welt: Fatale Spirale – „Kampf gegen Rechts“ lockt Nazis nach Dresden

Die Stoßrichtung dieses Artikels der Welt geht leider völlig in die falsche Richtung: Hier wird suggeriert, weniger Widerstand würde dem Naziaufmarsch auch weniger Zulauf bringen. Das dies falsch ist, zeigt die einfache Betrachtung des Wachsens des Naziaufmarsches seit 1998: Der Aufmarsch wurde im Windschatten des in den ersten fünf Jahren nahezu gänzlich ausgebliebenen Gegenwindes erst so groß, wie er heute ist. Als dann begonnen wurde, gegen den Aufmarsch zu arbeiten, war es längst zu spät, den festen Termin der extremen Rechten im Keim zu ersticken oder gegen den inzwischen zu groß gewordenen Aufmarsch ohne Gefahr zu protestieren. Auch die Behörden der Stadt stellen sich bis heute nicht wirklich quer, um es den Nazis ungemütlich zu machen.
Desweiteren wird antifaschistischer Widerstand recht plump auf das Agieren von antideutschen "Antifa-Grüppchen" reduziert.


Fatale Spirale
"Kampf gegen Rechts" lockt Nazis nach Dresden

Von Richard Herzinger 14. Februar 2009, 17:29 Uhr

Während die Dresdner versuchen, mit der Zerstörung der Stadt auf würdige Weise umzugehen, haben die Neonazis den Gedenktag zu einem ihrer zentralen Propagandathemen gemacht. Je mehr vom Gedenken auf den "Kampf gegen Rechts" umgeschwenkt wird, desto attraktiver wird der Ort für Neonazis.

Samstagnachmittag glich Dresden einem Heerlager von Polizeikräften aus ganz Deutschland. So gut wie jede Ecke der Innenstadt war von ihnen überwacht, der Verkehr kam praktisch zum Erliegen. Doch der Eindruck, der nach außen dringt, täuscht. Nicht politische Parolen, nicht Nazi-Aufmärsche und Gegendemonstrationen sind es, die das jährliche Gedenken der Dresdner an die Zerstörung ihrer Stadt durch die alliierten Bombenangriffe vom 13. und 14. Februar 1945 eigentlich ausmachen. Es ist vielmehr die Stille.

Minutenlang steht der Chor schweigend auf der Bühne vor der Frauenkirche, bevor er an diesem kalten Freitagabend mit seinem Gesang die zentrale Gedenkveranstaltung der evangelischen Kirche und der Stadt Dresden eröffnet. Die rund dreitausend Bürger, die auf den Neumarkt gekommen sind, schweigen mit. Und auch während der Ansprachen der Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) und des Hauptredners, des früheren SPD-Chefs Hans-Jochen Vogel (SPD), wird untereinander kaum ein Wort gesprochen. Der Beifall fällt zurückhaltend aus. Nicht etwa, weil die Reden nicht zu Herzen gehen würden. Sondern weil die Stille des trauernden Eingedenkens nicht zu grell durchbrochen werden soll.

Es macht den Dresdnern zunehmend zu schaffen, dass ihr Versuch, mit dem Untergang ihrer Stadt vor 64 Jahren auf würdige Weise umzugehen, nicht mehr respektiert wird. Seit die Neonazis ihn zu einem ihrer zentralen Propagandathemen gemacht haben und jedes Jahr mit ausdauernder Dreistigkeit demonstrierend in die Stadt einfallen, um nationalistische Hassparolen zu verbreiten, droht das Dresdner Gedenken an die zwei Tage, als bis zu 25.000 Menschen im Feuersturm starben, von ihrem Ungeist kontaminiert zu werden.

„Diese Bande hat in Dresden nichts zu suchen“, ruft Oberbürgermeisterin Orosz vor der Frauenkirche aus. Und Vogel rekapituliert unter dem Veranstaltungsmotto „wahrhaftig gedenken – versöhnt leben“ einmal mehr die Schuld des nationalsozialistischen Deutschland, die aus dem Erinnern an das Dresdner Leid nicht ausgeblendet werden darf. Den versammelten Bürgern muss man das eigentlich nicht mehr sagen. Die auch mit britischen Spenden und britischer Hilfe wiederaufgebaute Frauenkirche ist an sich ein bedeutendes Zeichen dafür, dass Ressentiments und Geschichtsrevisionismus in Dresdens Gedenkkultur keinen Platz haben. Doch die Nähe der Extremisten – schon Freitagabend marschieren fast tausend „autonome Nationalisten“ auf – zwingt, mit der Geschichtslektion immer wieder von vorn anzufangen.

Spirale von Mobilisierung und Gegenmobilisierung

Der Widerstand gegen die Vereinnahmung durch die Rechtsextremen hat das Dresdner Gedenken in eine fatale Spirale von Mobilisierung und Gegenmobilisierung gebracht. Am Samstag verwandelt sich Dresden von einem Ort des Eingedenkens in ein riesiges politisches Kampffeld.

Das Bündnis „Geh Denken“, das vom DGB und der zivilgesellschaftlichen Initiative Kulturbüro Sachsen initiiert wurde und dem sich Politiker vor allem der SPD, der Grünen und der Linken sowie Kirchenleute, Prominente und verschiedenste Bürgerinitiativen angeschlossen haben, hat zu drei Demonstrationszügen gegen die angekündigte Demo der Rechtsextremisten aufgerufen – insgesamt nehmen um die 10000 Bürger daran teil. Sie starten von unterschiedlichen Punkten aus, um die „Präsenz der Demokratinnen und Demokraten“ in der ganzen Stadt zu zeigen und sich zur Abschlusskundgebung auf dem Theaterplatz zu treffen, wo unter anderen der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering und Grünen-Chefin Claudia Roth sprechen werden. Allein im Hauptzug vom „Goldenen Reiter“ aus setzen sich am frühen Samstagnachmittag mehrere Tausend Menschen in Bewegung.

Am Hauptbahnhof haben sich derweil, von der Polizei streng abgeriegelt, rund 5000 meist schwarz gekleidete, überwiegend jugendliche Rechtsradikale mit schwarzen Fahnen und Reichskriegsflaggen zur Kundgebung mit anschließendem „Trauermarsch“ versammelt. Holger Apfel, NPD-Fraktionschef im sächsischen Landtag, schwadroniert vom alliierten Bombenkrieg als einem „einzigartigen Holocaust“ an den Deutschen und wütet gegen „die mörderische Fratze des amerikanischen Imperialismus“.

Dilemma der Demokraten

Dass dieses Jahr mehr Rechtsextremisten da sind als jemals zuvor, zeigt das Dilemma der Demokraten: Je mehr politische Gegenkräfte sie auf die Beine bringen, je mehr gegen von überall her herangekarrte Neonazis bundesweite politische Prominenz aufgefahren wird und sich der Schwerpunkt des Dresdner Jahrestags so vom Gedenken auf den „Kampf gegen Rechtsextremismus“ verlagert, umso attraktiver wird das Datum für die Neonazis. Finden sie hier doch eine ideale mediale Bühne und tanken das befriedigende Gefühl auf, die verhasste Demokratie in helle Aufregung versetzen zu können.

Für Verwirrung sorgen zudem linksradikale Antifa-Grüppchen, die von ihren rechtsextremen Feinden optisch kaum zu unterscheiden sind. Sie haben Dresden ebenfalls als zentralen Kampfplatz entdeckt und sich am Freitagabend mit einem dröhnenden Freiluft-Rockkonzert am Altmarkt unter der Parole „Keine Versöhnung mit Deutschland!“ schon einmal für den nächsten Tag in Stimmung gebracht. Am Samstagnachmittag liefern sie sich in der Dresdner Altstadt ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.

Nur die Dresdner CDU verweigert sich dem Spektakel. Lars Rohwer, CDU-Kreischef und Landtagsabgeordneter, meint, man dürfe sich „von der Instrumentalisierung durch die Nazis seinerseits nicht eine immer stärkere Politisierung des Gedenkens aufzwingen lassen“. Doch Dresden ist bereits zum zentralen symbolischen Kampfplatz erbitterter geschichtspolitischer Auseinandersetzungen geworden. Und niemand weiß, wie die Spirale ihrer Eskalation zu stoppen ist.

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