Erfolg mit Nebenwirkung – Nachbetrachtung Naziaufmarsch 17.10. Leipzig

Am 17.10.2009 wollten Nazis zum wiederholten Mal in Leipzig aufmarschieren, was sie dann vor Ort nicht durchgeführen konnten. Gegen den  Aufmarsch hatte sich breiter Protest formiert, mit direkten Sitzblockaden um den Sammelplatz der Nazis. Entscheidend für den Ausgang des Tages war aber vor allem der Umgang der Polizei mit GegendemonstrantInnen und Nazis.

Nachdem aus diesem Anlass bereits auf Indymedia Vergleiche zwischen den Polizeieinsätzen bei Naziaufmärschen in Berlin, Leipzig und Dresden gezogen wurden, erschien in der Leipziger Wochenzeitung „Weiter“ ein Artikel in dem sich trotz des Erfolgs auch kritisch mit dem Polizeieinsatz auseinander gesetzt wird. Darin werden auch Vertreter des Aktionsnetzwerk Jena zitiert, die berechtigterweise darauf hinweisen, dass die Polizei in ähnlicher Weise gegen AntifaschistInnen am 13. Februar 2009 in Dresden vorgegangen ist.

Erfolg mit Nebenwirkung

Ein neues Bündnis gegen Rechtsextremismus feierte vergangenes Wochenende gleich mehrere Erfolge: Bis zu 3000 Bürger stellten sich friedlich gegen einen Nazi-Aufmarsch; dabei blieb das Verhältnis der Polizei trotz der Menschen-Blockade entspannt. Doch nun fürchten die Organisatoren: Wie die Ordnungskräfte die Rechtsextremen schikanierten, so ungemütlich könnte es bald auch für linke Demonstranten werden.

Von unserer Autorin Anne Dietrich

1349 Nazis auf einer Demo in Leipzig. Das ist die schlechte Nachricht vom 17. Oktober. Hier die gute: Diese riesige Gruppe konnte nicht wie geplant durch Reudnitz und bis zum Hauptbahnhof marschieren.

Eine Tatsache, die auf dreierlei Weise interpretiert und erzählt wird: Die Rechten seien gewalttätig geworden, berichtet die Polizei. Es gab genügend Menschen, die sich den „Nationalen Sozialisten“ widersetzt hätten, sagt das Bündnis 17. Oktober, eine Gruppe aus Initiativen, Vereinen und Privatpersonen, die die Menschen zu friedlichem Protest aufgerufen hatten. Die Polizei habe eine Eskalation provoziert, lautet die Variante der Nazis.

„Unser friedlicher Protest und die gute Kommunikation mit der Polizei haben die Polizisten doch erst dazu gebracht, die Gegendemonstration zuzulassen“, meint Juliane Nagel, Sprecherin des Bündnisses 17. Oktober. Und ihr Sprecherkollege Stefan Kausch ergänzt: „Auch, dass viele Politiker aus Leipzig da waren und der Protest von allen Parteien des Stadtrates gutgeheißen wurde, das ist doch alles auf unsere Initiative entstanden.“ Ganz abgesehen davon, dass die Zahl der versammelten Menschen – immerhin 2500 bis 3000 – für den Erfolg der Widersetzer-Aktion entscheidend war.

Das Vorbild für die friedliche Blockade stammt aus Jena. Dort nahm vor zwei Jahren die Präsenz der Nazis so sehr zu, dass sich schließlich engagierte Bürger zusammenschlossen und und ein unter dem Namen „Fest der Völker“ getarntes Rockkonzert der Rechtsextremen stark behinderten.

Das Jenaer Beispiel dient nach und nach in anderen Städten als Vorbild. So auch in Leipzig: „Wir haben bei der Gründung des Bündnisses in Leipzig Anstöße geben können und zusammen mit den Leipzigern trainiert, wie man seinen Körper friedlich, aber effektiv einsetzen kann,“ sagt Norman Beberhold von der Initiative in Jena. Wichtig sei vor allem, den Teilnehmern die Angst zu nehmen; ihnen zu zeigen, dass sie als Gruppe stark sind. Schließlich nahmen 30 Personen vom Jenaer Aktionsnetzwerk auch an der Leipziger Blockade teil.

Außer Frage steht aber auch, dass die Nerven der rechtsradikalen Demonstranten bis aufs Äußerste strapaziert wurden: Bis in die Nacht hinein mussten sie bei Kälte und Regen Leibesvisitationen und permanente Videoüberwachung über sich ergehen lassen, umzingelt von Polizisten, die Gegendemonstranten ständig in der Nähe. Die hatten ebenfalls Frost und Nässe zu ertragen, aber sie übten sich auch im zivilen Ungehorsam und waren nicht Teilnehmer einer genehmigten Demonstration.

Angst vor Retourkutsche der Behörden
„Im Bündnis kam nach dem 17. Oktober die Diskussion auf, dass es – ohne sich in irgendeiner Form mit den Nazis zu solidarisieren – schon fragwürdig ist, wie die Demo behandelt wurde“, erklärt Juliane Nagel. Ihrer Meinung nach – die nicht unbedingt die des gesamtes Bündnisses widerspiegelt – seien „die stundenlange Hinauszögerung, die Leibesvisitationen, die wahrscheinlich wirklich entwürdigend waren und das Videografieren die ganze Zeit, schon ziemlich harter Tobak“ gewesen. Auch in Stefan Kausch regen sich, neben der klammheimlichen Freude darüber, dass sich die „Nazis den Hintern abgefroren“ hätten, Bedenken.

Um die Neonazis drehen sich die Sorgen der beiden dabei allerdings nicht. Nagel fürchtet vielmehr, dass politische Demonstranten jeder Couleur in Leipzig von nun an immer solche Schikanen über sich ergehen lassen müssen. „Jetzt steht die Angst im Raum, dass eine Versammlungsrechtsdebatte nicht nur gegen Neonazis gerichtet ist, sondern auch linke Demos betreffen könnte“, so die Sprecherin.

Die neuen Sorgen des Leipziger Bündnisses kann Norman Beberhold vom Jenaer Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus nachvollziehen: „Natürlich besteht die Gefahr, dass die Polizei in Zukunft auch linke Demonstranten durch Kontrollen und Leibesvisitationen schikaniert.“ Diejenigen, die von den rund 100 Aktiven aus Jena am 13. Februar dieses Jahres nach Dresden gefahren waren, erlebten bereits solche Rückschläge.

Dort marschieren seit elf Jahren stets zum Jahrestag des alliierten Luftangriffs 1945 auf Dresden Rechtsextreme auf. Die Gegendemonstranten – die nur demonstrierten, aber nicht blockierten – stießen auf deutlichen Widerstand: Erst griff die Polizei mit harten Kontrollen durch. Dann wurde der Demo, ähnlich wie zuletzt den Nazis in Leipzig, verboten, ihren geplanten Weg einzuschlagen. Schließlich, nachdem einzelnen Gegendemonstranten der Kragen geplatzt war, lösten die Ordnungskräfte die Veranstaltung auf.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig schürt die Sorge davor zusätzlich mit seinen Aussagen – etwa der hier: Für Demonstrationen von rechts und links gelte das Prinzip „null Toleranz“. „Es ist eine typisch ordnungspolitische Haltung, dass beide Formen von Extremismus aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen“, sagt Kausch. Das Bündnis sei damit aber nicht einverstanden.

Deshalb positioniert es sich nun ganz eindeutig: Links. Eigentlich neu an der Gruppe war die breite, bürgerliche Organisation und Aufstellung: friedliches Straßenfest statt knallhartem Protest, Trommeln statt Kundgebung, Kommunikation mit der Polizei statt Konfrontation. Aber nun erscheint dem Bündnis der friedliche Protest zu unpolitisch im Vergleich zur Eskalation auf Nazi-Seite und den brennenden Mülltonnen der Linksautonomen. Es wird befürchtet, dass die angefachte Verbotsdiskussion sich auch auf linke Demos auswirkt

Stadt: Linke sind bisher weniger gewaltbereit
Heiko Rosenthal, Ordnungsbürgermeister der Stadt Leipzig, sieht für eine mögliche Rückkopplung von der rechtsextremistischen Gewalt auf linke Demonstrationen in der Zukunft keine Grundlage: Schließlich werde für jede Anmeldung einzeln geprüft, ob potentielle Gefahren für die Öffentlichkeit bestehen. Während die Linken am 10. Oktober ohne Zwischenfälle demonstrierten, gingen die Rechten eine Woche später mit Flaschen, Steinen und Stöcken auf Polizisten los. Die Situation sei also eindeutig.

Für die Nazis könnte der Gewaltausbruch vom Samstag demnach konkrete Folgen nach sich ziehen: „Das Verhalten der rechten Szene während der Demonstration wird die Gewaltprognosen, die wir im Vorlauf angemeldeter Demonstrationsereignisse erstellen, beeinflussen“, erklärt Polizeipräsident Horst Wawrzynski in Übereinstimmung mit Ordnungsbürgermeister Rosenthal. Sieht eine solche Gefahrenprognose bei der Anmeldung einer Demonstration eine unmittelbare Gefährdung der Öffentlichkeit als wahrscheinlich an, kann die Stadt ein Verbot gegen die Demo aussprechen, über dessen Rechtmäßigkeit dann die Gerichte entscheiden müssen.

„In Leipzig werden wir so schnell keine Demonstration mehr anmelden dürfen“, schlussfolgern die „Nationalen Sozialisten“ auf der Webseite des Veranstalters. Und auch der Polizeipräsident sieht in dem Verhalten der Rechten zumindest „ein Indiz dafür, dass sich die Verbotsverfügungen leichter begründen lassen können“.

Drei Mal versuchte die Stadt in den letzten fünf Jahren bereits, eine solche Verbotsverfügung gegen Demonstrationen von Rechten durchzusetzen, zwei Mal mit Erfolg. Gegen linke Demonstrationen wurde ein solcher Anlauf bisher allerdings noch nicht unternommen.

Quelle:
http://nochweiter.de/diese-woche-neu/2009/10/23/erfolg-mit-nebenwirkung/

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