Der 13. Februar 2010 war ein Sieg für die linke antifaschistische Bewegung in der BRD. Zum ersten Mal konnte der größte Naziaufmarsch Europas durch entschlossene Gegenproteste verhindert werden. Ein breites Bündnis von Antifa-Gruppen über Gewerkschaften bis hin zu linken Parteien und vielen weiteren Organisationen und Einzelpersonen war entschlossen mit den verschiedensten Mitteln den Faschisten in Dresden kein Fußbreit zu überlassen. Bis es jedoch dazu kam, wurde ein Blockade-Bündnis gegründet, staatliche Repressionen erfahren und fleißig bundesweit mobilisiert. Doch der Reihe nach.
Kurze Historie des sogenannten „Trauermarsches“ der Faschisten
Die Bombardierungen der Stadt Dresden in mehreren Angriffswellen erreichten in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 ihr größtes Ausmaß, als Bomber der britischen Luftwaffe weite Teile der Stadt in Schutt und Asche legten. Historiker gehen davon aus, dass bei den Luftangriffen auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 bis zu 25.000 Menschen ihr Leben ließen. Das zum damaligen Zeitpunkt noch fleißige Propagandaministerium von Goebbels sprach von einigen hunderttausend toten Menschen.
Dass diese militärische Antwort der Alliierten auf einen deutschen Vernichtungskrieg, der Jahre lang Angst, Schrecken, Folter und Massenmord über Europa gebracht hatte, in solch einer umfassenden Form erfolgte, das bestimmt noch heute die Diskussionsstandpunkte um Dresden.
Bereits in den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) nutzten faschistische und revanchistische Kräfte die Zerstörung, um ein deutsches Opferbild zu zeichnen. Gleichzeitig relativierten sie die Kriegsschuld Deutschlands, was sich zusammen schnell festsetzte in der westdeutschen Gesellschaft, die, so muss man feststellen, nur eine „Light-Variante“ der Entnazifizierung genießen durfte.
Nach der Wiedervereinigung, dem Anschluss der DDR an die BRD, erreichte der Revisionismus dann neue Höhen. Im Kanon sangen die braunen und schwarzen Vögel gemeinsam, nun auch in der Beitrittszone, das Lied vom deutschen Opfermythos. Diese reaktionären Kreise erkannten die Zeit und forderten lauthals die Legitimation zur Trauer um die „eigenen Opfer“. Der deutsche Faschismus sei bewältigt und es müsse doch endlich ein Schlussstrich unter die Vergangenheit der Jahre 1933-45 gezogen werden. Es wurde versucht, jeglichen historischen Kontext zu verwischen mit der Verdrehung oder zumindest der Ausblendung von Ursache und Wirkung.
1998 und 1999 fingen dann regionale Nazis an, sich unter die Trauergäste beim jährlichen Gedenken an der Ruine der Dresdner Frauenkirche zu mischen und Kränze niederzulegen. Dagegen gab es keinen Widerstand, was den Geist von großen Teilen der Trauerfeierlichkeiten erkennen ließ.
Beflügelt von diesen Sympathien aus Teilen der Dresdner Bevölkerung organisierte im Jahre 2000 die damalige „Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO)“ erstmals einen eigenen so genannten „Trauermarsch“ in der Landeshauptstadt unter dem Motto „Ehre den Opfern des Bombenterrors“. An dem nächtlichen Aufzug nahmen etwa 500 junge und alte Nazis teil. Dies kann wohl als die Initialzündung für eines der wenigen verbliebenen, heute aber bedeutendste regelmäßige Nazi-Großevent in der BRD gesehen werden.
In den darauf folgenden Jahren wuchs die Teilnehmerzahl des Nazigedenkens beständig an und erreichte am 13. Februar 2005, dem 60. Jahrestag der Bombardierung, mit schätzungsweise 6.500 Faschisten aus ganz Deutschland und Europa einen erschreckenden Höhepunkt. Seit dem Jahr 2006 gibt es gar zwei Aufmärsche in der Stadt. Während große Teile der Organisatoren zu dem Schluss kamen, mehr Teilnehmer zu mobilisieren, wenn der Aufmarsch am Samstag nach dem 13. Februar stattfindet, verfolgten eher regionale Kräfte die Linie der Tradition und veranstalten seitdem ihren eigenen Aufzug unter der Woche.
Der so genannte „Trauermarsch“ hat die Funktion der Vernetzung, Ideologiebildung und Festigung einer faschistischen Identität. Mit seinem positiven Bezug auf den deutschen Faschismus stärkt er die Nazis nach innen und soll strömungsübergreifende Einigkeit als Machtdemonstration nach außen transportieren.
Mobilisierung 2010 – No Pasarán!
Nachdem bereits 2009 eine linke antifaschistische Mobilisierung nach Dresden stattfand, allerdings aufgrund vieler Faktoren scheiterte, wurde 2010 ein neuer Versuch unternommen, den Faschisten keinen Fußbreit in Dresden zu überlassen.
Das Bündnis „No Pasarán!“, an dem sich zahlreiche Antifagruppen bundesweit beteiligten initierte eine Aktionskonferenz. Am 6. und 7. November 2009 kamen dann über 250 Antifaschisten nach Dresden, um zu beratschlagen, wie der alljährliche Naziaufmarsch in Dresden, verhindert werden kann. Die Konferenz veröffentlichte eine Resolution.
Ungefähr einen Monat nach der Aktionskonferenz gründeten über 50 Vertreter aus verschiedenen antifaschistischen Gruppen, Verbänden und Gewerkschaften das Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“. Dieses antifaschistische Bündnis rief dazu auf, die Provokation der extremen Rechten mittels Blockaden zu verhindern und vereinte nochmal mehr zivilgesellschaftliche Kräfte. Auch das Antifa-Bündnis „No Pasarán!“ war Teil von „Dresden Nazifrei“. Am Ende der Mobilisierung nach Dresden unterstützen etwa 600 Organisationen und 2.000 Einzelpersonen das Blockadebündnis.
Antifaschismus ist notwendig – nicht kriminell
Nachdem die Mobilisierung in die sächsische Landeshauptstadt richtig gut anlief, razzte die politische Polizei am 19. Januar 2010 in Dresden und Berlin linke Einrichtungen und Organisationen. Die Beamten suchten Aufrufe zur Verhinderung des Naziaufmarsches. Betroffen waren dabei sowohl das bundesweite Antifabündnis „No Pasaran“ als auch das Bündnis „Dresden – Nazifrei“. Durchsucht wurden Büros des Antifa-Shop „Red Stuff“ in Berlin, sowie Einrichtungen der Partei „Die Linke“. In Dresden wurden mehrere tausend Plakate beschlagnahmt und Rechner der Linkspartei eingezogen.
Doch damit nicht genug, es ging munter weiter:
Die Bundestagsabgeordnete Dorotheé Menzner (Linke) wurde am 20. Januar 2010 in Berlin von der Polizei festgenommen, weil sie mit mehreren Jugendlichen Plakate gegen den Naziaufmarsch in Dresden plakatiert hatte. Ihnen und Menzner wird ein Aufruf zu Straftaten vorgeworfen. Aufgerufen hatte zu der öffentlichenn Plakatieraktion der Studentenverband der Linken SDS. “Demonstrativ” sollten die verbotenen Plakate des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ in Berlin verklebt werden.
Und noch mal:
Kurz darauf wurde dem Provider der Internetseite dresden-nazifrei.de vom LKA Sachsen eine Verfügung zugestellt. In dieser wurde die Abschaltung der besagten Seite gefordert. Die Begründung war auch hier ein „Aufruf zu Straftaten“. Die Seite wurde dann auch tatsächlich abgeschalten, die Inhalte zogen auf dresden-nazifrei.com um. Danach hörte man nicht mehr soviel von den Repressionsorganen.
Als Reaktion auf diese Repressionswelle gab es bundesweite Aktionen von antifaschistischer Seite, die zeigten, dass wir uns nicht einschüchtern lassen würden. So veröffentlichten etwa wir Freiburger Antifaschisten anschließend eine gemeinsame Presseerklärung, in der zwölf Organisationen die Repression gegen antifaschistisches Engagement verurteilten. Am 29. Januar 2010 klebten Freiburger Linke, wie in vielen anderen Städten auch, in einer angekündigten Aktion am Platz der Alten Synagoge Plakate, die zur Verhinderung des Dresdner Nazi-Aufmarsches aufrufen.
Einer geht noch:
Unmittelbar vor dem Wochenende wurde eine weitere Unverschämtheit bekannt. Die Polizei führte eine Telefonaktion durch. Busunternehmen wurden direkt angerufen und unter Druck gesetzt. Die Busse dürften nicht nach Dresden einfahren, die Demonstrationen seien für die Teilnehmer zu gefährlich.
Freiburger Mobilisierung
Aus Freiburg fuhren zwei Reisebusse nach Dresden, die restlos ausverkauft waren. Rückblickend wäre ein dritter Bus die beste Lösung für das Ticketproblem gewesen. Die Antifaschistische Linke Freiburg (ALFR) organisierte sie gemeinsam mit der örtlichen Linksjugend und dem SDS. Dass die Tickets so günstig waren verdanken wir einigen Organisationen, Projekten und Einzelpersonen. Vielen Dank dafür.
In Freiburg und dem näheren und ferneren Umland fanden insgesamt vier Infoveranstaltungen statt, bei denen wir über die Thematik informierten und die jeweils sehr gut besucht waren.
Durch die Freiburger Erklärung gegen die Repression, durch Plakatierungen in der gesamten Stadt und eben die Veranstaltungen ist es uns gelungen sowohl zu den Blockaden des Faschistenaufmarsches aufzurufen als auch den Mythos Dresden und den deutschen Opferdiskurs in unserer Stadt zum Thema zu machen.
Der Auswärtssieg
Am 13. Febuar 2010 selbst fuhren wir sehr sehr früh los und erreichten auf der Strecke nach Dresden eine beachtliche Größe des Bus-Konvois.
Über die Aktionen in Dresden wurde schon viel geschrieben. Zusammengefasst war der Tag ein Erfolg. An mehreren Punkten um den Startpunkt der Faschisten herum fanden große und kleine Blockaden statt. In der gesamten Neustadt bewegten sich Groß- und Kleingruppen und erwischten versprengte Nazis und ihre Fortbewegungsmittel, lieferten sich Scharmützel mit dem Staat, der oftmals erst fünf Minuten nach den Aktionen an Ort und Stelle eintraf. Insgesamt waren laut Polizei 6.400 Faschisten in der sächsischen Landeshauptstadt. Darüber, wieviele es tatsächlich waren, kann nur gemutmaßt werden. Der Staat setzte etwa 6.000 Polizisten und über 1.000 Bundespolizisten ein.
12.000 Antifas, Gewerkschafter usw. harmonierten und ergänzten sich prima in ihren Aktionsformen. Spaltungsversuche gab es nicht, die rechte Polizeiinteressensvertretung DPolG jammert bitter rum über uns „Linksextremisten“.
Sehr erfreulich war auch, dass sich viele Dresdener Bürger an den Blockadeaktionen beteiligten. Die Spaltungstaktik des Dresdner Establishments ging damit nicht auf. Parallel zu den direkt gegen den Faschistenaufmarsch gerichteten antifaschistischen Blockaden in der Neustadt hatte dieses im Vorhinein zu einer Menschenkette in der Altstadt aufgerufen, unter dem Motto „Erinnern und Handeln. Für mein Dresden“. Nach Presseberichten beteiligten sich an die 15.000 Menschen daran und gedachten auf ihre Weise den Opfern der Bombardierungen, streng darauf bedacht, es handele sich hiebei um ihr Monopol.
Die Aktion sollte „symbolisch die Dresdner Innenstadt schützen“, gerade so als ob ein neues alliiertes Bombardement bevorstünde oder den Faschisten Ähnliches im Sinn stünde. Anlässlich dieser Menschenkette berichteten zahlreiche Medien fälschlicherweise, bei dieser habe es sich in erster Linie um einen Ausdruck gegen den Faschistenaufmarsch gehandelt, oder gar, sie habe in irgendeiner Weise zur Verhinderung von diesem beigetragen.
Doch immerhin ist festzustellen, dass der deutsche Opfermythos unübersehbare Risse bekommt. So kam auch die Dresdener Oberbürgermeisterin Helma Orosz bei ihrer Rede auf der Aktion nicht darum, daran zu erinnern, „wer diesen verdammten Krieg losgetreten hatte“. Sicherlich hat die starke antifaschistische Mobilisierung und die damit verbundene Kritik des deutschen Opfermythos einen entscheidenden Anteil daran, dass nun auch hier Thema wird, was Ursache, und was Wirkung war, denn der auch medial unübersehbare Antifaschismus zwang das Dresdner Establishment zu einer Positionierung.
Die frustrierten Nazis randalierten in den Abendstunden noch in sächsischen Kleinstädten, in denen die Bürgersteige schon hochgeklappt waren und zeigten so nochmal ihre häßliche Fratze. Auf der Rückfahrt gab es diesmal wohl keine Übergriffe von Faschisten auf Linke.
Fazit
Der Naziaufmarsch in Dresden wurde erstmals verhindert, und das obwohl Staatsanwaltschaft und Polizei im Vorhinein alles daran gesetzt hatten, die antifaschistische Mobilisierung zu sabotieren. Das muss als Sieg gewertet werden. Nicht für Deutschland oder Dresden, wie es einige sogenannte „Antideutsche“ halluzinieren, sondern als ein Sieg für eine antifaschistische Bewegung. Die Bündnisarbeit hat nicht versagt, weil sich die Beteiligten respektierten und die verschiedenen Herangehensweisen im Anti-Nazi-Kampf akzeptierten. Dabei wurde ein gemeinsamer Aktionskonsens weitestgehend eingehalten.
„No Pasarán!“ und „Dresden Nazifrei!“ vermittelten, erfolgreich, dass wir mit einer breiten bundesweiten Mobilisierung die Nazis stoppen können. Überzeugend war dabei das Konzept der Massenblockaden und die professionelle Orga und Koordination vor Ort. Tausende Menschen aus den verschiedensten linken und fortschrittlichen Zusammenhängen nahmen z.T. weite Strecken auf sich, um die Leute in Dresden zu unterstützen. Der Kampfgeist wurde geweckt.
Wie groß der Erfolg der diesjährigen Kampagne ist, zeigt sich schon alleine daran, dass es dem Bündnis „No Pasarán!“ bereits im zweiten Jahr des Bestehens gelungen ist, den Dresdner Faschistenaufmarsch zu verhindern. Doch nicht nur das: Auch wurde erreicht, den Fokus vom deutschen Rumgeopfer auf den Antifaschismus und damit auch die Frage zu lenken, warum Dresden eigentlich bombardiert wurde. Jahrelang waren die Proteste gegen die Faschisten in Dresden leider maßgeblich von „Antideutschen“ dominiert gewesen, die den Antifaschismus und die in der Sache richtige Kritik am deutschen Opferdiskurs zur Verherrlichung der Bombardierung von Zivilbevölkerung sowie zu Solidaritätsbekundungen mit imperialistischen und kriegsführenden Nationalstaaten instrumentalisieren konnten. Dabei haben die „Antideutschen“ die letzten Jahre nicht einen Bruchteil des diesjährigen Erfolges erreicht, und zwar weder in Bezug auf die Faschisten, noch in Bezug auf den Erinnerungsdiskurs.
Antifaschismus ist und bleibt ein Teilbereichskampf. Die Hürden für eine Beteiligung an diesem Kampf müssen niedrig sein, vor allem in der Bündnisarbeit. Nur so kriegen wir eine progressive breite Bewegung spektrenübergreifend hin, die Erfolge erzielen kann durch Masse. Allerdings müssen wir bedenken, ob wir weiter mit Leuten demonstrieren wollen, die Fahnen kriegsführender Staaten tragen und rassistische Ressentiments pflegen.
Der Kampf ums Ganze wird diese Breite zur Zeit nicht erreichen können, dabei sollten wir auch nicht so kompromissbereit sein. Wenn wir heute zusammen mit vielen Menschen Nazis zurückdrängen, haben wir klassenkämpferische Linke mehr Raum um unsere revolutionäre Organisierung voranzutreiben. Wir müssen nach wie vor das Ziel vor Augen haben, die bürgerliche Gesellschaft zu überwinden. Die Wurzeln von Faschismus, Hunger und Krieg können wir nur so beseitigen.
Mehr Infos
www.antifaschistische-linke.de
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