Razzien in Dresden und Berlin

Heute gegen 14:00 Uhr kamen Beamte des Landeskriminalamt Sachsen und der Dresdner Staatsanwaltschaft in die Wahlfabrik der Linken in Dresden. Beschlagnahmt wurden im wesentlichen Rechner und mehrere Tausend Plakate der Bündnisse „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ und „No pasaran“. Außerdem wurde in Berlin der Laden „redstuff“ durchsucht und dort ebenfalls Plakate beschlagnahmt.

Begründung ist ein angeblich strafbarer Aufruf nach §111 StGB zur Sprengung einer Versammlung. Dazu will man den Urheber des Aufrufs vom Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ und der Plakate des Bündnisses ermitteln. Es ist mit weiteren Maßnahmen zu rechnen. Von Seiten der Polizei wurde gegenüber von Mitarbeitern der Wahlfabrik angekündigt, zu kontrollieren, ob dort wieder Plakate auftauchen.

Trotz der Behauptung der Dresdner Sicherheitsbehörden sind Aufrufe zu friedlichen Sitzblockaden nicht strafbar nach §111 StGB. Dazu gibt es inzwischen eine eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Verurteilungen sind demzufolge nicht zu erwarten.

Die aktuellen Ermittlungen dienen vermutlich vor allem der Einschüchterung und zur weiteren Diffamierung der geplanten Blockaden. Auf der einen Seite die „gute, friedliche“ Menschenkette der Oberbürgermeisterin und auf der anderen Seite die „bösen, unfriedlichen“ Sitzblockierer. Es liegt jetzt an uns allen, dafür zu sorgen, dass diese Strategie nicht aufgeht!

Blockieren ist unser Recht!

Indymediartikel | Artikel auf addn.me | Artikel in der Sächischen Zeitung | Artikel in der taz | Artikel im Störungsmelder (Zeit online) | Artikel auf Spiegel Online | Pressemitteilung der Roten Hilfe | Presseerklärung der Hedonistischen Internationalen
| Artikel in Neues Deutschland (Kommentar) | Artikel in junge Welt | Kritik an rechtswidrigen Razzien (taz) | Sonderseite der sächsischen Linken

Stellungnahmen: Katja Kipping, Franziska Drohsel, Christian Ströbele

lokale Presse vom 20.1.:
Dresdner Neueste Nachrichten, Dresdner Morgenpost, Sächsische Zeitung


DNN (Dresdner Neueste Nachrichten), 20.1.2010, print-Ausgabe

Am 13. Februar droht Polizeinotstand

Sicherheitskräfte und die Stadt Dresden ändern ihre Strategie gegen Extremisten-Aufmärsche

Dresden
(DNN/J.K/S.H./ddp). Die Stadt Dresden und die sächsische Polizei planen für den 13. Februar nach DNN-Informationen offenbar einen umfassenden Strategiewechsel. Damit sollen zum 65. Jahrestag der Zerstörung der Stadt nicht wieder Bilder von Umzügen Tausender Extremisten in die Welt hinaus gehen.

Nach den neuen Plänen sollen nur noch Kundgebungen zugelassen werden, aber keine Märsche mehr. Damit solle den Demonstranten von links und ganz rechts außen das Interesse am EU-weit einzigen Großereignis dieser Art in diesem Jahr genommen werden. Wo auch immer sich Linke und Rechte einfinden wollen, lediglich an diesen Treffpunkten sollen sie ihre Kundgebungen abhalten. Am Montag informierte die Stadtverwaltung die Rechtsextremen von ihrem Vorhaben, gestern hatten linke und andere Initiativen einen Termin beim Ordnungsamt.

Hinter dem Strategiewechsel stehen auch sicherheitstaktische Überlegungen. So rechnen Stadt und Sicherheitskräfte längst mit wesentlich mehr gewaltbereiten Demonstranten als bisher angenommen. Interne Prognosen gehen davon aus, dass bis zu 8000 Rechtsextremisten nach Dresden kommen, darunter 2500 Gewaltbereite. Die Gesamtzahl der Gegendemonstranten dürfte bei 4000 bis 5000 liegen, davon ebenfalls bis zu 2500 mit Gewaltpotenzial. Unter dem Strich kämen damit bis zu 5000 Gewaltbereite zusammen.
Polizeikreise gehen deshalb davon aus, dass ein sogenannter polizeilicher Notstand ausgerufen werden könnte. Begründung: Um die prognostizierte Zahl von Demonstranten sicher durch die Stadt zu begleiten, wären bis zu 15000 Polizisten nötig. Die aber stehen bundesweit nicht zur Verfügung – unter anderem wegen laufender Einsätze bei Fußballspielen. Am Ende dürften es gut 5000 sein.

Für Zündstoff sorgten gestern Durchsuchungen in Berlin und Dresden. An der Elbe sind mehrere Tausend Plakate des „Bündnisses Nazifrei“ beschlagnahmt worden. Dem Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft, Christian Avenarius, zufolge rufen die Plakate dazu auf, den angekündigten Aufmarsch von Rechtsextremisten am 13. Februar zu blockieren. Mit einer solchen Aufforderung sei nach dem
Versammlungsgesetz ein Straftatbestand erfüllt.

Linke und Grüne reagierten mit Empörung auf die Durchsuchungen. Das Bündnis will an dem Aufruf festhalten. Avenarius wies Vorwürfe zurück, der „Naziszene einen Triumph“ verschafft zu haben. „Auch diese braunen Dumpfbacken haben das Recht zu demonstrieren und können die Demonstrationsfreiheit in Anspruch nehmen.“ Wegen der strafbaren Aufforderung zu Blockaden hätten die Ermittler tätig werden müssen.


Dresdner Morgenpost
20.01.2010


Razzia bei „Nazifrei“ – Plakate beschlagnahmt

Der Aufruf gemeinsam blockieren ist der Staatsanwaltschaft offenbar ein Dorn im Auge. Gestern wurden Räume des Bündnisses „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ durchsucht, Plakate und Rechner beschlagnahmt. Unterstützer des Bündnisses reagierten entsetzt.

Das Infobüro des Anti-Nazi-Bündnisses auf der Großenhainer Straße und der Antifa-Laden „Red Stuff“ in Berlin-Kreuzberg bekamen gestern, 14:00 Uhr, Besuch von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Räume wurden zwei Stunden lang durchsucht. Sämtliche Plakate, die zur Blockade der Nazi-Demo am 13. Februar aufrufen, wurden beschlagnahmt. Dabei soll es sich um mindestens 2000 Stück handeln. Künftig ist es verboten, mit dem Slogan „Gemeinsam blockieren“ für die Demo zu werben. „Dieser stellt einen öffentlichen Aufruf zur Straftat dar“, so Oberstaatsanwalt Christian Avenarius. Eine genehmigt Demonstration zu blockieren stehe laut Versammlungsgesetz unter Strafe. „Das gilt auch für Versammlungen der braunen Dumpfbacken.“

Scharfe Kritik kam von Bündnis-Sprecherin Lena Roth: „Die Polizei möchte offenbar unseren Protest im Keim ersticken. Das wird ihr aber nicht gelingen.“ Das Bündnis ruft die Dresdner weiter auf, an den Blockaden teilzunehmen. Katja Kipping Vize-Chefin der Linken: „Die Staatsanwaltschaft verschafft der Naziszene einen Triumph, noch bevor diese Dresden mit ihrer Anwesenheit belästigt.“ Juso-Landes-Chef Tino Buksch: „Das passt in die Tendenz, den antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren.“

Das Aktionsbündnis wird von zahlreichen Politikern von SPD, Grünen und Linken, prominenten Künstlern sowie Gewerkschaften und Parteien unterstützt.


Cleveres Kalkül?

Von Uwe Schneider

Das Entsetzen ist groß: das Büro des Bündnisses „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ durchsucht und Tausende Plakate beschlagnahmt! Reflexartig wird der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind zu sein und dem Anti-Nazi-Bündnis Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Doch bei genauerem Hinsehen sieht es eher nach cleverem Kalkül der Bündnis-Organisatoren aus. Denn gute Werbung provoziert, und sei es den Staatsanwalt. Dass die Blockade genehmigter Demonstrationen unter Strafe steht, dürfte auch ihnen nicht entgangen sein. „Gemeinsam blockieren“ ist ein Aufruf zu einer solchen Straftat.

So liegt der Verdacht nahe, dass die PR-Strategen genau wussten, was sie da druckten und welche Konsequenzen diese Art der Werbung haben wird. Netterweise ist die Staatsanwaltschaft sofort auf den Zug aufgesprungen. Was sind schon 2000 beschlagnahmte Plakate gegen eine öffentlichkeitswirksame Razzia? Das verlorene Werbematerial erfüllt so seinen Zweck um so mehr.

Dieser Tanz auf der Rasierklinge kann aber schnell ins Gegenteil umschlagen. Denn Widerstand am Rande der Legalität ist nicht die Sache des braven Bürgers. Der bleibt dann doch lieber auf der heimischen Protest-Couch. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.


Sächsische Zeitung
Mittwoch, 20. Januar 2010

Nach Blockade-Aufruf: Polizei-Razzia beim Bündnis „Dresden nazifrei“

Von Alexander Schneider

Mit Empörung reagieren Politiker und Betroffene auf die Durchsuchung im Büro der Linken-Geschäftsstelle.

Gestern Nachmittag hat die Polizei das Büro in der Landesgeschäftsstelle der Linken auf der Großenhainer Straße durchsucht. Die Fahnder suchten Daten, mit denen das Bündnis „Dresden nazifrei“ zur Blockade der geplanten Nazi-Demo am 13. Februar in Dresden aufruft. Das Bündnis hat dort seinen Sitz. Ein Computer, Speicher und Plakate wurden sichergestellt. Auch in Berlin wurde ein Laden gefilzt.

„Wir mussten handeln. Der Aufruf zur Blockade einer Demo ist eine Straftat“, sagte Christian Avenarius, Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Auch braune Dumpfbacken können die Versammlungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen, wenn ihre Demo nicht verboten wurde.“ Es werde gegen unbekannt ermittelt. „Uns interessiert, wer hinter dem Aufruf steht.“

Bei der Linkspartei und dem Bündnis, dem Parteien, Gewerkschaften und Vereine angehören, löste die Razzia Entsetzen und Empörung aus. „Wir haben immer betont, zu deeskalieren und uns Nazis gewaltfrei entgegenzustellen“, sagte Bündnissprecher Axel Roth. Erst kürzlich hatten Künstler wie Konstantin Wecker, Bela B. von den Ärzten oder Jenas Bürgermeister den Bündnis-Aufruf unterstützt.

Landtagsabgeordnete Julia Bonk (Linke) sagte, es sei politisch nicht hinnehmbar, dass nun ein breites demokratisches Spektrum mit polizeilichen Mitteln kriminalisiert werde. Es gehöre zur Meinungsfreiheit, deutlich aufrufen zu können.

http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2366356

Gut gemeint

Alexander Schneider über die Razzia bei dem Bündnis „Dresden nazifrei“.

Da klafft es wieder auseinander, das Gutmeinen und Gutmachen. Kein Wunder, wir sind in Dresden. Hier gibt es noch Dinge wie den Großaufmarsch der Neonazis, die anderswo, etwa in Köln, Leipzig oder Jena, mit einem breiten Bündnis aus Staat und Zivilgesellschaft abgestellt wurden.

Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat dem Kampf gegen Rechts gestern einen Bärendienst erwiesen: Eine Razzia bei dem linken Bündnis, das bundesweit aufruft, sich am 13. Februar einem der größten Ärgernisse dieser Stadt gezielt in den Weg zu stellen. Die Polizeiaktion ist die beste Werbung für den Aufruf. Jetzt wird sich wohl der letzte gewaltbereite Autonome fragen, ob er nicht doch besser am 13. nach
Dresden reisen soll, um Staat und Polizei die Stirn zu bieten.

Doch auch das Bündnis „Dresden nazifrei“ muss sich fragen, ob es seine Sprache gut gewählt hatte, wenn es „jetzt erst recht“ zur „Blockade“ der Nazis aufruft. Zumal es erst 2009 bei diesem Anlass zu erheblichen Krawallen von links gekommen war. Gut meinen und gut machen – das sind verschiedene Paar Stiefel.

http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2366402

Comments are closed.