Gestern lud der SPD-Ortsverein Dresden-Neustadt zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Erinnerungskultur und Gedenkkultur in Dresden ins Herbert-Wehner-Bildungswerk auf der Kamenzer Straße. Benannt ist dieses übrigens nach dem bekannten Nachkriegs-SPD-Politiker, der in seiner Jugend im Dresden der Zwanziger und Dreißiger Jahr militant gegen Naziaufmärsche vorgegangen war.
Auf dem Podium saßen die Künstlerin und Denkmalforscherin Anke Binnewerg, die gerade ein Buch über die stadträumlichen Spuren Victor Klemperers in Dresden geschrieben hat; Martin Chidiac vom Amt für Kultur- und Denkmalschutz der Stadt Dresden und der Historiker, Mitglied der Historikerkommission und Mitbegründer der Interessengemeinschaft „13. Februar 1945“ Matthias Neutzner. Da die Veranstaltung neben interessanten Fakten und Details einen guten Einblick in die Verfasstheit des Gedenkdiskurses in der Stadt bot, gibt es hier einen Bericht.
Die Veranstaltung, die vor allem aus dem Umfeld des SPD-Ortsvereins besucht war, begann mit einem kurzen bebilderten Vortrag des Moderators Swen Steinberg über den Heidefriedhof, auf dem alljährlich zum 13. Februar die offizielle Kranzniederlegung stattfindet. Man merkte dem (sonst durchaus souveränen) Moderator an, dass er sich noch nicht allzu lange bzw. intensiv mit dem Thema beschäftigt hatte. So wurde der antifaschistische Charakter der Anlage völlig unterschlagen, behauptet, dass der Stelenkreis, in dem mit Stelen neben Dresden an Orte der Verbrechen Nazideutschlands erinnert wird, geschaffen wurde, um Dresden mit den Verbrechen der Nazis in eine Reihe zu stellen und gab die oft kolportierte Legende vom NS-Bezug der Anlage auf dem Heidefriedhof zum Besten. Diese Behauptung fußt letztendlich darauf, dass die Nazis dort einen Gedenkort nach dem Vorbild eines Thing-Platzes geplant hatten. An dieser Stelle waren sie aber nicht weiter als bis zum Ausheben der Grube gekommen. Zu DDR-Zeiten wurde die schon fertige Grube genutzt, um dort einen Stelenkreis zu errichten, in dem neben Dresden an Orte der Verbrechen Nazideutschlands erinnert wird.
Matthias Neutzner, der selbst gerade zu einem Projekt auf dem Heidefriedhof arbeitet, widersprach dann auch den einleitenden Ausführungen und erklärte seinerseits den Charakter des Heidefriedhofs. Diesen fasste er unter dem Schlagwort „Memorialkombinat“ zusammen, welches einen vor allem antimilitaristischen und antifaschistischen Legitimationspunkt der damaligen sozialistischen Gesellschaft darstellt. Von dem Charakter sei inzwischen in der gärtnerischen Gestaltung schon einiges verloren gegangen und es bedürfte der Rekonstruktion, wenn man sich dafür entscheiden sollte, die Anlage mit ihrem Charakter zu erhalten. Er beschrieb, dass der Tag der Opfer des Faschismus in der DDR auf dem Heidefriedhof eine wesentlich größere Bedeutung als der 13. Februar hatte, und sich auch heute noch ehemalige Widerstandskämpfer zum Gedenken auf den Friedhof treffen. Er räumte ein, dass der Stelenkreis interpretationsoffen ist, bezweifelte aber die Intention der Nivellierung der Opfer des Zweiten Weltkrieges.
Martin Chidiac erklärte zum Heidefriedhof, dass dort einmal Vorhandenes nicht mehr verändert wird, allenfalls könnten dort Ergänzungen vorgenommen werden. Zur erst kürzlich erfolgten Einweihung des Trauernden Mädchen auf dem Heidefriedhof erklärte er, dass dies nicht wie von der Presse kolportiert, von der Stadt im Rahmen der Denkmaldebatte in Dresden aufgestellt worden ist, sondern es sich um einen Auftrag aus einer Erbschaft handelte.
Im weiteren Verlauf der Diskussion kristallisierte sich die Feststellung heraus, dass der Heidefriedhof in Dresden nach der Wende enorm an Bedeutung verloren hat, die Anlage mit ihrem Charakter in Vergessenheit geraten ist, und auch das alljährliche offizielle Ritual zum 13. Februar nahezu ohne Beteiligung und Anteilnahme der Dresdner Bevölkerung stattfindet. Letztendlich sprachen sich sowohl Matthias Neutzner als auch Anke Binnewerg dafür aus, den Heidefriedhof doch erst einmal richtig zu erforschen, bevor man ihn bewertet.
Über die Konsequenzen aus der Beteiligung der Nazis am Ritual auf dem Heidefriedhof und dem Gedenken in Dresden überhaupt, gab es zwischenzeitlich unterschiedliche Ansichten. Anke Binnewerg vertrat die Ansicht, dass die Politiker bzw. die Politik sich aus dem Gedenken völlig zurückziehen müssten, um dem Ganzen keine Bühne mehr zu bieten. Woraufhin Matthias Neutzner entgegen hielt, dass die andere Seite das nicht als Grund dafür sehen würde, ebenfalls aufzuhören, sondern das als Sieg für sich verbuchen und selbstverständlich weiter machen würde. Außerdem gäbe es kein absichtsloses Erinnern.
Kritisiert wurde auch die Sprachlosigkeit des stillen Gedenkens, die eben für alles und jeden offen ist, obwohl das auf dem Heidefriedhof eigentlich seit 2009 nicht mehr aktuell ist. Seitdem hält die Oberbürgermeisterin jedes Mal eine Rede in der sie sich deutlich von Geschichtsrevisionismus und den Nazis abgegrenzt. Was letztere freilich nicht daran hindert, weiter an der offiziellen Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof teilzunehmen.
Zur Debatte um ein zentrales Denkmal auf dem Altmarkt wurde gesagt, dass dieses der vielfältigen und weit gefächerten Erinnerungskultur nicht gerecht werden würde. Tiefer ging die Kritik daran nicht, da sich das Podium und ein Großteil des Publikums in der Ablehnung eines solchen Denkmals einig waren. Als das Thema darauf kam, was man dann tun kann, um ein solches Denkmal zu verhindern, herrschte eher Ratlosigkeit und Matthias Neutzner mahnte, dass die Stadt eine andere politische Kultur brauche, in der sich alle demokratischen Akteure gegenseitig zuhören und ernst nehmen müssten. Letztendlich konnten sich die meisten mit dem Umstand beruhigen, dass so ein Denkmal mit dem traditionellen Striezelmarkt auf dem Altmarkt kollidieren würde, und dieser damit das stärkste Argument gegen das Denkmal ist, welches eine Umsetzung zumindest auf dem Altmarkt trotz Unterstützung von CDU und FDP unwahrscheinlich macht.
Ein wichtiger Punkt in der Diskussion war die Bedeutung Dresdens als Symbol für die Bombardierung deutscher Städte in der Welt. Und so wurde erklärt, dass es die Goebbelsche Propaganda unter anderem durch geschickt lancierte überhöhte Opferzahlen schaffte den Grundstein für einen weltweit verbreiteten Mythos um das zerstörte Dresden zu schaffen, der nicht zuletzt auch durch die Fortschreibung Intellektueller in allen politischen Spektren etabliert wurde. In den USA gibt es gar eine Redewendung „like Dresden“ für etwas das besonders stark zerstört wurde. Matthias Neutzner wies deshalb noch einmal daraufhin, um zu zeigen, womit man es zu tun hat, und wie wenig Einfluss das aktuelle Gedenken in Dresden darauf haben kann.
Warum es außerdem in Dresden zu einer anderen Entwicklung im Gedenken, als in anderen ähnlich stark oder gar noch stärker betroffenen Städten im Westen kam, wurde mit polit-ökonomischen Gründen erklärt. Während im Osten Dresden im Zuge des Kalten Krieges als anklagendes Symbol für den angloamerikanischen Luftterror des Westens aufgebaut wurde, handelte es sich laut Matthias Neutzner im Westen eher um eine Chiffre für die Zerstörungen im Bombenkrieg, welcher auf Dresden externalisiert wurde, da es im Westen aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Situation nicht zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema und dessen Bewältigung kam. Aufgrund der Nichtbewältigung würde sich das heute jedoch langsam wieder Bahn brechen. So kommt heute kaum eine deutsche Opfererzählung ohne Dresden aus und andere Städte auch im Westen fangen an sich an dem Gedenken in Dresden zu orientieren. Als Beispiele wurden Hildesheim und Braunschweig genannt, wo man sich entschieden hat, doch noch einige im Bombenkrieg zerstörte bedeutende historische Gebäude wieder originialgetreu aufzubauen.
Schlussendlich war der Tenor, dass in Dresden langfristig nur eins helfen würde. Nämlich breite Vermittlung der Fakten und aktive Erinnerungsarbeit. Man müsste den hohlen Kern des Symbols Dresden inhaltlich füllen. Als Beispiel wurde Coventry gebracht, das im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen bombardiert wurde und eine ähnlich rasche und starke Symbolaufladung erfahren hat. Dort wurde über Jahrzehnte eine Erinnerungsarbeit im Rahmen von Frieden und Versöhnung erarbeitet, die im Gegensatz zum Versöhnungsbegriff in Dresden eben nicht nur Versöhnung mit sich selbst bedeuten würde, und es schwer macht, dieses Symbol zu mißbrauchen. In Dresden wäre man davon weit entfernt, da bürgerschaftliches Engagement wie von der IG 13. Februar, die z.B. auch Erinnerungsarbeit an Schulen geleistet hat, nicht ausreichen würde. Für eine Wirkung in die Breite bräuchte es eine Institutionalisierung der Erinnerungsarbeit, dafür seien in Dresden jedoch weder das politische Bewußtsein, dementsprechend auch kein starker politischer Wille und erst recht keine finanziellen Mittel vorhanden.
Kritisch angemerkt dazu wurde noch, dass es etwas anderes ist, wenn in einer englischen Stadt von Versöhnung die Rede ist, als in einer deutschen und zum anderen ist es schwierig am 13. Februar in Dresden von Frieden zu reden, während die Bundeswehr z.B. in Afghanistan steht. Auch zu solchen Fragen müsste man im Rahmen der Erinnungsarbeit Antworten finden, und nicht nur zu Kriegen der Angloamerikaner.
Zu guter Letzt kam noch einmal die Diskussion auf, dass es nach dem Wiederaufbau der Frauenkirche doch ein Bedürfnis nach so einem Denkmal gäbe, und zwar nicht nur wegen dem 13. Februar, sondern weil man ein Mahnmal gegen den Krieg braucht. Woraufhin eingewendet wurde, dass es beim Gedenken an der Frauenkirche vordergründig um einen Protest gegen die Aufrüstung nicht nur im Westen sondern vor allem auch im Osten ging, und dieser politische Rahmen eigentlich schon längst nicht mehr existiert. Zudem kam noch den Hinweis, dass just an dem Tag, vor der Kreuzkirche ein Denkmal zur Erinnerung an die DDR-Friedensbewegung eingeweiht wurde.
Alles im allen eine interessanter Abend, der auch für viele Nicht-SPD-Mitglieder ein guter Einstieg in den eher kritischen Gedenkdiskurs der Zivilgesellschaft in Dresden hätte sein können.