Dresdner Staatsanwaltschaft versucht erneut, Massenblockaden zu kriminalisieren

Bodo Ramelow an vorderster Front - hier in Thüringen

Die Staatsanwaltschaft Dresden ist im Vorfeld der neuerlichen Massenblockaden am 19. Februar 2011 aktiv geworden und hat prominenten TeilnehmerInnen der Blockaden des letzten Jahres einen Brief zugestellt, in dem ihnen strafrechtliche Konsequenzen ankündigt werden. Das bedeutet, dass es entweder ein Strafverfahren oder einen Strafbefehl geben wird. Doch zuvor muss ihnen noch die Immunität, die sie als Mitglieder des Landtags haben aberkannt werden, was durch Entscheid im Landtag geschieht. So ging es in dieser Sache bereits dem Thüringer LINKE-Fraktionsvorsitzenden Bodo Ramelow und dies droht nun auch dem Sächsischen Fraktionsvorsitzenden André Hahn und der Hessischen Landtagsfraktions-Doppelspitze der Linken. Der Landtag in Dresden wird am 3. Februar entscheiden.

Nun ist es wohl sonnenklar, dass dies, genau wie die Razzien vor fast genau einem Jahr dazu dienen soll, Menschen von den Protesten gegen die Naziaufmärsche abzuhalten. Doch die Staatsanwaltschaft nennt noch einen viel besseren Grund für ihr Handeln: Aufgrund der „besonderen Stellung als Fraktionschef“ werden die Verfahren nicht wie in ähnlichen Fällen eingestellt, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Lorenz Haase mit. Vor dem Gesetz gibt es also wieder Gleichere unter den Gleichen, nur diesmal trifft’s die ‚Privilegierteren‘ hart?

Aber es ist eigentlich noch perfider: Nicht nur Prominente, die sich jetzt in unzähligen Zeitungen wiederfinden sind betroffen, so wie die Staatsanwaltschaft suggeriert. Nein, plötzlich wird die Staatsanwaltschaft auch in vielen anderen Fällen aktiv. Verstoß gegen das Versammlungsgesetz im Zusammenhang mit dem 13. Februar 2010 oder Vorwürfe, die ganz andere politische Proteste betreffen flatterten in dieser Woche ebenso in Dresdner Briefkästen. So als kleine spezielle moralische Vorbereitung für die diesjährigen Proteste, abseits des Medienrummels. Danke liebe Staatsanwaltschaft, doch den Protest werdet ihr damit nicht schmälern können, ganz im Gegenteil!


Chemnitzer Morgenpost, 12. Januar 2011

Staatsanwalt will roten Hahn anklagen

Von Jens Jungmann

Wegen seines Widerstandes gegen den geplanten Nazi-Aufmarsch am vergangenen 13. Februar will die Staatsanwaltschaft Dresden André Hahn anklagen. Der Landtag soll zuvor die Immunität des Linke-Fraktions-Chefs aufheben. Hahn wirft der Justiz „Missbrauch der Strafverfolgung zu politischen Zwecken“ vor.

Foto: André Hahn (links am Banner) inmitten der anderen Demonstranten gegen den Nazi-Aufmarsch: Doch nur er und drei Kollegen sollen von der Justiz belangt werden.

Dresden. 24 Ermittlungsverfahren gab es nach dem 13. Februar 2010 – auch gegen Linke-Abgeordnete aus diversen Bundesländern. Ihnen wurde vorgeworfen, zur Vereitelung eines „nicht verbotenen Aufzugs“ von Neonazis in Dresden aufgerufen und diesen Aufmarsch dann verhindert zu haben. Nur noch gegen vier wird ermittelt – gegen André Hahn und die Fraktions-Chefs aus Thüringen und die beiden aus Hessen. „Die anderen Verfahren wurden eingestellt“, so die Staatsanwaltschaft. Hahn zitiert aus der Einstellungsverfügung des Abgeordneten Klaus Tischendorf. So habe es den Teilnehmern an der „Verwerflichkeit des Handelns“ gefehlt. „Das Motiv für das widerrechtliche Verhindern des Marsches war mithin ein anerkannt sittliches.“

Doch warum wird weiter gegen die vier Fraktions-Chefs ermittelt und gegen André Hahn bereits die Anklage vorbereitet? Oberstaatsanwalt Lorenz Haase: „Gegen sie wird ermittelt, weil sie als Fraktionsvorsitzende eine besondere Verantwortung haben. Sie haben eine andere Stellung im Gegensatz zu einfachen Abgeordneten.“ Dazu ein sächsischer Verfassungsrechtler: „Diese Begründung ist nicht schlüssig.“

Am 23. Dezember teilte die Staatsanwaltschaft Hahn mit, dass man den Landtag um Aufhebung der Immunität ersuchen wird, damit „öffentlich Klage“ erhoben werden kann. Hahn will die Abgeordneten des Landtages bitten, gegen die Aufhebung seiner Immunität zu stimmen: „Sollte es in Deutschland tatsächlich möglich sein, dass eine Landtagsmehrheit – womöglich noch mit den Stimmen der NPD – die Immunität eines Abgeordneten aufhebt, weil er sich friedlich einem Nazi-Aufmarsch entgegengestellt hat?“ Zur Not werde er bis zum Bundesverfassungsgericht klagen. Auch in diesem Jahr will sich Hahn den geplanten Nazi-Aufmärschen am 13. und 19. Februar in Dresden entgegenstellen.


Freie Presse, 12.1.2011

Linke-Spitzenpolitikern droht Anklage wegen Neonazi-Blockade
Staatsanwaltschaft sieht „besondere Stellung“ von Fraktionschefs

Dresden (dapd-lsc). Nach der Blockade eines Neonazi-Aufmarsches in Dresden vor knapp einem Jahr droht mehreren Spitzenpolitikern der Linkspartei eine Anklage wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Die Staatsanwaltschaft Dresden erklärte am Dienstag, betroffen seien die Fraktionschefs von Sachsen und Thüringen, André Hahn und Bodo Ramelow, sowie die beiden hessischen Linke-Fraktionschefs Janine Wissler und Willi van Ooyen. Ihnen werde vorgeworfen, zu der Aktion aufgerufen zu haben. Möglich sei statt einer Anklage aber auch ein Strafbefehlsverfahren.

Zugleich kündigte die Staatsanwaltschaft an, sie wolle die Aufhebung der Immunität im Fall der Politiker aus Sachsen und Hessen beantragen. Zunächst hätten die Betroffenen aber noch die Möglichkeit zur Stellungnahme. Im Fall des thüringischen Linke-Fraktionschefs Ramelow hatte der dortige Landtag die Immunität auf Antrag der Staatsanwaltschaft bereits aufgehoben. Der Immunitätsausschuss des Dresdner Landtags wird sich am 3. Februar mit dem Fall befassen.

Hahn kritisierte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft scharf und sprach von einem politischen Missbrauch des Strafrechts. Offenkundig solle auch in seinem Fall ein Exempel statuiert werden, sagte er vor Journalisten in Dresden. Er verwies darauf, dass in zahlreichen anderen Fällen Verfahren eingestellt worden seien. Im Übrigen habe er an der eigentlichen Aktion gar nicht teilgenommen. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt in eine Menschenkette auf der anderen Elbseite eingereiht.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Lorenz Haase, sagte der Nachrichtenagentur dapd, in den vorliegenden Fällen seien die Verfahren nicht eingestellt worden, weil die Betroffenen „als Fraktionsvorsitzende eine besondere Stellung hatten, aus der sie zu der Aktion aufgerufen haben“. Er wies zugleich den Vorwurf zurück, es solle in den Fällen ein Exempel statuiert werden. „Davon kann keine Rede sein“, betonte er.

Hahn forderte die demokratischen Fraktionen im sächsischen Landtag auf, der Aufhebung seiner Immunität nicht zuzustimmen. Es gehe nicht um Diebstahl oder Betrug, sondern um eine friedliche Artikulation des Protestes gegen Neonazis.

Hahn warf der sächsischen Justiz auch vor, sie wolle Bürger mit ihrem Vorgehen einschüchtern und von einer Teilnahme an ähnlichen Protestaktionen in diesem Jahr in Dresden abhalten. Er erinnerte auch daran, dass in anderen Fällen Politiker zu friedlichen Gegenaktionen aufgerufen oder sich daran beteiligt hätten, ohne wegen ihres zivilen Ungehorsams verfolgt worden zu sein. Als Beispiel nannte er die Teilnahme von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) an einer Sitzblockade.

In Dresden hatten sich am 13. Februar 2010 mehrere tausend Menschen einem angemeldeten Aufmarsch von Rechtsextremisten am Jahrestag der Zerstörung der Stadt durch alliierte Bombenangriffe kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs entgegengestellt. Dazu aufgerufen hatte ein breites Bündnis. An den Aktionen nahmen auch Linkspolitiker teil. Auch in diesem Jahr sind wieder Proteste geplant.


taz, 12.01.2011

Protest in Dresden wird kriminalisiert
Angeklagt im Kampf gegen Rechts

Mit tausenden Demonstranten verhinderten sie Europas größten Naziaufmarsch: Vor einem Jahr protestierten in Dresden vier Linke-Politiker friedlich. Nun werden sie angeklagt. VON MICHAEL BARTSCH

Steht als „Oberdrahtzieher“ natürlich immer an vorderster Front: Bodo Ramelow, thüringischer Fraktionschef der Linken, bei einer 1.Mai-Demo. Foto: dpa

DRESDEN taz | Die Dresdner Staatsanwaltschaft will vier Vorsitzende von Landtags-Linksfraktionen anklagen, die an der friedlichen Blockade des Dresdner Naziaufmarsches vom 13. Februar 2010 beteiligt waren. Das wurde dem sächsischen Fraktionschef André Hahn kurz vor Weihnachten mitgeteilt. Nach Akteneinsicht wandte er sich jetzt an die Medien. Wegen angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz soll auch Anklage gegen seinen Thüringer Kollegen Bodo Ramelow und die hessische Doppelspitze Willi van Ooyen und Janine Wissler erhoben werden.

Tausende Bürger hatten sich am Jahrestag der Bombardierung Dresdens in der Umgebung des Bahnhofs Dresden-Neustadt versammelt, um den größten europäischen Naziaufmarsch zu verhindern. Unter ihnen waren auch viele Politiker der Linkspartei, die eine öffentliche Fraktionssitzung abhielten. Die große Zahl von Gegendemonstranten machte der Polizei die Räumung unmöglich, die Neonazis konnten nur eine stationäre Kundgebung am Bahnhof abhalten.

Die Linkenabgeordneten hatten nicht zu einer Blockade, sondern zu einer friedlichen Versammlung aufgerufen. Dennoch wurden etwa 20 Prüfvorgänge gegen namhafte Beteiligte eingeleitet. Die Ermittlungsverfahren wegen der Verhinderung der Nazidemo wurden jedoch überwiegend wegen Geringfügigkeit der Schuld und mangels öffentlichen Interesses eingestellt. „Das Motiv für das widerrechtliche Verhindern des Marsches war mithin ein anerkannt sittliches“, heißt es beispielsweise in der Begründung gegenüber dem parlamentarischen Geschäftsführer der Linken im Sächsischen Landtag, Klaus Tischendorf.

An Hahn und den anderen Fraktionsspitzen aber soll nach dessen Überzeugung „ein Exempel statuiert werden“. Hahn hatte sich bereits im März 2010 geweigert, 500 Euro zu zahlen, damit auch gegen ihn das Verfahren eingestellt wird. Mitte des Jahres wurde er daraufhin vom Dezernat „Politisch motivierte Kriminalität, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen“ des Landeskriminalamts zu einer Vernehmung geladen. Hahn lehnte ab und äußerte sich nur schriftlich gegenüber der Staatsanwaltschaft.

Die will nun, wenige Wochen vor dem nächsten Jahrestag, die Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter beantragen. Hahn appellierte an die Landtagsabgeordneten, dies nicht zu tun.

In Thüringen, wo keine Zustimmung des Plenums erforderlich ist, hat bereits im Herbst der Immunitätsausschuss die Immunität von Bodo Ramelow aufgehoben, damit Ermittlungen gegen ihn eingeleitet werden können. Auch die mitregierende SPD stimmte zu. „Ich gelte als Oberdrahtzieher“ erklärt Ramelow halb belustigt. Die Veranstalter hatten ihn damals als Vermittler nominiert, und im Dialog mit der Polizei gelang es Ramelow auch, jede Eskalation zu vermeiden. Das dient dem sächsischen Landeskriminalamt als Beweis seiner Rädelsführerschaft, obschon alle Polizeizeugen für ihn sprechen.

Sowohl die Einstellungsverfügungen als auch die Klagen gingen jeweils über den Tisch des zuständigen Dresdner Oberstaatsanwalts Jürgen Schär. Er ist eigentlich wegen seiner konsequenten Verfolgung rechtsextremer Straftaten der von NPD und Freien Kräften meistgehasste Mann in der sächsischen Justiz. André Hahn vermutet deshalb „massive politische Einflussnahmen und Vorgaben“. Auch Bodo Ramelow kann sich nicht vorstellen, „dass ein einzelner Staatsanwalt sich so etwas ausdenkt“.


Neues Deutschland, 12.01.2011

Hahn droht Anklage wegen Blockade
Sächsischer Linksfraktionschef sieht politischen Missbrauch der Strafverfolgung / Immunität soll aufgehoben werden

Von Hendrik Lasch

André Hahn, der Chef der sächsischen Linksfraktion, soll wegen der friedlichen Blockade des Nazi-Aufmarschs am 13. Februar 2010 in Dresden angeklagt werden. Er fordert nun Landtagskollegen auf, der Aufhebung seiner Immunität nicht zuzustimmen.

Foto: Politiker der Linkspartei demonstrieren in Dresden gegen Nazi-Aufmarsch

Am Tag vor Heiligabend 2010 erhielt André Hahn, Chef der Linksfraktion im sächsischen Landtag, Post von der Staatsanwaltschaft in Dresden. In dem Brief wurde ihm mitgeteilt, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen der friedlichen Blockade des rechtsextremen Aufmarschs am Jahrestag der Zerstörung Dresdens abgeschlossen sei und Anklage erhoben werden solle. Demnächst läuft die Frist ab, nach der die Behörde beim Landtag die Aufhebung von Hahns Immunität beantragen will.

Hahn, der den Vorgang gestern öffentlich machte, wirft der Staatsanwaltschaft vor, an seiner Person solle »ein Exempel statuiert« werden. Nachdem der Naziaufmarsch durch friedlichen Protest Tausender verhindert worden war, hatten die Behörden zunächst gegen rund zwei Dutzend Politiker der LINKEN ermittelt. Der Großteil der Verfahren ist indes eingestellt. Zwar stelle die Teilnahme an der Blockade eine strafbare Handlung dar, hieß es in einer Begründung; das Motiv für das Verhindern des Aufmarsches sei aber »ein anerkannt sittliches«.

Diese Einschätzung gilt offenbar nicht für die vier Chefs der Landtagsfraktionen aus Sachsen, Hessen und Thüringen, die am 13. Februar zur »öffentlichen Fraktionssitzung« eingeladen hatten. Gegen sie wurde weiter ermittelt. Im Fall von Bodo Ramelow aus Thüringen wurde die Immunität, so will es das dortige Gesetz, vorab aufgehoben; bei Hahn soll der Schritt nun der Anklage vorausgehen. Gleiche Schritte seien im Fall von Willy van Ooyen und Janine Wissler in Hessen eingeleitet, hieß es gestern.

André Hahn kritisierte die Eskalation in dem Verfahren gestern aus zwei Gründen. Zum einen wollen am 13. und 19. Februar Rechtsextreme erneut in Dresden aufmarschieren; für den zweiten Termin wird bundesweit zu einer friedlichen Blockade aufgerufen. Potenzielle Teilnehmer sollten durch den jetzigen Schritt verunsichert und eingeschüchtert werden, so Hahn, der freilich ankündigte, selbst erneut an friedlichen Protestaktionen teilnehmen zu wollen.

Zum anderen erklärt Hahn, die Staatsanwälte hätten »keinen einzigen Beweis für irgendein strafbares Handeln meinerseits erbringen können«. Die Fraktionssitzung habe ursprünglich an einem anderen Platz stattfinden sollen; die Abgeordneten seien aber von der Polizei an einer Stelle festgehalten worden, die auf der genehmigten Route des rechtsextremen Aufmarschs lag – was offiziell nicht bekannt gewesen sei. Darüber hinaus sei er zum Zeitpunkt, als die Nazis marschieren wollten, dort nicht mehr anwesend gewesen: Hahn nahm gemeinsam mit Ministerpräsident und Oberbürgermeisterin an einer Menschenkette in der Altstadt teil.

Vor allem, weil lediglich die Verfahren gegen vier Beteiligte vorangetrieben wurden, spricht die LINKE von einem »Missbrauch der Strafverfolgung«. Die Staatsanwälte handelten »willkürlich«, betont Klaus Bartl, Rechtspolitiker der Fraktion. Er fordert daher die Abgeordneten der anderen demokratischen Fraktionen im Immunitätsausschuss auf, dem Antrag auf Aufhebung der Immunität Hahns nicht stattzugeben. Dies wäre ein »starkes politisches Signal« – und die letzte Möglichkeit, eine Anklage zu verhindern.

Dass es so weit kommt, stieß bei Beteiligten auf Überraschung. Zunächst hatte die Behörde Hahn im Frühjahr 2010 angeboten, die Ermittlungen gegen eine Zahlung von 500 Euro an einen Verein einzustellen. Wegen des damit verbundenen Schuldeingeständnisses hatte Hahn abgelehnt. Zuletzt war mit einer Einstellung wegen geringer Schuld gerechnet worden. Nun indes droht die Auseinandersetzung vor Gericht. Hahn sagt, er zweifle nicht daran, diese zu gewinnen. »Meine politische Handlungsfähigkeit«, fügt er hinzu, »wäre jedoch über längere Zeit erheblich beeinträchtigt.«


MDR Sachsen, 11.2.2011

Nach Protest gegen Nazi-Aufmarsch
Linken-Politikern droht Anklage wegen Demo-Blockade

Rund ein Jahr nach der Blockade des Neonazi-Aufmarsches am 13. Februar 2010 in Dresden droht vier Spitzenpolitikern der Linken eine Anklage. Wie der Fraktionschef der Partei im Sächsischen Landtag, André Hahn, am Dienstag mitteilte, habe ihm das die Staatsanwaltschaft Dresden kurz vor Weihnachten mitgeteilt. Mit dem Schreiben hätte die Ermittlungsbehörde zugleich angekündigt, die Aufhebung der Immunität als Landtagsabgeordneter zu beantragen. Außer ihm seien der Fraktionschef im Thüringer Landtag Bodo Ramelow sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag Janine Wissler und Willi van Ooyen betroffen, sagte der sächsische Linken-Politiker.

Tausende Menschen blockierten am 13. Februar 2010 in Dresden einen Aufmarsch von Neonazis

Den Linken Politikern wird vorgeworfen, einen Marsch Rechtsextremer am Jahrestag der Bombardierung Dresdens verhindert zu haben. Da der von der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ angemeldete Aufmarsch genehmigt war, hatte die Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld Aufrufe zu einer Blockade als Straftat eingestuft. Dennoch stellten sich am 13. Februar 2010 Tausende Menschen den Neonazis entgegen. Die Polizei sah sich nicht in der Lage, die Blockade aufzulösen.

Hahn: „Missbrauch der Strafverfolgung“

Den Ermittlungsbehörden warf Hahn einen „Missbrauch der Strafverfolgung zu politischen Zwecken“ vor. So sei gegen ihn mehr als zehn Monate ermittelt worden, „ohne auch nur einen einzigen Beweis für irgendein strafbares Handeln meinerseits erbringen zu können“. Trotzdem, so der Linkspolitiker, werde das Verfahren gegen ihn – anders als gegen zahlreiche andere Betroffene – nicht eingestellt.
Andre Hahn, Fraktionsvorsitzender der Linken im sächsischen Landtag, jubelt.

In vier von 34 Fällen wurde weiter ermittelt

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Dresden nach der Blockade rund 20 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet. Später erhöhte sich die Anzahl auf 34. Betroffen waren nur Mitglieder der Linken, die Selbstanzeige eines Grünen-Politikers scheiterte. Nach Aussagen des Linken-Landtagsabgeordneten und Rechtsanwaltes Klaus Bartl wurden alle Ermittlungsverfahren bis auf vier eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Dresden begründete das damit, dass die Fraktionschefs aus Thüringen, Sachsen und Hessen die führenden Köpfe der Blockade gewesen seien.

Hahn: Werde auch 2011 protestieren

Hahn bat am Dienstag alle sächsischen Landtagsabgeordneten mit Ausnahme der der NPD, einer Aufhebung seiner Immunität nicht zuzustimmen. Er habe kein Interesse an einem langen Rechtsstreit, erklärte der Linken-Politiker. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass ich am Ende vor dem Bundesgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen würde“, so Hahn. Seine politische Handlungsfähigkeit als Oppositionsführer im Landtag würde durch ein Verfahren aber über längere Zeit „erheblich beeinträchtigt“. Hahn kündigte an, auch am 13. Februar 2011 gegen den Aufzug der Rechtsextremen in Dresden zu protestieren.


Die Welt, 12.01.2011

Hessens Linken droht Anklage
Dresdner Staatsanwälte werfen ihnen Blockade von Nazi-Demo vor

von Jörg Schurig und Jan Brinkhus

Dresden/Wiesbaden

Wegen der Blockade eines Neonazi-Aufmarsches im vergangenen Februar in Dresden droht den Landtagsfraktionschefs der hessischen Linken Ärger mit der Justiz. Die Staatsanwaltschaft Dresden kündigte den beiden Politikern in einem Schreiben den Abschluss der Ermittlungen und eine Anklage an. Das bestätigte die Linken-Fraktionschefin Janine Wissler am Dienstag in Wiesbaden. Betroffen sind neben ihrem Kollegen Willi van Ooyen auch die Linken-Fraktionsvorsitzenden in den Landtagen von Sachsen und Thüringen. „Das ist vollkommen absurd“, sagte Wissler und sprach von einem „Skandal“. Um Anklage erheben zu können, muss die Immunität der beiden Landtagsabgeordneten aufgehoben werden. Die Staatsanwaltschaft kündigte in dem Schreiben an Wissler und van Ooyen einen entsprechenden Antrag an.

Den vier Politikern wird vorgeworfen, einen Marsch Rechtsextremer am Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar verhindert zu haben. Juristisch geht es um einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Da der Aufmarsch der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland genehmigt war, hatte die Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld Aufrufe zu einer Blockade als Straftat eingestuft. Trotzdem stellten sich tausende Menschen den Neonazis entgegen. Aufgrund der Massen sah sich die Polizei außerstande, die Blockaden aufzulösen. Die Rechtsextremen konnten deshalb nicht wie geplant marschieren. Eine friedliche Demonstration „derart zu kriminalisieren“, sei unglaublich, sagte Wissler. „Was ist das für ein Zeichen?“ Die Linke werde auch in diesem Jahr zu Protesten gegen einen möglichen Neonazi-Aufmarsch am Jahrestag der Bombardierung Dresdens aufrufen. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Dresden etwa 20 Verfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet. Später war von 34 die Rede. Offenkundig waren nur Linke betroffen. Die Selbstanzeige eines Grünen scheiterte. Nach Aussagen des Linken-Politikers Klaus Bartl wurden alle Ermittlungsverfahren bis auf vier eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Dresden begründete das auf Nachfrage mit dem Hinweis, dass die Fraktionschefs die führenden Köpfe der Blockade gewesen seien.


Frankfurter Rundschau, 12.1.2011

Wegen Teilnahme an Blockade: Chefs der Linksfraktion droht Klage

Janine Wissler und Willi van Ooyen müssen mit der Aufhebung ihrer Immunität rechnen. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt wegen ihrer Teilnahme an der Massenblockade eines Neonazi-Aufmarschs in Dresden im Februar 2010.

Foto: Willy van Ooyen ist Fraktionsvorsitzender der hessischen Linken.

Jetzt kündigte die Behörde den beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken im Landtag an, sie beabsichtige, „die Ermittlungen abzuschließen und den Antrag zur Genehmigung der Erhebung der öffentlichen Klage beim Hessischen Landtag zu stellen“. So steht es in einem Schreiben der Staatsanwaltschaft an Wissler und van Ooyen, das zwischen den Jahren eintraf und der Frankfurter Rundschau vorliegt. Sie werden darin aufgefordert, bis zu dieser Woche eine Stellungnahme abzugeben.

Gleichlautende Schreiben sind auch an die Fraktionsvorsitzenden der Linken in Sachsen und Thüringen, André Hahn und Bodo Ramelow, gegangen. Wissler nannte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen die Linken „absurd“.

Seltener Vorgang

Die Immunität schützt Parlamentarier vor Strafverfolgung. Um einen Schutz vor willkürlicher Verfolgung zu gewährleisten, muss vor einer Anklage zunächst das Parlament die Immunität aufheben. Das ist ein sehr seltener Vorgang.

Die vier Linken-Politiker hatten sich an einer Blockade der Stadt Dresden beteiligt, zu der mehr als 10000 Menschen zusammengekommen waren. Gemeinsam verhinderten sie am Jahrestag der Bombardierung Dresdens von 1945 eine geplante Neonazi-Demonstration. Aus Hessen beteiligten sich alle sechs Landtagsabgeordneten der Linken. Die Staatsanwaltschaft führte aber nur die Ermittlungen gegen die Fraktionschefs weiter.

Die Polizei hatte sich in Dresden außerstande gesehen, die Blockade aufzulösen. Wissler sagte der FR, die Polizei habe sie damals nicht angesprochen und auch nie aufgefordert, die Blockade zu beenden.


Sächsische Zeitung, 12. Januar 2011

Chef der Linksfraktion droht Anklage

Von Annette Binninger

Wegen seines Teilnahme an der Neonazi-Blockade am 13. Februar droht Andre Hahn langer Rechtsstreit.

Dresden. Die Staatsanwaltschaft Dresden will den Chef der Linksfraktion im Landtag, Andre Hahn, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz anklagen. Hahn habe zur Blockade einer angemeldeten Demonstration der rechtsextremen „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ am 13. Februar 2010 aufgerufen. Aufgrund seiner „besonderen Stellung als Fraktionschef“ werde das Verfahren nicht wie in ähnlichen Fällen eingestellt, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Lorenz Haase, auf SZ-Anfrage mit. Daher werde in Kürze eine Aufhebung der Immunität Hahns als Abgeordneter beantragt.

Hahn hatte Anfang 2010 gemeinsam mit den Linksfraktionschefs von Thüringen und Hessen zu einer öffentlichen Fraktionssitzung eingeladen, um die Marschroute der Neonazis zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens zu durchkreuzen. Tausende von Menschen hatten sich dem angeschlossen und damit den Zug der Neonazis durch die Innenstadt letztlich verhindert.

Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin gegen 10 Linken-Landtags- und die Bundestagsabgeordnete Petra Pau ermittelt. Bis auf die vier Fraktionschefs wurden alle Verfahren „wegen geringer Schuld“ eingestellt, so die Justizbehörde. Den vier Fraktionschefs wurde die Einstellung gegen Zahlung von 500 Euro an einen gemeinnützigen Verein angeboten, doch sie lehnten ab. „Daher sind wir von Gesetzes wegen verpflichtet, weiter zu ermitteln“, sagte Haase.

Doch Hahn vermutet dahinter „massive politische Einflussnahmen und Vorgaben an die zuständige Staatsanwaltschaft“. „Es soll an meiner Person ganz offenkundig ein Exempel statuiert werden, koste es, was es wolle, im Zweifel auch das Ansehen und die Akzeptanz des Rechtsstaats.“

Er sei zum Zeitpunkt der Sprengung des Neonazi-Aufmarsches gar nicht vor Ort gewesen, argumentierte Hahn weiter. Vielmehr habe er an weiteren Gegenveranstaltungen auf der anderen Elbseite teilgenommen. Zudem sei ihm die Route des Neonazi-Aufmarsches gar nicht bekannt gewesen.

Hahn bittet nun die Landtagsabgeordneten, gegen die Aufhebung seiner Immunität zu stimmen. Friedlicher Widerstand, wie er ihn geleistet habe, sei „Verfassungsauftrag aller Demokraten“, sagte der Linksfraktionschef.


hr-online, 11.1.2011

Anti-Neonazi-Demo
Linken-Fraktionschefs droht Anklage

Foto: Die Doppelspitze der Linken-Fraktion im Landtag: Janine Wissler und Willi van Ooyen

Die Vorsitzenden der Fraktion Die Linke im Landtag, Janine Wissler und Willi van Ooyen, müssen sich möglicherweise vor Gericht verantworten. Sie hatten im Februar 2010 in Dresden mit anderen einen Neonazi-Aufmarsch blockiert.

Wissler bestätigte am Dienstag ein Schreiben der Dresdner Staatsanwaltschaft, in dem den beiden hessischen Politikern der Abschluss der Ermittlungen und eine Anklage angekündigt werden. Wissler sprach von einem Skandal. Eine friedliche Demonstration „derart zu kriminalisieren“ sei unglaublich.

Neben Wissler und van Ooyen sind auch die Linken-Fraktionschefs im sächsischen und im thüringischen Landtag betroffen. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, die Aufhebung der Immunität der vier Abgeordneten zu beantragen.

Verstoß gegen Versammlungsgesetz

Die Politiker sollen gemeinsam mit tausenden anderen Gegendemonstranten einen genehmigten Aufmarsch Rechtstextremer am Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg verhindert und so gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben. Die Polizei sah sich damals nicht imstande, die Gegendemonstration aufzulösen.

Von ursprünglich 20 und später 34 Ermittlungsverfahren, die sich offenbar nur gegen Linke richteten, wurden nach Angaben des Linken-Politikers und Rechtsanwalts Klaus Bartl alle bis auf vier eingestellt. Die Staatsanwaltschaft begründete dies damit, dass die Fraktionschefs die führenden Köpfe der Blockade gewesen seien.

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