junge welt: Antifaschistisches Bündnis berät über Strategien gegen rechten Großaufmarsch

Die junge welt druckte gestern ein Interview mit dem No pasarán-Bündnis zur Aktionskonferenz am kommenden Wochenende in Dresden.

02.11.2009 / Schwerpunkt / Seite 3

»Es wurde nicht versucht, Aufmarsch zu verbieten«
Antifaschistisches Bündnis berät über Strategien gegen rechten Großaufmarsch. Ein Gespräch mit Jürgen Malz

Interview: Markus Bernhardt
Jürgen Malz ist Sprecher des Bündnisses »No Pasarán!«

Neofaschisten
aus ganz Deutschland und Europa wollen im Februar 2010 anläßlich des
65. Jahrestages der Bombardierung Dresdens dort aufmarschieren. Welche
Bedeutung hat diese Großdemonstration für die Neofaschisten?


Neonazis
aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus zahlreichen anderen
europäischen Ländern treffen sich dort. Man frischt Bekanntschaften auf
und knüpft neue Kontakte. Nicht zu unterschätzen ist vor allem das
Gefühl, mit Tausenden Gleichgesinnten die Straße zu beherrschen und
gegebenenfalls Terror gegen politisch Gegner ausüben zu können.
Szeneintern wurde etwa der Überfall auf einen Gewerkschaftsbus in
diesem Jahr bejubelt, und man gab zu erkennen, daß man die Hoffnung
hegt, es würde zukünftig mehr Regionen geben, in denen »Dresdner
Zustände« herrschen. Auf der anderen Seite hofft man, an das
bürgerliche Gedenken anknüpfen zu können. Die Mythen, die
jahrzehntelang in Dresden über den Angriff zirkulierten und teils bis
heute noch umgehen, bildeten einen willkommenen Ausgangspunkt für ihre
Art der »Geschichtsschreibung«, wonach die Deutschen die alleinigen
Opfer des Zweiten Weltkriegs sind.

Während in anderen Städten
nicht nur autonome Antifaschisten, sondern auch die sogenannte
Zivilgesellschaft gegen die Nazis auf die Straße geht, scheint dies in
Dresden nur bedingt der Fall zu sein. Warum?

Ein großes Problem
in Dresden stellen die vollkommen unterschiedlichen
zivilgesellschaftlichen Strukturen und Rahmenbedingungen im Vergleich
zu anderen Städten in den westlichen Bundesländern dar. Die meisten
Teilnehmer der Gegenproteste kamen über die bundesweite Mobilisierung
von außerhalb. In Dresden selbst ist es den fortschrittlichen Teilen
der Zivilgesellschaft bisher nicht gelungen, in die Offensive zu
kommen. Das gesellschaftliche Klima und die insbesondere von der CDU
vorangetriebene »Extremismus-Theorie« münden vor Ort regelmäßig in eine
Gleichsetzung von links und rechts sowie in der Forderung nach einem
stillen Gedenken an die Opfer der Bombardierung. Protest gegen Neonazis
ist darin nicht vorgesehen. Von seiten der Stadt Dresden wurde noch
nicht einmal versucht, den Aufmarsch zu untersagen.

Sie
veranstalten am 6. und 7. November eine Konferenz, um Strategien gegen
den Großaufmarsch der Neonazis zu diskutieren. Was werden die
Schwerpunkte sein?

Wir werden neben unterschiedlichen Workshops
eine Podiumsdiskussion veranstalten u.a. mit der Vorsitzenden der
Jüdischen Gemeinde Dresden, einem Vertreter des ehemaligen
»GehDenken«-Bündnisses sowie dem Oberbürgermeister von Jena Albrecht
Schröter, der von den Protesten gegen das jährlich stattfindende
neonazistische »Fest der Völker« berichten wird.

Die Dresdner Lokalpolitik hat sich in Sachen Antifaschismus bisher nie mit Ruhm bekleckert. Erhalten Sie trotzdem Unterstützung?

In
unserer Auswertung kritisierten wir insbesondere die Symbolpolitik des
bürgerlichen »GehDenken!«-Bündnisses. Im Vorfeld des diesjährigen 14.
Februar mobilisierten Teile dieses Bündnisses unter anderem mit der
Parole »Dresden kann Köln!« und spielten damit auf die massenhafte
Blockade des sogenannten Anti-Islamisierungs-Kongresses der
rechtsextremen »Bürgerbewegung Pro Köln« im September 2008 an. Auch
wenn der Polizeieinsatz in Dresden nicht viel Raum ließ, am Tag selbst
war von solcher Entschlossenheit wenig zu spüren: Fernab von den
Neonazis wurden Bühnen aufgebaut, Reden gehalten, Bratwürste gegessen
und Demos durchgeführt. Darin liegt eine gravierende Schwäche, aber
auch eine Chance für die Zukunft. Wie in Köln 2008 muß es in Dresden
künftig gelingen, daß Antifaschisten und andere zivilgesellschaftliche
Kräfte zusammen oder in gegenseitiger Bezugnahme den Neonaziaufmarsch
blockieren wollen und am entsprechenden Tag alles Mögliche tun, um
dieses Ziel in die Tat umzusetzen. Um die Parole »Europas größten
Naziaufmarsch stoppen« ernst nehmen zu können, muß dazu ein
Sinneswandel bei den Akteuren des ehemaligen »GehDenken!«-Bündnisses
stattfinden. Noch ist nicht völlig absehbar, ob sich in diesem Jahr
tatsächlich alle zivilgesellschaftlichen Akteure der Initiative von
CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz anschließen und weiter auf
Symbolpolitik setzen wollen, oder ob es den Freunden des praktischen
Antifaschismus gelingen wird, im Sinne einer tatsächlichen Verhinderung
des Neonaziaufmarsches zu agieren.

Quelle:
www.jungewelt.de/2009/11-02/024.php

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