Was wussten die Dresdner vom Bombenkrieg?

Ein wichtiges Buch das bisher in unserer Materialrubrik fehlte, trägt den Titel „Dresden im Luftkrieg“ geschrieben von Götz Bergander. Dieses Buch beschreibt sehr ausführlich und umfassend die Bombenangriffe auf Dresden, bezieht dabei aber auch die Vor- und Nachgeschichte ein. Bemerkenswert an diesem Buch, dessen erste Auflage bereits 1977 in der BRD erschien – allerdings auch in der DDR als Bückware geschätzt war – und seitdem mehrfach neu aufgelegt wurde, dass sich hier bereits sehr kritisch mit vielen Mythen und Legenden um den Bombenangriff auf Dresden beschäftigt wurde. So war Götz Bergander einer der ersten die nachwiesen, dass es weder Tieffliegerangriffe noch Phosphorbombenangriffe auf Dresden gegeben hatte und legte dar, warum die meisten Zahlen der Bombentoten von Dresden viel zu hoch angesetzt waren. Dabei kommt ihm die eigene Erfahrung zu Gute, da er als Junge mit eigenen Augen gesehen hatte, dass die Stadt keineswegs mit Hundertausenden von Flüchtlingen überfüllt war. War das Buch vor 1990 in der DDR verboten, erschien es nach dem politischen Umbruch in Ostdeutschland in einer gründlich überarbeiteten und erweiterten Ausgabe und war so auch den Dresdnern direkt zugänglich. Jedoch wurde das Buch, das aufgrund seiner Beliebtheit 2006 nochmals in einer Sonderausgabe erschien, im öffentlichen Diskurs kaum wahrgenommen. Dennoch ist es nicht zuletzt auch Götz Bergander zu verdanken, dass der Diskurs in Dresden sich nach und nach gewandelt hat. Folgerichtig wurde Bergander auch in die Dresdener Historikerkommission zum 13. Februar berufen.

Da das Buch machmal sehr ins Detail geht, was bei so einem hoch emotional diskutierten Thema aber auch notwendig ist, liest es sich nicht immer ganz einfach. Angesichts der Tatsache, dass so viele Halbwahrheiten über die Luftangriffe aus Dresden grassieren, gehört dieses Buch unserer Meinung nach zur Pflichtlektüre für alle, die sich zu Dresden am 13. Februar auslassen wollen.

Der folgende Auszug aus dem Kapitel „Was wusste die Bevölkerung vom Luftkrieg?“ beschreibt die Stimmung in der Stadt während der ersten Kriegsjahre, als der Bombenkrieg der Deutschen in Kino und Rundfunk für die Bevölkerung erlebbar war und macht klar, dass die Dresdner ziemlich gut hätten wissen müssen, was da eines Tages auf sie zu kommen konnte und dann auch kam:

Auszug aus Götz Berganders „Dresden im Luftkrieg“ – Kapitel „Was wusste die Bevölkerung vom Luftkrieg?“

Was wussten die Einwohner Dresdens wirklich vom Luftkrieg? Woher nahmen sie ihre Kenntnisse, die sich in der Fantasie zu mehr oder weniger zutreffenden Vorstellungen verfestigten?

Dieses theoretische Wissen basierte auf den Informationen von Presse, Rundfunk und Wochenschau. In lokalen und überregionalen Zeitungen, in illustrierten Zeitschriften, in Nachrichtensendungen, im Wehrmachtbericht, im Zeitspiegel und in zahllosen Kriegsberichten der Propagandakompanien fanden Kriegsverlauf und Kriegserlebnis ihren Ausdruck. Der Luftkrieg war von der ersten Stunde an regelmäßiger Bestandteil dieser Nachrichten- und Meinungsoffensive.

Obwohl Sachsen anfangs weitab vom Schuss lag, waren auch den Einwohnern der Landeshauptstadt sämtliche Begriffe und Erscheinungsformen des Luftkrieges theoretisch geläufig. In den ersten Kriegsjahren trugen Schilderungen und Fotos von deutschen Bombenangriffen und ihren Folgen zur Mehrung des Wissens bei. Auch der SD erfasste diesen Informationswert und meldete, den Bildern über die in England erzielten Schäden werde eine eindringliche Wirkung zugeschrieben. Die Nahaufnahmen zerstörter Straßenzüge, einzelner Gebäudekomplexe seien das, was die Masse habe sehen wollen.

Als die Gegner den Spieß umdrehten, wurden diese Berichte spärlicher; statt dessen erschienen, sorgsam dosiert, Meldungen und Berichte über Luftkriegsschäden in der eigenen Heimat als Ansporn zu Härte und Standhaftigkeit. Wenn Kirchen und Krankenhäuser getroffen worden waren, veröffentlichte man gelegentlich auch Fotos. Mit zunehmender Heftigkeit der Angriffe kamen immer mehr Evakuierte aus Luftnotgebieten nach Sachsen, Augenzeugen mit ihren Erzählungen.

Andere Informationsquellen sprudelten unterirdisch, sie entsprangen in England, ihr Genuss war bei Zuchthaus- oder Todesstrafe verboten. Der Londoner Rundfunk widmete in seinen Sendungen in deutscher Sprache dem Luftkrieg gebührende Aufmerksamkeit. Zusätzlich sonderte der angeblich deutsche Soldatensender Gustav Siegfried eins – später Soldatensender West mit den Kurzwellensendern Calais bzw. Atlantik – subversive Propaganda ab, die mit ihrer meist exakten Wiedergabe von Luftkriegsschäden nachhaltigen Eindruck hinterließ.

Was wussten die Dresdner noch? In der Mehrzahl nur, wie man Sand in Tüten und Wasser in Eimer füllt, aber nicht, wie man wirklich Brände bekämpft. Schulung durch den Reichsluftschutzbund wurde nur wenigen zuteil, und die Selbstschutzkräfte in den Betrieben übten gelegentlich, aber ohne die rechte Überzeugung, ihre Kenntnisse einmal gebrauchen zu können.

Es wäre eine Arbeit für sich, die Darstellung des Luftkrieges in der NS-Propaganda zu untersuchen. Hier ist dafür kein Platz. Mit Hilfe typischer Einzelbeispiele kann lediglich skizziert werden, wie eine vom Luftkrieg nicht betroffene Bevölkerung, in unserem Fall die Dresdner, in Kenntnis gesetzt wurde.

Jubelnder Überschwang kennzeichnet die Propaganda anlässlich der Feldzüge in Polen und Frankreich mit dem überwältigenden Einsatz der deutschen Luftwaffe. Das Schlagwort „totaler Krieg“ steht bereits im August 1940 in der „Berliner Illustrierten Zeitung“. Im totalen Krieg befindet sich danach die englische Bevölkerung und die deutschen Leser sehen auf einer Zeichnung, wie die Insel zu Wasser blockiert und aus der Luft attackiert wird. Als die deutschen Luftangriffe auf London überspringen, berichtet der Großdeutsche Rundfunk:

„Jeder, der mit uns hier auf diesem Platz steht, wird diese Stunde niemals vergessen. Die Stunde, in der der Feldherr des Führers nur wenige Kilometer von den Toren der englischen Hauptstadt entfernt seinen Kriegern die Befehle gab, die sie zum ersten Mal an den eigentlichen Lebensnerv des Gegners heranführten. Die Besprechung ist beendet. Der Reichsmarschall diktiert einige Zeilen zu den OKW-Berichten und begibt sich wieder zu dem Kartenbrett, das vorn auf der Brüstung des Beobachtungsstandes liegt. Auf seinem Weg kommt er bei uns vorbei. Er sieht uns. Nimmt den Mikrophonstab. Sollte er wirklich? Ja – er kommt, der Reichsmarschall kommt auf unser Mikrophon zu. Der Reichsmarschall, der eben noch die Operationen hier vom Beobachtungsstand persönlich leitete, will sprechen.

(Göring): Ich benutze die Gelegenheit, heute einige Worte ins Radio zu sagen, da es sich um einen historischen Augenblick handelt. Nach all den herausfordernden Angriffen der Engländer in den letzten Nächten auf Berlin hat der Führer sich entschlossen, einen gewaltigen Vergeltungsschlag gegen die Hauptstadt des britischen Reiches zu befehlen. Ich habe persönlich die Leitung des Angriffs übernommen und habe in diesen Abendstunden über mir draußen die sieggewohnten deutschen Geschwader gehört, die den Feinden zum ersten Mal nun am hellen Tage mitten ins Herz hineinstießen. Begleitet von zahlreichen Jagd- und Zerstörergeschwadern wurde der Feind, wie es zu erwarten war, beseitigt, das Ziel erreicht, und ich bin überzeugt, dass die Erfolge dem Angriffsplan und Angriffsgeist entsprechend gewesen sein werden. Auf jeden Fall ist es die historische Stunde, in welcher zum ersten Mal die deutsche Luftwaffe in das Herz des Feindes hineingeschlagen hat.“

Die Tonaufzeichnung dieser Begebenheit wird im deutschen Rundfunkarchiv aufbewahrt. Sie dokumentiert Ereignis und Stimmungssituation typisch. Es kommt ja nicht nur darauf an was gesagt wird, sondern auch wie etwas gesagt wird. Wer sich die alte Aufnahme anhört, vernimmt die Stimme die Stimme des PK-Berichterstatters gedämpft, dieser Mann erstickt fast vor Ehrfurcht, er nimmt stimmlich Haltung an, als er den Reichsmarschall nahen sieht. Göring dann spricht forsch, schneidig, militärisch abgehackt.

Was heute lächerlich erscheint, wirkte damals erregend, mobilisierend. Die meisten Deutschen haben dergleichen mit Genugtuung gehört, es hat sie in ihrer Siegeszuversicht gestärkt. Wer das SS-Blatt „Das schwarze Korps“ las, der fand darin hämische Karikaturen über die Auswirkungen der deutschen Luftangriffe auf England. Die Zeitungen und die illustrierten Zeitschriften veröffentlichten Fotos von den Bombenschäden in London; Anfang 1941 bringt die „Berliner Illustrierte“ ein ganzseitiges Titelfoto des brennenden London.

Fotos, Zeichnungen, Berichte, bald auch Bücher siegestrunkener Autoren – die Erfolge der deutschen Luftwaffe sind beweisbar und unvergleichlich. Spielfilme und Wochenschauen tragen optisch und akustisch den Eindruck, mitbeteiligt zu sein, in jede Stadt, in jedes Dorf. Kriegsberichterstatter fliegen bei den Luftangriffen mit, sie filmen aus der Höhe, und wie überall, so sitzen auch in den Dresdner Kinos, etwa im Capitol, U.T., UFA und Prinzeß die Zuschauer in ihren bequemen Sesseln und blicken gebannt auf dieses nie zuvor gesehene Schauspiel: wie der Stuka über die linke Tragfläche abkippt, wie einem die Erde entgegenzurasen scheint und sich schrilles Heulen bis zur Unerträglichkeit steigert, wie die Maschine nach dem Bombenabwurf abgefangen und in die Höhe gerissen wird. Die Zuschauer sehen die Formationen der Ju 87 und Ju 88, der He 111 und Do 17, sie sehen die in Reichen fallenden oder im Schüttwurf purzelnden Bomben, und sie sehen die Einschläge. Sie sind durch die Kamera dabei beim Flug über die rauchenden Ruinen von Warschau, sie fliegen mit über unendlich viele polnische, französische, holländische, belgische, norwegische, jugoslawische Ortschaften, die von Rauch verhüllt sind oder in Trümmern liegen. Städte und Ortschaften im Bombenhagel, der Wochenschausprecher kräht mit hoher aufgeregter Stimme, dass es wieder Volltreffer gegeben habe in London, Birmingham, Plymouth, Southampton oder Coventry. Schon 1941 kann jeder Deutsche im Kino ganze Stadtviertel betrachten, von denen nur noch Schornsteine und ausgeglühte Mauern stehen.

Wer hat da wohl in den Kinos gesessen und gedacht: diese armen Engländer – oder Polen oder Franzosen – dort unten. Diese Blitze, sie bedeuten Explosionskrach, Staub, einstürzende Häuser, erschlagene Menschen, diese flimmernden Punkte, das sind doch brennende Straßenzüge; kommen die Bewohner noch aus den Kellern oder müssen sie verbrennen oder ersticken? Haben das die Zuschauer damals gedacht, damals, in den deutschen Kinos 1939, 1940, 1941: Wurde überhaupt Mitleid empfunden und nicht erst Selbstmitleid ab 1943? Erhielt die Fantasie Anstöße? Fürchtete jemand den Gegenschlag?

Heinz Boberach kommt auf Grund seiner eingehenden Untersuchung der SD-Berichte zu dem Ergebnis, dass die Wochenschau als Propagandainstrument überragende Bedeutung gehabt habe, das nur von einem einzigen übertroffen worden sei, nämlich den Reden Hitlers. Sie allein seien nach dem Urteil des Sicherheitsdienstes in der Lage gewesen, die Stimmung des Volkes nachhaltig zu verändern, wenn auch für immer kürzere Zeiträume.

Allerdings bleibt die Aufnahme der Wochenschau nicht gleichmäßig positiv; mit Fortschreiten des Krieges werden geringschätzige Äußerungen erfasst. Schon im November 1940 berichtet der SD unter anderem aus Dresden:

„Eine Diskussion über einzelne Wochenschauberichte sei z. Z. nur selten zu beobachten. Fast nur ausgesprochen sensationell wirkende Bilder (z. B.  Zweikampf zwischen Jagdfliegern, Abwurf von Bomben über die englischem Gebiet, Versenkung feindlichen Schiffsraumes) werden von der Bevölkerung stärker beachtet. Gleichbleibend größtes Interesse wird darüber hinaus allen Aufnahmen des Führers entgegengebracht. Es sei geradezu so, dass eine Wochenschau ohne Bilder des Führers nicht für vollwertig gehalten werde. Man wolle immer sehen, wie der Führer aussehe, ob er ernst sei oder lache.  Dagegen äußere man sich allgemein sehr enttäuscht, dass man seit langer Zeit im Rahmen der Wochenschau nicht auch die Stimme des Führers habe hören können.“

Auch im Rundfunk bekommt man den Luftkrieg erbarmungslos und sehr dramatisch serviert, solange den anderen die Häuser angezündet werden, beispielsweise in einem PK-Bericht am 24. Juli 1941. Aber da ist schon wieder  ein neues Land überfallen worden:

„Nach Moskau! Die Propeller sind angeworfen, die Motoren singen wieder ihr gewaltiges Angriffslied. Nach Moskau! Von vielen Feldflugplätzen starte unsere starke Luftmacht zum Großangriff…

Moskau, wir sind da! Sprengblitze zaubern ein Feuerwerk über Moskau, bald wird das Feuerwerk auf der Erde aber größer sein…

Da, im Moskwabogen, stehen die Hochhäuser, riesige Kästen ohne Stil und ohne Geschmack. Sie erheben sich prahlerisch über die Arbeiterviertel am Stadtrand. Das sind die Parteibauten, erstanden vom Geld der Armen, das ist der Herrensitz der Bolschewiken. Dort wurde die Verschwörung gegen uns beschlossen, da sitzt das Weltverbrechertum. Da wurden Mord und politische Verbrechen ersonnen, da paktierte das Judentum mit der Plutokratie! Heraus mit den Bomben und nichts wie dahinein – Sprengbomben, damit diese Zwingburgen des Weltelends und der Kulturschande bersten und zerbrechen, Brandbomben hinterher, damit sie ausglühen und in Asche versinken…

Ein funkelndes Etwas glitzert aus der Dämmerung, wird mehr und mehr, breitet sich aus zum Feuer… Schon schlagen Flammen aus den Fenstern. Die Zwingburg des Bolschewismus brennt… Im Wasser spiegelt sich das Flammenrot, röter als der Sowjetstern, der einstmals über dem Kreml leuchtete… Das Haus der sowjetischen Brandstifter geht jetzt selber in Flammen auf. Moskau brennt!“

Zwei Jahre später zerbrechen mehr und mehr deutsche Städte unter englischen Sprengbomben und Brandbomben fallen hinterher, damit sie ausglühen und in Asche versinken.

Quelle: Dresden im Luftkrieg, Götz Bergander, Sonderausgabe Flechsig 2006, S. 78 – 82

One comment