Für die internen Debatten der Saison 2011 haben wir als AK Antifa Dresden bereits im Herbst 2010 ein Arbeitspapier geschrieben. Wir haben uns nun entschieden, es zu veröffentlichen.
1. Was ist für uns Gedenken und wie stehen wir dazu
2. Wie stehen wir zum aktuellen offiziellen Gedenken auf dem Heidefriedhof, zu Extremismus und zum historischen Ereignis
3. Was wollen wir erreichen
1.
Unter Gedenken verstehen wir im Kontext des 13.02. in Dresden jegliche Handlungen des Erinnerns und Mahnens an die Toten der Bombardierungen Dresdens am 13., 14. und 15. Februar 1945, sowie an die Bombardierungen selbst und die daraus folgende Zerstörung von Teilen der Stadt. Wir unterscheiden hierbei zwischen dem individuellen, privaten Gedenken und dem öffentlichen, institutionalisierten Gedenken.
In den Bereich des individuellen Gedenkens fallen nach unserer Ansicht die jeweiligen Ausdrücke Einzelner ihres Erinnerns an verstorbene Angehörige und Bekannte, sowie mglw. zerstörte Häuser, Plätze etc. zu denen tatsächliche persönliche Bezüge bestehen. Wir respektieren hierbei den Wunsch derjenigen Menschen sich selbst und andere an die Tage zu erinnern, die einen so gewaltigen Einschnitt in die jeweiligen Biografien bedeutet haben müssen. Dass unter dem Eindruck des Erlebten, die Erinnerung von den tatsächlichen Fakten abweicht, ist ein altbekanntes Phänomen. Um so wichtiger ist eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Ereignis. Die starken Emotionen, die mit dem Thema verbunden sind halten wir für menschlich und nachvollziehbar, daher ist unserer Meinung nach persönliche Trauer weder verwerflich noch angreifbar.
Unter öffentlichem und institutionalisiertem Gedenken verstehen wir diejenigen Veranstaltungen, sowie begleitende Handlungen und insbesondere Äußerungen (Texte, Reden, Gebete, etc.) die von Personen des öffentlichen Lebens in Dresden organisiert und durchgeführt bzw. getätigt werden, mit der Absicht stellvertretend für die Dresdner oder aufrufend bzw. diskursorientiert mit der Dresdner Bevölkerung zu sprechen. Kurzum: all diejenigen Dinge die im öffentlichen Raum stattfinden, bzw. derlei vorbereiten und begleiten.
Hierbei sehen wir unsere Aufgabe darin, all diese Handlungen kritisch zu beobachten und auch andere zu Skepsis und Bedacht gegenüber diesen Veranstaltungen zu animieren. Wir sind der Ansicht, dass bei öffentlichen Gedenkveranstaltungen Politik gemacht wird und diese nicht im Rahmen bloßen Erinnerns stattfinden. (Zum Beispiel das Profilieren des sog. „wahren Gedenkens“ durch Oberbürgermeisterin Orosz und Co.) Daher ist es uns enorm wichtig, dass der Kontext der Vorkommnisse derer gedacht wird klar und deutlich zur Geltung kommt. Wir sehen die Gefahr, dass bei Zusammentreffen mehrerer Menschen, die ihrem jeweiligen Gedenken gemeinsam Ausdruck verleihen wollen, die Ebene der persönlichen Trauer verlassen wird und eine Gedenkveranstaltung einsetzt, deren Bestehen und Funktionieren sich auf das Leid, das durch die Bomben hervorgerufen wurde, stützt. Hierbei wird die (mglw.) kollektive Erfahrung von Schmerz und Verlust derjenige Moment, der die Menschen vereint und überhaupt erst miteinander zum Thema sprechen und in Kontakt kommen lässt. Wenn allerdings die Erinnerung an das zerstörte Dresden, an die Dresdner, die deutschen Opfer derart im Mittelpunkt steht, kann schnell die deutsche, die Dresdner Schuld in den Hintergrund rücken. Die lange Zeit immer wiedergekehrte Behauptung, Dresden sei lediglich Kulturstadt und Flüchtlingslager gewesen und somit unschuldig, aus der sich ein Teil des gefühlten und gemeinten Unrecht der Bombardierung Dresdens ableitet, halten wir für unsinnig und falsch. Daher werden wir stets dazu auffordern, den historischen Kontext zu beachten, also die Vorgeschichte in Form der Kriegsschuld Deutschlands, sowie die Schuld auch der Mehrheit der Dresdner deutlich zu benennen.
2.
Heidefriedhof
Zum festgeschriebenen, offiziellen Gedenkritual gehört alljährlich das Kranzniederlegen auf dem Heidefriedhof in den Morgenstunden des 13. Februar. Hierbei legen die jeweiligen OberbürgermeisterInnen gemeinsam mit Vertretern der sächsischen Staatsregierung, internationalen Gästen, Stadtratsparteien und weiteren Organisationen Kränze nieder. Seit ihrem Einzug in Stadtrat und Landtag 2004 ist also auch die NPD offiziell an diesem Zeremoniell beteiligt. Schon zuvor nahmen jedoch auch Nazis teil. Nachdem jahrelang die Nazis von offizieller Seite widerspruchslos geduldet wurden, findet, nach Drängen und zwischenzeitlichem Fernbleiben der jüdischen Gemeinde, OB Orosz seit 2009 ein paar Worte zum historischen Kontext der Bombardierung und in Ablehnung an die Nazis. Desweiteren sind die Stadtratsparteien jetzt nicht mehr unter den geladenen Gästen der öffiziellen Veranstaltung, so dass sich auch die Nazis bei den gemeinen Bürger_innen einreihen mussten. Das hat die Nazis jedoch nicht davon abgehalten weiter teilzunehmen.
Auf dem Weg zur Gedenkstätte für die Opfer des 13. Februars 1945 gehen die Beteiligten erst durch den Ehrenhain für die Opfer des Faschismus, eingeleitet durch einen hohen Obelisk mit dem Zeichen der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR – Fédération Internationale des Résistance) und einer Mauer mit der Inschrift „Zum Höchsten der Menschheit emporgestrebt“. Von dort aus führt ein breiter Weg durch die Anlage, auf dem auf beiden Seiten Stelen und Blöcke stehen. Darauf sind die Namen und Lebensdaten Hunderter Dresdner Gegner des Nationalsozialismus verzeichnet, die in der Zeit von 1933 bis 1945 ermordet wurden oder später verstorben sind. Im Übergang zum zentralen Rondell befinden sich einzelne Urnengräber von Antifaschisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Dresdens nach 1945. Um das sich anschließende Rondell stehen 14 Steinblöcke mit den Namen von Konzentrationslagern und auf der anderen Seite Dresden und Städte bzw. Orte, die von Deutschen im Zweiten Weltkrieg besonders grausam angegriffen wurden. Ein langer Weg hinter dem Rondell führt zu der monumentalen Gedenkstätte für die Opfer des Luftangriffs auf Dresden im Februar 1945. Auf vier Steinplatten auf dem Weg dahin befinden sich antimilitaristische Inschriften. (Nach: Dresdner Gedenkorte für die Opfer des NS-Regimes, Karin Jeschke und Herbert Goldhammer (VVN/BdA))
Die Nazis lassen sich weder von der antifaschistisch ausgerichteten Anlage des Heidefriedhofs, noch von der Gedenkrede der Oberbürgermeisterin, in der sie sich von den Nazis distanziert, abschrecken. Wir finden es weiterhin einen Skandal, dass Nazis damit Teil des offiziellen Gedenkens sind und fordern, dass weitere wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um dies zu verhindern. Außerdem ist das Rondell auf dem Heidefriedhof missverständlich und sollte mit einer erklärenden Tafel versehen werden. Die Ausrichtung als Gedenkstätte gegen „Krieg und Faschismus“, wie sie 1965 erschaffen wurde, muss deutlicher werden. Es muss erklärt werden, dass es eben nicht darum geht, Dresden wie andere Orte gleichermaßen als reines Opfer zu betrachten. Vielmehr könnte mit dem Rondell auch folgende Deutung festgeschrieben werden: Wer an Dresden gedenken will, muss sehen, was zu Dresden führte. Dazu muss die bisherige Anlage durch einen entsprechenden Text ergänzt werden.
Extremismus
Bereits 2010 und nun wohl auch für das nächste Jahr, hatte ein „Vorbereitungskreis 13.Februar“ um Helma Orosz zu einer Menschenkette aufgerufen. Diese Menschenkette ist ein Versuch die Dresdner Innenstadt sowohl vor Nazis als auch vor Linken zu beschützen. Dass dies notwendig sei hatte nicht nur die Dresdener Lokalpresse sondern auch der sächsische Verfassungsschutz („Invasion der Extremisten“) im Vorhinein verlauten lassen. Hierbei wird die irrwitzig starke Wirkmächtigkeit der Totalitarismusdoktrin in Sachsen deutlich. Es wird angenommen, dass die Gesellschaft derart verfasst sei, dass es eine demokratische Mitte gäbe, deren Akteure sich bei politischen Auseinandersetzungen im Grunde nur um Nuancen streiten. Einend sei hierbei die Akzeptanz der FDGO, des Rechtsstaates und all seiner Strukturen, sowie des derzeitigen ökonomischen Systems. Jenseits dieser „im Grunde einigen“ Mitte existieren – frei nach Jesse, Patzelt und Backes – die Extremisten zur Linken und zur Rechten. Da diese Gruppierungen jeweils die Akzeptanz des oben genannten nicht teilen und somit „Staat und Demokratie abschaffen“ wollen, gehören sie gleichermaßen ausgegrenzt und bekämpft. Nach dieser sogenannten Extremismustheorie wird eine Unterscheidung zwischen Linken und Rechten nebensächlich. Wir verurteilen die Gleichmacherei von politisch Linken und Rechten, von Antifas und Nazis. Gerade auf Grund von absurden Auslegungen und Interpretationen von Statistiken wird dem totalitarismustheoretischen Denken immer wieder Vorschub geleistet. Hierbei wird zum Beispiel die Anzahl der Straftaten, oder je nach Belieben auch nur die Anzahl der Gewalttaten entkontextualisiert gegenüber gestellt und „ausgewertet“ je nachdem, wie es dem/der zumeist tendenziösen Journalisten/in des jeweiligen Lokalblattes in den Kram passt. Nazis streben den Umsturz der Verhältnisse zu Gunsten eines modernisierten Nationalsozialismus an. Dieser weist auch wesentliche Merkmale des politischen Systems des dritten Reiches auf – Ausgrenzung, Antisemitismus, Volksgemeinschaft, Gleichschaltung und Sozialdarwinismus sind nur einige Beispiele. Die autonome Antifa hat es sich zur Aufgabe gemacht diese Bewegung zu behindern und zu bekämpfen und somit deren Wiedererstarken zu verhindern. Es muss einfach jeder und jedem deutlich einleuchtend erscheinen, dass ein Vergleich von Statistiken über Straftaten, in die auf der einen Seite Fälle wie schwere Brandstiftung (z.B. Brandanschläge auf linke Wohnprojekte) und auf der anderen Seite solche wie Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (z.B. bei Blockaden von Naziaufmärschen) eingehen, keinen Sinn macht. Macht es nicht selbst einen Unterschied, eine Körperverletzung zu begehen, weil ein Mensch dem Aussehen, dem Auftreten oder der Sprache nach nicht deutsch ist, oder weil einer durch Codes vermittelt über Schmuck, Kleidung oder Tätowierungen zu bspw. Ausgrenzung, Rassenhass oder ähnlichem aufruft.
Wir verurteilen die Gleichmacherei von links und rechts mit Hilfe der Extremismustheorie und fordern gerade von den Offiziellen von Stadt und Land eine deutliche, zielgerichtete Absage an die Nazis und eine Solidarisierung mit all jenen die aktiv gegen jene vorgehen.
Zum historischen Ereignis
Dresden war im Februar 1945 Knotenpunkt für den Schienenverkehr, Garnisionsstadt, eines der wenigen intakten Verwaltungszentren des 3. Reiches und es existierten große Rüstungsbetriebe. Es war jedoch nicht das Ziel des britischen Bombardements, an einer dieser Stellen anzusetzen, sondern die Strategie hieß „moral bombing“, nach der ganz klar die Zivilbevölkerung Ziel der Angriffe war. Daher wurden die Innenstadt und angrenzende Viertel bombardiert, in denen sich keine Garnison und kein großer Rüstungsbetrieb befanden. Die Gauleitung befand sich in Bunkern im Lockwitzgrund, die SS-Führung an der Mordgrundbrücke. Auch die Gebäude der Bahn, Bahnhöfe und Gleisanlagen wurden eher zufällig beschädigt und trotz des amerikanischen Angriffs am Folgetag, der sich im Gegensatz zu den britischen Angriffen explizit gegen die Gleisanlagen in der Friedrichstadt richtete, nicht ausreichend getroffen oder rasch repariert. Im April musste deswegen ein weiterer Angriff auf die Eisenbahn geflogen werden. Dennoch ist das Ergebnis der Bombardierung eine klare Schwächung, nicht nur der Region sondern auch des NS insgesamt. Aber um den Preis eines Angriffes, der darauf optimiert war, eine möglichst hohe Zahl von Toten unter der Zivilbevölkerung zu erreichen.
3.
Unserer Ansicht nach ist es unrealistisch und falsch zu versuchen die schwerste Zerstörung in der Geschichte der Stadt Dresden aus dem Gedächtnis zu streichen. Für uns ist es wichtiger das Gedenkverhalten im gesamten Jahr kritisch zu begleiten.
Wenn vom „Dresdener Gedenkdiskurs“ die Rede ist, meint dieser Terminus oft – vor allem in nicht-lokalen Zusammenhängen – die Vorgänge am und um den 13. Februar. Für uns als Antifa-Ortsgruppe bedeutet er jedoch mehr.
Am 13. Februar kommt es zum größten Gedenkakt im ganzen Jahr, was einerseits dadurch erklärbar ist, dass hier konkret an ein für einen großen Teil der Bevölkerung in die Biographie einschneidendes Ereignis im Zuge des Zweiten Weltkriegs erinnert wird. Andererseits wird die dabei inzwischen offiziell vorgenommene Kontextualisierung durch die Betonung der Schuld der Deutschen zur Farce, wenn nicht an den jeweiligen anderen Gedenktagen oder Anlässen daran gearbeitet wird, auch hier konkrete Bezüge zu finden und auch abstraktere Zusammenhänge zu verstehen.
So gibt es am 9. November bereits gute Ansätze, die insgesamt aber mehr Beachtung finden müssten. Dass die Dresdner Synagoge an diesem Tag angezündet wurde, ist weitestgehend bekannt. Eine offizielle Gedenkveranstaltung an dieser Stelle zieht jedes Jahr etwa 50 – 100 Menschen an. Desweiteren wird, organisiert von einer engagierten Basisgruppe, jedes Jahr mit einer Fahrradtour auf weitere Orte jüdischer Verfolgung aufmerksam gemacht. Jedoch ist z.B. das „Judenlager Hellerberge“ in Dresden weitestgehend unbekannt, obwohl von der Umsiedlung dorthin sogar ein Video existiert.
Zum 8. Mai gab es letztes Jahr seitens der Stadt gar keine Veranstaltung, nach einer Anfrage der LINKEN wurde dies sogar konkret abgelehnt. Zwar bekundet die Stadt jedes Jahr ihr Mitgefühl für die Opfer des Nationalsozialismus, weiter geht sie dabei aber nicht.
Solange solche Daten nur marginale Beteiligung erhalten und den Reden keine Taten folgen, solange bleiben die mahnenden Worte zum 13. Februar an die Opfer des Nationalsozialismus nur hohle Phrasen.
Die Tatsache, dass sich am Gedenken zum 13. Februar bis zu mehrere Tausend Menschen beteiligen, während am 9. November nur wenige Hundert Menschen in der Öffentlichkeit an die Reichspogromnacht erinnern, stellt für uns eine enorme Schieflage in der Dresdner Erinnerungskultur dar. In diesem Zusammenhang und mit Blick auf die praktische Politik in dieser Stadt, verkommen die offiziellen Reden vom Mahnen an die Opfer des Nationalsozialismus zum scheinheiligen Herunterbeten hohler Floskeln. Diesem müssen wir entgegenwirken. Wer am 13. Februar gedenken will, darf nicht über den 9. November und seinen Hintergrund, der um ein wesentliches gravierender als der des 13. Februars ist, hinwegsehen. Wir denken hierbei auch an Tage wie den 27. Januar oder den 01. September. Selbst wenn am 13. Februar noch so sehr an die Vorgeschichte der Bombardierung mit der deutschen Schuld erinnert wird, kann es nicht sein, dass andere Jahrestage, die eine ähnliche Bedeutung für Dresden in der Zeit des Nationalsozialismus haben, unter den Tisch fallen und die heutigen antiemanzipatorischen Tendenzen in der Gesellschaft derart ignoriert oder gar gefördert werden, wie das aktuell in Dresden der Fall ist.
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