Roter Oktober am 16.10.2010 in Leipzig: Die Nazis unterliegen, aber auch der Polizeistaat läßt grüßen

Nach der Auflösung der Naziaufmarsches durch die Polizei vor einem Jahr in Leipzig wurde es dieses Jahr spannend – über 100 angemeldete Protestveranstaltungen und restriktive Politik der Stadt machten es bis zuletzt unklar, was am 16. Oktober 2010 eigentlich passieren würde. Und dann das: Die vom Dresdner Ordnungsamt abgekupferte Taktik, linke wie rechte Demonstrationen auf stationäre Kundgebungen einzudampfen zeigt Erfolg. Die Linken sagen die Vorabenddemo daraufhin ab und die Nazis unterliegen vor dem Oberverwaltungsgericht, welches die Zusammenlegung der vier geplanten Nazidemos genauso wie die stationäre Kundgebung am Leipziger Hauptbahnhof bestätigt.

Was die Nazis tun, ist dagegen wenig überraschend: Sie demonstrieren in ihren Anreiseformationen in Käffern oder Vororten bis sie nach wenigen Minuten von der Polizei gestoppt werden. Nur die Linken punkten mit echten Überraschungen: Eine Blockade im Hauptbahnhof läßt den Nazis keinen Spielraum und die Gruppe Nazis, die sich in die Nazilocation in der Odermannstraße zurückziehen wollen, werden über Stunden dort blockiert – nicht nur sie, auch ihre Pizza, die sie sich dort hinbestellten.

Was an diesem Tag aber auch verloren hat, ist das Versammlungsrecht. Bisher war es in Leipzig nicht nötig gewesen, das Marschieren der Nazis direkt zu verbieten: Massenhafter Widerstand und strenge Vorkontrollen machten die Naziaufmärsche seit über zehn Jahren fast unmöglich. Nun löst der Staat das Problem gleich selbst: und erledigt so nebenbei auch die linke Vorabenddemonstration. Das ist autoritärer Mist. Widerstand gegen Nazis ist nur erfolgreich, wenn er direkt und von überall kommt!

Ausführlicher Bericht und Einschätzung über die Niederlage der Nazis, insbesondere in Hinblick auf den nächsten 13. Februar in Dresden:

Gestern erst Leipzig, morgen Dresden und übermorgen…

Quelle: Indymedia

Als Generalprobe für Dresden war Leipzig ausgerufen worden. Aus diesem Grund beobachten Antifaschisten aus der sächsischen Landeshauptstadt die Ereignisse vom 16. Oktober mit erhöhter Aufmerksamkeit. Würde es den Neonazis denn tatsächlich gelingen ein erfolgsversprechende Strategie gegen die bereits angekündigten Massenblockaden zu finden? Eine (subjektive) Einschätzung.

Großen Dank an alle aktiven Gruppen, welche sich auf das Konzept eingelassen haben und am Ende erstmal seit langer Zeit wieder eine Großdemonstration in Leipzig als Erfolg verbuchen konnten.

So hieß es noch am selben Abend von den Veranstaltern. Inzwischen gibt man sich etwas kleinlauter und meint: Den gestrigen Tag als vollen Erfolg zu verbuchen wäre genauso falsch, wie in ihm eine Niederlage zu sehen.
Zwar heißt es häufig, dass eine Lüge kaum groß genug sein kann, um nicht auch doch noch geglaubt zu werden, doch diesmal schoss die Propagandaabteilung wohl etwas über das Ziel hinaus. Das Zurückrudern nach der Erfolgsmeldung am Vortag mag peinlich sein, offenbart jedoch das Unvermögen der Neonazis ihre politische Macht realistisch einzuschätzen. Zunächst ist nämlich festzuhalten, dass es für eine „nationale Opposition“ ein Armutszeugnis ist, wenn man um Gegendemonstranten und Polizeirepression „auszutricksen“ klandestin durch Dörfer und Vororte marschieren muss.
Ausgangspunkt für die neue Aufmarschstrategie war das Scheitern in Dresden, Dortmund und Berlin. Auf den ersten Blick erscheint Leipzig als ideale Testumgebung. Schließlich waren in den Vorjahren schon zahlreiche Demonstrationen an Blockaden der Zivilgesellschaft und dezentralen Aktionen – sprich Randale – durch „Autonome“ gescheitert. In der Folge sahen sich die Einsatzkräfte außerstande die Routen freizuräumen.
Dies ist aber nur ein Teil der Wahrheit, tatsächlich ist die Polizei vom rein technischen Aspekt her in der Lage (fast) jeden Aufmarsch durchzusetzen. Das dies nicht geschieht hat mehrere Gründe.

Zum einen ist auch sie von taktischen Erwägungen natürlich nicht frei. Vielleicht hätte man am Ersten Mai in Berlin den Naziaufmarsch auch durchprügeln können, aber was hätte dies für die Nachtstunden in Kreuzberg bedeutet? Wieviele der Blockierer in Dresden hätten ausgehalten, wenn bei diesen Temperaturen Wasserwerfer eingesetzt worden wären? Vermutlich nicht viele, aber was hätten die Tausenden danach gemacht? Zumindest temporär (und lokal begrenzt) kann der Staat seine Herrschaft nicht vollständig ausüben. Nicht nur der Akt des zivilen Ungehorsam (Sitzblockade) als solcher, stellt somit die staatliche Autorität in Frage. Aber dies sind krasse Ausnahmefälle.

Entscheidener ist jedoch, wie hoch der politische Preis ist, der zu zahlen ist. Wenn seitens der politischen Eliten der unbedingte Wille besteht ein Projekt durchzusetzen, dann wird dies geschehen. Der Castortransport wäre dafür ein Beispiel. In einem solchen Szenario spielen auch Überlegungen wie etwa die Verhältnismäßigkeit oder unerwünschte Seiteneffekte (Ausschreitungen mit erheblichen Sach- und oder Personenschaden) kaum eine Rolle.

Schon aus Gründen des internationalen Prestige wird das Engagement bei einem Naziaufmarsch sich dann eher in gewisse Grenzen halten. Mehr noch, was man auch immer von „den“ Konservativen halten mag, ihnen abzusprechen, dass auch sie kein zweites Ausschwitz wollen, gänge zu weit. Selbstredend bedeuten Naziaufmärsche, wie widerlich sie auch immer sein mögen, nicht, dass das Vierte Reich bevorsteht (auch wenn die „nationale Opposition“ dies bei Gelegenheit gerne phantasiert) und so kann man sich getrost zurücklehnen und Rechtsstaat spielen. Letzteres funktioniert jedoch nur bis zu dem Punkt, an welchen der politische Druck zu groß wird. Wenn mittels Massenblockaden Teile der politischen (lokalen) Elite eingebunden werden, steigt dieser. Freilich bedeutet dies mitnichten, dass ein temporäres Zweckbündnis entstanden ist. Natürlich sitzt die Antifa nicht mit dem Polizei an einem Tisch und konferiert über zu ergreifenden Maßnahmen, um einen Naziaufmarsch zu verhindern. Aber wem wird der Erfolg ceteris paribus ermöglicht werden, wenn der Staat einen der beiden Kontrahenten aus taktischen Erwägungen ihn gönnen muss? Auf wen fällt die Wahl, wenn breite Teile der politisch relevanten Protagonisten sich gegen den Naziaufmarsch stellen?

Und damit wieder zurück nach Leipzig. Anstatt sich bei diesen Ausgangsbedingungen (breiter zivilgesellschaftlicher Widerstand kombiniert mit einer aktionsfähigen Antifa) auf die Polizei zu verlassen, scheint es tatsächlich angezeigt selber zu agieren. Dies sagt nicht nur viel darüber aus, was die Markierung Nazi im postfaschistischen Deutschland bedeutet (Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Sozialdarwinismus etc. pp. und totalitäre Affinitäten aus der Mitte der Gesellschaft bleiben davon selbstredend unberührt), sondern auch viel über den aktuellen Stand im „Kampf um die Straße“.
Die Strategie ist also aus der Not geboren. Das muss nicht zwingend etwas schlechtes bedeuten, aber wenn die Wahl der Mittel so eingeschränkt ist, dann muss man sich eben mit diesen zufrieden geben. Maßstab für die Bewertung ist dann nur der Zielerreichungsgrad. Die Frage lautet folglich, was die Nazis positives aus Leipzig mitnehmen konnten.

Kurz lautet die Antwort: Nicht viel. Zum einen sind die Teilnehmerzahlen stark übertrieben. Spontandemonstrationen, welche offensichtlich mindestens partiell von den gleichen Teilnehmern durchgeführt worden sind, wurden offenkundig addiert. Außerdem scheinen auch die Einzelsummanden deutlich überhöht. Schlimmer jedoch das Bild, welches man in der Öffentlichkeit abgab. Nämlich so gut wie gar keines. Wie sollen denn auch Journalisten über Spontandemonstrationen berichten, welche sie nie zu Gesicht bekommen haben. Wenn die Polizei keine Meldung absetzt, wird dies außer den direkten Augenzeugen niemand erfahren, der die Mainstreammedien kunsultiert. Das hat nichts mit einer Verschwörung zu tun, sondern mit schlichter Medienlogik. Wovon es keine Bilder und kein O-Ton gibt, sondern nur eine Pressemitteilung der Polizei, dass findet alleine aus diesem Grund weniger bis keinen Raum in der Berichterstattung. Das Ziel einer Demonstration (demonstrare = (sich) zeigen) kann damit immer weniger erfüllt werden. Militante Angriffe auf Ausrüstung und teils hochrangiges Personal der „Revolutionäre“ dürften ebenso wenig erfreulich gewesen sein. So dürften die „Erfolge“ des Samstages vor allem nach Innen wirken. Man ist wieder marschiert. Die Veranstalter meinen gar, man habe das Laufen neu gelernt. Dieser Doppelsinn in der Bedeutung bekommt einen ironischen Beigeschmack, bedenkt man, dass Menschen üblicherweise als Kleinkinder das Laufen werden und nicht als große erwachsende arischen Recken (ein Anmelder hieß übrigens Istvan Repaczki).Die Wirkung nach Innen darf nicht unterschätzt werden, könnte sich jedoch leicht relativieren.

Denn wahrscheinlich werden die Höhenflüge, sollten sie sich trotz des eher mageren Ergebnis eingestellt haben, bald beendet werden. Für Dresden hat Leipzig kaum eine Bedeutung. Auch wenn es lächerlich erscheint hochtrabende Berichte über Spontandemos in Jena zu lesen, wo 30 Neonazis aufschlugen. In Anbetracht der hohen Gerichtskosten im „Rechtskampf“ und der relativ aufwändigen Mobilisierung fragt man sich schon in welchem Verhältnis die Teilnehmerzahl dazu steht. Und ob man zwei Dutzend Leute nicht auch billiger nach Jena bekommen hätte. Und wenn zwischen 300 (Polizei, Augenzeugen) und 400 – 500 (Angaben der Nazis im Zeitverlauf jedoch ansteigend) in Halle demonstrieren, dann dürfte zu diesem Umstand nicht unwesentlich beigetragen haben, dass die Bahnroute nach einem Sabotageakt gestört war, welche die Nazis nach Leipzig bringen sollte. In Leipzig hingegen wurden solche Teilnehmerzahlen bei Spontandemonstration nicht einmal annähernd erreicht. Und genau hier liegt die Krux. In Dresden wird es für die rechte Szene außer Diskussion stehen, außerhalb der Stätte des „Bombenholocaustes“ zu marschieren. Eine Spontandemonstration etwa in Pirna, um anlässlich des 13. Februars seine krude Weltvorstellung zum Besten zu geben, wäre der eigenen Klientel kaum zu vermitteln. Vielleicht sprechen die Veranstalter schon deshalb vorsorglich angesichts von häufig nicht einmal dreistelligen Teilnehmerzahlen von Großdemonstrationen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zusammensetzung der Spektren die jeweils im Februar in Dresden und jetzt in Leipzig durch die Stadt vagabundieren sehr unterschiedlich sind. Ob es gelingt Vertreter der „Elebnisgeneration“ für „Katz- und Mausspiele“ mit der Polizei zu überreden dürfte ebenso fraglich sein. Außerdem ist die Anzahl der zu koordinieren Kameraden im Februar doch um einiges größer. Wenn die jetzt gesammelten Erfahrungen ausreichen sollten, wäre dies eine faustdicke Überraschung.

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