nicht nur das Ergebnis zuvor getroffener Sicherheitsvorkehrungen und der rücksichtsvollen Ansprache der Zeitzeugen durch die Referenten. Offensichtlich honorierte das Publikum damit auch die überzeugenden Forschungsergebnisse.[5] Es wird nun an den Dresdnern liegen, wie sie sich der Ergebnisse des Abschlussberichts, der 2009 erscheinen soll, bedienen werden. Die geschichtspolitischen Differenzen sind damit nicht beigelegt, wie die Ankündigung eines Aufmarschs von Rechtsextremisten zum 13. Februar 2009 und der darüber in der Stadtgesellschaft ausgebrochene Streit über die „richtige“ Reaktion bzw. Äußerungen über das „richtige“ Gedenken zeigen.
Sektionsübersicht:
Rolf-Dieter Müller (Potsdam/Berlin): Dresden und die Rolle des Militärs
Thomas Widera (Dresden): Rezeptionsgeschichte und Genesis der Opferzahlen
Thomas Kübler (Dresden): Relevante Quellen für die Historikerkommission im Stadtarchiv Dresden
Thomas Westfalen (Dresden): Grabungsfunde im Zentrum von Dresden
Helmut Schnatz (Koblenz): Quellenkritische Überprüfung von öffentlichen Diskursen
Rüdiger Overmans (Freiburg): Statistische Erhebungen zu Kriegsflüchtlingen und –opfern
Matthias Neutzner (Dresden): Statistisch-geografische Analyse der Bergung, Bestattung und Registrierung von Luftkriegstoten nach den Luftangriffen auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945
Alexander von Plato (Stade): Die Bombardierung Dresdens im Gedächtnis von Dresdnern
Nicole Schönherr (Dresden): Erfassung und Auswertung der subjektiven Erinnerungszeugnisse zum 13.-15. Februar 1945
Anmerkungen:
[1] Vgl. Matthias Neutzner, Vom Alltäglichen zum Exemplarischen. Dresden als Chiffre für den Luftkrieg der Alliierten, In: Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg, Oliver Reinhard / Matthias Neutzner / Wolfgang Hesse (Hrsg.), Dresden 2005, S. 110-127; ders., Vom Anklagen zum Erinnern. Die Erzählung vom 13. Februar, in: ebd., S. 128-163.
[2] Tagungsbericht Quellen zum 13. Februar 1945. Arbeitsmethoden der Historiker. 26.04.2006, Dresden. In: H-Soz-u-Kult, 20.07.2006, <hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1254>.
[3] Vgl. Erklärung der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945, hrsg. v. d. Landeshauptstadt Dresden. Die Oberbürgermeisterin, 1.10.2008, Download unter <http:// www.dresden.de/media/pdf/presseamt/Erklaerung_Historikerkommission.pdf> (26.11.2008).
[4] Helmut Schnatz, Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln 2000.
[5] Auf der öffentlichen Abendveranstaltung meldete sich noch Kommissionsmitglied und Luftkriegsexperte HORST BOOG (Stegen) mit einem Beitrag zur Bewertung der Luftkriegsführung unter rechtshistorischen und moralischen Aspekten zu Wort.
Quelle: H-Soz-u-Kult
Bombardement 1945
Zahl der Dresden-Toten viel niedriger als vermutet
Von Sven Felix Kellerhoff 1. Oktober 2008
Im Februar 1945 wurde die Stadt Dresden von alliierten Bomben zerstört. Wie viele Menschen damals starben, ist bis heute umstritten. Die Zahlen schwankten zwischen 35.000 und einer halben Million. Beim Historikertag in Dresden haben Forscher jetzt überraschende Ergebnisse präsentiert.
Leichen zu zählen, gehört zu den unangenehmen, aber notwendigen Aufgaben der Zeitgeschichte. Denn viele geschichtspolitische Auseinandersetzungen knüpfen sich direkt an Opferzahlen. Beim Historikerstreit 1986/87 ging es um die Singularität des Holocaust – und die Frage, ob die wesentlich höhere Zahl der stalinistischen Opfer die Verbrechen des NS-Regimes relativere.
Rechtsextremisten betreiben seit Jahrzehnten ein trübes Spiel mit der Frage, wie viele Menschen in Auschwitz vergast wurden. Immer noch stark umstritten ist, wie sehr auch Deutsche selbst als Opfer von Hitlers Krieg zu betrachten sind. Hier stehen ebenfalls Zahlen im Mittelpunkt, etwa bei den Toten von Flucht und Vertreibung.
35.000 oder 500.000 Opfer?
Zu den heftigsten geschichtspolitischen Diskussionen in Deutschland zählt der Streit um die Opferzahl der alliierten Bombardements auf das militärisch kaum bedeutende und nicht nennenswert verteidigte Ziel Dresden Mitte Februar 1945. Seit mehr als 63 Jahren kursieren unterschiedlichste Zahlen, die zwischen 35.000 und einer halben Million schwanken. Verschärft wurde die Auseinandersetzung, seit die NPD im sächsischen Landtag in Dresden Fraktionsstatus besitzt und hier mit hässlicher Regelmäßigkeit etwa über den Bombenholocaust“ agitiert.
Seit diesem Dienstag gibt es erstmals wissenschaftlich gesicherte Zahlen. 2004 hatte der damalige Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Rossberg eine elfköpfige Historikerkommission eingesetzt, die nach allen Regeln der Zunft und benachbarter Disziplinen eine seriöse Schätzung der Toten der furchtbaren Stunden zwischen dem 13. und dem 15. Februar 1945 erarbeiten sollte. Am ersten Tag des 47. Historikertages in Dresden hat diese Kommission ihre wesentlichen Ergebnisse vorgestellt. Sie liegen deutlich unter allen bisherigen Schätzungen.
„Im Ergebnis der Untersuchungen der Kommission sind bislang etwa 18.000 Dresdner Luftkriegstote nachgewiesen worden. Die Kommission geht von maximal 25.000 Menschen aus, die während der Februar-Angriffe in Dresden ums Leben gekommen sind“, heißt es in der offiziellen Erklärung. Unter der Hand lassen Kommissionsmitglieder verlauten, dass sie mit einer Gesamtzahl von 20.000 Toten rechnen. Angesichts der nur 63 Minuten währenden drei Bombenangriffe, die kriegsrechtlich in einer Grauzone stattfanden, moralisch aber eindeutig ein Kriegsverbrechen waren, ist das erschütternd viel.
Wie viele Opfer pro Tonne Bombe
Zu dieser Schätzung kamen die Historiker unter der wissenschaftlichen Leitung von Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam parallel auf mehreren Wegen: Die Bestattungsunterlagen von 1945 wurden ebenso komplett ausgewertet wie Meldeunterlagen aus der Nachkriegszeit. Zeitzeugeninterviews wurden geführt, Fotos verglichen, Brandgutachten erstellt und großflächige Bodenuntersuchungen durchgeführt.
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Auch statistische Untersuchungen, die auf den ersten Blick sehr zynisch erscheinen, muteten die Fachleute sich zu: Pro abgeworfener Tonne Bomben starben, so der Luftkriegsexperte Helmut Schnatz, in Dresden zwischen acht und neun Menschen – zum Vergleich: In Pforzheim waren es im Frühjahr 1945 etwa 11,3 Opfer, in Kassel 5,5 und in Hamburg im Sommer 1943 rund 14 Tote pro Bombentonne.
Von besonderer Bedeutung ist, dass die Kommission sich mit allen gängigen Spekulationen über höhere Opferzahlen auseinandergesetzt und sie Stück für Stück widerlegt hat. So können die Historiker zeigen, dass selbst beim Feuersturm in der Dresdner Altstadt nicht so hohe Temperaturen herrschten, dass menschliche Körper spurlos hätten verbrennen können.
Erinnerungen von Zeitzeugen widerlegen
Unbestreitbar fest steht auch, dass die seinerzeit von den NS-Behörden intern aufgestellten Statistiken sowohl einheimische Opfer wie zufällig während der Bombenangriffe in der Barockstadt anwesende Menschen registriert wurde – die Behauptung beispielsweise des britischen Rechtsextremisten David Irving, viele zehntausend Flüchtlinge aus dem Osten, die bei den Angriffen ums Leben gekommen seien, wären nie registriert worden, ist nachweislich falsch.
Müller konnte zudem zeigen, dass Angaben der örtlichen Wehrmachtskommandeure unzuverlässig sind: Die Befehlshaber wussten nicht einmal die genaue Zahl der Toten unter ihren eigenen Soldaten. Von den etwa 17.000 Mann der Garnison Dresden starben etwa hundert Mann.
Als sicher widerlegt können nun auch die Erinnerungen von Zeitzeugen gelten, es hätte während oder direkt nach den Bombenangriffe Attacken von Tieffliegern auf Zivilisten am Boden gegeben. Zahlreiche nach 1945 brach liegende Freiflächen, vor allem die Elbauen, wurden geologisch auf Spuren von MG-Munition untersucht. Es wurden keinerlei Indizien für die vielfach erinnerten „Menschenjagden“ gefunden.
Im kommenden Jahr wird die Kommission beginnen, ihre Ergebnisse umfassend zu publizieren; geplant sind sowohl gedruckte wie Internet-Dokumentationen. Dann wird die interessierte Öffentlichkeit die Forschungen im Detail nachvollziehen können. Es ist jedoch schon absehbar, dass die Kernerkenntnisse der Müller-Kommission in Dresden und über Sachsen hinaus für viel Streit sorgen wird. Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe fand gestern Abend eine öffentliche Diskussion statt. Ziemlich einzigartig dürfte sein, dass die Stadtverwaltung vorab und offiziell „Personen, die eine willentliche Gefährdung oder Störung der Veranstaltung“ ausgeschlossen hat.
So ist eher unwahrscheinlich, dass sich der Wunsch von Kommissions-Chef Müller kurzfristig erfüllt, obwohl ein Ende der „irrsinnigen Zahlenspekulationen“ dringend nötig wäre. Doch die ausgesprochen gründlichen Untersuchungen der Kommission könnten mittelfristig durchaus diesen Effekt haben. Nur dann wird die Historikerkommission ihr wichtigstes Ziel erreichen: Das Andenken an die Opfer dem politischen Streit zu entreißen.
Quelle: Welt-Online
Jürgen Engert erlebte als Junge die Bombenangriffe auf Dresden und später die endlosen Debatten darüber, wie viele Menschen den Tod gefunden hatten
Dresden und seine Toten
5. Oktober 2008
Ich stehe am Altmarkt. Ich stehe hier, wo ich stand im Februar 1945. Die alte Stadt eine neue Stadt. Fantastisch. Ich inmitten einer Kulisse. Häuser ruiniert und skelettiert. Straßen sind Berge. Abenteuerlich. Kein Schock. Neugier. Wie lang ist es her, dass die Bomben nach Dresden kamen, zu brennen, zu sprengen, zu entfachen einen Feuersturm, zum Bersten, am 13., am 14., am 15. Februar, in der Nacht und am Tag? Der kleine Junge weiß es nicht. Er ist aus der Zeit gefallen. Er sieht auf Uhren an den Türmen. Sie gehen nicht mehr. Vor mir auf dem Altmarkt Pferdewagen. Mit ihrer Ladung, abgedeckt mit Planen, sind sie an mir vorbeigezogen. Den Wilder-Mann-Berg hinauf, hin zu den Massengräbern auf dem Heidefriedhof. Die Gräber sind jetzt geschlossen. Wegen Überfüllung. Sagt Straßenkehrer Kreher. Wohin mit den vielen Toten? Verwesung riecht. Süßlich. Mild ist es im Februar 1945. Auf dem Altmarkt werden die Fuhrwerke entladen. Ihre Fracht ist der Tod. Schrecklich? Schrecklich war die Berührung der Großmutter in ihrem Sarg. Eiskalt und ganz hart. Die Vertraute wurde zur Fremden. Hier auf dem Altmarkt, in der Distanz, sind die anonymen Toten von vornherein Fremdkörper. Sie werden auf Roste aus Eisenträgern geschichtet, mit Benzin übergossen, angezündet und verbrannt. Viel später werden wir erfahren: Auf dem Altmarkt wurden 6865 Luftkriegstote eingeäschert. Nach einer Methode, mit der Opfer in Konzentrationslagern beseitigt wurden. In den Annalen wird vermerkt: Die Einäscherung sei „makabrer Höhepunkt des Infernos“.
Kaum sind die Angriffe vorbei, schießen in Dresden Gerüchte und Vermutungen ins Kraut. Von Hunderttausenden Toten geht die Rede. Fast jeder kennt einen, der in einem Keller umkam, der in einer Straße erstickte. Phosphor soll vom Himmel geregnet sein. Tiefflieger der Amerikaner hätten sich mit ihren Bordwaffen auf die Menschen auf den Elbwiesen und im Großen Garten gestürzt und sie niedergemäht, ein Massaker. Davon betroffen vor allem Flüchtlinge aus Schlesien. Und die total zerstörten Häuser, ein Drittel aller Wohnungen futsch, und unter den Trümmern werden sie liegen, bis zum Jüngsten Tag. Schlimm, schlimmer, am schlimmsten.
Eine amtliche Zahl der Opfer gibt es nicht. Die Nazipropaganda spricht von „Massenmord“. Spekulation ersetzt Information. Nicht genährt von Lust. Ihre Wurzel ist das Entsetzen. Dresden zählte 1939 647 000 Einwohner. 1945 waren etwa 200 000 Menschen hinzugekommen, in Mehrheit Flüchtlinge und Evakuierte. Wie viele Tote? Die Antwort wird zum Lackmus-Test: Bist du ein richtiger Dresdner? Willst du es sein, musst du dich einpendeln: 100 000. Das ist das Minimum. Dieser Kampf um die Zahlen, er wird geführt, bevor Geschichtspolitik gemacht wird. Darüber spalten sich Familien, zerbrechen Freundschaften. „Jetzt werden Tote gleichsam als Orden getragen.“ Der Spott des Großvaters wird den Davongekommenen nicht gerecht.
Das Tragische des Geschehens wird versucht in einer Zahl aufzuheben. Sie soll die Wucht des eigenen Erlebens und Erleidens ausdrücken. Und alle sollen es zur Kenntnis nehmen. Das einzelne Opfer verlangt durch das Hochhalten der vielen nicht zu zählenden Opfer Respekt. Und wehe dem, der ihn nicht zollt. Ein paar Tausend Tote mehr, ein paar Tausend Tote weniger, was soll’s? Sinnlos ist der Schlag und sinnlos ist der Tod in einem Krieg, längst entschieden, bei dem jeder Tote ein Toter zu viel ist.
Wer so argumentiert, verkennt das unstillbare Bedürfnis nach Entlastung. Das sieht schließlich auch der Großvater ein. Der Februar 1945 ist für ihn kein Thema mehr. Weil er ein Problem ist. Und das ist der Angriff auf Dresden geblieben, auch 63 Jahre danach. Wie viele Male wurde im Februar 1945 in der Stadt gestorben? Rechenexempel und Zahlenspiele: obszön. Aber mit Methode. Nach dem heißen Krieg im kalten. 35 000 Tote: Das war zunächst die Richtgröße für die Richtschützen. Indem aber der Kalte Krieg immer kälter wurde, wurde sie gesteigert. Mit der DDR hinein in die Hunderttausende. Stalin der Menschenfreund hätte die Zerstörung, wäre er vorab informiert worden, nie und nimmer gebilligt. Die „angloamerikanischen Luftgangster“ auf der Anklagebank. Die Front verlief nicht nur zwischen Ost und West. Denn Dresden war das Gegenbeispiel für „ritterliche Kriegsführung“. Was war ritterlich in diesem Krieg? Ohne Unterschied für Soldaten und Zivilisten? Was von Deutschland ausging, das Zivilisationsverbrechen, es schlug auf Deutschland zurück. Deutsche Selbstgeißelung? Mit Lorbeerbaum und Streichquartett? Nein. Tatsachen. Und die können schrecklich banal sein. Nach dem Krieg, bei uns zu Haus, saß der Jude Victor Klemperer. Er war im Feuersturm von Dresden gewesen. Und der Feuersturm, der verheerende, ihn hatte er gerettet. Vor der verfügten Deportation in ein Vernichtungslager untergetaucht im Flammenmeer.
Im nächsten Jahr wird eine elfköpfige Historikerkommission die erste detaillierte und wissenschaftlich gesicherte Dokumentation zu den Opferzahlen veröffentlichen. Seit 2004 haben die Wissenschaftler daran gearbeitet. Nun, im Rahmen des 47. Deutschen Historikertages in der Elbestadt vorab die Feststellung: „Die Kommission geht von maximal 25 000 Menschen aus, die während der Februar-Angriffe in Dresden ums Leben gekommen sind.“
Ende der Auseinandersetzung? Ein Maulkorb für die NPD mit ihrer Rede vom „Bomben-Holocaust“? Nein. Der Bericht der Kommission: eine Berufungsinstanz. Wissenschaft hat noch nie Manipulation verhindert. Ich werde den Bericht lesen. Und ich werde wieder am Altmarkt stehen, und Bilder werden mir vor die Augen kommen: die Pferdewagen mit den Toten, die Roste und die gebeugte Gestalt Victor Klemperers. Wir, die wir dabei waren im Februar 1945, wir werden immer weniger. Wir brauchen keine Zahlen. Wir haben unser Empfinden. Nicht teilbar, kaum mitteilbar. Die Zeit der Nachleser hat längst begonnen. Historiker walten ihres Amtes.
Der Autor wurde 1936 in Dresden geboren. Er ist Zeitungs- und Fernsehjournalist
Quelle: Welt-Online
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