Dresdens Untergang 1945 – Warum gerade bei uns?

Die aktuelle Kampagne des VVN-BdA gegen den Naziaufmarsch in Dresden findet ihre Fortsetzung in zwei Artikeln in der aktuellen Ausgabe der „antifa„. Im ersten Artikel entlarvt der Historiker Kurt Pätzold beispielhaft eine verbreitete Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit im Umgang mit der Bombardierung in Dresden. Im zweiten Artikel beleuchtet der stellvertretende Vorsitzende der Linken im sächsischen Landtag Klaus Bartl den Anteil der Sächsischen Landesregierung bei der Etablierung der Großaufmärsche der Nazis zum 13. Februar in Dresden.

Dresdens Untergang 1945

Von Kurt Pätzold

Dresden, 13. Februar 1945. Der Name der Stadt und das Datum bezeichnen eine der großen Tragödien des Zweiten Weltkrieges. Eine von Tausenden und Zehntausenden. Eine der ungezählten jenes Krieges, den die deutschen Imperialisten am 1. September 1939 begonnen hatten.

Die Zahl der im Bombenhagel dreier Luftangriffe in der Elbestadt umgekommenen Menschen konnte nur geschätzt werden. Sie wird heute auf 25.000 bis 40.000 eingegrenzt und entspricht etwa der Zahl der Opfer jener Kette von Angriffen, die 1943 Hamburg zertrümmerte. Dieses Ungefähr hat auch die vor einigen Jahren in Dresden berufene Kommission von Experten nicht zu beseitigen vermocht, die immer wieder zu Betrugszwecken zusammenspekulierten Angaben entgegenwirken sollte. Von manchen Opfern blieben nur unkenntliche Überreste.

Zwecklegenden

65 Jahre nach Hitler suchen in Deutschland vor allem Rechte das Geschichtsfeld Dresden zu besetzen und aus einer grausigen Erinnerung politisches Kapital zu schlagen. Dreist nennen sie das einen Kampf gegen die Lüge und für die Wahrheit. Als diese stellen sie den Versuch hin, Dresden und Auschwitz zu parallelisieren und gleich zu gewichten. So wollen sie »die Deutschen wieder den aufrechten Gang lehren«. Der Anspruch ist richtig gelesen, wenn hinzugedacht wird: und den anderen ihre Rechnung präsentieren, gerichtet an »Massenmörder«. Denn als »Völkermord« denunzieren sie den Luftangriff auf Dresden.

Die Verbreitung dieser Version besitzt ihre lange Vorgeschichte nicht nur in den Reihen der Nazis und anderer äußerster Kräfte der Rechten, sondern ebenso in der vielberufenen Mitte der Gesellschaft. Zu der dürfte sich das Deutsche Historische Museum zählen, in dessen Abriss »Bombardierung von Dresden« die Signalwörter lauten: »die ungeschützte Stadt, die über keinerlei Luftabwehr verfügte« (als wäre das den Alliierten anzulasten), die »weder über kriegswichtige Verkehrs- noch Industrieanlagen verfügte« (was sich mit einem einzigen Blick auf die zeitgenössische Eisenbahnkarte des Reiches schlicht als unwahr erweist), der Angriff, der »keinerlei militärisches Ziel verfolgte« (als hätte sich nicht nur rund 100 Kilometer entfernt eine schwer umkämpfte Front befunden, zu der die Wehrmacht Nachschub nur aus dem Westen erhalten konnte), und der folglich das »Massaker von Dresden« genannt wird. Daran hat auch eine längst geäußerte Kritik nicht zu änden vermocht. Erhellend ist ein Vergleich dieses Textes mit dem aus vom gleichen Museum verbreiteten über die »Luftschlacht um England«. Bei Erwähnung der Angriffe auf London Anfang September 1940 fehlt jedes Wort der Kritik an der Ausweitung der Bombenabwürfe auf Wohnviertel und Zivilisten, erwähnt wird hingegen, dass so die Moral der Bevölkerung gebrochen werden sollte. Die Zahl der toten deutschen Piloten wird genannt, die der umgebrachten britischen Zivilisten nicht.

Diese Art von Geschichtsunterricht hat mit Begriffen wie Dresden, »die Kunststadt«, »die Barockstadt«, »die Residenzstadt« und die »unschuldige Stadt« weite Verbreitung und Akzeptanz gefunden. Das gilt auch für den Verweis auf die am Angriffstag in der Stadt stationierten Massen von Flüchtlingen, als klage auch diese Tatsache die Besatzungen der Flugzeuge an.

Späte Belehrung

Gleichsam gegen den Strich gelesen ergeben Kritik und Verurteilung eine Liste von Bedingungen, die gegeben sein mussten, damit Dresden zum Ziel eines Bombenangriffs werden durfte. Es hätte von strategischer Bedeutung sein, in der Kriegszone liegen müssen, keine Kunstschätze besitzen, keine Flüchtlinge beherbergen dürfen und die Front der Landtruppen hätte bei Stalingrad oder jedenfalls weit im Osten verlaufen müssen. Hier eine faschistisch geprägte Kriegführung, der kein Kriegsrecht galt und die kein Mittel verwarf, wenn es ihr nur zur Errichtung eines zusammengeraubten Weltreiches tauglich erschien – und dort die schließlich obsiegenden Gegenkräfte, denen mehr als ein halbes Jahrhundert danach erklärt wird, wie sie ihren Kampf hätten führen und beenden sollen: gerüstet und bewaffnet, aber nicht blutbefleckt, wie Pallas Athene in dem Moment erschien, da sie dem Haupte des Zeus entstieg. Welch geschichtsfernes Bild! Und welche Anmaßung zugleich!

http://antifa.vvn-bda.de/201001/1301.php


Warum gerade bei uns?

Der Anteil der sächsischen Landespolitik am alljährlichen Neonaziaufmarsch – Von Klaus Bartl

Seit der Jahrtausendwende ist Dresden im zeitlichen Umfeld des 13./14. Februar, dem Jahrestag seiner Bombardierung im zweiten Weltkrieg, zu einer Art Wallfahrtsort für Alt- und Neonazi verschiedener Couleurs geworden. In den letzten Jahren hat sich der Aufmarsch, den die »Junge Landsmannschaft Ostdeutschland« (JLO) anmeldet und bei dem die Aktivisten der NPD in vorderster Reihe marschieren, zur größten regelmäßigen Neonaziveranstaltung Europas entwickelt.

Im vergangenen Jahr waren es über 6.000 Vertreter der extremen Rechten, die da durch beste Stadtkernlagen von Dresden marschierten, weithin unbehelligt von Versammlungsbehörden und Polizei. Zelebrierte Trauer ist angesagt, zu deren Objekt werden die tatsächlich Betroffenen. Sie werden gleichsam zum konstruierten Kollektiv »unschuldiger deutscher Opfer«. Die Neonazis machen sie zu »ihren« Toten und der Angriff auf Dresden wird zum typisierten Angriff auf das »deutsche Volk«, das »wahre Deutschland«, das für sie gleichbedeutend ist mit dem nationalsozialistischen »Dritten Reich«. Besiegt wurde es, so die Suggestion, durch quasi selbst verbrecherisch handelnde Siegermächte, die sich danach Deutschlands bemächtigten und ihm bis heute ihren Willen aufoktroyieren. Durch diesen Bogen, der zum einen die Einmaligkeit der Verbrechen der Nazis, die Dimension von Holocaust und Völkermord relativieren, zum anderen den Angriff auf das System »BRD« in Europa rechtfertigen soll, wird Dresden für die Alt- wie Neonazis im besonderen Maße identitätsstiftend.

Es hat System und es hat Ursachen, weshalb sie immer wieder nach Dresden kommen und sich nicht andere von Bombardements betroffene Städte wie Hamburg, Kiel oder Kassel auswählen.

Da ist zum Ersten der besondere Mythos um die Bombardierung Dresdens, mit dem auch die politische Klasse der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit kokettierte. Es ging ihr dabei um die Relativierung der deutschen Kriegsschuld und die Konstruktion eines deutschen Opferbildes. In den Jahren nach der Wende kam der Wiederaufbau der Frauenkirche hinzu, der als Bild der Versöhnung inszeniert wurde. Wo Versöhnung gewährt wird – hier gegenüber den Alliierten – muss Schuld gewesen sein.

Dann ist da als Nächstes die Tatsache, dass Dresden die Hauptstadt des Freistaates Sachsen ist. Eines Bundeslandes, in welchem die Totalitarismustheorie, die faktisch »vergleichende Gleichsetzung« von Nationalsozialismus und Sozialismus, zwar nicht erfunden, aber zur Staats- und Verfassungsdoktrin erhoben worden ist. Gleich vorn in der Präambel der Sächsischen Verfassung von 1992 wird erklärt, dass selbige anknüpft an die »leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft«. In einem Atemzug werden seither zwölf Jahre NS-Regime und 40 Jahre real existierender Sozialismus gesellschaftspolitisch verhandelt. Wenn das so ist, kann man sich als Nazi doch sehen lassen bei den noch rund 4,5 Millionen Sachsen, die in ihrer Mehrheit die DDR erlebt und so schlimm nicht in Erinnerung haben dürften.

Und die seit den Landtagswahlen 2009 regierende Koalition von CDU und FDP ist voll mit dabei, wenn es gilt, dieses ideologische Konstrukt des Kalten Krieges in neuer Dimension zu praktischem Staatshandeln zu machen. Auf Seite 50 ihres Koalitionsvertrages steht der Satz: »Wir verteidigen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Extremisten von links und rechts.« Ob die Reihenfolge nur dem Alphabet geschuldet ist, bezweifelt der Autor. Nachfolgend ist generell nur von »Extremismus« die Rede. Der Logik des Gedankens folgend sollen nun die seit 2001 vom Bund geförderten Programme gegen Rechtsextremismus in allgemeine »Extremismusbekämpfungsprogramme« umgewandelt, die »öffentliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Extremismus mit seinen Wirkungsmechanismen und Ursachen« schlechthin verstärkt werden. Links und rechts lauern, so Schwarz-Gelb, die »Feinde für Freiheit und Demokratie«. Gegen beide werde der Landesverfassungsschutz und das neu geschaffene mobile Einsatzkommando »Staatsschutz« in Stellung gebracht – »Extremismusbekämpfung als Kernaufgabe«.

Wo Linke, die tagtäglich gegen die Leugnung des Holocaust, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und Neofaschismus kämpfen, mit Neonazis politisch auf eine Stufe gestellt, quasi gleichbehandelt werden, können sich letztere sehen lassen und auch in großer Masse marschieren. Als Ermutigung wirkt dann zusätzlich, wenn, wie am 13. Februar 2009, die durch die Dresdner Innenstadt ziehenden 6000 Neonazis eher locker von Polizeikräften begleitet werden, während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der von verschiedenen Linken und antifaschistischen Bündnissen organisierten Gegenaktionen faktisch eingekesselt, von Orten der Großkundgebung ferngehalten und später im Landtag in aktueller Nachdebatte weit schlimmer diffamiert und geschmäht werden als die Nazimarschierer selbst. Unter Gelächter, Gejohle und Genugtuung von Vertretern der NPD-Fraktion.

Wer Gegner der Neonazis und deren Veranstaltungen in Gedenken an die Konsequenzen des vom Hitlerfaschismus vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieges in gut und böse, gewünscht oder ungelitten einteilt, lädt Neonazis zwangsläufig zum Wiederkommen ein. Eben diese Teilung in die staatsoffiziösen Veranstaltungen im Umfeld des 13. und 14. Februar und die akzeptierte »Geh-Denken-Kundgebung« zum einen und die als linksextremistisch eingestuften Aktionen der Bündnisse »No pasarán« oder »Venceremos« zum anderen, ist eine weitere Ursache dafür, dass Europas Nazis alljährlich im Februar Dresden heimsuchen.

Zudem verstärkt das neue rechtliche Konzept der aktuellen sächsischen Regierungskoalition diese Tendenz weiter. Am 30. Oktober 2009 brachten die Fraktionen von CDU und FDP im Landtag der 5. Wahlperiode den Entwurf eines neuen Sächsischen Versammlungsgesetzes ein. Der Kern des Unternehmens, das unter Beibehaltung des Bundesversammlungsgesetzes im Übrigen nur aus zwei inhaltlichen Paragrafen besteht, liegt in Folgendem: Sachsens Behörden dürfen künftig Versammlungen oder Aufzüge verbieten oder von besonderen Auflagen abhängig machen, wenn sie an Orten oder zu Zeiten stattfinden sollen, die »von historisch herausragender Bedeutung sind«, weil sie, so wörtlich an: »a) Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren«, »b) Menschen, die Widerstand gegen die nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft geleistet haben« oder »c) die Opfer eines Krieges« erinnern. Als solche Orte werden für Sachsen als Regelbeispiele das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig und expressis verbis die »Frauenkirche mit dem Neumarkt in Dresden«, sowie »am 13. und 14. Februar« darüber hinaus die »nördliche Altstadt und die südliche innere Neustadt in Dresden« genannt. Kein Gesetz also, das rechtliche Handhabe liefern soll, künftig den europaweit unterstützten Neonaziaufmarsch am 13./14. Februar zu unterbinden, oder zumindest zu erschweren. Als politische Zielrichtung wäre dies ja noch nachvollziehbar, wenn auch verfassungsrechtlich höchst problematisch. Nein, Sachsens Christdemokraten und Liberale wollen ein versammlungsrechtliches Tabula rasa nach links und rechts!

»In den vergangenen Jahren kam es zu erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Versammlungen von Rechtsextremisten und Gegendemonstrationen von Linksextremisten. Dieser Situation wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entgegengewirkt.« So die Begründung im Vorblatt des Entwurfs. Es ginge darum: »Das Versammlungsrecht zu ändern, um Extremisten in Sachsen deutliche Grenzen zu setzen«.

In einer am 25. November 2009 u. a. auf Antrag der Fraktion Die Linke erfolgten Expertenanhörung zu diesem Entwurf äußerten nahezu alle Sachverständige schwere verfassungsrechtliche Bedenken. »Erinnerungskultur« könne schwerlich ein Verfassungsgut sein, das man gegen Versammlungs- und Meinungsfreiheit setzt, mahnte Prof. Morlok von der Universität Düsseldorf. Und obgleich er und ähnlich ausgewiesene Experten wie Prof. Ralf Poscher von der Universität Freiburg, oder Prof. Christian Pestalozza von der FU Berlin, nachdrücklich darauf verwiesen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzbeschluss vom 4. November 2009 über die Verfassungsbeschwerde des inzwischen verstorbenen Rechtsextremisten Jürgen Rieger Eingriffe in die Meinungsfreiheit durch allgemeines Gesetz nur ausnahmsweise, wenn es um die NS-Herrschaft geht, wegen des von ihr zu verantwortenden Ausmaßes an Unrecht und Schrecken als zulässig ansah, weshalb die im Gesetz angelegte Gleichbehandlung von Versammlungsaktivitäten im Sinnzusammenhang »nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft« verfassungsrechtlich nicht haltbar sei, war das für die Gesetzesautoren kein Grund, den Entwurf zurückzuziehen. Im sprichwörtlichen Schweinsgalopp soll er weiter durch den Landtag gebracht werden. Deshalb steht er in der nächsten Sitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses am 6. Januar 2010 offenkundig zur Schlussberatung auf der Tagesordnung. Offensichtlich wollen die Schwarz-Gelb-Koalitionäre ihn dann in der Landtagssitzung am 20. oder 21. Januar in Kraft setzen. Gerade noch rechtzeitig, ihn am 13. und 14. Februar dann auf Dresden anwenden zu können.

Was dann droht, ist ein Desaster. Normenkontrollklagen, Anträge auf einstweilige Anordnungen, Eingriffe in bereits vorliegende Versammlungsanmeldungen und Polizeieinsätze mit Experimentalcharakter, kraftaufreibende paralysierende rechtliche und politische Auseinandersetzungen der verschiedenen antifaschistischen Bündnisse mit dem Staat auf der einen Seite, eine sich in ihrer Rolle als Demokratiezerstörerin bestätigt sehende, über die Grenzen Deutschlands hinaus Aufmerksamkeit erreichende Neonaziszene auf der anderen Seite.

Was bleibt zu tun? Wir, die sächsische Linke und ihre Fraktion im Landtag wollen zunächst dieses sächsische Versammlungsgesetz, das in anachronistischer Weise der extremen Rechten in die Hände arbeitet, verhindern. Wir rufen auf und unterstützen, dass sich am 13. und 14. Februar 2010 in Dresden Antifaschistinnen und Antifaschisten, Linke, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale, Christen, Gewerkschafter, couragierte Bürgerinnen und Bürger aus allen sozialen Schichten vereint den Nazis entgegenstellen, um gemeinsam den Naziaufmarsch zu verhindern. Ihn qua Zahl geeinter Gegendemonstranten gemeinsam und friedlich zu blockieren, wäre der wirksamste Weg, die Nazis aus Dresden zu vertreiben.

http://antifa.vvn-bda.de/201001/1401.php

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