Menschenkette der Stadt Dresden am 13.2.2011 von allen Seiten unter Druck

Dresdner Morgenpost vom 8.2.2011 - so kann's kommen, wenn's blöd läuft: Menschenkette für'n Arsch

Nu sehen die Stadtoberhäupter mal wie das ist. Man engagiert sich gegen Nazis und schwupps stößt man an die Grenzen von Gesetzen, die Nazis selbst beginnen einem zurück aufs Schwein zu gehen und dann kommen auch noch Linke und beschweren sich – zurecht – wenn das Ganze eigentlich nix bringt. Menschenkette, willkommen im Club. Wobei – wer auf diese Probleme stößt, hat mitunter etwas falsch gemacht. Was ist da los? In drei Dresdner Tageszeitungen steht’s:

1. Ein spitzfindiger Verwaltungsrichter bemängelt in der Sächsischen Zeitung, dass die Oberbürgermeisterin (OB) als Vorgesetzte der Versammlungsbehörde Neutralität gegenüber den Versammlungen zu wahren hat und daher nicht zu einer bestimmten aufrufen und auch nicht gegen eine andere sich aussprechen darf, schon garnicht wenn sie sich dabei unsauber ausdrückt. Hätte die OB die Angebote von Albrecht Schröter, Oberbürgermeister von Jena angenommen, dann hätte ihr klar sein können, dass dies problematisch ist. Wenn Schröter sich an die Spitze seiner Bürger stellt, um gegen Nazis zu protestieren, dann übergibt er die Leitung der Versammlungsbehörde einem anderen. So erzählt er es immer gern auf allen Veranstaltungen gegen Nazis und hätte es auch den Vertretern der Stadt Dresden erzählt, wenn die denn mitmachen würden, beim Projekt „Kommunen gegen Rechtsextremismus“, wo solche und andere Erfahrungen ausgetauscht werden.

2. In dem Moment wo die Menschenkette aufhört, fangen die Nazis an, sich zu treffen – 15 Uhr. Fragt sich also, was bringt’s außer schönen Bildern? Nicht viel. Das reibt ihnen der Grüne Johannes Lichdi heute in der Dresdner Morgenpost noch einmal unter die Nase, der spekuliert, dass die Nazis ja dann einfach in die Altstadt kommen könnten, in Teile, die weder von der Allgemeinverfügung am 13. zum Schutz des Gedenkens rund um den Neumarkt (Frauenkirche) noch vom neuen Versammlungsgesetz beeinträchtigt werden. Z.B. also auf den zentralen Dresdner Straßenbahnknotenpunkt Postplatz. Das heißt nicht, dass es Hinweise gibt, dass die Nazis diese Route bekommen. Es heißt nur, dass es möglich wäre, beispielsweise wenn andere Routen blockiert sind, oder sagen wir: anderweitig bedemonstriert.

3. Die Nazis von der JLO (Junge Landsmannschaft Ostdeutschland, die jährlichen Anmelder des Großaufmarsches der Nazis) rufen zur Teilnahme an der Menschenkette auf, berichtet die Dresdner Neuesten Nachrichten. Ist eigentlich super. Dann kann dort mal so ganz direkt die Courage gegen Nazis geübt werden. Hinter-Blumen-verstecken gegen Nazis (Aktion „Weiße Rose“) gilt dann nicht.


Sächsische Zeitung, 8. Februar 2011

Ist der Aufruf zur Dresdner Menschenkette demokratiefeindlich?

Von Markus Scheffer

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die Sächsische Zeitung kontroverse Essays, Kommentare und Analysen zu aktuellen Themen. Texte, die aus der ganz persönlichen Sicht des Autors Denkanstöße geben, zur Diskussion anregen sollen.

Heute: Verwaltungsrichter Markus Scheffer geht aus juristischer Sicht der Frage nach, ob die Stadtverwaltung das Recht hat, zu einer Aktion gegen Fremdenfeindlichkeit aufzurufen. Die deutsche Rechtsprechung ist da unterschiedlicher Ansicht.

Am Rathaus hängt ein weißes Transparent. Unter dem Motto „Erinnern und Handeln. Für eine weltoffene Stadt. Gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“ werben Technische Universität und Landeshauptstadt Dresden für eine Menschenkette am 13. Februar. Daneben lädt die Oberbürgermeisterin in einem eigens geschalteten Internetaufruf gemeinsam mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen alle Dresdner sowie Gäste der Stadt ein, teilzunehmen: „Lassen Sie uns ein Zeichen setzen: Ein Zeichen gegen den Missbrauch unserer Geschichte durch eine rassistische und menschenverachtende Ideologie.“

Nach dem Willen der Organisatoren soll die Menschenkette die Innenstadt „wie ein lebendiger Schutz umschließen und damit vor dem Eindringen Rechtsextremer schützen“. Weiter heißt es: „Wir unterstützen alle Initiativen und Organisatoren unserer Stadt, die sich anlässlich des Jahrestages engagieren: Im Erinnern an das Geschehene, im Engagement für Frieden, Demokratie und Menschenrechte, im friedlichen Widerstand gegen Rechtsextremismus.“

Der Aufruf ist unter anderem von der Oberbürgermeisterin und dem Rektor der TU Dresden unterzeichnet. Letzterer ist zugleich Veranstalter und Leiter der Menschenkette. Was ist von dieser obrigkeitlichen Koordinierung des Denkens, Fühlens und Handelns in rechtlicher Hinsicht zu halten?

Der amtliche Aufruf – jedenfalls was Oberbürgermeisterin und Rektor betrifft – findet in einem rechtlich äußerst sensiblen Bereich statt. Die für den 13. Februar angemeldeten Demonstrationen rechter Gruppierungen sind nicht verboten worden. Die Teilnehmer können sich auf Grundrechte berufen, namentlich die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) sowie die Vereinigungs- (Art. 9 Abs. 1 GG) und Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Amtliche Äußerungen, die dazu aufrufen, gegen nicht verbotene Veranstaltungen zu demonstrieren, können in diese Grundrechte eingreifen. Solche Eingriffe bedürfen der Rechtfertigung. Diese ist gegeben, wenn sich der Hoheitsträger im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben bewegt und dem Sachlichkeitsgebot genügt.

Gehört ein solcher Aufruf zum gemeindlichen Aufgabenbereich? Darüber gehen die Ansichten auseinander. Teile der Rechtsprechung halten ihn für unzulässig. Es sei nicht Sache der Verwaltung, selbst zu Versammlungen aufzurufen. Zudem dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Verwaltung nicht neutral sei. Andere Gerichte sehen derartige Aufrufe von der Aufgabe umfasst, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln.

Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst in einem etwas anders gelagerten Fall einen restriktiven Standpunkt eingenommen und eine rechtsstaatlich distanzierte Aufgabenwahrnehmung angemahnt. Ausgeschlossen seien Äußerungen, die allein dem Bestreben dienten, eine behördliche Auffassung, namentlich eine für richtig gehaltene spezifische Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim oder vertretbar hinzustellen. Ob der Dresdner Aufruf den höchstrichterlichen Vorgaben standhält, darüber kann man streiten. Jedenfalls entspricht es nicht dem Bild einer neutralen Verwaltung, dass die Stadt – obwohl Versammlungsbehörde (!) – gemeinsame Sache mit dem Veranstalter der Menschenkette macht. Eindeutiger fällt das juristische Urteil beim Rektor der TU Dresden aus. Für seinen Aufruf in amtlicher Eigenschaft gibt es keine gesetzliche Kompetenz. Eigentlich ein Fall für die Rechtsaufsicht.

Schließlich ist zu prüfen, ob der jeweilige amtliche Aufruf sachlich und maßvoll ist. Häufig ist das nicht der Fall. So verstieg sich etwa der Oberbürgermeister von Gera zu der Äußerung, die Stadt „dürfe nicht zum Pilgerort von Nazis werden und zum Ort, an dem sie sich ausbreiten und einrichten“. Nach dem Dresdner Aufruf soll die Menschenkette die Innenstadt vor dem „Eindringen“ Rechtsextremer schützen.

Angesichts des Grundrechts aus Art. 11 Abs. 1 GG, danach genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet – ein Aufruf zur Nötigung? Und, was ist das für ein Sprachgebrauch? Ist die Würde des Menschen doch antastbar? Sachlichkeit sieht anders aus. Auch die Oberbürgermeisterin trägt mit ihren öffentlichen Äußerungen nicht zur Mäßigung bei. Die Presse zitiert sie mit den Worten, für Neonazis sei in dieser Stadt kein Platz. Ausgrenzende Parteilichkeit ist das Gegenteil rechtsstaatlicher Neutralität. Demokratie muss Andersdenkende, auch wenn sie von der öffentlich vorherrschenden Meinung abweichen, aushalten können, wollen wir eine pluralistische Gesellschaft sein.

Wozu gesellschaftliche Ausgrenzung führen kann, konnte man am 13. Februar 2010 in der Dresdner Neustadt beobachten. Junge, wohl dem linken Lager zuzurechnende Schläger prügelten auf einen vereinzelten „rechten“ Gegner ein, dem wehrlos am Boden Liegenden sodann heftige Tritte verpassend. Couragierten Bürgern ist es zu verdanken, dass es nicht zum Schlimmsten kam. Sie wurden angezischt: „Haltet euch da raus!“ Da stellt sich die dringende Frage: Wollen wir in einem Gemeinwesen leben, wo man seiner politischen Anschauungen wegen des Lebens nicht mehr sicher ist? Gerade dies soll der neutrale Rechtsstaat verhindern.


Dresdner Morgenpost, 8. Februar 2011

Erst Menschenkette gegen die Rechten, dann Nazi-Marsch durch die Altstadt?

13. Februar: Rathaus spaltet Dresden

Am 13. Februar droht Dresden ein Fiasko. Die Menschenkette zum Gedenken des 66. Jahrestages der Zerstörung Dresdens wird zwar durch die Altstadt verlaufen. Nach Morgenpost-Informationen sollen nach deren Ende die Nazis freie Bahn durch die Altstadt bekommen.

Ausgenommen einer genehmigten Mahnwache an der Synagoge sollen die übrigen 15 angemeldeten Kundgebungen offenbar auf die Neustädter Seite verbannt werden. „Das Ordnungsamt begründet das mit dem Gebot der Lagertrennung“, so Stefan Thiele vom Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“. Auch der Gedenkrundgang des Bündnisses wurde bei einem Kooperationsgespräch Ende letzer Woche für die Altstadt abgesagt.

Mit dem Trennungsgebot begründete die Stadt auch die Verlegung der Grünen-Kundgebung auf die Nordseite der Stadt. „Es ist die gleiche Strategie wie letztes Jahr. Wir wünschen uns, dass die Stadt prüft, ob die Menschenkette nicht zeitlich verlängert werden kann“, so der Grünenpolitiker Johannes Lichdi. Sonst entstehe der Eindruck, der Platz müsse für die Nazis geräumt werden. Lichdi geht davon aus, dass diese sich ab 15 Uhr hinter dem Hauptbahnhof sammeln, dann über die Petersburgerstraße Richtung Postplatz ziehen.

Die Stadt begründet die „Separierung“ der Veranstaltungen mit dem im letzten Jahr verabschiedeten neuen Versammlungsgesetz, das „die sächsische Landeshauptstadt in die Lage versetzt, das stille Gedenken der Bürger in der Altstadt zu schützen“, so Stadtsprecher Karl Schuricht. Weder für den 13. noch für die 69 angemeldeten Veranstaltungen am 19. Februar seien bisher „endgültige Platzzusagen erteilt.“


Dresdner Neueste Nachrichten online, 8. Februar 2011

13. Februar: Nazis wollen sich an Menschenkette durch die Innenstadt beteiligen

Das LKA sucht Zeugen für eine illegale Demo von Neonazis in Pirna. Foto: dpa Dresden. Die Menschenkette am 13. Februar erhält ungewollte Unterstützung: Auf ihrer Homepage ruft die rechtsextreme Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) dazu auf, sich an der eigentlich gegen rechts gerichteten Veranstaltung zu beteiligen. „Auch wir wollen uns natürlich als Bürger und Gäste von Dresden diesem Aufruf nicht verwehren und somit zum Gelingen beitragen“, heißt es von der JLO, die für den gleichen Tag eine „Gedenkveranstaltung“ angemeldet hat, die sich „gegen Krieg, Vertreibung und Bombenterror“ richtet.

„Es ist eine Methode, Angst zu schüren“, urteilt Jens Wittig, Sprecher des Vereins Bürger Courage. Er ruft die Dresdner auf, eben keine Angst zu zeigen und sich umso zahlreicher an der Menschenkette zu beteiligen. Der Aufruf richte sich eindeutig gegen Nazis, stellt Wittig klar. Die JLO zitiert auf ihrer Internetpräsenz nur einen kleinen Auszug.

Am Pirnaischen Platz ist derzeit noch Baustelle. Die genaue Streckenführung wird nach Angaben der Stadt in der 6. Kalenderwoche bekanntgegeben.

Es sei natürlich nicht möglich, in die Köpfe der Menschen zu schauen, so den Dresdnern aber auffalle, dass sich Nazis in die Kette einreihen, sollen die friedlichen Landeshauptstädter zeigen, dass die Rechten unerwünscht sind, hofft Wittig.

zum Thema Dresdens größte Sportmannschaften verstärken die Menschenkette am 13. Februar Weiße Rosen und eine Menschenkette erinnern am 13. Februar an den Bombenangriff Dresdner Parteien, Vereine und Kirchen rufen zum gemeinsamen Gedenken auf Auch die evangelische Kirche, die zu den ersten Unterzeichnern des Aufrufs gehört, will weiterhin für eine Teilnahme an der friedlichen und demokratischen Aktion werben. Matthias Oelke, Sprecher des Landeskirchenamtes betonte noch einmal die „Tradition des friedlichen Protestes für Demokratie“.

Wie bereits im Vorjahr werden am 13. Februar etwa 10.000 Teilnehmer zur Menschenkette gegen Rechts erwartet. Unter dem Motto „Erinnern und Handeln. Für mein Dresden“ soll die Menschenkette den gemeinsamen Willen der Dresdnerinnen und Dresdner ausdrücken, ihr Erinnern mit dem Bekenntnis zu Frieden, Demokratie und Menschenrechten zu verbinden, heißt es im Aufruf. „Wie ein symbolischer Schutzwall soll sie die Dresdner Innenstadt umschließen und als Symbol friedlichen Erinnerns und Mahnens wie auch als ein klares und starkes Zeichen gegen die Vereinnahmung dieses Gedenkens durch Rechtsextreme wirken.“

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