FAZ 17.2.09
Blick zurück nach vorn
Von Irene Bazinger
16. Februar 2009 Alljährlich wird in Dresden des schrecklichen Bombardements durch alliierte Fliegerverbände im Februar 1945 vielfältig gedacht: ob besinnlich mit Kerzen und Mahnwachen, ob mit Forderungen nach „Nie wieder Krieg“ und „Nazis raus“ bei Demonstrationen aus dem linken Spektrum oder mit Gebrüll vom „Bomben-Holocaust“, wie es die rechte Szene nicht lassen kann. Diesmal tobte die Schlacht zwischen den politischen Kontrahenten besonders heftig. Ob sich da jemand einfach verrechnet hatte – ein halbwegs runder Jahrestag stünde eigentlich erst 2010 an? Oder ob man im Superwahljahr keinen Anlass versäumen wollte, Stimmung in eigener Sache zu machen?
Das Staatsschauspiel Dresden jedenfalls hatte vorsorglich eine Leinwand an die Fassade gehängt, um die Premiere von „Die Wunde Dresden“ aus dem Saal in Richtung Postplatz zu übertragen – wo man eine Zusammenrottung von Neonazis erwartete. Diese blieben jedoch aus oder ignorierten gemeinerweise die gutgemeinte Collage, die der Regisseur Volker Lösch mit dem Dramaturgen Stefan Schnabel recherchiert und auf die von Cary Gayler komplett weiß ausgeschlagene Bühne gebracht hatte.
Klinisch saubere Uraufführung
Die Textauswahl reichte von Andreas Gryphius über Franz Kafka bis zu Helmut Kohl, umfasste Zeitzeugenberichte, historische Dokumente und Gesänge. Knapp zwei Stunden dauerte die zwischen Selbsterforschung, Nabelschau und lokalpatriotischem Dünkel angesiedelte Nummernrevue zum Generalthema „Dresden gestern, heute, immer – nazideutsch, ostdeutsch, gesamtdeutsch“. Deshalb säuselte Marlène Meyer-Dunker in einem Ausschnitt aus Gerhart Hauptmanns „Iphigenie in Aulis“ oftmals das Wort „Heil“, und Karina Plachetka hatte als Goethes Faust zackig-germanische Wesensart zu verdeutlichen: „Die Tat ist alles / Nichts der Ruhm.“
Den überwiegenden Teil der klinisch sauberen Uraufführung bestritt indes der aus sozial benachteiligten und arbeitslosen Laien gebildete „Dresdner Bürgerchor“. Er ist hier nicht nur „das Volk“, sondern vor allem „ein Volk“, spricht und singt mit einer einzigen Stimme. Alle Choristen tragen Nachtgewänder und rostbraune, später, als das Stück – „Auferstanden aus Ruinen“ – in die DDR steuert, weiße Bademäntel. Der deutsche Michel als Schlafwandler in seiner Vergangenheit oder ein Haufen stationärer, bestens dressierter Irrenhäusler, die erst Hitler feiern und danach „O Haupt voll Blut und Wunden“ schmachten? Die den Klassikern so aufmerksam lauschen wie den Propagandareden des Herrn Goebbels? Und die ihre Betten zu einer großen Liegewiese aneinanderschieben, auf der sie wie Kinder ihre ganz persönlichen Wünsche von „Weltweit das Geld abschaffen“ bis zu „Und dann wird gevögelt ohne Ende“ äußern.
Vergnügliche Versuchsanordnung
Redlich ausgedacht, solide choreographiert und manchmal sogar ein wenig keck, wenn über die restaurierte Frauenkirche gelästert wird, vermag Volker Löschs Inszenierung allerdings weder inhaltlich zu überzeugen noch durch die aufgebotene Masse Mensch zu überrumpeln. Sie hält sich mit routinierter Oberflächlichkeit aus ihrem Sujet heraus – und kriegt es, allem heiligen Ernst und didaktischem Eifer zum Trotz, nie in den Griff.
Während über dieser Aufführung die unbeantwortete Frage lastet, wie es denn sein könne, dass Menschen einander derart viel Leid und Schmerz zufügen, wird daraus in der Skala, der kleinen Filiale des Schauspiels Leipzig, das seit letztem Herbst „Centraltheater“ heißt, eine vergnügliche Versuchsanordnung. „Maschinenwinter“ verschränkt auf spielerisch leichte Weise maßgebliche Thesen aus Dietmar Daths gleichnamiger Streitschrift über den Zusammenhang von Wissen, Technik und Sozialismus mit Ridley Scotts Science-Fiction-Film „Blade Runner“ (1982), weil es in beiden um die Wechselbeziehungen zwischen dem Homo sapiens und den von ihm geschaffenen Maschinen geht. Doch anstatt dass die Menschen deren Potentiale zugunsten eines besseren Lebens für alle nutzen, betreiben sie damit zumal Unterdrückung, Ausbeutung, Krieg.
Theorie mit Tanzbein
Der Regisseur Martin Laberenz (Jahrgang 1982) bereitet die ziemlich trockene Materie mit fünf jungen Akteuren als Gangsterbräuten und Philip-Marlowe-Epigonen im Stil eines typischen Detektivstreifens so kurzweilig reflektiert wie unterhaltsam übermütig auf. Vor ein paar Telefonzellen mit Folienwänden zeigen sie im Bühnenbild von Maike Storf hübsch stilisierte Karikaturen von abstrakten Arbeitsabläufen, wenn etwa der Boden penibel mit Manuskriptseiten ausgelegt wird, und von den Schwierigkeiten solidarischen Handelns – wenn zwei stürzen, weil sie einander helfen wollten, und den schönen Papierteppich ruinieren.
Hinter der Bühne lärmen die Schauspieler gern in eine Kamera, brüllen sich über Ökonomie und Liebe, Moral und Profit heiser, wie das René Pollesch, der Begründer des sozialkritischen Diskurstheaters, vorgemacht hat. Aber das tut dem beherzt die Theorien auf die Tanzbeine stellenden Abend keinen Abbruch. „Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit die sich revanchieren können“, fordert Dath. Trotz mancher Untiefe liefert Martin Laberenz dazu ein erfrischend und gekonnt inszeniertes Plädoyer.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: R. Arnold/CT
Quelle:
http://www.faz.net/s/Rub4D7EDEFA6BB3438E85981C05ED63D788/Doc~E029058D7F9394DF5968121DCB3488F44~ATpl~Ecommon~Scontent.html