Nachdem Internet und Presse bereits voll von Berichten zur erneuten Kriminalisierung der Massenblockaden im Vorfeld des 19. Februar 2011 waren und auch die Diskussion der SPD zur Legitimität große Beachtung fand, gibt es dennoch zwei Artikel zu diesen Themen nachzutragen.
Zum einen ein Blogbeitrag eines Journalisten der Dresdner Neuesten Nachrichten, der nicht nur wegen seiner deutlichen Aufforderung zur Blockade bemerkenswert ist, sondern vor allem eine glänzende Replik auf einen Kommentar des langjährigen Nazikaders und -schlägers Ronny Thomas in den Kommentaren beinhaltet.
Zum zweiten stellt die Leipziger Internetzeitung offen die Frage nach der politischen Motiviation für die Kriminalisierung von führenden LINKE-Politikern. Hier wird das konservative Lager verdächtigt, Einfluss auf die Staatsanwaltschaft zu nehmen. Plausibel ist auf jeden Fall, dass mit der Kriminalisierung gezielt versucht wird, Menschen von wirkungsvollen Protesten abzuhalten – womit nicht zuletzt die Menschenkette des konservativen Lagers gestärkt wird.
Unkorrekt – Dresdner Betrachtungen nach Redaktionsschluss
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Nazis blockieren? Nazis blockieren!
“Rechtsbruch ist nie legal, kann aber legitim sein.” Diesen eigentlich ganz einfachen und logischen Satz hat heute Wolfgang Howald gesagt, Vizepräsident des Sächsischen Landesarbeitsgerichts i. R. und Vorsitzender des Münchner– Platz–Komitees e.V. Der Satz hat Mut gemacht für den 13. oder den 19. Februar, wenn wieder Neonazis durch Dresden marschieren wollen. Denn er ermutigt zu dem, was als “ziviler Ungehorsam” bezeichnet wurde beim Podiumsgespräch der Arbeitsgemeinschaft (AG) sozialdemokratischer Juristen.
Die AG hatte geladen um zu diskutieren, ob Blockaden ein legitimes Mittel sind, Naziaufmärsche zu verhindern. Im übervollen großen Saal des Kulturrathauses hörten Howald, Frank Richter, dem Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, dem em. Lehrstuhlinhaber für öffentliches Recht an der Universität Hamburg Professor Dr. Jürgen Schwabe und Dr. Thilo Weichert, dem Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig–Holstein und ehemaligen juristischen Berater des Bürgerkomitees zur Auflösung der Staatssicherheit nicht nur Blockadebefürworter zu. Auch eine Handvoll Neonazis saß im Saal, sie versteckten sich ganz hinten in der letzten Reihe (und wurden vor dem Kulturrathaus freundlich von der Polizei empfangen).
Das Ergebnis des Podiumsgesprächs: Es gab (natürlich) keine klare Empfehlung für oder gegen Blockaden der Naziaufmärsche in Dresden. Einig waren sich alle Gesprächsteilnehmer auf dem Podium, inklusive Oberstaatsanwalt Christian Avenarius, der die Diskussion moderierte und seiner Meinung bereits an anderer Stelle Ausdruck verliehen hatte, dass Nazis nirgends geduldet werden dürfen. Professor Schwab vertrat die Position, dass Nazis – wie eine kurze heftige Krankheit (er sprach von Krätze) – eben ein Mal im Jahr in Dresden ausgehalten werden müssten. Richter, Howald und Weichert sprachen sich mehr oder weniger deutlich für Blockaden aus.
Auf den Punkt brachte es ein Gast im Publikum, Rechtsanwalt Harald Baumann-Hasske: Passiver Widerstand wie etwa eine Sitzblockade ist ein Rechtsbruch, meint er. Aber doch wohl ein “kleiner Rechtsbruch mit geringer Schuld” im Vergleich zu dem, was die Neonazis propagieren.
Ronny Thomas sagt:
16. Januar 2011 um 18:37
Die Veranstalter und die Veranstaltung als solches hat sich selbst deplatziert, wenn man am Eingang kritischen Teilnehmern den Zugang verwehrt und somit einer kontroversen Diskussion schon im Vorfeld aus dem Weg geht. Wir sind wieder an einer gesellschaftlichen Situation angelangt, wo man Andersdenkende mundtot macht, unter Mißachtung aller Grund- und Versammlungsrechte. Denn an einer öffentlichen Veranstaltung hat ein Jedermann das Recht teilzunehmen, da eben das Versammlungsrecht einen wichtigen Garant der demokratischen Gesellschaftsordnung darstellen sollte. Und dass man unter den Augen von Juristen und insbesondere des Veranstaltungsleiter, dem Oberstaatsanwalt Christian Avenarius, das Versammlungsgesetz und insbesondere das Grundgesetz Art. 8 mißachtet, stellt ein Armutszeugnis für die Demokratie im Jahre 2011 aus. Dass hier auch die Presse den Umgang unkritisch beleuchtet, ist auch kein Ruhmesblatt, für die Ach-so freie Berichterstattung.
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Christoph Springer sagt:
16. Januar 2011 um 21:54
Dieser Kommentar stammt laut Namenseintrag von Ronny Thomas. Zwar lässt die zugehörige Mailadresse keinen direkten Rückschluss zu, aber der Sprachduktus offenbart – es handelt sich offenbar um den Ronny Thomas, der bis 1998 Kreisvorsitzender der NPD in Dresden war. Im Mai 1998 verprügelte er zusammen mit anderen Neonazis Camper, im gleichen Jahr wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. “Offiziell distanzierte sich die NPD von ihm, betreut wurde er in dieser Zeit von der HNG”, heißt es auf der Seite antisemitismus.net zu vorbestraften NPD-Mitgliedern.
R. Thomas schreibt: „Die Veranstalter und die Veranstaltung als solches hat sich selbst deplatziert, wenn man am Eingang kritischen Teilnehmern den Zugang verwehrt und somit einer kontroversen Diskussion schon im Vorfeld aus dem Weg geht.“
Hinweis an Herrn Thomas – es müsste heißen: Der Veranstalter und die Veranstaltung haben sich selbst disqualifiziert, weil man am Eingang Teilnehmern den Zugang verwehrt hat und somit einer kontroversen Diskussion schon im Vorfeld aus dem Weg gegangen ist.
Richtig ist: Ja, es wurden Personen von der Veranstaltung ausgeschlossen, kontrovers wurde dennoch diskutiert. Dafür sorgten schon die Beiträge von Professor Dr. Jürgen Schwabe, em. Lehrstuhlinhaber für öffentliches Recht an der Universität Hamburg.
R. Thomas schreibt: „Wir sind wieder an einer gesellschaftlichen Situation angelangt, wo man Andersdenkende mundtot macht, unter Mißachtung aller Grund- und Versammlungsrechte. Denn an einer öffentlichen Veranstaltung hat ein Jedermann das Recht teilzunehmen, da eben das Versammlungsrecht einen wichtigen Garant der demokratischen Gesellschaftsordnung darstellen sollte.“
Hinweis an Herrn Thomas – es müsste heißen: Wir sind wieder in einer gesellschaftlichen Situation angelangt, in der Andersdenkende mundtot gemacht werden unter Missachtung aller Grundrechte und des Versammlungsrechts. Denn das Recht an einer öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen hat jedermann, da eben das Versammlungsrecht ein wichtiger Garant der demokratischen Gesellschaft sein sollte.
Richtig ist: Das Versammlungsrecht war nicht entscheidend für die Frage, wer an der Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen teilnehmen durfte, sondern eine sogenannte Antidiskriminierungsregel, mit der die Veranstalter ihr Hausrecht durchgesetzt haben.
R. Thomas schreibt: „Und dass man unter den Augen von Juristen und insbesondere des Veranstaltungsleiter, dem Oberstaatsanwalt Christian Avenarius, das Versammlungsgesetz und insbesondere das Grundgesetz Art. 8 mißachtet, stellt ein Armutszeugnis für die Demokratie im Jahre 2011 aus.“
Hinweis an Herrn Thomas – es müsste heißen: Und dass man unter den Augen von Juristen, insbesondere des Veranstaltungsleiters Oberstaatsanwalt Christian Avenarius, das Versammlungsgesetz und insbesondere das Grundgesetz (Art. 8) missachtet, ist ein Armutzeugnis für die Demokratie im Jahre 2011.
Richtig ist: Die Veranstalter haben, sich genau an die geltenden Gesetze gehalten und lediglich durchgesetzt, was auch am Ende der Einladung zu ihrer öffentlichen Veranstaltung stand:
“Der Veranstalter behält sich vor, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder später davon auszuschließen“. (Die komplette Einladung samt Antidiskriminierungsklausel kann auf der Seite der SPD (Kreisverband Dresden) nachgelesen werden.)
R. Thomas schreibt: „Dass hier auch die Presse den Umgang unkritisch beleuchtet, ist auch kein Ruhmesblatt, für die Ach-so freie Berichterstattung.“
Ein Hinweis von „der Presse“: Auch in diesem Blog gilt das Hausrecht. Ich behalte mir vor, davon Gebrauch zu machen und künftig keine Kommentare von Personen zuzulassen, „die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind“. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kommentare wirklich von solchen Personen stammen oder die Schreiber “nur” die Namen solcher Personen nutzen.
Leipziger Internetzeitung, 15.01.2011
Im Vorfeld der Dresdner Demonstrationen: Kriminalisierung aus politischen Motiven?
Patrick Limbach
Foto: Blockade von Gegnern der Neonaziaufmärsche in Dresden am 13. Februar 2010 sollen juristisches Nachspiel für führende Linke in Sachsen und Thüringen haben
Die Kriminalisierung der jährlichen Proteste gegen das braune Stelldichein anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens geht in die nächste Runde? Pünktlich einen Tag vor Heiligabend erhielt der Fraktionsvorsitzende der sächsischen Linken, Dr. André Hahn ein Schreiben der Dresdner Staatsanwaltschaft: Man beabsichtige, gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz Anklage zu erheben und beim Landtag einen Antrag zur Aufhebung seiner Immunität zu stellen.
„Ich finde sowohl den Fakt der beabsichtigten Anklageerhebung selbst wie auch den Zeitpunkt, der jetzt von der Staatsanwaltschaft für ihre Mitteilung gewählt wurde, überaus bemerkenswert und auch bezeichnend“, erklärt der Fraktionsvorsitzende der sächsischen Linken.
Das Verfahren soll offenbar der Einschüchterung derjenigen dienen, die sich am 13. und 19. Februar an den Protesten gegen die diesjährigen Neonazi-Aufmärsche in der Landeshauptstadt beteiligen wollen. Über zehn Monate habe die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt, ohne auch nur einen Beweis für sein angeblich strafbares Handeln erbringen zu können, erklärte Hahn am Dienstag dieser Woche gegenüber der Landespressekonferenz. Trotzdem werde das Verfahren – im Gegensatz zu anderen ursprünglich ebenfalls Beschuldigten – in seinem Fall bei gleicher Ausgangslage nicht eingestellt.
Foto: André Hahn, Fraktionsvorsitzender der sächsischen Linken: In seinem Fall Strafverfolgung aus politischen Gründen?
André Hahn ist nicht der einzige Spitzenpolitiker der Linken, gegen den die Dresdner Staatsanwaltschaft klagen möchte. Anklage soll auch gegen seinen Thüringer Kollegen Bodo Ramelow und die hessische Doppelspitze Willi van Ooyen und Janine Wissler erhoben werden. Mehrere tausend Bürger hatten sich am 13. Februar 2010 friedlich rund um den Dresdner Bahnhof Neustadt versammelt, um die geplanten Aufzugsstrecke der 7.000 angereisten Neonazis zu blockieren. Politiker der Linkspartei hatten eine öffentliche Fraktionssitzung abgehalten. Die große Zahl an Gegenprotestlern machte der Polizei eine Räumung unmöglich. Die Neonazis mussten sich mit einer stationären Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz begnügen.
Ursprünglich wurde gegen rund 20 Politiker der Linken aus mehreren Landesparlamenten und dem Bundestag ermittelt. Mit Schreiben vom 4. März 2010 bot die Staatsanwaltschaft Hahn die Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage an. Selbstverständlich lehnte er damals ab: „Es war richtig und es bleibt notwendig, sich gegen Nazi-Aufmärsche in Dresden mit friedlichen Mitteln zur Wehr zu setzen. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement darf nicht kriminalisiert werden.“
Mitte 2010 lud ihn das Landeskriminalamt, hier das Dezernat 52 mit der Aufgabenbezeichnung „Politisch motivierte Kriminalität Links, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen“, zu einer Beschuldigtenvernehmung.
Foto: Bodo Ramelow, Die Linke, Thüringen | Motiv für das Verhindern des Aufmarschs in anderen Fällen ein „anerkannt sittliches“ – scheinbar nicht bei führenden Linkspolitikern wie Bodo Ramelow, der hessischen Doppelspitze Willi van Ooyen und Janine Wissler sowie André Hahn.
„Absurder geht es kaum noch“, findet der Fraktionsvorsitzende. „Friedlicher Widerstand gegen neofaschistische Umtriebe ist weder politisch motivierte Kriminalität, noch a priori Links, sondern ist eigentlich Verfassungsauftrag aller Demokraten.“
Pikant: Die Verfahren gegen mehrere Fraktionskollegen Hahns wurden eingestellt. In der Einstellungsverfügung gegen Klaus Tischendorf, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, begründete dies die Staatsanwaltschaft damit, dass das Motiv für das Verhindern des Aufmarschs ein „anerkannt sittliches“ gewesen sei. Soweit nachvollziehbar. Fragt sich bloß, warum das nicht für Hahn, Ramelow, Wissler und van Ooyen gilt? Doch damit nicht genug: „Der einzige Unterschied zwischen Klaus Tischendorf und mir bezogen auf den 13. Februar letzten Jahres bestand darin, dass Herr Tischendorf zu der Zeit, als die Nazis marschieren wollten, auch tatsächlich vor der Polizeikette auf der Hansa-Straße anwesend war“, wundert sich Hahn. „Ich selbst habe zeitgleich zunächst an der Kundgebung vor dem Dresdner Rathaus und dann auf dem Altmarkt an der Menschenkette teilgenommen.“
Foto: Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion Sachsen: Hier liegt ein Verstoß gegen das Willkürprinzip vor, es ist von der Staatsanwaltschaft ein selektives Herangehen beabsichtigt, das im Strafrecht nicht vorgesehen ist.“
Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass er dabei nur wenige Plätze neben dem Ministerpräsidenten, dem Landtagspräsidenten und der Dresdner Oberbürgermeisterin stand, lässt ihn vermuten, dass in seinem Fall die Strafverfolgung zu politischen Zwecken missbraucht werden würde. Deshalb hat er die Abgeordneten aller demokratischen Fraktionen gebeten, dem Antrag zur Aufhebung seiner Immunität nicht zuzustimmen. Zugleich fühlt sich Hahn unangenehm an die Durchsuchungen beim Bündnis „Dresden Nazifrei“ vor einem Jahr erinnert.
„Es geht um Verunsicherung, es geht um Einschüchterung, es geht darum, Bürgerinnen und Bürger, die sich den Nazi friedlich in den Weg stellen wollen, von einer Teilnahme an den Protestaktionen abzuhalten. Ich bin jedoch sehr zuversichtlich, dass dies nicht gelingen wird.“ Dass die Einstellungsverfügungen und Klagen ausgerechnet über den Tisch von Jürgen Schär gingen, erhärtet Hahns These.
Der Dresdner Oberstaatsanwalt gilt aufgrund seiner konsequenten Verfolgung neonazistisch motivierter Straftaten als der von NPD und „Freien Kräften“ meistgehasste Mann der sächsischen Justiz. Der Fraktionsvorsitzende vermutet „massive politische Einflussnahmen und Vorgaben.“
Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, geht indes davon aus, dass André Hahns Immunität nicht aufgehoben wird: „Die Immunität schützt den einzelnen Abgeordneten vor politisch missbräuchlicher Strafverfolgung. Hier liegt ein Verstoß gegen das Willkürprinzip vor, es ist von der Staatsanwaltschaft ein selektives Herangehen beabsichtigt, das im Strafrecht nicht vorgesehen ist.“
Und Bartl weiß aus seiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit durchaus, worüber er spricht. Seine Hauptbetätigungsfelder heißen neben Beamten- und Familienrecht vor allem Strafrecht, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht.
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